Protocol of the Session on June 15, 2000

Nicht nur die Gefängnisse waren überfüllt von Kleinstkriminellen, sondern die Polizei gab sich, das ist immer wieder das Problem, wenn pei der Polizei nicht die richtige Balance herrscht, wie es meiner Meinung nach in New York der Fall gewesen war, sozusagen Allmachtsfantasien hin. Es gab viele

brutale Übergriffe, und schließlich wurde ein völlig unbewaffneter Jugendlicher von Polizeikugeln durchsiebt.

Meine Damen und Herren, natürlich ist Ludwigshafen nicht New York, aber auch hierzulande gibt es vor allem unter den Politikerinnen-und Politikern einige Fans von ,.Zero Toleran

ce". Gerade bezüglich der Bettel- und Sprayerproblematik hat das Modell in einigen Teilen in die neue • wie es so schön in dem Bericht heißt- Innere Sicherheitsideologie des Landes Rheinland-Pfalz Eingang gefunden..

ln der Initiative ,.Sichere und saubere lnnenstädte", die im November 1997 ins Leben gerufen wurde, wurde als In-strument das Absenken der Eingriffsschwelle in städtischen Brennpunkten genannt. Finden wir an dieser Stelle nicht etwas verklausuliert und vielleicht etwas eleganter ausgedrückt die Tendenz zur ,.Zero Tolerance" wieder?

Meine Damen und Herren, umso mehr kommt der Verdacht auf, wenn zwar als wichtiges weiteres Instrument die Integration aller Beteiligten und Interessierten genanl')t wird, dass darunter aber offensichtlich-lediglich eine Seite verstanden wird. Es heißt nämlich, dass Polizei, Ordnungsbehörden und Einzelhandel seitdem in gemeinsamer Anstrengung eine Vielzahl· von Maßnahmen in Kooperationsform realisiert hätten, die ,.auch zum Aufbau neuer vernetzter Aktionen zwischen Polizei, Verwaltung und Wirtschaft geführt haben". Dabei · fehlt mir die Einbindung der anderen s·eite, zum Beispiel der Bettler und der Obdachlosen, der meist jugendlichen Graffiti

sprayer, der sozialen Einrichtungen und der Jugendhilfe.

Meine.·Damen.und Herren, wer ·einseitig den Bereich Innere Sicherheit nur mit den Interessen des Einzelhandels, der Wirtschaft und der wohl situierten Bürgerinnen und Bürgern vereinbart, wird seiner Verantwortung gegenüberder gesamten Gesellschaft, zu der auch Bettler, Graffitisprayerund Drogenabhängige zählen, nicht gerecht.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN- Zuruf des Abg. Creutzmann, F.D.P.)

Dann bedeutet die Herstellung von Sicherheit und die Vermittlung von Sicherheitsgefühl an die BOrgerinnen und Bürger oft nur die Verdrängung der von mir genannten Personen an den Rand der Gesellschaft; denn wie viel Einfluss hatten diese Randgruppen, die meist die Betroffenen der Aktion waren, bei der Initiative.,Sichere und saubere lnnenstädte"?- Das interessiert mich.

Herr Zuber, inwieweit können Sie garantieren, dass die Men

schen, die in Ihrem Bericht als ,.Störung öffentlicher Ord

nung" eingestuft wurden, "nicht verdrängt worden sind? ln·

wieweit können Sie sicherstellen, dass diese Leute nicht nach Frankfurt oder andernorts verdrängt worden sind?

(Zuruf des Staatsministers Zuber)

In diese Verdrängungsstrategie passt auch der Umgang des Justizministers mit den Graffitisprayern.

(Zuruf des Abg. Creutzma,nn, F.D.P.)

- Herr Creutzmann, ich weiß, dass Sie dem nicht zustimmen können. Dazu will ich aber nicht mehr sagen.

(Creutzmann, F.D.P.: Sie fordern die Leute zur Kriminalität auf!)

