Protocol of the Session on December 21, 2017

Damit sind wir jetzt konfrontiert. Einige von Ihnen ducken sich da einfach weg. Genau das ist die Ursache für das, was hier im Augenblick passiert: Aus einer falsch verstandenen Toleranz gegenüber allem, was fremd ist und nicht deutsch ist, aus einer Sehnsucht, nicht provinziell, engherzig und spießig zu gelten oder gar fremdenfeindlich zu sein, sondern weltoffen, großherzig und human, geben wir unsere Grundsätze, unsere Ideale, unsere in der Aufklärung gewachsenen Vorstellungen eines liberalen Rechtsstaates auf.

(Widerspruch von Ministerpräsident Armin La- schet)

Wir tun es, Herr Ministerpräsident, wir tun es. Auch Sie haben gerade Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in einen Topf geworfen.

Unsere Art der Toleranz gegenüber intoleranten aggressiven Ideologien oder Religionen bezeichnet Karl Popper in seinem Werk die „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ als paradox. Toleranz gegenüber Intoleranten ist paradox, weil ich damit mittel- bis langfristig die Toleranz dem Intoleranten preisgebe und sie damit aus meinem Umfeld verschwindet.

Bei uns aber erhebt sich bei jeder sogar berechtigten Kritik gegen Regelverletzungen oder ein Fehlverhalten fremder, zugewanderter Menschen ein derartiger moralischer Alarmismus, der vor allem von der politischen Linken ausgeht, aber mittlerweile – Herr Laschet, ich habe es registriert – offensichtlich auch von Teilen der CDU.

(Zuruf von der SPD: Dummes Zeug!)

Die Kritiker werden dann sofort gerne mit nationalsozialistischem Gedankengut in Verbindung gebracht, sodass ein vernünftiger Diskurs über die Bedingungen friedlichen Zusammenlebens von Menschen aus fremden Kulturen mit der hiesigen Bevölkerung nicht stattfindet. Karl Lagerfeld sagte dazu einmal: Wir haben offensichtlich aus der Katastrophe des Nationalsozialismus die falschen Lehren gezogen.

So müssen wir wieder zurück zu dem, was uns stark machen könnte. Wir müssen konsequent und strikt unser Recht ohne Rücksicht auf die Person des Rechtsbrechers durchsetzen. Wir müssen unsere Werte einer aufgeklärten liberalen und humanen Leistungsgesellschaft offensiv gegenüber jedem verteidigen. Wir müssen wieder eine gesunde Selbstachtung aufbauen, die in der Wertschätzung des anderen die Selbstbehauptung nicht vergisst. Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass der Autoritätsverfall staatlicher Behörden und ihrer Vertreter gestoppt wird und ein neuer Autoritätsaufbau wieder herkommt.

Werben müssen wir für unser Land mit einer Haltung, in der wir Selbstachtung, Ehrgefühl und kulturelle Eigenständigkeit behaupten. Ja, der Begriff Leitkultur ist unbedingt wichtig, schon allein deswegen, damit sich Zugewanderte in unser Land integrieren können.

Ein Letztes: Wir dürfen auf keinen Fall Menschen dulden, die uns und unsere Gesellschaft verachten, die gegen uns hetzen und uns als Ungläubige verurteilen. Sie haben das Recht verloren, hier mit uns zusammenzuleben, wenn sie ihre Gesinnung nicht ändern. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der AfD)

Das war für die AfD-Fraktion Herr Seifen. – Für die Landesregierung hat sich der Ministerpräsident, Herr Laschet, zu Wort gemeldet.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich glaube, es war gut, dass wir heute diese Debatte geführt haben. Es ist sicherlich eines der aktuellsten Themen, das uns im Moment beschäftigt. Ich möchte auf einige Gedanken eingehen.

Das eine ist: Unsere Generationen – die meisten, die hier im Saal sitzen – sind alle nach 1945 geboren. Sie haben keine persönliche Verantwortung für das, was passiert ist, aber wir fühlen uns alle als Deutsche in dieser Verantwortung – parteiübergreifend seit vielen Jahren.

