Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Gerster, diese Regierungserklärung
Dabei teilen wir eine Reihe Ihrer grundsätzlichen Aussagen. Natürlich haben die 423 000 in Rheinland-Pfalz lebenden schwerbehinderten Mitbürgerinnen und Mitbürger ein Recht auf gleiche Chancen zur Gestaltung ihres Lebens wie nicht behinderte Menschen. Die Gesellschaft muss ihnen Lebensbedingungen sichern, in denen sie mit ihrer Behinderung als selbstständige Partner leben können. Auch die Leitideen und Grundsätze der Normalisierung, der Integration statt Isolation und der Teilhabe statt Fürsorge sind grundsätzlich richtig, wenn sie für die vielen Zwischenstufen der individuellen Bdürfnisse und Lebenssituationen behinderter Menschen of
fen bleiben. Dazu muss die Politik und die Gesetzgebung den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Unterstützung und Solidarität erfüllen, und zwar bedarfsgerecht.
Allerdings konnten uns Ihre Ausführungen heute unsere Sorge nicht nehmen, dass die Bedarfsgerechtigkeit und Zielge
nauigkeit der Hilfen von Ihnen in erheblichem Umfang über die Höhe der Kosten definiert wird. Ziel muss es sein, möglichst allen behinderten Menschen ein unabhängiges Leben in der von ihnen gewählten Umgebung zu ermöglichen. Deshalb steht im Bundessozialhilfegesetz mit gutem Grund- das schon seit einigen Jahren - der Vorrang von ambulanter vor stationärer Hilfe. Dass die am Modellprojekt teilnehmenden Sozialämter diesen Vorrang nun auch dank des Modellprojekts.. Selbstbestimmt Leben" verstärkt prüfen, ist sicher der richtige Weg. Die Bedürfnisse der Betroffenen müssen jedoch auch in Zukunft im Mittelpurykt stehen und nicht die Höhe der Kosten.
Dabei wird bereits heute von einigen Modellteilnehmern die starre Höhe der Budgets kritisiert, die den individuellen Be
dürfnissen nicht immer gerecht wird. Viele werden auch in Zukunft nicht in der Lage sein, mit einem. persönlichen Budget selbstbesti~mt zu leben. Sie wecken jedoch mit dem Zwi
Die Leistungshöhe, Umfang und Anzahl der ambulanten Hilfsangebote und die qualitativen Kriterien für die ambulan. te Betreuung sind noch völlig unausgegoren und unzurei
chend. Sie selbst stellen fest, dass Alternativen zur stationären Vollversorgung natürlich nur für einen geeigneten Personenkreis infrage kommen. Viele behinderte Menschen brauchen für ihr Wohlergehen umfangreiche Fürsorge und Be
treuu~g. wie sie in vielen Wohnheimen in Rheinland-Pfalz in hervorragender Weise geleistet wird. Hierzu stellen Sie lapi
dar fest, dass Sie die Zahl der Wohnheimplätze nicht weiter ausba_uen werden. Sie sehen die bestehenden Plätze insge
samt als bedarfsgerecht an. Fakten und Begründungen für diese vage Aussage bleiben Sie, wie im Landesbehindertenplan, schuldig.
Dabei ignorieren Sie weiterhin - übrigens im Gegensatz zu Herrn Staatssekretär Dr. Auernheimer- die zunehmende Zahl alter behinderter Menschen, die vielen mit der Pflege ihrer behinderten Kinder überforderten alten Eltern und die zu-:_ nehmende Zahl schwer und schwerst mehrfachbehinderter Menschen.
Staatssekretär Dr. Auernheimer stellte nach einem Zeitungs-artikel der.,AZ" vom 3. August 1999 fest, dass die Zahl behinderterMännerund Frauen im Seniorenalter zunehme. Neben speziellen Hilfeangeboten seien vor allem politische Wei
chenstellungen über die Frage des Rentenalters notwendig. Staatssekretär Dr. Auernheimer stellte fest, dass es für ältere behinderte Menschen noch zu wenig geeignete Wohnmöglichkeiten gebe.
