Protocol of the Session on January 30, 2014

(Beifall von der FDP, der CDU und Oliver Bayer [PIRATEN])

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Als nächster Rednerin erteile ich für die Piratenfraktion Frau Kollegin Pieper das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich freue mich ausdrücklich über den gemeinsamen Antrag. Zum einen freue ich mich darüber, dass der Punkt „Berichtspflicht der Landesregierung gegenüber dem Landtag“ aufgenommen wurde. Zum anderen freue ich mich besonders darüber, dass der Antrag zeigt: Hier ist sachliche und konstruktive Zusammenarbeit möglich.

Ich will jetzt auch nicht wiederholen, was die Kolleginnen bereits vorgetragen haben.

(Eva Voigt-Küppers [SPD]: Danke!)

Wir alle wissen: Papier ist geduldig. All das liest sich prima, aber jetzt muss auch die qualitative und quantitative Umsetzung gewährleistet werden. Da sehe ich – das wurde gerade schon erwähnt – immer noch mindestens zwei Knackpunkte.

Erstens: die Erreichbarkeit der betroffenen Erwachsenen. Hier sehe ich noch kein schlüssiges Konzept, wie man die Betroffenen tatsächlich erreicht und für die Maßnahmen gewinnt. Letztendlich wird es Aufgabe der Kindergärten, Schulen, Jugendämter und anderer Stellen werden, möglichst direkt auf die Betroffenen zuzugehen und durch persönlichen Kontakt zu einer Maßnahme zu motivieren. Ich möchte mit Nachdruck auf die Notwendigkeit einer Öffentlichkeitsarbeit hinweisen, die auch die internetbasierten sozialen Netzwerke einbezieht. Das wurde in dem Maßnahmenkatalog der nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener in Deutschland längst länderübergreifend vereinbart.

Da müssen wir auch die aktuelle Entwicklung genau im Auge behalten und zeitnah handeln, anstatt bloß zu reagieren. Im Moment ist sicherlich auch die Zuwanderung aus den osteuropäischen Ländern für das Thema „Grundbildung und Alphabetisierung“ eine Herausforderung. Für diese Menschen müssen jetzt Angebote geschaffen werden, die Integration fördern und beschleunigen. Dabei muss man sich sinnvollerweise der Unterstützung von Menschen mit Einwanderungsgeschichte bedienen, die erfahrungsgemäß eher Vertrauen bei den eigenen Landsleuten gewinnen können.

Der zweite Knackpunkt – das wurde auch gerade schon angesprochen – ist wie immer die finanzielle Ausstattung der Träger und Projekte. Der Förderbereich Grundbildung und Alphabetisierung durch ESF-Mittel muss tatsächlich ausgebaut werden. Das muss dann aber auch im Landeshaushalt als Priorität deutlich abgebildet werden. Darauf werden wir sehr genau schauen.

Jetzt müssen die Taten folgen. Ich freue mich – und das stimmt mich optimistisch –, dass der Volkshochschulverband im nächsten Monat das Netzwerk Alphabetisierung offiziell gründet und so als Koordinierungsstelle alle Akteure an einen Tisch holt. Wir werden gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen müssen, um nachweisbare Erfolge zu erzielen. Das wird keine kurzfristige Erfolgsstory, das wird ein langer und mühsamer Weg, bei dem uns Aktionismus nicht weiterhilft, sondern nur sehr, sehr viel Geduld und Durchhaltevermögen. Dabei sollten wir alle Akteure vor Ort ermutigen und unterstützen und als Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung stehen.

Ich will das gerne für meine Fraktion übernehmen und wünsche uns für die gemeinsame Arbeit und Zusammenarbeit Erfolg – Erfolg für die Betroffenen, Erfolg für eine verbesserte Teilhabe an unserer Gesellschaft. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Manchmal ist die Zeit offensichtlich reif für einen neuen Anlauf und für einen neuen Schub. Ich glaube, dass dieser Zeitpunkt da ist, weil die Gesellschaft bereit ist, das Tabu, dass Menschen nicht lesen und schreiben können, anzunehmen und sich damit auseinandersetzen. Hier haben wir eine große Chance. Dafür ist es natürlich hilfreich, wenn das Parlament insgesamt zusammensteht, sich der Herausforderung stellen und die Landesregierung dabei unterstützen will, diesen Weg zu gehen. Deswegen freue ich mich über den gemeinsamen Antrag, ein breites Bündnis gegen Analphabetismus in Nordrhein-Westfalen anzugehen.

