Protocol of the Session on December 18, 2019

Der entscheidende Punkt ist allerdings, dass eine automatische Beiordnung auch an dem eigentlichen Zweck der psychosozialen Prozessbegleitung vorbeigeht.

Die seit dem 1. Januar 2017 im Strafverfahrensrecht verankerte psychosoziale Prozessbegleitung richtet sich an besonders traumatisierte Opfer schwerer Straftaten, insbesondere Kinder und Jugendliche. Diese sollen emotional und psychisch stabilisiert werden und erhalten während des gesamten Ermittlungs- und Strafverfahrens qualifizierte Betreuung, Informationsvermittlung und Unterstützung.

Diese Form der intensiven Betreuung benötigen die meisten Opfer nicht. Die psychosoziale Prozessbetreuung ist daher auch nur eine Säule von zahlreichen staatlichen und ehrenamtlichen Angeboten, bei denen Opfer von Straftaten Hilfe erhalten können.

Es wäre auch sinnvoll gewesen, sich mit dem Schutzzweck der Norm der einzelnen Straftatbestände auseinanderzusetzen, denn nicht jeder Straftatbestand schützt ein einziges Opfer. Es gibt Straftatbestände, die die Öffentlichkeit oder auch Strafverfolgungsbehörden schützen sollen. Man stelle sich einmal vor, bei einer Falschaussage müsste dann der Leitende Oberstaatsanwalt kommen und hätte verpflichtend eine psychosoziale Prozessbetreuung an seiner Seite.

Die Stärkung des Opferschutzes und der Ausbau der bestehenden vielseitigen Angebote hat unsere volle Unterstützung. Eine einseitige und undurchdachte automatische Beiordnung der psychosozialen Prozessbetreuung ist allerdings abzulehnen.

Die maßvollen Änderungen aus dem Antrag vom November respektieren dank des Antragserfordernisses weiterhin bei verbesserter Information der Betroffenen deren freie Willensbildung. Verletzte von Straftaten wollen nicht flächendeckend bevormundet, sondern informiert und unterstützt und dabei wie mündige Bürger behandelt werden.

Mit Ihrem, an dieser Stelle eher unsauberen Antrag tun Sie genau das Gegenteil. – Herzlichen Dank und Glück auf!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Mangen. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Abgeordneter Engstfeld das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie meine Vorrednerinnen und Vorredner schon erwähnt haben, gibt es ja einen sehr guten Antrag der Fraktionen von CDU, FDP und von uns, Bündnis 90/Die Grünen,

zum Thema „psychosoziale Prozessbegleitung“. Dieser Antrag ist nicht nur gut, sondern er ist auch die aktuelle Beschlusslage dieses Landesparlamentes, weil wir den erst vor einem Monat hier gemeinsam beschlossen haben, und zwar einstimmig.

In diesem Antrag werden umfassende und praktikable Möglichkeiten aufgezeigt, die Prozessbegleitung bekannter zu machen, sie auf weitere Straftatbestände auszuweiten und in einigen Fällen das Antragserfordernis zu streichen.

Deswegen, Herr Röckemann, ist Ihr Antrag von der zeitlichen Positionierung her verwunderlich, weil die Beschlusslage des Parlamentes zu unserem Antrag, die wir hier haben, einstimmig war. Der Abstimmung ist eine Debatte im Rechtsausschuss vorausgegangen. Wir hatten eine Anhörung mit anschließender Auswertung im Rechtsausschuss, und wir hatten hier eine Parlamentsdebatte.

Jetzt kommen Sie mit diesem Antrag um die Ecke. Die Antragstellung ist vor allem aber auch nicht nur vom Zeitpunkt her verwunderlich, sondern inhaltlich auch überhaupt nicht weiterführend, und deswegen ist der Antrag am Ende des Tages einfach überflüssig. Denn nicht alle Opfer schwerer Straftaten brauchen neben ihren Nebenklagevertreterinnen und -vertretern eine Prozessbegleitung.

Bei einer automatischen Beiordnung, so wie Sie das fordern, würden Strafverfahren unserer Meinung nach immer weiter aufgebläht und zum Teil deutlich verzögert, da derzeit nicht genügend ausgebildete Prozessbegleiterinnen und -begleiter zur Verfügung stehen.

Die psychosoziale Prozessbegleitung ist für besonders schutzbedürftige Personen ein wichtiges und unverzichtbares Instrument. Das bedeutet aber nicht, dass jedes Opfer einer schweren Straftat eine solche braucht.

Na gut, es fehlen noch ein paar weitere Erkenntnisse und Ergebnisse der Anhörung, aber davon mal abgesehen: Für uns ist der richtige Weg, und so haben wir es hier im Parlament auch beschlossen, eine Bekanntmachung des Angebotes für Betroffene und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Justiz, Polizei und Anlaufstellen. Die Betroffenen müssen wissen, dass es dieses Angebot gibt. Die Justiz muss wissen, worum genau es sich bei der psychosozialen Prozessbegleitung handelt, welche Vorteile sie bietet und wer solch eine Begleitung benötigt.

