Protocol of the Session on February 20, 2014

Ansonsten geht es uns wie dem König aus der Legende. Dem wurde ein Schachspiel geschenkt. Aus Dank sagte er dem weisen Mann, der ihm das geschenkt hatte: Du hast einen Wunsch frei. Und – Überraschung! – der weise Mann wünschte sich nicht Gold oder Edelsteine, sondern nur Weizenkörner. Genauer gesagt, verlangte er ein Weizenkorn auf dem ersten Schachfeld, zwei auf dem zweiten, vier auf dem dritten, acht auf dem vierten usw. – immer das Doppelte auf jedem weiteren Schachfeld. Der König, relativ großzügig, sagte: Alles klar, das machen wir. Er ließ die geforderte Weizenmenge ausrechnen, und es kamen über 18 Trillionen Weizenkörner zusammen, mehr als auf dieser Welt an Ernte zu schaffen ist.

Zum Vergleich: Die Menge an Daten, die im Internet erstellt, vervielfältigt und konsumiert wird, wird 2020 bei etwa 40 Zettabytes liegen, also 10 hoch 21 Bytes.

Wenn die Datenmengen im Netz derart rasant wachsen, sollten wir nicht einem technischen Hochmut erliegen und wahllos alles sammeln. Es muss Archivierungsmodelle geben, die den Datenstrom kanalisieren. Das ist nicht ohne Brisanz. Denn – wie formulierte ein Nutzer meiner Facebook-Seite? –: „Durch Selektion der zukünftigen Geschichtsquellen lässt sich Deutungshoheit über die Gegenwart gewinnen.“

Dennoch darf aber die Nachfrage erlaubt sein, ob alles Publizierte auch wirklich bewahrenswert ist. Ich möchte nicht die Mona Lisa aus dem virtuellen Gedächtnis löschen oder die fotografischen Werke eines Jim Rakete. Doch wird die Frage erlaubt sein, ob alles Zellvlies dieser Welt oder jedes noch so verwechselbare Katzenbild im Netz gespeichert gehört,

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Katzen sind Kul- tur!)

um damit der Nachwelt einen kulturellen Trend zu dokumentieren. Vielleicht reichen auch schon einige Dutzend, mir persönlich würden auch noch weniger reichen.

Herr Kollege.

Denn, und damit möchte ich meine Rede schließen, wie hat es der italienische Diplomat Enrico Cialdini im 19. Jahrhundert formuliert: „Erinnerungen versüßen das Leben, aber nur die Vergesslichkeit macht dies möglich.“ – In

diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ein herzliches Glück auf.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Prof. Dr. Dr. Sternberg.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben gestern schon über Archivierung, über Archive gesprochen. Herr Lamla, wir sind Ihnen dankbar, dass Sie das auf die Tagesordnung gebracht haben – ganz ohne Frage ein wichtiges Thema.

Die kulturpolitischen Sprecher der CDU-Fraktionen der Bundesländer haben vor wenigen Wochen in Marbach eine Resolution zur Sicherung, Digitalisierung und Erhalt des kulturellen Erbes formuliert und veröffentlicht. Dort haben wir auch über den Erhalt von Digitalisaten gesprochen.

Ich möchte allerdings heute besonders auf das Thema der Aufbewahrung und Sicherung der digitalen Stücke eingehen. Das ist eigentlich auch das Spannende an Ihrem Antrag. Denn bei den analogen Stücken haben wir doch mittlerweile sehr viel Erfahrung. Da läuft sehr viel, und unsere Archive leisten da sehr gute Arbeit. Das tun sie auch bei der Digitalisierung. Aber da kommen noch weitere Probleme hinzu.

