Protocol of the Session on November 13, 2003

(Klaus-Dieter Müller [SPD]: Dem wider- spreche ich nicht! - Weitere Zurufe von der SPD)

Ich habe einen ganz klaren Vorschlag gemacht. Ich habe gesagt: Bei den Kosten zur Arbeitslosenversicherung haben wir heute ein Quote von 6,5 %. Das

(Roswitha Strauß)

macht 49,4 Milliarden € Belastung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus. Wenn man diesen Anteil durch Aufgabenreduzierung der Bundesanstalt für Arbeit von 6,5 % auf 5 % absenkt, würde das eine Entlastung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern von 11,4 Milliarden € bedeuten. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir Maßnahmen wie ABM und anderes reduzieren müssen, und zwar erst einmal speziell im Westen, im Osten müssen wir da etwas vorsichtiger sein.

Genau das haben Sie zum Beispiel auf Ihrem Landesparteitag auch gesagt, dass die Kosten dringend gesenkt werden müssen. Der Unterschied zwischen CDU und SPD besteht darin, dass Sie das mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer kompensieren wollen und wir durch Aufgabenreduzierung erreichen wollen, das heißt, keine weiteren Kosten produzieren wollen.

(Beifall bei der CDU - Klaus-Dieter Müller [SPD]: Aufgabenreduzierung heißt soziale Standards mindern!)

- Nein, Herr Kollege Müller. Auch das ist nicht richtig. Sie haben sehr richtig von Umverteilung gesprochen und diese Form von Umverteilung wollen wir nicht. Wir wollen Wachstum generieren und das können wir nur, wenn die Arbeitskosten geringer werden. Das ist der Weg der CDU. Es ist ein sozialmarktwirtschaftlicher Weg, bei Ihnen ist es immer ein sozialistischer Ansatz. Auch wenn Sie sich hier noch so weit mit Weihen wirtschaftlicher Art meinen einlassen zu müssen, Herr Kollege Müller, wird es dadurch nicht richtiger und nicht besser. Alles, was ich in letzter Zeit zumindest theoretisch von unserem Bundeskanzler und auch von Wirtschaftsminister Clement gehört habe, widerspricht dem, was Sie hier vertreten haben.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde die Debatte ausgesprochen wichtig, die eben geführt worden ist. Deswegen möchte ich zu dieser Debatte auch aus meiner Sicht eine Anmerkung machen, weil ich glaube, dass die Alternative, wie sie hier aufgestellt worden ist, so nicht stimmt.

Wir kennen international drei grundsätzliche Modelle - jedenfalls sehe ich es so -, wie man den Sozialstaat konstruiert. Wir kennen das anglo-amerikanische Modell, das darunter leidet, dass die soziale Absicherung der Menschen vergleichsweise schlecht und die Gesundheitsversorgung für die Allgemeinheit vergleichsweise niedrig ist.

(Zuruf der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

Dafür hat das anglo-amerikanische Modell vergleichsweise geringe Lohnnebenkosten und eine Beschäftigungsquote, die um 10 % oberhalb der unseren liegt.

Die Alternative, die wir darstellen, das zentraleuropäische Modell, hat hohe Lohnnebenkosten, eine geringe Beschäftigungsquote und eine deutlich höhere Sozialabgabenquote. Jetzt könnte man daraus schließen, dass es die einzige Alternative ist, die Sozialabgabenquote nach dem anglo-amerikanischen Modell zu senken. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall.

Denn schauen wir nach Skandinavien, stellen wir fest: Dort haben wir eine bessere Sozialabsicherung als in Zentraleuropa. Wir haben dort gleichzeitig eine Beschäftigungsquote, die um 15 % oberhalb der unseren liegt. Wenn wir eine Beschäftigungsquote wie in Dänemark hätten, um 15 % höher, hätten wir überhaupt kein Problem mit unseren Sozialversicherungen.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Dänemark hat - interessanterweise - eine Steuerquote von 50 % im Gegensatz zu 22 % in Deutschland - 50 % gegenüber 22 %.

