Protocol of the Session on May 20, 2015

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist ja krude, was Sie da vortragen!)

Lächerlich ist es auch, die Abschaffung der Sozialtickets oder des Verbandsklagerechts für Tierschutz

organisationen zu verlangen. Wenn das Ihre Vision von Industriepolitik der Zukunft sein soll, dann sage ich: Gute Nacht! Willkommen im 19. Jahrhundert!

(Beifall von den PIRATEN)

Dabei ist und bleibt es Aufgabe der Landesregierung, für eine exzellente Infrastruktur und gute Bildungschancen in Nordrhein-Westfalen zu sorgen. In der Tat – da stimmen wir mit der CDU überein – steht es in diesen Fragen gegenwärtig nicht zum Besten.

Eines möchte ich hier auch noch erwähnen. So, wie die Freihandelsabkommen derzeit diskutiert werden, wären Land und Kommunen durch Schadenersatzklagen in Milliardenhöhe bedroht. Das würde uns unter dem Strich kaum nützen; genauso wenig wie derartige Anträge aus der wirtschaftspolitischen Mottenkiste. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung spricht in Vertretung von Herrn Minister Duin Herr Minister Groschek.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Für mich war diese Diskussion in Teilen sehr überraschend. Ich will das jetzt nicht weiter differenziert werten, muss aber sagen: Herr Schwerd, in großen Teilen kann ich Ihre Überzeugung nur teilen.

(Beifall von Nicolaus Kern [PIRATEN] – Josef Hovenjürgen [CDU]: Hui!)

So bemerkenswert und verwunderlich das aus anderen Zusammenhängen erscheinen mag, fand ich es schon völlig richtig, weil der Sachvortrag auf den Punkt geführt hat, dass die Inszenierung hier anders geplant war. Die Inszenierung hieß: Wir präsentieren den billigen Jakob als Drachentöter für das rotgrüne Ungeheuer, das LEP und Klimaaktionsplan heißt. – Dann gab es das rot-grüne Ungeheuer nicht mehr. Man musste aber irgendwie weiter mit dem billigen Jakob umgehen. Deshalb reitet man jetzt ein Pferd, das schon längst tot am Boden liegt. Von daher gilt: Der Ritt lohnt nicht, Herr Wüst und Herr Dr. Brockes.

(Dietmar Brockes [FDP] hebt beide Hände.)

Sie haben mich als „doppelter Schemmer“ so beeindruckt, dass ich dachte: Dahinter muss eine Promotion stecken.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Nun zurück zum Antrag: Wir haben gemeinsam die Erfahrung gemacht, dass die Prognose vom Dezember 2014 in Deutschland wie in NordrheinWestfalen positiv übertroffen wurde. Jetzt kann man

über die RWI-Spitzen reden, wie man will; die Tendenz ist jedenfalls ein solides Wachstum, wie es selbst für die Wirtschaftsforschungsinstitute im letzten Jahr so nicht vorhersehbar war.

Bei unserer Industriestärke denken wir natürlich nicht in Tonnage, sondern in wissensbasierten Wertschöpfungsketten. Das ist das Markenzeichen unserer Industrie. Nicht mehr die Pannschüppe des Bergbaus unter Tage, wo Kohle in Tonnage gemessen wurde, sondern die qualifizierte Arbeit und das Wissen, Industrie intelligenter als andere zu organisieren, müssen das Markenzeichen nordrheinwestfälischer Wirtschaft bleiben und noch stärker werden. Das ist die Perspektive. Deshalb müssen wir Chancen nutzen und technologische Chancen wahrnehmen, um Beschäftigungspotenziale zu erschließen.

Die vierte industrielle Revolution muss gestaltet werden. Man kann sie nicht negieren. Sie ist Realität. Digitalisierung kann nicht aufgehalten werden, weder national noch gar regional. Deshalb müssen wir uns dieser Herausforderung stellen und aktiver als andere Digitalisierung als große Chance für unsere Industrie und den Industriestandort begreifen. Wir sind auch viel besser, als man aufgrund des vermeintlichen Bayern-Vergleichs der Union denken könnte.

