Protocol of the Session on July 12, 2019

„Das Attentat auf Hitler muß erfolgen, um jeden Preis. Sollte es nicht gelingen, so muß trotzdem der Staatsstreich versucht werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat.“

Ich finde, eine solche Haltung verdient auch heute unseren Respekt und unsere Anerkennung.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP, den GRÜNEN, Markus Wagner [AfD], Marcus Pretzell [fraktionslos] und Frank Neppe [frakti- onslos])

Nun wissen wir auch, dass viele Nationalkonservative zunächst Anhänger des Regimes gewesen waren, dass sie dann zu Systemkritikern wurden und schließlich zu Regimegegnern.

Doch bemerkenswert ist, dass sie mit den Widerstandskämpferinnen und -kämpfern der ersten Stunde zusammenfanden. Deswegen kann man den Namen Graf Stauffenberg nicht aussprechen, ohne einen zweiten Namen zu nennen, nämlich Julius Leber, weil wir wissen, dass es eine besondere Nähe zwischen dem Aristokraten Stauffenberg und dem Sozialdemokraten Leber gab. So wünschte sich der Graf, der sicherlich kein Anhänger der Republik von Weimar gewesen war, den Weimarer Reichstagsabgeordneten nach einem Sturz des Regimes auf dem Posten des Reichskanzlers einer zivilen Regierung.

Da versteht man dann auch die schöne Aussage von Ralf Dahrendorf, der zum Widerstand des 20. Juli gemeint hat, dies sei ein „Aufstand des Anstands gegen eine von allen guten Geistern verlassene Staatsführung“ gewesen.

Meine Damen und Herren, das Attentat des 20. Juli – auch das ist bereits angeklungen – stand nicht allein. Beispielsweise gab es Johann Georg Elser, den einfachen Schreinergesellen, der nur auf sich gestellt am 8. November 1939 das Attentat im Münchener Bürgerbräukeller verübte. Es gab die Weiße Rose sowie – weniger spektakulär, aber von Anfang an einer besonders brutalen Verfolgung ausgesetzt – den Widerstand aus der Arbeiterbewegung.

Außerdem gab es die vielen Namenlosen, die widerstanden haben: den Nachbarn, der bedrohte Mitbewohner vor der Gestapo warnte; die Rüstungsarbeiterin, die Solidarität mit der ausländischen Zwangsarbeiterin übte; den Deserteur, der am Krieg eines verbrecherischen Regimes nicht länger teilnehmen wollte. Diesem lautlosen Widerstand schulden wir auch heute noch viele Denkmäler.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP, den GRÜNEN, Markus Wagner [AfD] und Marcus Pretzell [fraktionslos])

Wir müssen uns aber auch an die Opfer erinnern, die kaum Chancen besaßen, Widerstand zu leisten. Dietrich Bonhoeffer hatte die Christen schon 1933 aufgefordert, den jüdischen Mitbürgern beizustehen und – Zitat – „dem Rad des Terrors“, das auf sie zurollte, „in die Speichen zu greifen“.

Deswegen gehört zu unserer Erinnerung auch jene an die Millionen Juden, die ermordet wurden, die Sinti und Roma, die Zeugen Jehovas, die geistig und körperlich Behinderten, die Homosexuellen, die vielen Fremd- und Zwangsarbeiter sowie die Kriegsgefangenen, die man verhungern ließ. Wir sollten außerdem an die Frauen und Männer im Warschauer Ghetto denken, die alles gewagt und alles verloren haben und gerade deshalb in unserer Erinnerung weiterleben sollten.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN und Marcus Pretzell [fraktions- los] – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Es war Johannes Rau, der darauf hingewiesen hat, dass wir dem Gedenken an den Widerstand des 20. Juli keinen Gefallen tun würden, wenn wir hier eine Art – wie er es genannt hat – Kult der Gerechten aufbauen würden; denn hinter einem solchen Kult der Gerechten verblasst schnell die Schuld der Täter von damals, das Schweigen der Mehrheit und auch die Verantwortung der Mitläufer im Dritten Reich.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP, den GRÜNEN und Andreas Keith [AfD])