(Zurufe)

Da fragt man sich, wie sie es schaffen, trotz so hoher Steuern und eines so teuren Sozialsystems so erfolgreich zu sein. Das Geheimnis ist sehr einfach: Sie haben die niedrigsten Lohnnebenkosten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Lohnnebenkosten betragen durchschnittlich 8 %. 3 % des Bruttosozialprodukts gehen in die Lohnnebenkosten. Das ist die niedrigste Quote der Welt. Das heißt, sie haben ein ganz konsequent ausgerichtetes System: niedrige Lohnnebenkosten, niedrige Belastung der Arbeit. Sie finanzieren einen hervorragenden

(Karl-Martin Hentschel)

Sozialstaat über Verbrauchsteuern, über Ökosteuer und Mehrwertsteuer.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich nenne diese Alternative, weil ich glaube, dass alle Parteien in Berlin und auch die großen Wirtschaftsinstitute von ihrem Denkansatz her immer noch von dem falschen Thema ausgehen, nämlich von Steuersenkungen. Alle Parteien in Berlin - die CDU; übrigens meine eigene auch - überschlagen sich mit Forderungen nach Steuersenkungen. Ich glaube aber, dass unser Problem nicht darin besteht, die Steuern zu senken, sondern dass unser Problem ist, die Sozialabgaben zu senken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wortmeldung der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

- Ich habe nicht mehr viel Redezeit; tut mir Leid. - Die unteren Einkommensschichten zahlen keine hohen Steuern. Das ist in unserem Land doch nicht das Problem. Aber die unteren Einkommensschichten zahlen 40 % Sozialabgaben. Das ist das Problem, das Arbeitsplätze vernichtet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Daher plädiere ich dafür, die Debatte endlich zu wenden und das zu tun, was wir in Schleswig-Holstein seit langem diskutieren und was bereits vom Wirtschaftsminister und von beiden Handwerkskammern unterstützt wird, nämlich ein steuerfinanziertes Modell nach südlich der Elbe zu tragen. Wenn wir das gemeinsam tun und erfolgreich sind, dann kann sich die Republik ändern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Dann schließe ich die Beratung.

Ich gehe davon aus, dass beantragt wird, den Bericht der Landesregierung in der Drucksache 15/2716 zur abschließenden Beratung an den zuständigen Wirtschaftsausschuss zu überweisen. Wird Mitberatung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Es wird also ausschließlich beantragt, den Bericht in der Drucksache 15/2716 zur abschließenden Beratung an den Wirtschaftsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen, den bitte ich um ein eindeutiges Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann ist das ein

stimmig so beschlossen. Damit ist der Tagesordnungspunkt 39 erledigt.

Ich darf bekannt geben, dass sich die Fraktionen dahin gehend vereinbart haben, dass der Tagesordnungspunkt 40 - Bericht zum Bundesverkehrswegeplan - und der Tagesordnungspunkt 15 - Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Altenpflegegesetzes und zur Ausbildung in der Altenpflegehilfe - auf den morgigen Tag verschoben werden und dass der Tagesordnungspunkt 40 morgen nach dem Tagesordnungspunkt 15 zur Beratung aufgerufen wird. Ferner sind die Tagesordnungspunkte 51 - Weiterentwicklung der Sucht- und Drogenpolitik - und 53 - Bericht über die Förderung der Hospizbewegung und Hospizeinrichtungen in Schleswig-Holstein - von der Tagesordnung für die morgige Sitzung abgesetzt. Der Tagesordnungspunkt 19 ist bereits am gestrigen Tage erledigt worden. So weit meine Bemerkungen zur Geschäftsführung.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 50 auf:

Ernährungswirtschaft in Schleswig-Holstein

Landtagsbeschluss vom 26. September 2003 Drucksache 15/2905

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/2990

Ich darf zunächst das Wort für den Bericht der Landesregierung dem Herrn Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Herrn Professor Dr. Bernd Rohwer, erteilen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir über Ernährungswirtschaft reden, dann reden wir über 4,4 Milliarden € Umsatz und über 19.500 Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein. Diese Branche ist im verarbeitenden Gewerbe unseres Landes nach Umsatz die Nummer zwei und nach Beschäftigung die Nummer drei, das Ernährungshandwerk mit noch einmal 16.000 Beschäftigten nicht mitgerechnet. Es ist eine Traditions- und Zukunftsbranche zugleich.

Die Ernährungswirtschaft ist aber ohne Zweifel auch eine Branche mit Problemen; auch über diese müssen wir reden. Kaum eine andere Branche erlebt einen so starken Umbruch wie die Ernährungswirtschaft. Es begann Anfang der 90er-Jahre. Der Umbruch ist noch nicht zu Ende. Der Verkauf der Nordfleisch an die holländische Bestmeat ist hierfür bezeichnend. Besonders in den Produktbereichen Fleisch, Milch und Fisch gibt es starke Unternehmenskonzentrationen.

(Minister Dr. Bernd Rohwer)

Das bedeutet aber nicht, dass Firmenübernahmen grundsätzlich negativ zu bewerten sind. Zum einen werden nicht in jedem Fall Arbeitsplätze abgebaut. Zum anderen ist es, wie das Beispiel Nordfleisch und Bestmeat zeigt, zu begrüßen, dass ein starker Investor gefunden ist, der das Unternehmen insgesamt wettbewerbsfähiger macht.