Wir wollen die 50-MBit/s-Strategie bis 2018 vollenden. Wir wollen die Gewerbegebiete komplett anschlussfähig haben. Wir ermutigen die Kommunen, sich an den guten Beispielen zu orientieren. Auf der Homepage sind Best-Practice-Beispiele reichhaltig präsent. Paderborn ist eine bemerkenswert kregle Stadt, wenn es darum geht, im öffentlichen Raum per Freifunknetz diskriminierungsfrei Zugang zu einem Netz zu haben. Das sind ermutigende Beispiele. Da muss man nicht mit Entbürokratisierung als Ladenhüter aufwarten.

Jetzt komme ich noch zu den einzelnen Punkten und beginne mit der Beschleunigung von Planung und Genehmigung. Wir haben in der Infrastruktur erlebt, wie aufwendig dieses Prozedere ist. Da nutzen aber kein Motzen und kein Nörgeln; da nutzt nur, dass wir dialogorientierter als in der Vergangenheit Menschen mitnehmen. Dazu gibt es Plattformangebote. Dafür existieren Initiativangebote des Wirtschaftsministeriums. Es gibt auch praktische Lösungsmöglichkeiten. Wenn man den Menschen per Hörprobe deutlich macht, wie viel leiser OPA auf der Straße im Vergleich zum Gussasphalt ist, kriegt man viele Probleme ganz praktisch gelöst.

Deshalb sollte man hier keine großen Streitphänomene aufmachen und keine Unmöglichkeitskulissen vor sich herschieben, was rechtliche Änderungen angeht, sondern das Mögliche beherzt anpacken und auf die Menschen zugehen.

Energiepreise. – Darüber ließe sich eine ganz intensive Diskussion führen. Mit Ihrem Ansatz kom

men Sie aber ein Jahr zu spät. Warum? – Weil ja längst die Leitplanken eingeschlagen sind. Wir haben dafür gesorgt, dass das EEG, das Energieeinspeisegesetz, modifiziert wurde. Wir haben die energieintensiven Unternehmen entlastet und haben damit auch die KMUs und das Handwerk entlastet, die ansonsten unter willkürlich steigenden Energieeinspeiseprämien hätten leiden müssen. Also, ein Jahr Verspätung bei den Energiepreisen.

Wenn Sie nachholen wollen, was von Ihrer Seite versäumt wurde, dann wäre es sinnvoll, den Netzboykott der Bayern aufzubohren. Denn das ist ein Boykott von Energiewende und letztendlich auch ein Boykott von vorausschauender Standortpolitik. Das dürfen wir in Deutschland einem einzelnen Land nicht durchgehen lassen. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass Energiepolitik national angepackt wird und nicht an regionalen Egoismen scheitert.

Die Landesregierung ist optimistisch, dass bei den Ausschussberatungen im Grunde ein Konsens zu erzielen ist und auch dem Antragsteller deutlich wird: Diese Antragstellung ist eigentlich überflüssig, weil die politische Praxis im Land längst weiter ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/8640 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

8 Bürger entlasten – Abbau der kalten Progres

sion vorantreiben

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/8638

Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/8718

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende CDU-Fraktion Herrn Kollegen Dr. Optendrenk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Steuereinnahmen in Deutschland werden, so sagen es die Zahlen der aktuellen Steuerschätzung, von 644 Milliarden € im vergangenen Jahr auf 769 Milliarden € in 2019 steigen. Die Länder werden von diesem Steuerzuwachs, wenn die Prognose stimmt, mit fast 48 Milliarden € profitieren. Das entspricht dann in fünf Jahren einer Steigerung von 19 %. Davon entfallen rechnerisch mehr als 8 Milliarden € auf Nordrhein-Westfalen. Man kann es auch einfacher sagen: Auch wenn wir immer meinen, die öffentliche Hand hätte nicht genug Geld, sie schwimmt geradezu im Geld – der Bürger.

Herr Minister, Sie haben öffentlich erklärt, für die Senkung der kalten Progression seien keine Spielräume vorhanden. Ihr Parteivorsitzender in Berlin sieht das anders. Er findet, dass angesichts der hohen Steuereinnahmen eine Entlastung durch die Beseitigung der kalten Progression sein muss. Sie wissen, ich gebe Herrn Gabriel nicht immer recht – das muss ich auch nicht; er ist ja Ihr Parteivorsitzender –, aber hier liegt er völlig richtig.

Wenn nicht jetzt, wann wollen Sie denn den unhaltbaren Zustand beseitigen, dass der Staat nur aufgrund der Inflation und nicht aufgrund des Steuersatzes und der gestiegenen Leistungsfähigkeit einen wachsenden Teil der Lohnerhöhungen abschöpft?

(Beifall von der CDU)

All die fleißigen Leute, die Leistungsträger, die Mittelschicht unserer Gesellschaft, alle diejenigen, die dieses Land tragen, die den Wohlstand jeden Tag erarbeiten, die das Wachstum schaffen, das wir so dringend brauchen, zahlen mehr Steuern. Und die sollen dann wohl auch Ihren Haushalt konsolidieren. Aber statt gerade diese Leistungsträger in der Mitte unserer Gesellschaft zu entlasten oder ihnen zum Teil das zurückzugeben, was ihnen gehört, nehmen Sie ihnen die Anreize, wenn Sie es bei der kalten Progression in der heutigen Form belassen. Sie nehmen ihnen den Anreiz, mehr zu leisten, indem Sie ihnen einen großen Teil wegnehmen, was zusätzlich erwirtschaftet wird. Und das nicht erst seit gestern, sondern im Kern seit vielen Jahren.

Mir kommt das so vor wie mit der Raupe Nimmersatt. Die fraß sich tagelang durch alle möglichen Früchte, bis sie irgendwann dick war und ihr richtig schlecht wurde. So ist das auch mit dem nimmersatten Staat: Er verfettet und wird immer unbeweglicher.

(Beifall von der CDU)

Bei der Raupe Nimmersatt geht die Geschichte so weiter: Erst als sie wieder ein bisschen mehr Salat fraß und sich umsichtiger ernährte, ging es ihr wieder besser. Dann verpuppte sie sich und wurde ein wunderschöner Schmetterling. Herr Minister, Ihre Landesregierung ist aufgefordert anzufangen, einen

schlankeren Staat zu gestalten. Denn der bringt Neues zur Entfaltung statt zu verfetten.

Herr Minister, Sie wissen ganz genau, dass die kalte Progression nichts anderes ist als eine Steuererhöhung durch die Hintertür. Das haben Sie selbst am 8. Mai 2014 der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ gesagt. Da heißt es – Zitat –: „WalterBorjans räumte ein, dass bei der kalter Progression allein der Fiskus von höheren Einkommen profitiere.“ Das sei – Zitat – „auf Dauer nicht gewollt und auch nicht gerecht.“

Da haben Sie völlig recht. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie heute von diesem Pult erklären: Wir machen jetzt gemeinsam in Berlin, im Bundestag und Bundesrat sowie mit der rot-grünen Landesregierung aus Nordrhein-Westfalen dieser Ungerechtigkeit ein Ende. Wir nutzen die Spielräume, die es in der mittelfristigen Finanzplanung jetzt unerwartet gibt, und zwar durch das, was der Staat eigentlich nicht verdient. Das haben Sie bisher in keine mittelfristige Finanzplanung einarbeiten können.

Und sagen Sie nicht, es gäbe keine Gegenfinanzierung. Die Menschen haben Ihnen diese Gegenfinanzierung schon geliefert, und zwar durch das, was die Bürgerinnen und Bürger zahlen. Wir sollten die gute Konjunkturlage auch dazu nutzen, nicht immer auf neue Geldquellen zu schielen,

(Beifall von der CDU)

sondern das zu tun, was unsere Aufgabe ist, nämlich sorgsam mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger umzugehen. Wir sollten ihnen nur das als Steuer, als Belastung zumuten, was wirklich zur Finanzierung des Gemeinwesens notwendig ist und nicht leistungsschädlich, sondern leistungserhaltend und leistungsförderlich wirkt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Optendrenk. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Zimkeit.

Mein Eindruck, Herr Präsident, lieber Herr Optendrenk, ist, dass Sie die Raupe verhungern lassen wollen, bevor daraus ein Schmetterling werden kann.