Johannes Rau hat uns auch einen zweiten Grund genannt, warum wir keinen Heldenkult treiben sollten. Die Widerstandskämpfer waren nämlich Menschen aus Fleisch und Blut mit all ihren Zweifeln, Irrtümern, Gewissensbissen und auch Widersprüchen. Aber erst dadurch gewinnen sie Glaubwürdigkeit und erst dadurch können sie in einer offenen demokratischen Gesellschaft wirklich zum Vorbild für Bürgerinnen und Bürger werden. Ikonen und Helden findet man in demokratischen Gesellschaften eigentlich nicht. Auch das sollte man meiner Meinung nach an dieser Stelle sagen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Schließlich kann man natürlich fragen, warum das Attentat so spät kam. Man wird aber ebenso sagen dürfen: Moralisch ist es niemals zu spät, ein mutiges Zeichen gegen den Terror und die Unmenschlichkeit zu setzen. – Genau darum ging es Helmuth James Graf von Moltke, als er 1942 einem englischen Freund schrieb – ich zitiere aus dem Schreiben –:

„Die eigentliche Frage, vor die Europa nach dem Krieg gestellt sein wird, ist die, wie das Bild des Menschen im Herzen unserer Mitbürger wiederhergestellt werden kann.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist – in einem Satz zusammengefasst – das Vermächtnis des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Er verweist außerdem auf seine europäische Perspektive; denn namentlich im Kreisauer Kreis dachte man eine Nachkriegszeit, in der das Trennende der Nationalstaaten in einem Europa der Regionen überwunden werden könnte.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen letzten Gedanken äußern: Auch diese Debatte hier zeigt meiner Auffassung nach bereits: Passives Gedenken allein reicht nicht. Wenn einer auf den anderen wartet, dann handelt niemand und es geschieht nichts.

Das heißt: Der Staat darf nicht auf die Bürger warten und die Bürger dürfen nicht auf den Staat warten. Wir müssen den Gespenstern des Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus rechtzeitig aktiv begegnen.

Für uns kommt es heute darauf an, Zynismus, Gleichgültigkeit und Hass jeden Tag aufs Neue zu überwinden; denn das ist das politische Vermächtnis des 20. Juli, damit die Geschichte sich nicht wiederholt. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall von der SPD, der CDU, der FDP, den GRÜNEN und der Regierungs- bank)

Vielen Dank, Herr Dr. Rudolph. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Paul.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Betrachten wir den AfD-Antrag, dann versteigt dieser sich nach einer historischen, einer ausführlichen Darstellung in pathetischen Formulierungen: Wir Deutsche seien zu ewigem Dank verpflichtet. Die Männer des 20. Juli seien Helden – ein Begriff, der von den beiden Kollegen zuvor schon thematisiert wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Heldengedenken ist das bei uns in Deutschland doch so eine Sache. Mit Ihrem AfD-Antrag heute werden Sie es nicht schaffen, einen neuen Heldengedenktag einzuführen.

Es war eine mutige Tat, die unser Land von einem Tyrannen erlösen sollte. Ob die Männer des 20. Juli selbst als Helden gefeiert werden wollten, wage ich zu bezweifeln.

Ohne Zweifel führten sie Gutes im Schilde, auch wenn sie aus heutiger Sicht sicher keine lupenreinen Demokraten waren.

Ihnen ging es darum, unser Volk, unser Land aus einer mörderischen, alles zerstörenden Geiselhaft zu erlösen, die totale militärische Niederlage noch abzuwenden. Bedenken Sie, dass der Krieg im letzten Jahr noch einmal so viele Opfer gefordert hat wie in der Zeit bis dahin.

Ihnen ging es auch darum, zu zeigen, dass es in führenden Wehrmachtskreisen noch verantwortlich handelnde, gewissenhafte Offiziere gab. Sie wollten moralische Integrität wiederherstellen.

Zu Recht pflegen wir daher ein Gedenken an die mutigen Männer des 20. Juli bei der jährlichen Gedenkstunde im ehemaligen Bendlerblock, dem Bundesministerium der Verteidigung, und bei anderen Veranstaltungen – gerade in diesen Tagen und Wochen; landauf, landab auch in Nordrhein-Westfalen. Auch dafür bedarf es Ihres Antrags heute nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Das betrifft nicht nur diese Widerständler, sondern auch alle anderen, die sich aktiv gegen die mörderische Hitler-Diktatur stellten. Wir erinnern uns bei vielen Gelegenheiten an alle Opfer.

