Protocol of the Session on February 17, 2000

Andererseits setzten Epochen mit liberaleren Entwicklungen und Möglichkeiten zur Entfaltung viele Potenziale frei. So habenJudengerade im deutschsprachigen Raum in Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft Meilensteine gesetzt. Die Welt wäre ärmer ohne die Musik von Felix Mendelssohn-Bartholdy und Jacques Offenbach, ohne die Erfindungen von Heinrich Hertz, Paul Ehrlich und Fritz Haber, ohne die Literatur von Heinrich Heine, Stefan George, Franz Kafka und Arthur Schnitzler, ohne Denker wie Sigmund Freud, Karl Marx, der schon deswegen genannt werden muss, weil er in Trier gebo

ren ist, Martin Buberund Albert Einstein.

(Beifall der CDU, der SPD und der F.D.P.)

Auch in der Politik haben sich Juden engagiert. So waren be

reits im Frankfurter Parlament von 1848 einige jüdische Abgeordnete vertreten. Ludwig Bamberger, ein Mainzer Bürger und einer der bedeutendsten Liberalen des 19. Jahrhunderts, stieg zum engen Berater Bismarcks auf. Walter Rathenau musste seinen Einsatz als Außenminister der Weimarer Republik mit dem Leben bezahlen.

Vor dem historischen Hintergrund setzt der Vertrag mit dem Landesverband der JOdischen Gemeinden von Rheinland

P1alz ein deutliches Signal. Allerdings müssen wir zugeben,

dass wir keine Vorreiterrolle übernommen haben, da die meisten Bundesländer schon längst einen vergleichbaren Vertrag abgeschlossen haben.

Ziel dieses Vertrags ist es, deutsch-jüdisches Kulturerbe zu

pflegen und jüdisches Gemeindeleben zu fördern. Der bisher freiwillige Zuschuss des Landes wird ab dem Jahr 2000 verbindlich. Indem wir die Leistungen des Landes auf eine gesetzliche Grundlage stellen, sichern wir verlässlich die zukünf· tige Entwicklung des Landesverbandes und der einzelnen Jüdischen Gemeinden in Rheinland-Pfalz.

Vielleicht sollte gerade in diesem Zusammenhang auch daran erinnert werden, welche Bedeutung frühere Jüdische Gemeinden in rheinland-pfälzischen Städten hatten. So weiß weltweit vermutlich jeder gebildete Jude über die große Tra

dition der Gemeinden in Speyer, Worms und Mainz Bescheid, die mit ihren Anfangsbuchstaben als.. sc:hum "zum Begriff geworden sind.

Al fein die fOnf bisher im Landesverband zusammengeschlossenen Gemeinden- es handelt sich dabei um Bad Kreuznac:h, Koblenz, Mainz, Rheinpfalz mit Sitz in Neustadt an der Weinstraße undTrier-haben inzwischen mehr als 2 500 Mitglieder. Sie sind in den letzten Jahren durch verstärkte Zuwanderungen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion deutlich gewachsen. Durch die feste Zusage von 500 000 DM pro Jahr- zunächst fOr die nächsten fanf Jahre- erhalten die Gemeinden die Möglichkeit, die Gemeindearbeit zu aktivieren, die Tradition zu pflegen und neue Gemeindemitglieder zu integrieren.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass es zum Teil große Spannungen zwischen Anhängern der Tradition des deutschen Judentums und Zuwanderern gibt. So bedarf das Zusammenwachsen großer Anstrengungen von allen Beteiligten.

Meine Damen und Herren, aus der Gesamtsituation heraus ist

es zu begraBen, dass durch den Vertrag mögliche Zusc:hasse des Landes, zum Beispiel far die Denkmalpflege, die Erhaltung jOdisc:her Friedhöfe und zur Finanzierung des Religions

unterrichts, zwar ergänzt, aber nicht geschmälert werden. Unsere jadisc:hen Mitbargerinnen und Mitbarger sollen wissen, dass wir Rheinland-Pfälzer das Mögliche tun, damit sich die JOdischen Gemeinden schrittweise weiterentwickeln können und als wichtiger Teil der Gesellschaft anerkannt werden.

Wir machen Ernst mit unserer Landesverfassung, die wir gerade gestern speziell in diesem Punkt ergänzt haben. Dieser Staat, dieses Land, achtetseine Minderheiten.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU, der SPD und der F.D.P.)

Ich erteile der Abgeordneten Frau Pepper das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bei der Beschäftigung mit diesem Thema macht man sich, wenn man sich die aktuelle Tagespolitik ansieht, einige Gedanken. Wenn gestern erstmals ein Bundespräsident in deutscher Sprache in Jerusalem vor dem israelischen Parlament eine Rede halten durfte, ist das eine außerordentlich positive Entwicklung. 50 Jahre nach dem Holocaustist dies ein großes Zeichen.

Wenn im gleichen politischen Zeitraum Herr Haider in Österreich an die Macht kommt, erfallt mich dies mit Sorge. ln un

ser aller Interesse far ein demokratisches Europa mossen wir sehrwachsam sein.

Was hat dies mit Rheinland-Pfalz und mit dem anstehenden Gesetzentwurf der Landesregierung zu tun? Es geht in Rheinland-Pfalz um ein Stack Anerkennung und Kontinuität far JOdische Gemeinden. Es gibt sie wieder. Herr Frisch hat darauf hingewiesen. Wir haben wieder aktive JOdische Ge

meinden in Rheinland-Pfalz, die in einem Landesverband zu

sammengeschlossen sind. Daraber hinaus gibt es noch mit ei

nem gewissen Eigenleben die JOdische Gemeinde in Speyer.