- Herr Creutzmann, das sind Teile unserer Gesellschaft. Mehr

• sage ich dazu nicht. Wir sind für sie genauso verantwortlich wie für andere. Das ist Grundlage unserer demokratischen Grundordnung. Das sollten Sie akzeptieren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN- Zuruf des Abg. Creutzmann, F.D.P.)

Ich komme zurück auf die Graffitisprayer. Ich stimme der IGMedien zu, die der Aussetzung von Fangprämien für die Ergreifung von jugendlichen Sprayern für die falsche Herangehensweise hält. Für entscheidend halte ich folgendes Zitat der IG-Medien: "Mit solchen Methoden Jassen sich junge Menschen nicht für eine demokratische und solidarische Ge.sellschaft gewinnen." Das ist meiner Meinung nach ein entscheidender Punkt.

(Bische I. CDU: Wie bringen Sie den~n das Unrechtsgefühl bei?)

Jetzt komme ich auf die Äußerungen von Herrn Creutzmann zurück. Fast die allermeisten dieser Jugendlichen haben nur einmal mit solchen Dingen Kontakt, die kriminell sind und nicht der herrschenden Ordnung entsprechen, und werden dann wieder ganz normal. Es ist genau der falsche Weg, auf diese Jugendlichen gleich diese massiven Instrumente anzuwenden.

Meine Damen und Herren, ich sage noch etwas Grundsätzliches: Der wichtigste Grundpfeiler für ein positives Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger bleibt immer noch die Sicherheit, dass der Arbeitsplatz, die Wohnung und der Lebensstandard erhalten bleiben. Sobald diese Sicherheit vorhanden ist - sie ist sowohl in den Vereinigten Staaten vori Amerika als a'uch in der Bundesrepublik Deutschland sehr viel stärker vorhanden als vor zehn Jahren -, werden sich die Menschen wirklich sicher fühlen. Das· andere sind meistens lediglich Verdrängungsprozesse.

(Beifall des BÜNDNIS 90iDIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, große Sorgen und viel Kopfzerbrechen macht uns allen - das wird auch in dem Bericht der Landesregierung sehr deutlich- der Komplex Jugend und Kriminalität. Darauf wurde in umfangreichen Aussagen von den

Vorrednern eingegangen.

Ich bin aber der Meinung, dass der Schwerpunkt weniger im Bereich Jugendkriminalität zu setzen ist als im Bereich,·der auch in dem Bericht deutlich wird, junge Menschen als Opfer der Kriminalität. In dem Bericht wird sehr deutlich gesagt, dass besonders häufig männliche Jugendliche zu Opfern von · Körperverletzungs- und Raubdelikten werden, während junge Mädchen häufiger Opfer von Vergewaltigungen und sexueller Nötigung sind. Entscheidend ist bei den jungen Männern, dass die meisten minderjährigen jungen Männer Opfer von Tätern der gleichen Altersgruppe werden. Wenn das so ist, deutet das sehr stark auf das Gewaltpotenzial zwischen den Jugendlichen hin.

Dazu wird in dem Bericht einiges gesagt, wie man damit um

gehen kann, damit.Jugendliche lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Das ist in d,em Bericht v.on Herrn Zuber deutlich dargestellt worden. Dieser enthält viele gute schulische, aber auch außerschulische Ansätze.

Meine Damen und Herren, wie sieht aber die Realität, besonders bei der außerschulischen Jugendarbeit, aus?- Bei uns in Landau suchen engagierte Sözialarbeiterinnen, ~ie in einem

Bezir~ arbeiten, in dem besonders viele gefährdete Jugendliebe wohnen und in dem es immer wieder zu rechtsex,tremistischen Gewalttaten kommt, seit vier oder fünf Jahren einen adäquaten Raum für ihre Arbeit. Die Kirche stellt ihnen einmal in der Woche einen Raum zur Verfügung, der aber häu-. fig geschlossen ist.·

Es ist wirklich ein Trauerspiel, wie die kompetente und engagierte Arbeit der Sozialarbeiterinnen immer wieder gegen die Wand läuft, weil sie von den Räten in den Städten - es handelt sich U!fl eine städtische Aufgabe - zu wenig unterstützt wird. An dieser Stelle ist aber auch das Land gefragt.

