Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Wolfgang Schwarz hat es schon gesagt, ich muss es noch einmal wiederholen: Herr Herber, ich bin schon ein bisschen verwundert über den Antrag jetzt. Wir haben am 18. August 2020 im Innenausschuss eine Expertenanhörung zum POG durchgeführt.
Sie haben vorhin selbst gesagt: Da gehört es hin. – Da kam aber von Ihnen, von der CDU, zu diesem Thema kein Ton, keine Frage, nichts. Entweder ist es so, dass Sie jetzt im Nachhinein, nachdem im Prinzip die Diskussion um das POG zumindest intern im Innenausschuss mit Experten abgeschlossen ist, noch einmal ein neues Fass aufmachen wollen, um auf sich aufmerksam zu machen, oder es ist so, wie Wolfgang Schwarz vermutet hat – das glaube ich eigentlich auch –, dass Sie schon da erfahren hätten, dass es einfach nicht denkbar ist, was Sie sich vorstellen, da es verfassungsrechtlich äußerst problematisch ist.
Man muss also wieder einmal feststellen, dass die CDUFraktion an einer ernsthaften, sachlichen und zielführenden Diskussion nicht interessiert zu sein scheint. Wie dem auch sei, inhaltlich kann ich als Liberale den Forderungen der CDU ebenfalls absolut nichts abgewinnen.
Natürlich ist es richtig, die rheinland-pfälzischen Sicherheitsbehörden werden ununterbrochen mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Da kann es praktisch und hilfreich sein, zum Beispiel an Verkehrs- und Kriminalitätsschwerpunkten Personen per se, also anlasslos, technisch zu erkennen.
Meine Damen und Herren, aber was ist der Preis, den wir dafür zahlen sollen und wollen? Das Argument, unbescholtene Bürgerinnen und Bürger hätten nichts zu befürchten, denn die Aufnahmen würden mit einer Datenbank verglichen, in der nur Bilder von Kriminellen gespeichert werden, zählt meines Erachtens nicht; zumal es auch Studien gibt, die deutlich gemacht haben, dass es Aufnahmen gegeben hat, bei denen es eine ganz hohe Fehlerzahl – also durchaus Betroffene, die völlig unschuldig gefilmt wurden – gab. Das ist nicht nur für die Betroffenen schlimm, sondern ist
Die automatische Gesichtserkennung dreht die Beweislast im öffentlichen Raum um. Es werden zunächst alle Bürgerinnen und Bürger gefilmt, egal, ob gegen sie etwas vorliegt oder nicht. Erst im zweiten Schritt erfolgt die Entlastung der unbescholtenen Bürger, oder eben auch nicht.
Damit ich richtig verstanden werde: Ich begrüße es, dass unsere Sicherheitsbehörden den Einsatz von Videotechnik für ihre Tätigkeit nutzen können. Eine Entwicklung – nämlich der anlasslose Einsatz von individuellen Gesichtserkennungssystemen –, wie sie die CDU fordert, passt aber nicht zu meinem Verständnis von Freiheit und Bürgerrechten.
Herr Herber, wo kommen wir denn hin, wenn Bürgerinnen und Bürger, die sich nichts zuschulden kommen lassen, im öffentlichen Raum anlasslos gefilmt oder per Software identifiziert werden? Das wäre ein Dammbruch, der mit der FDP nicht zu machen ist. Ein solch schwerer Schlag gegen die Bürgerrechte ist nicht zu verantworten. Deswegen lehne ich für die FDP-Fraktion den Einsatz von automatisierten Gesichtserkennungssystemen, wie von Ihnen in Ihrem Antrag gefordert, ab.
Ein solcher Einsatz passt nicht zu einer freiheitlichen Demokratie, wie wir sie Gott sei Dank haben. Das erinnert eher an Autokratien, die zugunsten der Sicherheit keine Freiheit mehr zulassen. Wir müssen immer darauf achten, dass wir die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit nicht verlieren. Sie sind auf dem Weg, sie zu verlieren.
Mit der uneingeschränkten Einführung dieser Systeme wäre der Weg frei für immer weiterreichendere Überwachungsszenarien von Parks, über den Straßenverkehr bis hin zu öffentlichen Einrichtungen, was letztlich auch eine Erfassung von unzähligen Bewegungsprofilen von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern zur Folge hätte. Allein ein solcher Gedanke ist nicht nur untragbar, sondern vor allem mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar.
Meine Damen und Herren, bei aller notwendigen Kontrolle: Ein gewisses Restrisiko wird immer bleiben. Das ist der Preis, den wir in einem freien Staat zahlen. Damit sollten wir lernen zu leben, anstatt immer mehr staatliche Überwachungssysteme zu fordern. Die FDP lehnt diesen Antrag daher ab.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Gesichtserkennungssoftware, biometrische Gesichtserkennung, auf Künstlicher Intelligenz basierende Kamerasysteme: Liebe CDU, es ist 2020 und nicht 1984. Die CDU konfrontiert uns heute mit ihrem Antrag, mit ihren Überwachungsfantasien, und ich muss ganz ehrlich sagen: Das lehne ich entschieden ab.