Herr Frisch hat auch darauf hingewiesen, dass sich nach der Mitgliederstagnation seit 1945 in den letzten Jahren durch die Zuwanderung jüdischer Immigranten die Aufgaben der JOdischen Gemeinden außerordentlich stark verändert und neu strukturiert haben. Sie stehen vor großen Aufgaben, die

sie zu leisten haben. Nach Auskunft des Landesverbandes kommen jährlich c:a. 1 000 neue Mitglieder nach RheinlandPfalz. Diese Zahl verändert sich immer sehr stark, weil diese Menschen nur zum Teil in Rheinland-Pfalzbleiben und in andere Bundesländer abwandern, sodass auch eine Kontinuität in den Gemeinden sehr schwierig ist. Hinter dieser kleinen Statistik von augenblicklich Ober 2 000 Mitgliedern verbirgt sich die schwierige Aufgabe der JOdischen Gemeinden, die Integration der russischen Immigranten und der Ausgleich zwischen den unterschiedlichen liberalen und orthodoxen Strömungen.

Herr Frisch hat sehr deutlich auch auf das lange deutschjadisehe Kulturerbe hingewiesen. Meine Damen und Herren, wir haben nach dem Krieg erstmals die Chance, dass jOdisc:he

Kultur auch wieder in unserem Alltagsbewusstsein sichtbar wird. Ich will das gern an einem populären Beispiel erläutern. Wenn Sie vielleicht das Buch von Herrn Reic:h-Ranicki gelesen

haben, das ein wahrer Fundus unseres gemeinsamen Erbes ist, dann glaube ich, wissen Sie, wie sehr wir, ohne es manchmal wahrzunehmen, mit dieser Kultur verflochten sind und wie wichtig diese Kultur auch in der Gegenwart ist.

Persönlich möchte ich gern Erich Fried erwähnen, ein Dichter,

der leider nicht mehr lebt, aber die Nac:h-68er-Generation ein ganzes Stack mitgeprägt hat, weil er sie erstmals wieder zu Gedichten hingefahrt hat, sehr aktuell, sehr politisch und

auch jadisc:h.

Meine Damen und Herren, man masste viele Namen nennen.

Es sind schon Namen genannt worden. Noch ein ganz praktisches Beispiel. Wer in den letzten Monaten einmal in Berlin war und sieht, wie sich ein bestimmtes Viertel in Berlin entwickelt, wie lebendig, wie vielfältig es sich in einer pluralistischen Großstadt entwickelt, dann glaube ich, all das tut uns gut, undalldas hat indirekt Einfluss auf Rheinland-Pfalz. Aus diesem Grund freue ich mich, dass wir heute diesem Vertrag zustimmen werden; denn mit diesem Landesgesetz werden in Zukunft Haushaltsmittel sichergestellt, die dem Landesverband JOdischer Gemeinden zentrale Aufgaben zu erfallen helfen. DarOber hinaus gibt es erhebliche Mittel far Denk

malpflege, die außerhalb dieses Ansatzes laufen. ln ähnlich

· strukturierten Regelungen mit den katholischen und evangelischen Kirchen in unserem Land findet heute durch den Ge

setzentwurf die Anerkennung des Engagements der Jüdischen Gemeinden statt, eine öffentliche Anerkennung und zugleich, meine Damen und Herren, die künftige Verpflichtung des Landes, die politische Erinnerungsarbeit, die geschichtliche Verantwortung nie abzulegen und gerade junge Menschen aufdas deutsch-jOdische Kulturerbe hinzuweisen.

Ich erinnere an unsere Veranstaltung in der St. Stephanskirche. Ich glaube, diese Veranstaltung war einer der wichtigen Erinnerungspunkte, die wir auch in Zukunft miteinander erleben sollten. (Glocke des Präsidenten)

Gernot Mittler schrieb unter anderem in einem, wie ich finde, sehr bemerkenswerten Redebeitrag anlässlich des Forums der katholischen Akademie, dass Religionsgemeinschaften Lebensräume, Beheimatungen schaffen, aus denen der friedliche Dialog und der Diskurs der Gesellschaft möglich wird.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Ich glaube, dem ist kaum etwas hinzuzufügen, friedlicher Dialog und Diskurs in unserer Gesellschaft. Führen wir den friedlichen Dialog, und fordern wir den Diskurs über die Strukturveränderung in unserer Gesellschaft ein. Dazu brauchen wir Partner. Die JOdischen Gemeinden gehören mit dazu.

(Beifall bei SPD, CDU, F.D.P. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Dahm das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich auch zu Anfang sagen, dass wir uns durchaus der geschichtlichen Verantwortung bewusst sind. Ich möchte auch aufgrund

dieser geschichtlichen Verantwortung, die wir haben, keine

großen, keine staatstragenden Worte anfügen. Ich meine nämlich, dass Worte und die insgesamt gesehen - ohne das verniedlichen zu wollen - doch bescheidenen Mittel. die wir mit diesem Vertrag und mit diesem Gesetz dem JOdischen Landesverband zukommen lassen, eigentlich nicht zu dem in Relation gesetzt werden können, was in der Vergangenheit passiert ist und wozu wir uns bekennen müssen.

Rheinland-pfalz hat zu den wenigen Ländern gehört, die noch keinen solchen Vertrag abgeschlossen haben. Deshalb ist es gut so, dass jetzt nach drei Jahren Verhandlung - seit 1997 wird über das Thema verhandelt- endlich ein Abschluss gefunden wird. Wir begrüßen ihn auch ausdrücklich.

Wir möchten unsere Zustimmung aber auch mit der Bitte ver