Das wissen Sie genau. ln anderen Bereichen ist das Land auch bereit, außerhalb der eigenen Verantwortung mitzuwirken.

Nicht nur in Landau, sondern auch in Germersheim und in Bad Bergzabern funktioniert die außerschulische Jugendarbeit sehr schlecht. Das liegt vor allen Dingen daran, weil sich die älteren Herrschaften nicht dafür und vor allen Dingen nicht für gewa,lttätige, rechtsextremistische oder ausländische Jugendliche interessieren. Das ist e,in Teil unserer Aufga

be, auch auf der kommunalen Ebene mitzuwirken. Bezüglich der außerschulischen Jugendarbeit wird viel zu wenig unternommen.

Herr Creutzmann, deshalb läuft Ihr Antrag,

(Glocke des Präsid'enten)

der ietztlich nur ein lnternet-Vernetzungsantrag ist, völlig am Thema vori:Jei. Wir benötigen vor allen Dingen eine Untersuchung über die Rückfallquoten von Jugendlichen, die uns damals im Ausschuss versprochen worden ist. Herr Creutzmann, Sie sollten bei Ihrem Justizminister Dampf machen; damit die Untersuchung endlich durchgeführt wird, um eine gute Grundlage für die gute Auseinandersetzung mit diesem Thema zu haben.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Landesregierung spricht Frau Staatsministerin Dr. Götte. ·

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dem Landtag sehr dankbar dafür, dass dieses schwierige

Thema so differenziert und besonnen behandelt wird und keine der Fraktionen so vorgegangen ist, wie das bei einigen Medien der Fall ist. Dabei denke ich insbesondere an den Teil der Medien, bei dem sich die Größe der Buchstaben reziprok zur Qualität der Artikel verhält, der festgemacht an Einzelfällen krimineller Jugendlicher ein Bild entstehen lässt, das kein Abbild der Realität insgesamt darstellt, so · wie. Herr Creutzmann das auch schon betont hat Die Regel ist nach wie vor, dass die Kinder hierzulande aufwachsen, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Wir haben allen Grund, den Eltern und Erziehern dafür zu danken.

Um aber nicht missverstanden zu werden: Jeder junge Mensch, der in der Gewalt ein Mittel zur Lösung von Problemen sieht oder Straftaten begeht, ist einer zu viel. Natürlich besteht Handlungsbedarf. Dabei geht es aber nicht um das Ob, sondern um das Wie. Es geht vor allen Dingen darum, die Vielfalt der Aufgaben, die wir in der Jugendhilfe haben, nicht aus den Augen zu verlieren, wenn spektakuläre Einzelfälle im Zentrum der Diskussion stehen. Das ist das, was mich persönlich immer so aufregt. Es gibt irgendeinen spektakulären Einzelfall, der in der "Bild" -Zeitung oder sonstwo beschrieben wird. Dann sind plötzlich alle bereit, aktiv zu werden und etwas für diesen Einzelfall.zu tun, während sich für Tausende von anderen Fällen, bei denen m;in in kle.inen Schritten helfen müsste, die aber nicht spektakulär sind und sich ni.cht für eine große "Bild" -Zeitungsgeschichte eignen, nur ein ganz kleiner Teil der Bevölkerung interessiert. Das ist das Problem einer Jugendministerin.

(Beifall des Abg. Schweitzer, SPD)

Jeder, dem es nicht darum geht, die Stammtische zu bedienen, sondern einen seriösen Beitrag zur Prävention und zum angemessenen Umgang mit jungen Menschen zu leisten,