Damit es auch denen, die sich normalerweise nicht damit beschäftigen, etwas vertrauter wird, wollte ich Sie einmal fragen, ob Sie auch schon vor 20 Jahren einen elektronischen Kalender gebraucht haben. Ich habe das gemacht. Das war übrigens kein OutlookKalender; Outlook kam erst 1997. Versuchen Sie einmal, den Kalender von damals zu öffnen. Ich bin heute heilfroh, dass ich ihn damals Ende des Jahres ausgedruckt habe. Oder nehmen Sie eine Textdatei aus den 80er-Jahren. Vielleicht haben Sie damals sorgfältig die Textdatei auf einer Floppy-Disk zu Ihren Unterlagen gelegt. Versuchen Sie, die FloppyDisk einmal zu öffnen. – Nur das als kleiner Hinweis darauf, wie das bereits bei privaten Dingen ist. Da ist es vielleicht nicht so schlimm.

Aber wie ist das mit der Bewahrung von Erinnerungen in größeren Dimensionen in einer gewaltig beschleunigten Welt? Deshalb noch einmal ein anderes Beispiel, nur zur historischen Erinnerung: Sagt Ihnen der Name BTX noch etwas? Der erste Online-Bildschirmdienst wurde 1983 mit Staatsvertrag in Deutschland eingeführt und hatte eine Lebensdauer bis zur offiziellen Abschaltung am 31.12.2001. Gibt es von diesem Dienst und von den Inhalten irgendetwas, was erhalten wurde und was heute archiviert wäre? Schon das Wort kennt ja kaum noch einer.

Im Internet droht uns Ähnliches, wenn die Politik auf allen Ebenen nicht etwas gründlicher über Möglichkeiten und Finanzierung von dessen Archivierung etwas gründlicher nachdenkt.

Ein paar Hinweise dazu: In Nordrhein-Westfalen ist da auch noch nicht alles geregelt. Da sind eine Menge politischer Fragen. Ich denke, das läuft auf mehreren Stufen ab. Eine erste Stufe sind die relativ unproblematischen Dinge, die es als Zwilling gibt: Bücher zum Beispiel, Bücher analog und digital, Zeitungen mit Online-Varianten. Das kann man alles wunderbar machen. Da braucht man nur einen Verlag mit einer Bibliothek oder mit einem Archiv zu verkoppeln. Dann schicken die ihre Online-Dinge dahin. Dann wird das archiviert – relativ problemlos.

Die zweite Stufe ist schon viel schwieriger. Da haben wir im Internet Angebote, die geradezu anarchisch wuchern: Wiki-Seiten, Blog-Seiten, wer wählt da wie aus, was wird archiviert, und wo wird es archiviert? Da wird es schon viel, viel schwieriger. Übrigens, wer das macht, ist ziemlich klar: Das machen Archivare, denn Archivare – das muss man auch lernen – sind nicht Leute, die Dinge nur bewahren, sondern Leute, die Dinge wegwerfen können. Archivare werfen weg. Ich würde mich überhaupt nicht dafür eignen.

Dann gibt es noch eine dritte Stufe des Problems. Das ist die Frage, ob man nicht ganz generell einen Schnitt durch den gesamten Internetbereich und eine Gesamtsammlung machen müsste. Wie das gehen soll und wer das machen sollte, ist völlig offen.

Diese Fragen gelten aber auch für Rundfunk und Fernsehen. Wie werden die Archive im Rundfunk gesichert? Wie ist es da mit der Relevanz von Angeboten, die nach gegenwärtiger Rechtslage nach sieben Tagen aus dem Netz genommen werden müssen? Wäre nicht das Gegenteil genau richtig, nämlich dass man sie dauerhaft und über Jahre zugänglich hielte,

(Beifall von den PIRATEN – Lukas Lamla [PIRATEN]: Korrekt!)

auch einen erlaubten dauerhaften Zugriff ermöglichte? Denn Archivierung ist ja eine öffentliche Aufgabe. Aber – jetzt geht es los – dann kommen die Probleme mit dem Urheberrecht. Wie bei vielen Inhalten ist es so, dass Sie zwar privat abspeichern dürfen, aber eine Institution darf keineswegs alles abspeichern. Die müssen im Grunde jedes Mal eine Urheberrechtseinwilligung haben, damit sie die Inhalte abspeichern können.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Ist das nicht absurd?)