Durch eine Bekanntmachung des Angebotes – und das ist unser Anspruch; das haben wir hier so beschlossen – bei allen Beteiligten wird die Zahl der Beiordnung sicher deutlich steigen.

(Zuruf von der SPD: Ja!)

Deswegen lehnen wir Ihren Weg und Ihren Antrag hier und heute ab. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Engstfeld. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Biesenbach das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im gemeinsamen Antrag der Fraktionen von CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen hat der Landtag im Rechtsausschuss vor nicht einmal einem Monat die besondere Bedeutung der psychosozialen Prozessbegleitung betont.

Ich habe damals in diesem Zusammenhang ausführlich dargestellt, welchen besonderen Stellenwert auch die Landesregierung dem wertvollen Instrument seit jeher zuschreibt.

Wenn die Fraktion der AfD nun auf einmal bemerkt, dass die psychosoziale Prozessbegleitung eine ganz gute Idee ist, kann ich nur sagen: Da kommen Sie mal wieder reichlich spät.

Meine Damen und Herren, inhaltlich packt der Antrag der AfD-Fraktion dafür jetzt aber den Holzhammer aus. Ausnahmslos alle erwachsenen sowie minderjährigen Opfer sollen künftig von Amtswegen eine psychosoziale Prozessbegleitung beigeordnet bekommen, wenn sie nicht ausdrücklich widersprechen.

Schließlich tragen sie doch, so steht es in Ziffer 2 der Feststellungsanträge, zur Wahrung des Opferschutzes bei, indem sie psychosoziale Prozessbegleitung in Anspruch nehmen. Der Antrag unterstellt: Wie kann man als Opfer nur etwas dagegen haben?

Die Wirklichkeit ist natürlich komplizierter. Aus gutem Grund haben die Sachverständigen im Rechtsausschuss nur vorgeschlagen, eine Beiordnungsmöglichkeit von Amts wegen für minderjährige Verletzte zu schaffen.

Herr Röckemann, Sie hätten die Sachverständigen ja einmal nach dem Warum fragen können. Schon in den schriftlichen Stellungnahmen steht – Zitat –:

„Die Verarbeitung von erlittener Verletzung und der Umgang damit im Strafverfahren ist hoch subjektiv.“

Das bedeutet, man kann eben nicht alle Opfer einfach über einen Kamm scheren. Gerade traumatisierte Verletzte erleben typischerweise einen Verlust des Gefühls von persönlicher Sicherheit und Unversehrtheit. Oberstes Ziel professionellen Opferschut

zes ist es daher, ihnen zu helfen, das Gefühl von persönlicher Autonomie und Kontrolle wiederherzustellen.

Damit ist es nicht zu vereinbaren, allen erwachsenen Opfern einfach eine psychosoziale Prozessbegleitung zu verordnen, wenn sie nicht rechtzeitig widersprechen. Mit diesem unangebrachten Paternalismus würden die Opfer unnötig unter Druck gesetzt. Soeben wurde ihnen unterstellt, ohne massiven äußeren Anstoß zu einer eigenständigen Entscheidung über die Inanspruchnahme des Hilfsinstruments nicht mehr in der Lage zu sein. Das würde sie im Strafverfahren von vornherein in eine passive Opferrolle drängen, und damit stiege die Gefahr einer sekundären Viktimisierung.

Bei minderjährigen Verletzten sieht das schon deshalb anders aus, weil unsere Rechtsordnung ohnehin vorsieht, dass Anträge nicht von den Verletzten selbst, sondern von den Sorgeberechtigten gestellt werden. Im Fall des Interessenkonflikts muss für die Entscheidung ein Ergänzungspfleger bestellt werden. Dies gilt insbesondere für den schlimmen Fall, dass Sorgeberechtigte selbst zu den Beschuldigten gehören. Dass dies leider immer noch viel zu häufig passiert, zeigen uns ganz aktuell die erschütternden Erkenntnisse aus dem Verfahrenskomplex, der in Bergisch Gladbach seinen Anfang genommen hat.

In diesen Konstellationen kann die Möglichkeit, psychosoziale Prozessbegleitung auch von Amts wegen beizuordnen, eine sinnvolle Ergänzung darstellen, um Familienstrukturen zu entlasten und Verfahren zu beschleunigen. Opfer müssen in ihren jeweils individuellen Bedürfnissen ernst genommen werden. Es muss Ihnen ermöglicht werden, in einer verständnisvollen Umgebung, in der sie würdevoll, respektvoll und einfühlsam behandelt werden, eigene Entscheidungen zu treffen. Das ist die beschwerliche, aber lohnende Aufgabe, die uns ausdrücklich der Text der EU-Opferschutzrichtlinie aus dem Jahr 2012 stellt. Mit dem groben Keil des jetzt gestellten Antrags hingegen können wir dieser Aufgabe nicht gerecht werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Biesenbach. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt noch eine weitere Wortmeldung vor. Für die Fraktion der AfD hat Herr Abgeordneter Röckemann das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin so frei und nehme mir noch die Zeit. Ich bin nicht ganz überzeugt von dem, was Sie vorgetragen haben, eigentlich gar nicht überzeugt.

