„Wir in Deutschland sind im vergangenen Jahrzehnt jedenfalls gut damit gefahren, Arbeitnehmer durch Tarifverträge zu schützen und nicht vor Tarifverträgen. Hierbei muss es bleiben.“
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kayenburg, der Anlass für das Tariftreuegesetz in Schleswig-Holstein war die Ausschreibung der Müllverwertung in Nordfriesland, um die sich Firmen mit Dumpingarbeitsbedingungen beworben haben, die dazu geführt hätten, dass sämtliche Müllwerker von Nordfriesland entlassen werden, obwohl die Müllverwertungsgesellschaft selber mit ihnen weitermachen wollte. Damals hat der Chef im Landtag angerufen, die Parteien bekniet und ihnen gesagt: Macht etwas, damit so etwas nicht möglich ist, dass wir gegen unseren eigenen Willen unsere gesamten Mitarbeiter entlassen müssen.
Auf diesen Hilferuf hat der Landtag damals einheitlich reagiert und zugesagt, etwas zu machen, weil es eben etwas anderes ist, wenn private Firmen konkurrieren und es unterschiedliche Arbeitsbedingungen gibt. Dagegen können die Gewerkschaften keinen Kampf führen und bestimmte Tarifverträge auskämpfen. Das ist im öffentlichen Dienst nicht möglich, wenn es Dumpingangebote gibt, weil sie dann vertraglich über Jahre gebunden sind und keine Möglichkeit besteht, dagegen vorzugehen, außer, ihren eigenen Arbeitsplatz zu vernichten. Das ist der Grund, warum es im öffentlichen Dienst Mindestlöhne gibt, die ich weiterhin für sinnvoll halte.
Wenn das jetzt aufgrund von EU-Gesetzgebung nicht mehr möglich ist, dann haben wir ein Problem. Es ist richtig, dass dann über das Thema Mindestlöhne geredet wird. Ich sage Ihnen Folgendes, Herr Kayenburg: Dass es in einigen Branchen ich nenne das Friseurhandwerk; das sind in der Regel ausgebildete Frauen und zum Teil auch Männer - Tariflöhne in Schleswig-Holstein gibt, die knapp oberhalb von 4 € liegen - in einigen Bereichen in Schleswig-Holstein gibt es überhaupt keine Tariflöhne; da liegen die Löhne unter 4 € -, funktioniert nur deswegen, weil der Staat diese Arbeitsverhältnisse mit Hartz IV subventioniert.
Das heißt, die Arbeitnehmerinnen bekommen etwas hinzubezahlt, damit sie davon leben können. Das heißt, sie arbeiten, weil sie es gerne tun - die Menschen wollen Arbeit -, weil sie auch dazu gedrängt werden, aber die Löhne sind aufgrund der jetzigen Gesetzgebung gesunken. Das muss man einfach feststellen. Man kann das an dem Preis für einen Haarschnitt nachvollziehen. Jeder männliche Abgeordnete hier kann es auch nachvollziehen. Mit den Preisen für Frauenhaarschnitte kenne ich mich nicht aus. Früher habe ich für einen Haarschnitt 10 € bezahlt, zum Teil mehr. Der Preis für einen Haarschnitt ist aufgrund dieser Entwicklung auf 6 € gefallen.
- Er ist auf 6 € gefallen; man kann natürlich auch ein Trinkgeld geben; das mache ich auch. - Wenn wir auf einem Teil des Arbeitsmarktes eine solche Dumpingentwicklung haben, dann ist es richtig, wenn der Gesetzgeber darauf reagiert. Mindestlohn als Unwort des Jahres zu bezeichnen, Herr Kayenburg, ist gegenüber den betroffenen Menschen zynisch.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Morgen werden wir ja hier im Plenum darüber debattieren, wie wir uns eigentlich die Zukunft der EU nach dem Referendum in Irland vorstellen. Wir sprechen in Sonntagsreden davon, wie wir uns ein soziales Europa vorstellen. Der EuGH entscheidet gegen ein soziales Europa.
Ich plädiere dafür, dass man den Gedanken, dass man den Rechtsrahmen ändern muss, natürlich ernst nehmen muss.
Die Entscheidungen des EuGH entsprechen natürlich dem, was an europäischen Richtlinien vorliegt. Wir müssen die europäischen Richtlinien ändern. Ohne eine Änderung dieses Rechtsrahmens bekommen wir nie und nimmer ein soziales Europa.
Es ist ja nicht so, dass das, was jetzt auf europäischer Ebene beschlossen worden ist, in Beton gegossen ist. Lieber Kollege Garg, das können Sie jedoch auch nicht meinen. Sinn von Politik ist doch auch, Veränderungen vorzunehmen. Von daher ist es, wie ich glaube, ganz wichtig, dass wir die europäische Dimension nicht ausklammern.
Eine letzte Bemerkung. Wir haben hier im Landtag in einer ausführlichen Debatte auch über den Mindestlohn diskutiert. Das Modell, über das damals diskutiert wurde, war das britische Modell. Wir haben damals gesagt: In erster Linie muss natürlich von den Tarifvertragsparteien über Mindestlöhne verhandelt werden. Wenn das aber nicht klappt, kann daran gedacht werden, eine Kommission einzusetzen, in der auch die Tarifvertragsparteien vertreten sind.
