Protocol of the Session on January 22, 2004

Wenn wir die Zukunft vernünftig gestalten wollen, müssen wir über Strukturen nachdenken und Überkommenes verändern. Ich komme darauf zurück in der konkreten Frage der Orchesterreform. Das ist ein zentraler Aspekt.

Wir müssen noch stärker als bisher über Kooperationen und Vernetzungen nachdenken. Das gilt wie bei der Strukturfrage natürlich nicht nur für den Kulturbereich, sondern für alle Politikfelder. Unser Fraktionsvorsitzender Joachim Mertes hat ein schönes Bild gebraucht bezogen auf das Mittelrheintal, aber es gilt grundsätzlich für die Kultur in Rheinland-Pfalz. Er hat gesagt, es gibt viele Perlen, aber es gibt keine Schnur. Genauso ist es. Es gilt für Verknüpfungen innerhalb der kulturellen Szene, aber es gilt auch für Verknüpfungen der Kultur mit anderen Bereichen.

Ich nenne zum Beispiel als Verknüpfungsmöglichkeit – nicht gerade naheliegend auf den ersten Blick – die Städte Remagen und Pirmasens, geographisch in genau entgegengesetzten Ecken in Rheinland-Pfalz gelegen und sicher nicht die Orte, an die man beim Wort „Kultur“ zuerst denkt.

Aber im und am Bahnhof Rolandseck, ganz im Norden, wird mit dem Arp-Museum in absehbarer Zeit ein Kleinod der rheinland-pfälzischen und der bundesrepublikanischen Museumslandschaft entstehen.

(Beifall bei der SPD)

Die Hugo-Ball-Stadt Pirmasens im tiefsten Südwesten bemüht sich seit Jahren, das Erbe des Dadaismus lebendig zu erhalten.

In der „Rheinpfalz“ hat vor kurzem Michael Braun zu Hugo Ball geschrieben: „Der wohl bunteste Vogel unter den frei schwebenden Intellektuellen des expressionistischen Jahrzehnts war Hugo Ball.“ Das sagt er über einen, der in Pirmasens geboren ist. Das ist doch schön so. Zum Trost für manche, er wurde später auch ganz schön katholisch.

Arp und Ball gehören zusammen. Da wird an zwei Protagonisten einer Kultur erinnert, die es in und mit Deutschland sicher nicht leicht hatten, und an eine Kultur, die viele Möglichkeiten der lebendigen Auseinandersetzung bietet, die gerade für jüngere Leute besonders spannend sein kann.

In dem Zusammenhang vielleicht auch ein Satz zur Jugend. Man kann das alles nur stichwortartig machen. Hier haben wir, denke ich, eine besondere Verantwortung auch im Kulturbereich. Es gibt viele gute Beispiele in Rheinland-Pfalz dafür, dass wir dieser Verantwortung gerecht werden. Vor kurzem war das in der „Süddeutschen Zeitung“ nachzulesen, zum Beispiel, das historische Museum in Speyer ist mit seinem Kindermuseum besonders erfolgreich und weckt in vorbildlicher Weise „Phantasie, Leidenschaft und Wissbegier“.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zurück zum Thema „Verknüpfungen“. Ein ganz naheliegendes Beispiel ist der Rhein selbst. Er ist eine Verknüpfung par excellence in sich, R(h)einkultur – mit „h“ und ohne „h“. Aber nicht nur im Weltkulturerbe Mittelrhein von Bingen bis Koblenz, sondern darüber hinaus wieder im Norden bis zum Bahnhof Rolandseck und nach Süden über Mainz, Worms und die Weingegenden in Rheinhessen und in der Pfalz über die BlochStadt Ludwigshafen bis nach Speyer mit dem Historischen Museum und viele mehr.

Das kann man und das muss man im Norden erweitern, über Rheinland-Pfalz hinaus, zum Zentrum Köln/Bonn, und im Süden muss man die bestehenden Kooperationen nutzen, die es am Oberrhein gibt. Das gilt nicht nur, aber speziell heute an diesem deutsch-französischen Tag.

Dafür Konzepte zu entwickeln, ist eine echte Herausforderung für uns alle.

Damit sind wir auch bei der Verknüpfung der Kultur mit anderen Bereichen – hier speziell mit dem Tourismus. Hierzu haben wir Ihnen zusammen mit dem Koalitionspartner einen Antrag vorgelegt, der die Landesregierung auffordert, die Voraussetzungen zu schaffen, damit die positiven Effekte einer Verbindung von Kultur und Tourismus stärker herausgestellt werden können. Dazu müssen die Möglichkeiten verbessert werden, die mittelund langfristigen Planungen kultureller und touristischer Angebote besser aufeinander abstimmen zu können. Der Dialog von Experten und Beteiligten aus beiden Bereichen muss gefördert werden, und überregionale Aktivitäten und Initiativen verdienen bessere Unterstützung.