Wir müssen immer schauen, wie die Kriminalitätslage ist, und auf dieser Grundlage unsere Maßnahmen abwägen. Deswegen stelle ich als Erstes die Frage, welchen Anlass die CDU tatsächlich für diese massive Ausweitung der Überwachung sieht. Welche Bedrohungslage soll die Rechtfertigung für diesen massiven Grundrechtseingriff bieten? Wir haben es gehört: Es sind besonders schützenswerte Informationen, die hier überwacht werden sollen.
Die CDU begründet dies mit einer angeblichen Zunahme der Straßenkriminalität in Rheinland-Pfalz, und das ist schlicht und ergreifend falsch. Die Straßenkriminalität insgesamt ist im vergangenen Jahr um rund 514 Fälle zurückgegangen, und das ist der niedrigste Wert seit 1989. Für 2020 – das wissen wir auch aus den Gesprächen, die wir mit den Polizistinnen und Polizisten führen – ist die Straßenkriminalität auch aufgrund der Corona-Pandemie erneut zurückgegangen. Das heißt, auch das aktuelle Jahr bietet keine Grundlage dafür, hier eine Überwachung auszuweiten. Die Begründung, die Sie in Ihrem Antrag liefern, ist einfach falsch.
Die CDU nennt einen weiteren Grund: der islamistische Terrorismus und der gewaltbereite Extremismus insgesamt. Die CDU verwechselt dabei die Aufgaben, die die Landespolizei hat, und die anderen Aufgaben, die beispielsweise im Bundeskriminalamtgesetz zu regeln wären. Es ist also eine Regelung, die Sie von mir aus auf Bundesebene diskutieren können – auch da werden wir sie grundsätzlich ablehnen –, aber hier finde ich sie einfach falsch angebracht.
Ein weiterer Punkt, den ich natürlich erwähnen muss, ist: Es wird in diesem Antrag wieder pauschal von „Extremismus“ gesprochen. Wenn wir einen Blick in den Verfassungsschutzbericht 2019 wagen, dann ist die größte Bedrohung, die wir in Rheinland-Pfalz haben, der Rechtsterrorismus. Ich würde mir wünschen, dass die CDU das auch klar beim Namen nennt.
Wenn wir, wie ich dargestellt habe, schon keinen Anlass für diese Ausweitung der Überwachung haben, stellt sich immer noch die Frage, ob ihre vorgeschlagene Maßnahme überhaupt zielführend ist. Wir haben weiterhin keine wissenschaftlichen empirischen Hinweise darauf, dass Videoüberwachung insgesamt überhaupt eine präventive Wirkung hat, und sie wird immer wieder herangezogen. Wir haben immer wieder einmal die Situation, es passiert etwas, und es wird über mehr Videoüberwachung diskutiert. – Das ist für die präventive Wirkung einfach nicht zielführend.
Darüber hinaus argumentiert die CDU – das geben Sie in Ihrem Antrag so weit auch offen zu –, dass diese Maßnahme
kostenintensiv ist. Sie bindet nicht nur Technik, sondern auch Personal. Da haben wir aber eine klare Prioritätensetzung, liebe CDU. Wir stecken dieses Geld lieber in unser gut qualifiziertes Personal bei der Polizei in Rheinland-Pfalz. Wir aktualisieren die bestehende technische Ausstattung. Wir setzen hier wesentlich deutlichere Prioritäten als bei dieser Anschaffung der von Ihnen vorgeschlagenen Kamerasysteme.
Wir haben auch schon gehört, dass wir uns derzeit in einer Gesetzesnovelle zum Polizei- und Ordnungsbehördengesetz befinden. Wenn Sie Ihre Aufgabe als Opposition tatsächlich ernst nehmen, dann legen Sie nicht nur einen Antrag vor, der uns auffordert, das ins POG zu schreiben. Warum haben Sie denn nicht selbst eine POG-Änderung vorgeschlagen?
Sie hätten mit der Einbringung des Gesetzes oder spätestens für die Ausschussbefassung selbst einen Änderungsvorschlag zum POG machen können. Dann hätten wir in dieser Expertinnen- und Expertenanhörung, die wir hatten – wir haben wirklich eine fulminante Anhörung zu diesem Gesetz durchgeführt –, darüber diskutieren können, ob Ihre Vorschläge zielführend sind. Das haben Sie nicht gemacht. Dann hätten Sie sich nämlich eine Blamage vor versammelter Mannschaft im Innenausschuss eingefangen.
Das zeigt einfach, welche Qualität Ihr Antrag leider hat. Ihr Antrag ist weder notwendig noch zielführend. Wenn noch nicht einmal die Begründung überzeugt, ist vom Inhalt auch nicht viel zu erwarten. Man kann nicht einfach wie ein Kind im Spielzeugladen alle Spielzeuge haben wollen. Man muss in der Innenpolitik sorgfältig abwägen, ob die Maßnahmen, die man ergreifen möchte, tatsächlich zu der entsprechenden Lage passen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich denke, ich muss die bereits angesprochenen Punkte nicht näher ausführen, wie etwa, dass der Zeitpunkt dieses Antrags – nur eine Woche nach der Expertenanhörung zum POG – tatsächlich nicht nachvollziehbar ist, es sich bei dem im Antrag genannten Gesichtserkennungssystem des BKA um ein zwölf Jahre altes System handelt, das auch in Rheinland-Pfalz erfolgreich zum Einsatz kommt, und dass die Straßenkriminalität in Rheinland-Pfalz insgesamt nicht zunimmt, sondern seit mehreren Jahren kontinuierlich zurückgeht.