Ich frage Sie und die Landesregierung: Wo ist Ihre politische Weichenstellung für diese Menschen in Ihrer bisherigen Politik? (Beifall bei der CDU
Sie ignorieren konsequent die sich bereits vollziehende Ent- · wicklung und lassen die Betroffenen mit ihren Sorgen allein.
Bei Ihnen regiert in der Behindertenpolitik das Prinzip Hoffnung:.,Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgend wo ein Lichtlein her."
Sie können nicht ernsthaft annehmen, dass alle diejenigen, die die Werkstätten für Behinderte und damit ihren Wohnheimplatz in die Rente verlassen, in der Lage sind, selbstbe
_stimmt in einer eigenen oder einer betreuten Wohnung zu leben. Sagen Sie endlich den Betroffenen, ihren Eltern und denje-nigen, die Hilfen anbieten können und wollen, wo es in
Rheinland,Pfalz hingehen soll. Genügen Sie Ihrer Pflicht, und nehmen Sie die politische Weichenstellung vor, und zwar orientiert an Fakten und der konkreten Realität in RheinlandPfalzund nicht am Prinzip Hoffnung.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine moderne Politik für Menschen mit Behinderungen muss
darauf ausgerichtet sein, Behinderte noch besser zu integrie- · ren und vor allem deren Leben so weit wie möglich zu normalisieren. Diese Landesregierung kann sich unse,rer vollen Un
terstützung sicher sein, wenn sie sich auch in Zukunft für gleichwertige Lebensbedingungen und einen noch besseren Schutz behinderter Menschen vor Benachteiligungen einsetzt. Gerade das Modellprojekt ,.Selbstbestimmen - Hilfe nach Maß für behinderte Menschen" will neue Wege erproben, will - so hat es der Herr 1\tlinister soeben ausgeführt-, dass behinderte Menschen nicht als Objekt der Fürsorge angesehen werden, sondern als eigenständig handelnde Menschen. Heute •. nach fast zwei Jahren der Erprobung dieses Modellprojekts, soll mit der Regierungserklärung auch eine erste Zwischenbilanz gezogen werden.
Meine Damen und Herren, der Arbeitskreis ,.Soziales" der SPD-Landtagsfraktion war in der letzten Woche in Koblenz und hat mit dem Leiter des dortigen Sozialamts dieses Mo
dellprojekt ausführlich diskutiert. Die Bilanz war sehr gut. Das Komplime.nt des Leiters des Sozialamts auf den Punkt ge-' bracht lautet, er sei mit den Zwischenergebnissen hoch zu. frieden. Das Land sei in der Behindertenhilfe auf äem richti
gen Weg. ln diesem Sinn äußern sich auch Teilnehmer an diesem Modellprojekt. Ich darf mich an dieser Stelle bei Ihnen,
Herr Minister, aber auch bei dem Landesbehindertenbeauftragten, Herrn Staatssekretär Dr. Auernheimer, für diese Initiative und für Ihr Engagement in der Behindertenpolitik herzlich bedanken.
Meine Damen und Herren, welche Ziele hat dieses Modellprojekt? Es bietet körperlich, geistig und seelisch behinderten Menschen die Möglichkeit, eigenverantwortlich die Hilfen in Anspruch zu nehmen, die tatsächlich benötigt werden. Durch gezielte Förderung von Selbstständigkeit und Unabhängigkeit sollen Behinderte in die Lage versetzt werden, dass sie außerhalq einer Vollversorgung in der gewohnten Umgebung bleiben können. Dafür erhalten die Behinderten, die an diesem Modellprojekt teilnehmen, ein persönliches Budget. Mit dieser finanziellen Unterstützung können sie ihren Hilfebedarf durch selbst gewählte Leistungen abdecken.
(Frau Bill, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hat er doch eben schon gesagt! Das muss man doch nicht dreimal erzählen!)
Wie ist das persönlich·e Budget gestaffelt? ln der Stufe I erhält der Behinderte 400 DM bis 600 DM monatlich. ln der Stufe II erhält er 800 DM bis 1 000 DM monatlich, und in der Stufe 111 erhält er 1 300 DM bis 1 500 DM monatlich. Darüber hinaus. werden für den Behinderten selbstverständlich Lebensunter