(Helmut Seifen [AfD]: Genau!)

In Ihrem ersten Beitrag, Herr Seifen, haben Sie das auch beschrieben.

Jetzt sagen Menschen, die zugewandert sind, natürlich zu Recht: „Ich bin 1961 zugewandert;“ – das ist das Jahr des Anwerbeabkommens mit der Türkei – „was habe ich denn damit zu tun, was die Deutschen hier in der Zeit davor gemacht haben?“ – Diese Haltung ist ja verständlich. Die Türkei beispielsweise hat damals viele derjenigen, die vor den Nazis geflohen sind, aufgenommen und ihnen im Exil Asyl gewährt. Das waren deutsche Wissenschaftler, die vor den Nazis geflohen sind. Das wird sehr oft vergessen. Unser Zentrum für Türkeistudien hat das vor einigen Jahren sehr gut aufgearbeitet.

Die Kinder sagen jetzt: „Warum sind wir denn dafür verantwortlich?“ Unsere Antwort muss sein: Weil ihr Deutsche seid, weil ihr hier geboren seid, weil ihr Teil der deutschen Geschichte werdet, wird auch dieser Teil der deutschen Geschichte ein Teil von euch selbst ist.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Das zu sagen, ist eine schwere Aufgabe. Ich glaube, dass man das nur schaffen kann, indem man persönliche Begegnungen ermöglicht, indem man Empathie, beispielsweise für Israel, erzeugt, indem die Kinder zum Beispiel Yad Vashem besuchen und in dieser Sekunde möglicherweise merken, was das für sie bedeutet.

Navid Kermani, unser diesjähriger Staatspreisträger, hat in einer beachtlichen Rede vor der Ludwig-Maximilians-Universität, die dann in der „FAZ“ abgedruckt wurde, beschrieben, wie er in Auschwitz zum ersten Mal intensiv gespürt hat, dass er Deutscher ist, weil er da anders behandelt wurde als die Briten, die Franzosen und die Italiener. Er sagte: Da wurde mir

als Einwanderer sehr bewusst, in welche Geschichte ich als deutscher Staatsbürger mich hineinbegebe.

Weil das so ist, habe ich damals als Jugendminister den Jugendaustausch mit Israel wieder intensiviert – insbesondere für Kinder mit Zuwanderungsgeschichte. Das Interessante dabei war übrigens: Als diese Kinder dann dort waren und auch palästinensische Jugendliche trafen, war es für sie erst einmal der erste Akt, in Israel zu sein. Aber für viele jüdische und palästinensische Partner war dieser nordrheinwestfälische Jugendaustausch der erste Moment, in dem diese beiden sich begegnet sind. Denn natürlich ist es für einen jungen Palästinenser durch den Bau der Mauer gar nicht mehr so einfach, einen israelischen Jugendlichen zu treffen. Hier konnte Nordrhein-Westfalen ein neues Feld eröffnen.

Jürgen Rüttgers hat zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht 2008 eine Erklärung initiiert, die die christlichen Kirchen unterschrieben haben, zum ersten Mal aber auch muslimische Gemeinden: Der Zentralrat der Muslime in Nordrhein-Westfalen, DITIB und viele andere haben 2008 diese Erklärung mit unterschrieben. Dass sie das in ihre Gemeinden hineintragen, ist eine wichtige Aufgabe, an die wir heute auch appellieren sollten.

Wir haben den Ansatz für den Jugendaustausch im Haushalt für 2018 erneut verdoppelt, weil ich diese Aufgabe immer noch für sehr wichtig halte.