Wir haben einen eigenen Weg vorgeschlagen, wie man Opferschutz im Rahmen der psychosozialen Prozessbegleitung richtig betreiben kann. Ich muss sagen, ich bin froh, dass wir das noch einmal beantragt haben.

Die Kollegin Erwin und der geschätzte Minister Biesenbach haben angekündigt, dass Minderjährigenschutz jetzt im Rahmen der psychosozialen Prozessbegleitung durchaus stärker berücksichtigt wird. Es wird darüber nachgedacht, dass Minderjährige von Amts wegen psychosoziale Prozessbegleitung bekommen sollen, und das ist auch richtig.

Alles andere, was ich gehört habe, ist parteitaktische Blockadehaltung. Diese führt nur dazu, dass Opfer von Gewalttaten ohne psychosoziale Prozessbegleitung ein weiteres Mal zu Opfern werden. Die Ausführungen einiger Kollegen in dieser Hinsicht finde ich einigermaßen ignorant. Sie wissen alle – oder Sie sollten es zumindest wissen; und ich wiederhole mich da gerne –, dass die Justiz nicht selten Probleme mit der Aussagebereitschaft von Zeugen hat, beispielsweise im Zusammenhang mit dem ganz aktuellen Thema „Clankriminalität“.

Ohne die konsequente Begleitung der Opfer in solchen Verfahren leidet nicht nur der Rechtsstaat, sondern insbesondere auch das von Ihnen, meine Damen und Herren Kollegen, vielbeschworene Sicherheitsgefühl der Bevölkerung, wenn es dann einmal wieder zu Freisprüchen kommt, da sich ein Opfer nicht mehr richtig erinnern kann oder will.

Sie wissen auch, dass Ihre Vorschläge, die Sie in das Novemberplenum eingebracht haben, nur an der Oberfläche kratzen und nur nett gemeint sind. Die Umbenennung der psychosozialen Prozessbegleitung in ein anderes Wort ist natürlich Quatsch. Das kann man doch leicht aussprechen. Was soll das also? Und es den Leuten besser zu erklären, ist ja genauso gescheitert wie Ihre Versuche, Genitalverstümmelung zu bekämpfen. Auch das ist Ihnen nicht geglückt. Im letzten Dezemberplenum habe ich es mehrfach angeführt. Was ist passiert? – Gar nicht viel. Es wird weiterhin Genitalverstümmlung betrieben.

Und genauso ist es hier auch. Auch hier werden Opfer weiterhin unterdrückt und viktimisiert. Das darf einfach nicht sein.

Ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel – auch der Minister hat es ja schon ungefähr auf den Punkt gebracht –: Stellen Sie sich einmal ein minderjähriges Mädchen vor, das auf Anweisung und unter Teilnahme enger Familienmitglieder genitalverstümmelt wurde. Das Mädchen spricht kein Deutsch und ist schwer traumatisiert. Es befindet sich aufgrund seiner Verstümmelung in dauerhafter ärztlicher Behandlung und hat Todesängste. Dieses Mädchen wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit

keinen Antrag auf Beiordnung einer dringend benötigten psychosozialen Prozessbegleitung stellen.

Auch die Eltern des Mädchens werden das mit Sicherheit nicht tun. Dass ein Jugendamt einen derartigen Antrag jemals stellen wird, ist nicht wahrscheinlich. Solche Fälle sind in Nordrhein-Westfalen gar nicht bekannt. Und ich wüsste auch nicht, dass im letzten Jahr ein solcher Fall aufgekommen wäre. Da sieht man mal, was die große Beantragung im vergangenen Jahr zum Schutz minderjähriger Mädchen vor Genitalverstümmlung geholfen hat, nämlich gar nichts.

Sie sollten sich an Ihre eigene Nase fassen und noch einmal kräftig darüber nachdenken. Kurz vor Weihnachten sollten Sie sich einen Ruck geben und einem vernünftigen Antrag zustimmen. Es ist eben unser Antrag, und wenn Sie einen vernünftigen Antrag haben, stimmen wir dem ja auch zu. Auch das kommt vor. – Schönen guten Tag.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Röckemann. Nun liegt mir keine Wortmeldung zu diesem Tagesordnungspunkt mehr vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der AfD hat direkte Abstimmung beantragt. Ich darf also fragen, wer dem Inhalt des Antrags Drucksache 17/8100 zustimmen will. – Das sind erwartungsgemäß die Abgeordneten der antragstellenden Fraktion der AfD. Gegenstimmen? – Das sind, wie angekündigt, die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich frage der guten Ordnung halber, ob es seitens eines Kollegen oder einer Kollegin den Wunsch gibt, sich der Stimme zu enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 17/8100 abgelehnt wurde.