Ich gehe davon aus, dass die Bestmeat-Standorte Lübeck und Bad Bramstedt gesichert sind. Die Landesregierung wird im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles tun, damit die Wettbewerbsfähigkeit der schleswig-holsteinischen Schlachtstätten und damit auch die Arbeitsplätze bei Bestmeat erhalten bleiben. Eine Ursache für die schwierige Lage in der Ernährungswirtschaft ist die schwache Konjunktur. Die Verbraucher sind verunsichert und halten ihr Geld zurück. Deshalb ist es wichtig, dass jetzt die richtigen Signale aus Berlin kommen. Wir brauchen die vorgezogene Steuerreform und wir brauchen die Entscheidung dafür schnell. Wir brauchen langfristig tragende Reformen der Renten- und Gesundheitssysteme. Wir brauchen weniger Bürokratie und mehr Dienstleistungsmentalität in den Verwaltungen. Wir brauchen eine weitere Optimierung der Wirtschaftsförderung der kurzen Wege und wir brauchen noch mehr Flexibilität im Arbeitsmarkt.

Die Forderungen, die wir im Rahmen der Mittelstandsoffensive eingebracht haben, sind insofern hoch aktuell. Sie sind auch für die Ernährungswirtschaft hoch aktuell; denn die Ernährungswirtschaft in Schleswig-Holstein ist mittelständisch strukturiert. Die Unternehmen der Ernährungswirtschaft können, wie Sie wissen - das wird in dem Bericht auch dargestellt -, auf die bewährten Instrumente der schleswigholsteinischen Wirtschaftsförderung zählen, die wir gerade eben bei dem vorangegangenen Tagesordnungspunkt beraten haben. Im Jahre 2002 summierten sich einzelbetriebliche Investitionszuschüsse, Kredite und Bürgschaften der Förderinstitute für diesen Wirtschaftsbereich auf 45,25 Millionen €. Damit sind über 1.000 Arbeitsplätze gesichert oder neu geschaffen worden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß aus den Branchengesprächen, die wir auch mit dieser Branche regelmäßig führen, dass die Unternehmerinnen und Unternehmer der Ernährungswirtschaft ganz spezifische Probleme haben. Die gesamte Branche leidet unter dem Preiskampf der großen Discounter im Einzelhandel, der auf die Erlöse der Produzenten drückt. Die Härte des Konkurrenzkampfes im Lebensmitteleinzelhandel ist ein deutsches Phänomen. Wir müssen alles tun, damit die

anderen Marktteilnehmer, etwa der mittelständische Einzelhandel mit mittelgroßen Flächen - Stichwort: Baunutzungsverordnung -, nicht durch falsch gesetzte Rahmenbedingungen bei der kommunalen Bauleitplanung behindert werden, und zwar auch im Hinblick auf die EU-Osterweiterung, die hiesige Unternehmen veranlassen könnte, ihre Produktion nach Osten zu verlagern. Wir müssen daher das Thema „Optimierung unserer Standortbedingungen“ konsequent weiter verfolgen. Das heißt nicht, angesichts der Osterweiterung der EU in Panik zu verfallen; denn die Osterweiterung der EU birgt auch für die Ernährungswirtschaft in Schleswig-Holstein Chancen.

Ich will Ihnen dazu ein Beispiel nennen: Die Coop Schleswig-Holstein, die ernährungswirtschaftliche Produkte verkauft beziehungsweise vermarktet, hat ein sehr erfolgreiches Joint Venture mit den Konsumgenossenschaften in der Region St. Petersburg geschlossen. Wenn das erfolgreich ist, wovon Coop ausgeht, ist das eine riesige Chance für den gesamten nordöstlichen Markt in Russland.

Nicht hinnehmen können wir die Abwanderung von Produktionskapazitäten in die ostdeutschen Bundesländer. Das war übrigens ein Thema des letzten Branchengesprächs, das ich mit der Ernährungswirtschaft geführt habe. Als in Upahl in MecklenburgVorpommern - kurz hinter Grevesmühlen - an der neuen Trasse der A 20 mit erheblichen öffentlichen Mitteln eine neue Meierei gebaut wurde, mussten in Schleswig-Holstein Meiereien in Sievershütten, Kiel, Leezen und Rendsburg schließen. Natürlich müssen wir die besondere Situation in den neuen Ländern berücksichtigen. Aber es ist volkswirtschaftlicher Unsinn, hier Kapazitäten abzubauen, die wir dann mit hohen Subventionen im Osten neu errichten.

(Beifall im ganzen Haus)