Eines sollten wir nicht machen: dieses Reden vom importierten Antisemitismus. Dazu empfehle ich jedem den Beitrag vom früheren israelischen Botschafter Schimon Stein und von Moshe Zimmermann, Professor an der Hebräischen Universität in Jerusalem, in „Fremde Feder“ der „FAZ“ von heute. Ja, von denen die jetzt gekommen sind, sind manche antisemitisch. Aber Antisemitismus in Deutschland ist nicht importiert; er ist immer schon hier gewesen, er ist Teil dieser Gesellschaft. Mancher, der jetzt so tut, als müsste er importiert werden, hat vergessen, dass wir noch viele Antisemiten – auch unter Deutschen – in unserem Land haben.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Lesen Sie das mal nach. Es ist sehr präzise formuliert, wenn Schimon Stein sagt: Das ist von manchen auch ein Versuch, von dem Antisemitismus, der noch da ist, abzulenken, indem man jetzt über die spricht, die gekommen sind.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Zurufe von Christian Loose [AfD] und Markus Wagner [AfD])

Ja, ich verstehe, dass das jetzt Aufregung auslöst. – Herr Seifen, vieles, was Sie eben vorgetragen haben, war eine bemerkenswerte Rede. Aber Sie hätten mal einen Satz dazu sagen können, was Herr

Höcke äußert und wie er über das Holocaust-Mahnmal spricht,

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und Alexander Langguth [fraktions- los] – Zurufe von Andreas Keith [AfD] und Christian Loose [AfD])

oder auch dazu, was Herr Gedeon im baden-württembergischen Landtag sagt.

(Markus Wagner [AfD]: Und was ist mit Herrn Filbinger 1977?)

Das hätte die Glaubwürdigkeit einer bemerkenswerten Rede von Herrn Seifen erhöht.

(Andreas Keith [AfD]: Und vorher die NPD, was ist mit denen? – Markus Wagner [AfD]: Schauen Sie mal in Ihre eigene Parteige- schichte! – Weitere Zurufe von der AfD – Ge- genruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Ich bitte darum, den Ministerpräsidenten ausreden zu lassen.

Es gibt gar keinen Grund zur Aufregung.

(Fortgesetzt Zurufe von der AfD)

Ganz genau.

In Ihrer Partei gibt es öffentlich solche Bekenntnisse. Wenn man hier so selbstkritisch spricht, dann hätte man dazu einen Satz sagen können. Das ist alles.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und Alexander Langguth [fraktions- los] – Zurufe von der AfD)

Deshalb sollten wir über deutschen Antisemitismus, über muslimischen Antisemitismus, über christlichen Antisemitismus, über katholischen Antisemitismus in der Geschichte sprechen. Das sollten wir dann alles gleichermaßen erwähnen.

(Beifall von Berivan Aymaz [GRÜNE])

Es ist richtig, dass wir nicht akzeptieren, dass irgendjemand aus Kritik am amerikanischen Präsidenten den Davidsstern verbrennt. Das ist nicht akzeptabel, aber vieles andere ist gleichermaßen nicht akzeptabel.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn wir das hinbekommen, dann ist Antisemitismus, jedenfalls in Nordrhein-Westfalen, ohne Durchsetzungskraft. Die Polizei – der Innenminister hat das deutlich gemacht – geht bei Demonstrationen gegen

diese Dinge vor. Wenn am Rande von Demonstrationen Menschen rufen: „Juden ins Gas!“, muss die Polizei mit allem, was sie tun kann, einschreiten. Das ist unsere Position.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN, Nic Peter Vogel [AfD] und Alexan- der Langguth [fraktionslos])

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Kollege Dr. Bergmann das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Wer Fahnen anzündet, verbrennt irgendwann vielleicht auch wieder Bücher. Und wer Bücher verbrennt, der macht nachher noch viel schlimmere Dinge. Das wissen wir in Deutschland nur zu gut. Das ist für uns Grund genug, hier ein ganz klares Zeichen zugleich gegen den internen wie auch gegen den externen – so nenne ich es einmal – Antisemitismus zu setzen, so merkwürdig sich der Begriff eigentlich anhört, zumal Araber als Semiten davon selbst betroffen sind.