Ein Riesenproblem für Archive oder Einrichtungen in der Abspeicherung digitaler Erzeugnisse! Da werden wir auch im Urheberrecht etwas machen müssen.

Meine Damen und Herren, die Piraten fordern in ihrem Antrag, dass wir den Berliner Appell unterzeichnen. Moment! Sie wollen, dass die Landesregierung den Appell unterzeichnet. Ich habe mich gefragt: Warum eigentlich nicht der Landtag? Der Landtag könnte das ja auch tun. Denn ich denke, dieser Berliner Appell ist vernünftig, er ist richtig. Er hat eine sehr vernünftige Aussage und ist von einer stattlichen Anzahl sehr kompetenter Leute und wichtiger Einrichtungen unterzeichnet. Der Appell ist aller Ehren wert.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Wir können ja ei- nen Entschließungsantrag machen!)

Sie haben in Ihrem Antrag recht: Die Ebenen der Zuständigkeiten müssen sauber geschieden werden. Das Land sollte das tun, was Aufgabe des Landes ist. Und da Archivierung und Kulturgüterschutz unsere Sache ist, sind wir auch betroffen. Und im Urheberrecht sollten wir Anregungen geben und auch über den Bundesrat mitarbeiten.

Warum wir uns allerdings – da bin ich bei einer Frage zu Ihrem Antrag –, wie Ihre Ziffer III.6 sagt, nicht auch an den Kosten beteiligen sollten, ist mir schleierhaft geblieben. Denn ganz ohne eine finanzielle Wahrnehmung unserer Kompetenzen wird es nicht gehen. Aber da reden wir ja über kleines Geld. Die Summen für Denkmalschutz, für Archivierung, für Kulturgüterschutz, für Kultur insgesamt sind so niedrig, dass sie zwar kaum etatrelevant sind, aber gerne für die Schuldenbremse ins Feld geführt werden. Übrigens hat damals bei den …

Herr Kollege.

… Beratungen zum Pflichtexemplargesetz Vizepräsident Oliver Keymis gesagt – Zitat, damit möchte ich schließen -:

Die technische Entwicklung wird uns natürlich immer neu herausfordern. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das in Zukunft im Rahmen der weiteren Entwicklungen immer mit weiteren Kosten verbunden sein wird. Da müssen wir realistisch und ehrlich sein.

Ich denke, so ehrlich sollten wir sein. Wir stimmen dem Antrag zu.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Sternberg. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Abgeordnete Oliver Keymis.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielen Dank, Herr Kollege Sternberg, für das Zitat. Es stimmt so, wie ich das gesagt habe; zu dem stehe ich auch. Aber den

Schluss, den Sie daraus ziehen, dass man dem Antrag gleich zustimmen muss, den kann ich daraus nicht ableiten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich hatte angenommen, Sie würden beantragen, den Antrag zu überweisen. – Der Überweisung stimmen wir auch zu. Insofern ist das geklärt. Wir wollen uns zunächst schon darüber unterhalten, worum es da geht. Ich habe mit großem Interesse die vielen guten Worte gelesen, die drinstehen. Aber es ist ein Problem, wenn wir in den Forderungskatalog eintreten. Da muss man dann so ehrlich sein und das auch aussprechen.

Wenn ich lese, was der Landtag unter II. beschließen soll, was wir jetzt alles machen müssen – „bekennt sich zu seiner politischen Verantwortung“, „verlässliche Zusammenarbeit“, „Bewahrung sowohl des analogen als auch und insbesondere des digitalen kulturellen Erbes“, die „aktuellen technischen Möglichkeiten“ nutzen, die Chancen, die es gibt, gilt es „zu unterstützen und auszubauen“, und dann sind auch noch „in finanzieller Hinsicht … große Herausforderungen“ irgendwie zu bewältigen –,

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Klingt gut, machen wir so!)

dann sind das schon ziemliche Wunschträume. So ehrlich müssen wir sein, vor allem wenn wir im Hohen Haus an anderen Stellen immer darüber diskutieren, was wir alles zu sparen haben. Dann ist das natürlich eine enorme Herausforderung, rein finanzieller Natur.