- Lieber Kollege Kayenburg, ich habe schon etwas von Koalitionsfreiheit gehört. Ich finde, es ist ein Trauerspiel, dass die Gewerkschaften in der Bundesrepublik so schwach sind, dass sie dieses Hilfsmittel in Angriff nehmen müssen. Auch das möchte ich hier noch einmal sagen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin Spoorendonk, auch ich bin nicht dafür, dass man irgendwelche Dinge in Beton gießt. Ich bin allerdings dafür, dass man den Menschen an dieser Stelle keine falschen Hoffnungen macht. Ihre Forderung klingt vordergründig sehr plausibel. Ich respektiere auch die Absicht, die dahintersteht, auch wenn ich persönlich in der Sache unterschiedlicher Meinung sein mag. Ich respektiere Ihre Absicht. Mit dem Instrument, das Sie vorgeschlagen haben, werden Sie meiner festen Überzeugung nach aber keinen Schritt weiterkommen. Sie machen den Menschen diesbezüglich etwas vor. Dies zum Ersten.
Ein zweiter Punkt. Lieber Kollege Hentschel, Ihr insbesondere zum Schluss lauter Beitrag war akustisch sehr beeindruckend. Zweierlei habe ich aber nicht verstanden. Erstens habe ich nicht verstanden, was das Friseurhandwerk mit dem Tariftreuegesetz zu tun haben soll. Das Friseurhandwerk wird vom Tariftreuegesetz überhaupt nicht erfasst. Wir wissen jetzt alle, dass Sie sich für 6 € die Haare schneiden lassen. Sie können sich die Haare auch für 30 € schneiden lassen, wenn Sie eine soziale Wohltat vollbringen wollen.
Zum Zweiten sollten Sie, wenn Sie den Herrn Landtagspräsidenten in dieser Form angreifen, nicht vergessen, dass er die Wirkungsweisen eines zu hohen Mindestlohns dargestellt und erklärt hat, und zwar sehr ruhig und sehr sachlich. Er hat sehr deutlich gemacht, dass viele Menschen durch einen zu hohen Mindestlohn ihren Arbeitsplatz verlieren würden. Ich halte es für durchaus gerechtfertigt, dies als unsozial zu bezeichnen. In diesem Zusammenhang können Sie dem Abgeordneten Kayenburg doch nicht ernsthaft einen Vorwurf deshalb machen, weil der Begriff „Mindestlohn“ in der sozialpolitischen Debatte mittlerweile systematisch
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Dr. Garg, ich wollte nicht gern mit Ihnen über Ihren Friseur reden, sondern Sie, weil Sie eben über die Wirkungsweisen von zu hohen Mindestlöhnen gesprochen haben, fragen, ob Ihnen eigentlich bekannt ist, was die Wirkungsweise von Löhnen ist, die bei 4 € liegen.
Wie würden Sie das eigentlich nennen, was dabei herauskommt? Glauben Sie allen Ernstes, dass man von Marktwirtschaft sprechen kann, wenn solche Löhne bezahlt werden und der Rest dann vom Staat kommt? Glauben Sie nicht, dass es dann, wenn man so vorgeht, geradezu einen Anreiz für Unternehmen gibt, keine ordentlichen Löhne zu zahlen, weil der Staat den Rest ausgleicht?
Bezogen auf Ihre Antwort auf die Ausführungen vonseiten des SSW würde ich Sie gern Folgendes fragen. Sie sagten, den Menschen sollten keine falschen Hoffnungen gemacht werden. Die FDP kandidiert doch bei den Europawahlen - oder täusche ich mich da? Ist dann nicht der richtige Zeitpunkt zu sagen: Wir wollen für ein Europa werben, in dem die Menschen von ihrer Arbeit leben können?
Die Verdrossenheit rührt auch daher, dass diejenigen die Oberhand gewinnen und in die Parlamente einziehen, die Feinde der Demokratie sind. Das können wir inzwischen in fast jedem europäischen Land beobachten. Das will heißen: Es ist eine höchst soziale Aufgabe, dafür zu sorgen und im Europäischen Parlament dafür zu kämpfen, dass wir nicht ein Europa von teilweise reaktionärer Rechtsprechung in bestimmten Punkten haben, sondern dass wir ein Europa bekommen, das sozial ist und das dadurch gekennzeichnet ist, dass wir den Menschen überall in Europa erlauben voranzukommen.
Das ist das, wofür wir in Europa kämpfen. Ich freue mich, dass wir morgen die Gelegenheit haben, darüber miteinander zu diskutieren.
Ich bedanke mich, Herr Dr. Stegner. - Es geht jetzt auch nicht um Ihren Friseur, sondern darum, dass Sie eben gesagt haben, es gebe Beispiele für reaktionäre Rechtsprechung. Könnten Sie mir diese Beispiele bitte nennen?
Mit dem größten Vergnügen, Herr Abgeordneter. Wenn in der Begründung eines europäischen Urteils steht, dass der Wert der Niederlassungsfreiheit gegenüber Grundrechten abgewogen werden müsse, nenne ich dies reaktionär. Für mich sind die Grundrechte das Wichtigste. Ich verweise hier auf Artikel 1 unserer Verfassung. Die Niederlassungsfreiheit folgt erst später. Eine solche Abwägung nenne ich in der Tat reaktionär.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind jetzt an einem sehr interessanten Punkt der Debatte. Wenn ich einmal das zugrunde lege, was Herr Kollege Dr. Stegner, was Herr Kollege Hentschel und was auch Frau Kollegin Spoorendonk gesagt haben, ist zu erkennen, dass aufgrund des EuGH-Urteils Handlungsbedarf in Schleswig-Holstein besteht. Ich bekenne mich dazu, dass wir das Tariftreuegesetz hier miteinander beschlossen haben. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass dieses Gesetz aufgrund der Rechtsprechung des EuGH nicht mehr haltbar ist. Wenn wir diese Erkenntnis jetzt miteinander gewonnen haben, müssen wir, wie ich glaube, handeln.