Das alles findet sich – das haben die beiden Vorredner schon deutlich gemacht – im AfD-Antrag leider gar nicht wieder. Er beweihräuchert allein den militärischen Widerstand. Die AfD ist dabei auf merkwürdige Weise unhistorisch. Sie engen das Gedenken auf einen Personenkreis ein und schmälern damit die Leistungen vieler, die sich in Deutschland, in den besetzten Ländern und auch außerhalb des deutschen Machtbereichs mutig gegen die Nationalsozialisten und den von ihnen beherrschten deutschen Staatsapparat stellten.

Ihre Absicht, das öffentliche Gedenken auf den konservativ-nationalen, den militärischen Widerstand zu konzentrieren, überrascht mich aber gar nicht. Es ist ein Ansatz der Neuen Rechten, der seit Jahren wohlbekannt ist – ein Versuch der nachträglichen moralischen Entlastung und, wenn man so will, der Reinwaschung. Er wird vertreten durch selbsternannte Vordenker der Neuen Rechten wie den Verleger Götz Kubitschek und andere – Sie werden sie besser kennen. Das Attentat sei ein Aufstand des Deutschtums gewesen – solche Formulierungen liest man da.

Nachfahren des echten Oberst von Stauffenberg stellen sich gegen diese Vereinnahmung. Sein Enkelsohn, Karl Schenk Graf von Stauffenberg, sagt heute:

„Mein Großvater und sein Patriotismus werden vollkommen aus der Zeit herausgerissen. … Hätte mein Großvater erlebt, dass wir seit 1945 zumindest im westlichen Europa in Frieden leben, so wäre er sicherlich kein Verfechter des Nationalstaates gewesen, als den die AfD ihn haben möchte.“

Karl Schenk Graf von Stauffenberg hat in seiner Heimatregion, in Unterfranken, den Verein „Mittendrin statt EXTREM daneben“ gegründet, mit dem er auf die Gefahren der Radikalisierung von Ideen und Religionen aufmerksam macht. Er ist Freier Demokrat und Kreisvorsitzender unserer Partei in der Region Unterfranken.

„Mein Großvater war kein Held“, sagt Karl Schenk Graf von Stauffenberg. Er habe aber Zivilcourage bewiesen – wie viele andere auch. Darum sei es ihm gegangen; das wisse er auch aus Gesprächen mit seiner im Jahre 2006 verstorbenen Großmutter.

Angesprochen auf die Vereinnahmung seines Großvaters durch die Neue Rechte und die AfD sagt mein Freund Karl Stauffenberg:

„Ich finde es abartig, die Geschichte so zu verdrehen. In das Handeln und die Ansichten meines Großvaters eine nationalistische Gesinnung hineinzuinterpretieren und gleichzeitig das Dritte Reich als ,Vogelschiss‘ zu bezeichnen,“

wie Ihr Bundesvorsitzender –,

„das passt überhaupt nicht zusammen.“

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Was auch überhaupt nicht zusammenpasst, sind die Stimmen aus Ihrer Partei – unlängst noch zu hören – zu den mutigen Männern des 20. Juli. Lars Steinke, Landesvorsitzender des mittlerweile aufgelösten AfD-Jugendverbandes Niedersachsens, hat geschrieben – es ist wenige Monate her – …

Herr Kollege Paul, entschuldigen Sie, dass ich Sie an dieser Stelle unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Tritschler.

Nein, das ist dem Thema, glaube ich, nicht angemessen.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Dieser Lars Steinke – Sie werden ihn auch kennen; Sie haben sich mit ihm ja auch auseinandersetzen müssen – schrieb noch im letzten Jahr:

Stauffenberg war ein Verräter, der bereit war, Millionen von Menschen zu opfern und Menschenleben zu

riskieren – ohne erkennbaren Nutzen für das deutsche Volk. Stauffenberg war kein Held – so schreibt der ehemalige Landesvorsitzende der AfD-Jugend Niedersachsens weiter –, und der 20. Juli war kein Glanzstück. Es war der beschämende Versuch eines Feiglings – so schreibt er weiter –, die eigene Haut vor dem kommenden Sieger zu retten.

Ich bezweifle, dass die Steinkes der AfD den Schneid gehabt hätten, sich unter Einsatz ihres Lebens gegen Hitler zu stellen, wie Graf von Stauffenberg es gemacht hat. Es wird Ihnen daher auch nicht gelingen, den Patriotismus des Oberst von Stauffenberg oder auch das nationalliberale Erbe Stresemanns für Ihre heutigen parteipolitischen Zwecke zu vereinnahmen.