Dessen sind wir uns bewusst. Da ist übrigens das Digitale Archiv NRW, eben schon erwähnt, ein Pilotprojekt, das uns in kleinen Zügen deutlich macht, was da auf uns zurollt. Ich bin allerdings, wie der Kollege das eben sagte, der Meinung, dass die Frage, ob man wirklich alles aufbewahren muss, eine ist, die wir uns auch stellen müssen. Man muss eine Auswahl treffen. Das halte ich auch für das entscheidende Problem. Das ist übrigens dann auch etwas, was personalintensiv ist.

Insofern haben Sie mich richtig zitiert, Herr Lamla, als Sie gesagt haben: Sie haben doch damals, als wir Herrn Bischoff, den Präsidenten des Landesarchivs NRW, zu Gast hatten, auch schon darauf hingewiesen, dass es Personal und Leute braucht. – Klar, auch er braucht für sein digitales Projekt mehr Personal, nämlich Leute – das hat Herr Kollege Sternberg auch gesagt –, die dann auswählen, was wirklich archiviert werden kann und muss.

Die technischen Fragen sind geklärt worden. Ich habe übrigens noch nicht raus, wie viele Nullen die Zahl 1021 hat. Aber das bekommen wir noch nachgeliefert.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Fragen Sie Herrn Marsching!)

Nein, heute nicht mehr. Ich habe genug gefragt an der Stelle, aber das können wir uns noch einmal aufschreiben.

Auf jeden Fall ist es eine Herausforderung, der wir uns stellen; das ist richtig.

Ich finde auch, dass der Berliner Appell eine ganze Menge richtiger und wichtiger Forderungen enthält, und es ist schön, wenn sich viele dazu bekennen.

Sie müssten dann aber auch sagen, woher das viele Geld kommt; denn so etwas ist mit sehr viel Aufwand verbunden. Darüber müssen wir uns dann auch ehrlich unterhalten. Wenn wir gemeinsam solche Forderungen auf der Basis Ihres Antrags im Kultur- und Medienausschuss diskutieren wollen, dann müssen wir auch sagen, wer letzten Enes die Rechnung bezahlt. Zu diesem Punkt – da bin ich mir ganz sicher – werden wir noch eine Reihe anstrengender Gespräche zu führen haben, vor allem vor dem Hintergrund dessen, dass der Haushalt insgesamt eng gestrickt ist und der Kulturbereich nicht so üppig ausgestattet ist, dass wir genug Geld hätten, um all diese Forderungen, die Sie hier unter Punkt III definieren, sofort spielend zu erfüllen.

Wir werden der Überweisung zustimmen. Wir werden uns dieser kritischen Diskussion, die es dazu zu führen gilt, gerne stellen. Ob man dafür wieder eine Anhörung durchführen muss, weiß ich nicht. Womöglich kann man es auch im Rahmen eines Fachgesprächs behandeln, zu dem wir die zuständigen Expertinnen und Experten einladen. Schließlich führen wir schon eine Vielzahl an Anhörungen durch, und auf Dauer stellt sich dann vielleicht die Frage, ob uns die Expertinnen und Experten, die wir dauernd einladen, noch ernst nehmen, zumal nicht immer das herauskommt, was wir uns und was sich auch die Expertinnen und Experten wünschen. Ich habe schon Ermüdungserscheinungen vernommen, und deswegen warne ich davor, bei jedem Antrag mit einer Anhörung zu operieren. Aber ein Fachgespräch unter Beteiligung des Landesarchivs NRW und des Digitalen Archivs NRW fände ich sinnvoll.