Ich möchte an der Stelle auch noch einmal betonen, dass die Wahrscheinlichkeit, in Rheinland-Pfalz Opfer einer Straftat zu werden, so gering ist wie seit 25 Jahren nicht mehr, also seit 1995.
Es wurde auch bereits erwähnt, dass die verhaltensbasierte Videoüberwachung mit dem Ziel des automatisierten Erkennens atypischer Bewegungsmuster von Menschen im öffentlichen Raum derzeit in Mannheim getestet wird. Das Pilotprojekt beim Polizeipräsidium Mannheim erstreckt sich über einen Zeitraum von fünf Jahren. Ob und inwieweit das Vorhaben Erfolg haben wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Ich glaube, schon der lange Testzeitraum zeigt sehr deutlich, dass dieses Vorhaben komplex ist.
Auch in Bezug auf die im Antrag ebenfalls thematisierte automatisierte biometrische Gesichtserkennung ist Zurückhaltung geboten. Bundesinnenminister Seehofer hat zuletzt selbst mitgeteilt, vorerst auf den Einsatz entsprechender Software an Bahnhöfen, Flughäfen und anderen sicherheitsrelevanten Orten verzichten zu wollen. Die ursprünglich vorgesehene Ergänzung des Bundespolizeigesetzes um eine Norm, welche den Einsatz einer solchen Technik ermöglicht hätte, erlangte nie Rechtskraft. Minister Seehofer begründete dies mit noch offenen Rechtsfragen. Offenbar hält auch der Bundesinnenminister das System noch nicht für einsatzreif, obwohl der erste Test des Systems bereits vor 14 Jahren – Sie erinnern sich sicher alle – am Hauptbahnhof in Mainz durchgeführt wurde.
Wie Sie sehen, ist die Erprobung solcher Systeme eine diffizile Angelegenheit. Auch die Klärung der Rechtsfragen ist anspruchsvoll. Im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit gilt es, immer umfassend abzuwägen, welche Technik die Sicherheitsbehörden zu welchem Zweck letztlich einsetzen.
In Rheinland-Pfalz setzen wir Systeme nur dann ein, wenn sie technisch ausgereift, die rechtlichen Fragen abschließend geklärt und sie wirklich sinnvoll sind. Systeme in Rheinland-Pfalz parallel zu einem bereits laufenden Pilotversuch zu testen oder gar in den Regelbetrieb zu übernehmen, wäre wirklich eine Verschwendung wertvoller Ressourcen im Bereich der Polizei.
Die rheinland-pfälzische Polizei selbst steigt natürlich dann in die Entwicklung und Erprobung neuer Techniken und Ausstattung ein, wenn sie auch zur Innovation beitragen können. Das haben wir beispielsweise bei der Bodycam, beim Taser oder auch bei der Entwicklung eines Systems zur Erstellung dreidimensionaler Phantombilder gemacht. Da waren wir erfolgreich.
Abschließend möchte ich eines ganz klar sagen: Videoüberwachung ist kein Allheilmittel. Wir setzen in RheinlandPfalz vielmehr auf ein breites, ein bewährtes Konzept zur Kriminalitätsbekämpfung. Zu diesem zählen eine gute Ausbildung, eine gute Ausrüstung unserer Beamtinnen und Beamten, eine erfolgreiche Präventionsarbeit und vor allem – ich glaube, das ist für uns alle hier das Wichtigste – eine gute personelle Ausstattung.
Wir wollen in Rheinland-Pfalz keine flächendeckende Videoüberwachung. In Anbetracht der sehr guten allgemeinen Sicherheitslage in unserem Land besteht hierfür auch kein Bedarf, und es wäre wohl als unverhältnismäßig anzusehen.
(Abg. Dirk Herber, CDU: Ausschussüberweisung! – Bitte? (Abg. Dirk Herber, CDU: Ausschussüberweisung haben wir beantragt!)
Gut. Dann höre ich jetzt, dass die CDU-Fraktion Ausschussüberweisung beantragt. Dann stimmen wir zunächst über die Ausschussüberweisung ab.
Wer dieser Ausschussüberweisung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke schön. Gegenstimmen? – Danke schön. Dann ist die Ausschussüberweisung mit den Stimmen der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der CDU und der AfD abgelehnt.
Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag – Drucksache 17/12755 – selbst. Wer diesem Antrag der CDUFraktion seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke schön. Gegenstimmen? – Danke schön. Dann ist der Antrag mit den Stimmen der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der CDU und der AfD abgelehnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den letzten Tagesordnungspunkt für heute, Punkt 31 der Tagesordnung, auf: