Protocol of the Session on April 10, 2014

Denn begonnen wird mit dem Suchtmittelkonsum fast immer im Jugendalter. Wir haben es schon gehört: Das Monitoring der ambulanten Sucht- und Drogenhilfe NRW zeigt, dass Menschen, die wegen Cannabisabhängigkeit eine Beratung aufsuchen, im Schnitt im Alter von rund 15 Jahren mit dem Konsum begonnen haben.

Der Suchtmittelkonsum im Jugendalter beeinträchtigt nicht nur die körperliche und geistige Entwicklung in der Pubertät, sondern wirkt sich bis ins Erwachsenenalter aus. Er ist häufig mit erheblichen Folgeschäden für den Einzelnen und die Gesellschaft verbunden.

Deshalb benötigen Jugendliche besondere Hilfe und ganz besonderen Schutz. Ihre Kompetenzen, sich gegen gesundheitsschädliches Verhalten zu entscheiden, müssen daher vorrangig gestärkt werden.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Also doch Ge- sundheit?)

Studien belegen auch, dass insbesondere der Konsum von Cannabis bei Jugendlichen weit gefährlicher ist als bisher angenommen – mit großen Schäden bei dauerhaftem Konsum. So können sich suchtbedingt Antriebslosigkeit, Aufmerksamkeitsdefizite und Beeinträchtigung des Lernens und des Gedächtnisses ergeben und sich die Chancen auf eine gute Bildung und ein erfolgreiches, eigenständiges Leben deutlich reduzieren.

Frau Kollegin, es gibt einen weiteren Wunsch, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen, von den Piraten, von Herrn Kollegen Schulz.

Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben eben mit Recht betont, dass der federführende Ausschuss der Gesundheitsausschuss ist. Sie betonen gerade auch bei der – ich nenne es mal – Verteufelung von Cannabis und Cannabisprodukten die Gesundheitsgefährdung.

Ist Ihnen bekannt oder wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass jährlich weltweit 6 Millionen Menschen an den Folgen des Genusses von Tabak sterben? Ist Ihnen auch bekannt oder sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in Deutschland 15 % der 15-jährigen Jungen und Mädchen mindestens einmal pro Woche rauchen und sie damit natürlich auch die Statistik der Todesfälle in Deutschland hinsichtlich der Konsumenten von Tabakprodukten prolongieren?

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Dann hört doch auf zu rauchen!)

Herr Schulz, jetzt muss ich natürlich fragen: Sind wir jetzt in einer Debatte über Drogenpolitik? Oder bearbeiten wir einen Antrag zu Cannabis, den Sie hier eingereicht haben? Oder bearbeiten wir einen Antrag zu Tabak und Nikotin?

(Beifall von der FDP – Zuruf von den PIRATEN: Sind das keine Drogen?)

In dem Zusammenhang haben wir meiner Meinung nach im vergangenen Jahr in diesem Haus ein völlig überzogenes Nichtraucherschutzgesetz verabschiedet. Im Moment sprechen wir aber über Cannabis, und damit möchte ich gerne weitermachen. Sie haben „Cannabis“ in das Thema „Gesundheit“ gepackt, und jetzt machen wir mit Gesundheit weiter.

Die Kriminalstatistik für NRW zeigt, dass Straftaten mit Cannabisprodukten in allen Deliktbereichen immer noch den höchsten Anteil an der Rauschgiftkriminalität haben. Der THC-Gehalt von Cannabis schwankt, und dies bedeutet zusätzliche Risiken für die Konsumenten.

Auch der Einsatz von Cannabis als Medikament ist nicht unumstritten. Studien zeigen zwar eine positive Wirkung bei der Therapie unterschiedlichster Begleiterkrankungen schwerer Krankheiten, zum Beispiel bei der Überwindung der Appetitlosigkeit bei Aids oder bei der Reduzierung des Erbrechens bei Chemotherapien. Derzeit können Ärzte zwar bei besonders starken Beschwerden Dronabinol, ein synthetisch hergestelltes Cannabisprodukt, verschreiben. Die Krankenkassen sind aber nicht verpflichtet, die Behandlungskosten zu übernehmen, weil das Medikament in Deutschland nicht zugelassen ist. Sie sprechen das Thema in Ihrem Antrag zwar an, leiten daraus aber keine Forderungen ab.

Ziel einer wirkungsvollen und langfristigen Drogen- und Suchtpolitik in Nordrhein-Westfalen muss es sein, den Verzicht auf illegale Drogen zu fördern. Nach den Vorstellungen der FDP-Landtagsfraktion soll dieses Ziel durch Prävention, Beratung, konkrete Hilfen und niedrigschwellige, passgenaue Ausstiegs- und Behandlungsangebote erreicht werden.

Im vergangenen Jahr trat, wie schon gesagt, in Nordrhein-Westfalen ein völlig überflüssiges und überzogenes Nichtraucherschutzgesetz in Kraft. Jetzt diskutieren wir in diesem Haus über die Freigabe von Cannabis. Ich wundere mich und bin gespannt auf die Beratungen im Ausschuss. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Kutschaty das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Piraten, Sie werden vielleicht erstaunt sein, dass ich mich sogar darüber gefreut habe, dass Sie das Thema „Drogenpolitik“ für sich entdeckt haben. Das war schon vor einigen Tagen in den Zeitungen zu lesen. Umso enttäuschter war ich allerdings, als ich Ihren Antrag für die heutige Plenarsitzung gesehen habe.

Seien Sie sich sicher: Das Thema „Drogenpolitik“ ist nicht nur ein gesundheitliches Thema, sondern auch für einen Justizminister von großem Interesse. Es ist eines der wichtigen, großen gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit.

Ich werde auch nicht müde, immer wieder zu betonen: Auch im Strafvollzug ist das ein ganz großes Problem. Fast jeder zweite Gefangene in NordrheinWestfalen ist drogenabhängig oder hat zumindest einen Drogenhintergrund. Schon fast jeder zehnte Gefangene in nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalten wird substituiert.

Sie sehen also, wir beschäftigen uns sehr intensiv mit der Frage, auch damit, wie wir die Menschen dazu bringen können, zukünftig ein straf-, vor allem aber auch ein drogenfreies Leben zu führen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion, ich glaube, genau diese intensive Beschäftigung ist es, was Ihnen bei Ihrem Antrag gefehlt hat. Ich glaube auch, das Thema ist zu komplex, um hier mit pauschalen Unterstellungen seitens Piratenfraktion gegenüber der Landesregierung zu arbeiten.

Sie unterstellen uns, der Landesregierung, wir würden eine Politik machen, die rein auf Verbote und Strafverfolgung konzentriert ist. – Genau das ist schlichtweg falsch. Sie hätten sich, statt diesen Antrag zu schreiben, besser die Mühe machen sollen, einen Blick in das „Landeskonzept gegen Sucht Nordrhein-Westfalen“ zu werfen, das auch im Internet auf der Seite des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter leicht zu finden ist. Dann hätten Sie bemerkt, dass Ihr Vorwurf noch nicht einmal im Ansatz zutreffend ist.

Mit diesem Engagement ist die Landesregierung, allen voran Frau Kollegin Steffens, zweifellos bundesweit führend, was dieses Thema anbelangt; denn oberstes Ziel der Regierung in NordrheinWestfalen ist es, Maßnahmen der Prävention und der Hilfe in den Vordergrund zu stellen und nicht die Strafverfolgung.

(Beifall von Dagmar Hanses [GRÜNE])

Sofern Strafen ausgesprochen werden, richten diese sich vorrangig gegen den Handel mit illegalen Suchtmitteln. Auch hierbei wird dem Grundsatz „Hilfe und Therapie statt Strafe“ Rechnung getragen. Diese Schwerpunktsetzung halte ich auch für sehr angemessen.

Hier weiß ich Sie durchaus an unserer Seite, denn Sie schreiben in Ihrem Antrag ausdrücklich, dass es notwendig sei, differenzierte Lösungsansätze, insbesondere durch das Präventionsprinzip geleitet, zu wählen und zu erarbeiten. Aber leider schließen Sie diese differenzierten Lösungsansätze in Ihrem Antrag schon aus und fordern stattdessen die pauschalste aller Lösungen, die man sich überhaupt vorstellen kann, nämlich die vollständige Legalisierung von Cannabis. Sie halten weiter fest – ich darf aus Ihrem Antrag zitieren –:

„Die Ursachen für die Drogenabhängigkeit sind so vielfältig wie die potentiell Gefährdeten selbst.“

Sie erkennen also selbst die Gefährdung der Menschen durch Drogen und schlussfolgern daraus, dass die vollständige Legalisierung von Cannabis die Lösung all dieser Probleme sei. Diese Behauptung ist falsch. Wer meint, dass man einer Gefährdung durch Drogen durch die Erweiterung des Angebots entgegenwirken könnte, glaubt auch, dass man Übergewichtigen Schokoladenriegel geben muss, damit sie an Gewicht verlieren.

(Zuruf von Dagmar Hanses [GRÜNE])

Auch gibt es weltweit keinen Trend zur Legalisierung von Cannabis. Sie sprechen andere Länder an. Wir haben allein 180 Staaten auf der Welt, die den Besitz von und den Handel mit Drogen unter Strafe stellen. Sie haben hier gerade zwei Staaten erwähnt: Nur weil andere Staaten in diese Richtung gehen, muss das noch kein richtiger Weg sein. Ich bin insofern fast schon etwas irritiert; denn nicht alles, was aus den USA kommt, findet unbedingt Ihre Zustimmung. Dass Sie sich darauf berufen, erstaunt schon sehr.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Ein Grund mehr, um darüber nachzudenken!)

Wir können nicht ignorieren, dass die Suchtmediziner vor dem erheblichen gesundheitlichen Gefahrenpotenzial warnen, das ein regelmäßiger Cannabiskonsum insbesondere für junge Menschen bringt. Bei einem regelmäßigen Konsum sei mit Folgen wie Kontrollverlust und Beeinträchtigung der kognitiven und motorischen Fähigkeiten zu rechnen, Folgen, die sich sowohl am Arbeitsplatz als auch bei der Teilnahme am Straßenverkehr verheerend auswirken können. Ebenso wird von einem erhöhten Risiko der Entwicklung von Psychosen gewarnt.

Ich bin deswegen der festen Überzeugung, dass der von uns gewählte Weg, in erster Linie präventiv tätig zu werden, tatsächlich der richtige ist.

Unerlässlich erscheint mir allerdings aus meiner Perspektive eine Strafverfolgung dort, wo nicht Konsum und Abhängigkeit im Vordergrund stehen, sondern wo mit Cannabis Handel getrieben wird, wo also andere, insbesondere junge Menschen, zum Drogenmissbrauch verleitet werden und die eigen

nützige, illegale Gewinnmaximierung auf Kosten der Gesundheit Dritter im Mittelpunkt steht.

Deswegen brauchen wir neben einem präventionsorientierten drogen- und suchtpolitischen Gesamtkonzept flankierend weiterhin repressive Maßnahmen. Aber das können wir insgesamt noch in den verschiedenen Fachausschüssen in den nächsten Wochen und Monaten diskutieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Pe- ter Biesenbach [CDU])

Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich noch einmal Frau Kollegin Hanses zu Wort gemeldet. Bitte sehr.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich empfehle in der Diskussion um Sucht und Drogen und den strafrechtlichen Umgang damit einen klaren Kopf. Weder die reine, ideologisch begründete Forderung nach Repression und Strafe, wie wir sie seit Jahrzehnten von der CDU kennen, hilft da weiter noch hilft eine verklärte Verharmlosung, wie sie im Piratenantrag anklingt, Suchterkrankten.

Liebe Piraten, Sie bleiben leider in der Beliebigkeit, denn in Ihrem Antrag sprechen Sie von 30 g als Eigenbedarfsgrenze. Jetzt in Ihrer Rede, Herr Lamla, wurden immer wieder neue Zahlen in den Raum geworfen. Das halten wir für nicht besonders konsistent.

Das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1994 wurde angesprochen, das eine einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften fordert. Da sind wir in Nordrhein-Westfalen seit 2011 auf einem guten Weg.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das ging ja schnell!)

Mittlerweile haben sich die Länder sehr weit angeglichen. Wir lagen, als wir die Grammzahl 2011 geändert haben, im Mittel. Viele Länder sind dem gefolgt und sind jetzt bei der 10-g-Grenze für den Eigenbedarf.

Dies gilt jedoch nicht für Jugendliche. Denn Jugendliche sind davon ausgenommen – daran wird der Unterschied deutlich. Das Jugendgerichtsgesetz ist im Gegensatz zum Strafrecht eindeutig von einem Erziehungsauftrag geprägt. Und das ist aus unserer Sicht auch das, was hilft.

Wir haben keine drogen- und suchtfreie Gesellschaft. Wir wollen aber auch keine Gesellschaft, wie Sie sie beschrieben haben.

Ihre Einschätzung unseres Strafrechts und unserer Gesellschaft – Stichwort: Repression –, teilen wir nicht. Wir haben sehr gute präventive Ansätze. Wir

haben ein Landeskonzept „Sucht und Prävention“. Wir brauchen Einzelfallhilfe, Informationen. Ich möchte noch einmal das Projekt FreD – Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten – vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe nennen, das durch Reflexion beim Erstkonsum Jugendlichen hilft, die Haltung zu überdenken. Da kommen wir sicher weiter.

Sie hatten die 122 Rechtsprofessoren in den Fächern Strafrecht und Kriminologie angesprochen. Die Diskussion finden wir in der Tat sehr spannend. Wir finden, Nordrhein-Westfalen nutzt die landesrechtlichen Spielräume sehr gut. Wir sind gut aufgestellt. Die Diskussion gesellschaftlich, politisch und im Bund sollte weiter geführt werden. – Vielen Dank.