In nächster Zeit wird die SPD-Landtagsfraktion zu einem Gespräch einladen, bei dem wir mit Expertinnen und Experten von Kultur und Tourismus über Perspektiven und Chancen in Rheinland-Pfalz reden werden.

Ich habe eingangs gesagt: Ich komme zurück auf die Bedeutung einer Diskussion zu Strukturveränderungen. Ich stehe dazu, dass ich die Anregung des Ministers im Orchesterbereich, nicht nach dem Prinzip des Rasenmähers zu sparen, sondern über Fusionen und Kooperationen nachzudenken, für den richtigen Weg halte.

(Beifall bei SPD und FDP)

Wir haben dagegen einen breiten Widerstand erlebt, der sich zum Teil – das sage ich durchaus mit Respekt – recht pfiffig äußerte. Wir haben aber auch zum Teil ei

nen Widerstand erlebt, der sich rein regionalistisch gebärdete und wenig Interesse für die Kulturlandschaft insgesamt erkennen lässt.

Aber wir haben auch aus dem Kulturbereich viel Zustimmung beim Versuch gehört, die hohe Qualität, aber auch die Breite des kulturellen Angebots zu erhalten, und – das ist besonders wichtig; da dürfen wir auch keine falschen Versprechungen machen – wir müssen dieses Angebot auch langfristig s ichern.

Zu Beginn dieser Woche hat – das ist eben angesprochen worden – eine Arbeitsgruppe unter maßgeblicher Beteiligung der Betroffenen und ihrer Interessenverbände eine grundlegende Übereinkunft beschlossen. Sicher ist das kein leichtes Unterfangen, keine populäre Aktion, aber ich denke, vorbildlich in seiner Art.

Vergleichen Sie das doch einmal mit anderen Bundesländern. Was glauben Sie denn, warum die Gewerkschaft der Orchester, die Deutsche Orchestervereinigung, zugestimmt hat? Die können doch am besten über den Tellerrand schauen und vergleichen, denke ich, und wissen, dass das der einzig gangbare Weg war.

Auf innere und äußere Kooperation zu setzen, dafür gibt es keine Alternative. Die Kulturjournalisten haben in den Zeitungen am Dienstag das Ergebnis einhellig gewürdigt. Die Lokalberichterstattung gestern sah anders aus. Ich denke, die Blickwinkel sind eben mehr oder weniger weit.

(Beifall der SPD und der FDP – Mertes, SPD: So ist das!)

Dass es in dem Bereich noch Gesprächsbedarf gibt, ist unbestritten. Ich denke, die Betroffenen wissen das auch und werden in den dafür vorgesehenen Gremien weiter darüber reden.

Ich berufe mich in meiner Beurteilung auf einen Betroffenen, dessen Kompetenz unumstritten ist und der eine der wichtigsten Persönlichkeiten des Kulturlebens in Rheinland-Pfalz ist: Georges Delnon, der Intendant des Mainzer Staatstheaters. Er hat in der Mittagskultursendung des SWR kurz vor Weihnachten zur Orchesterreform befragt, sinngemäß geantwortet: Ihm seien die Kulturpolitiker lieber, die durch Strukturreformen etwas ändern wollen als die, die nur sagen: Spart einmal schön. – Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall der SPD und der FDP)

Dieses Nachdenken über Strukturen gilt auch für andere Bereiche, was die Zusammenarbeit im Bibliothekswesen – auch vorhin schon angesprochen –, das Bemühen um lebendige, den Gästen nähere Museen, oder attraktive Formen der Nachwuchsförderung in Musik, Bildende Kunst und anderen kulturellen Sparten betrifft.

Ich will kurz ein aktuelles Beispiel für die Schaffung von Strukturen nennen, die die kulturelle Arbeit unterstützen – Herr Frisch hat es auch schon dankenswerterweise gemacht –: die Versicherung für ehrenamtlich Aktive. Initiativen und Vereine haben nun mehr Sicherheit. Die Bitte, ehrenamtlich tätig zu werden, kann man jetzt mit

besserem Gewissen aussprechen. Die Geschäftsstelle Ehrenamt im Innenministerium hilft gern bei allen Fragen, die in dem Bereich auftauchen werden.

Ich will zum Schluss noch zwei Annäherungen an den Stellenwert des Kulturellen versuchen. Eine poetische, vielleicht ganz bewusst zuerst, warum denn auch nicht. Im Dezember letzten Jahres konnte man von einem schönen Projekt eines Kölner Bildhauers lesen, der Lutz Fritsch heißt. Das sind die kleinen Unterschiede.

(Heiterkeit bei der CDU)

Er hat rund 1.000 Künstlerinnen und Künstler und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um eine Bücherspende für eine Bibliothek im Eis in der Antarktis gebeten. Diese Lieblingsbücher können die Forscherinnen und Forscher in Zukunft in einem eiswüstentauglichen Container auf dem Eis als Lesesaal nutzen, mit Kirschholzregalen und auf einem braunen Ledersofa sitzend.

(Dr. Schmitz, FDP: Wenn sie sie finden! – Glocke der Präsidentin)

Das sind Menschen, die normalerweise zehn Meter unter der Erde ohne Tageslicht beklemmend eng sitzen. Bücher, Kultur in eine der lebensfeindlichsten Regionen der Welt zu bringen und nutzbar zu machen, das ist eine wunderbare Idee, denke ich.

Etwas noch zum Schluss, was uns näher ist. In der Zwischenbilanz der Landesregierung war Kultur neben Bildung und Wissenschaft ganz vorn genannt. Das ist gut so. Wir sind aufgefordert, selbstbewusst für den hohen Stellenwert des Kulturellen in der Politik einzutreten. Dabei dürfen wir nicht vom grünen Tisch aus bürokratisch über Kultur reden.

Wichtig ist, dass die, die im Kulturleben engagiert sind, merken, dass wir mit Leidenschaft für ihre Belange eintreten und ihre Aktivitäten respektvoll und mit Sympathie wahrnehmen.

Danke schön.

(Beifall der SPD und der FDP)

Es spricht Frau Abgeordnete Thomas.

Meine Damen und Herren! Ich bin fast versucht zu sagen, nie war gute Kulturpolitik so wichtig wie heute. Das kann man zwar zu fast jeder Zeit sagen, glaube ich, aber trotzdem will ich es an dem Punkt sagen, weil wir natürlich beobachten, was in der Kulturlandschaft passiert.

Wir stehen vor einem großen Strukturwandel. Es gibt auf der Bundesebene eine Enquete-Kommission, die vom Bundestag eingesetzt ist, die sich genau dieses Thema „Kultur in Deutschland“ vorgenommen hat, die in dem ihr

gesetzten Zeitraum versucht, zu den Schwerpunkten öffentliche und private Förderung von Kunst und Kultur zu arbeiten, sich eben mit diesem Strukturwandel und mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstler beschäftigt, aber auch mit der Kulturlandschaft und dem Kulturstandort in Deutschland insgesamt.

Wir wissen, unter welchem Druck auch Kulturschaffende, Kulturbildende und alle die, die im Kulturwesen beschäftigt sind, aufgrund der Situation in den öffentlichen Haushalten zurzeit stehen. Also Kultur gerät unter Druck.

Herr Geis, ich habe Ihre Rede, ich glaube, vom letzten Doppelhaushalt, gut in Erinnerung, als diese Umressortierung, Kultur und Wissenschaft unter einem Dach, nach der Landtagswahl stattfand. Ich weiß auch, was damit intendiert war. Das hat durchaus meine Unterstützung gefunden, dass wir daraus noch einmal neue Impulse dafür ziehen, was an Aufgaben vor der Gesellschaft steht, eben über diese enge Verbindung von Wissenschaft und Kultur.

Nur ich muss sagen, von diesem Aufbruch und dieser Aufbruchstimmung ist nicht so viel herübergekommen. Erlauben Sie mir eine kleine Polemik. Sie reden nicht mehr über das, was aus der Verbindung von Wissenschaft und Kultur entsteht. Sie sind schon irgendwie sehr viel ökonomischer geworden und reden jetzt über Kultur und Tourismus.

(Geis, SPD: Auch!)

Das zu dem großen Wurf, der angesetzt war und der meiner Meinung nach nicht gekommen ist.

Kultur und Kulturpolitik sind aber vor ganz neuen Aufgabenstellungen so wichtig, glaube ich. Ich will nur zwei nennen, von denen wir in der letzten Diskussion wenig erfahren haben, die wir aber noch einmal in die Diskussion einbringen wollen.

Eine wichtige Aufgabe der Kulturpolitik wird sein, Begegnungs-, Austauschmöglichkeiten, Kulturübertragung und Kulturlernen zwischen den Generationen zu organisieren; denn noch nie haben so viele Generationen parallel und gleichzeitig in solch unterschiedlichen Subkulturen gelebt, wenn ich das sagen darf.

Ich glaube, dass das eine Aufgabe ist, einen solchen Austausch zwischen den Generationen zu organisieren und dafür Raum zu schaffen und eben nicht jede Generation, von der jungen bis zu der ganz alten, in der eigenen Kultur zu belassen.