Wir wollen und müssen das Thema aus der Nische holen. Das ist ein Stück weit mit der auch von den Ländern getragenen Nationalen Strategie gelungen. In Nordrhein-Westfalen wollen wir aber versuchen, auch darüber hinauszugehen. Die Zahl und die Studien sind genannt: 14,5 % der erwerbstätigen Bevölkerung in Deutschland können nicht ausreichend lesen und schreiben.

Interessant ist – das glaubt man ja nicht –, dass über 50 % der Betroffenen trotzdem berufstätig sind. Das heißt, sie verfügen über Kompetenzen. Wenn wir es schaffen würden, in der Alphabetisierung und der Grundbildung voranzukommen, dann würden wir es auch schaffen, die Potenziale der Menschen viel stärker zu heben. Ihre Potenziale zu heben, um die Menschen selbst, sie aber auch für die Gesellschaft und die Arbeitswelt besser voranzubringen, ist bei diesem Thema unheimlich wichtig und liegt erfreulicherweise allen am Herzen.

(Beifall von den GRÜNEN und Regina Kopp- Herr [SPD])

Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, den Frau Pieper ganz zum Schluss genannt hat. Wir haben Studien zum Thema „Gespaltene Demokratie“. Das heißt, wer nicht hinreichend lesen und schreiben kann, der beteiligt sich weniger an unserer Gesellschaft, der nimmt nicht teil und gestaltet die Gesellschaft nicht mit. Dieses Thema hat also auch mit der Spaltung der Gesellschaft zu tun.

Insofern: Wir brauchen eine breite Allianz, die alle beteiligten Akteure aus allen Politikfeldern einbezieht. Das ist keine leichte Aufgabe. Sie kann auch nicht allein von der Weiterbildung gestemmt werden; das will ich ausdrücklich dazusagen. Dafür brauchen wir die gesamte Gesellschaft.

Das Land fördert ein landesweites Netzwerk des Landesverbandes der Volkshochschulen, das allen Einrichtungen offensteht und an dem sich möglichst viele beteiligen sollen. Ich weiß, wer in diesem schwierigen Feld erfolgreich sein will, der braucht Geduld, Beharrlichkeit und Ausdauer. Das ist nichts nur für ein Jahr, sondern es ist eine längerfristige Aufgabe. Wir müssen unsere Anstrengungen mittel- und langfristig verstärken. Das heißt, wir wollen stärker sensibilisieren und ein gemeinsames öffentliches Bewusstsein schaffen. Deshalb habe ich die Schirmherrschaft über das vom Land geförderte Netzwerk für NRW sehr gerne übernommen.

Mir ist allerdings wichtig, dass es daneben auch regionale Bündnisse gibt. Hierfür bieten sich die regionalen Bildungsnetzwerke an. Die haben auch ihre Bereitschaft erklärt; das ist ja Thema in der Weiterbildungskonferenz des Landtags gewesen.

Ich appelliere auch an Sie, meine Damen und Herren Abgeordnete: Machen Sie mit, beteiligen Sie sich! Erkundigen Sie sich vor Ort in Ihren Wahlkreisen, was da ansteht, und geben Sie dem gesamten Anliegen zusätzliche Impulse! Ihr Engagement ermutigt die Handelnden und führt auch zu der auf der regionalen und lokalen Ebene notwendigen Unterstützung.

Immer mehr Partner schließen sich der nationalen Strategie von Bund und Ländern an. Trotzdem wissen wir alle, dass andere diesem breiten Bündnis abwartend gegenüberstehen.

Ich würde mich deshalb freuen, wenn wir uns gemeinsam stärker um die Wirtschaft als Partner in einem gemeinsamen Grundbildungspakt bemühen und gezielt Stiftungen ansprechen würden. Das war Thema in dem von mir einberufenen Weiterbildungsbeirat, wo die Wirtschaft und viele andere Akteure mit am Tisch sitzen. Erfreulicherweise ist dort sehr konstruktiv aufgenommen worden, dass die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen mit im Boot ist, weil sie aus Sicht der Fachkräftesicherung ein Interesse hat.

Ich werde außerdem das Problem des Analphabetismus im Bereich des Übergangs Schule – Beruf und in der Lehrerbildung gerne aufgreifen. Auch dort hoffe ich auf Ihre Unterstützung.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns hier und vor Ort gemeinsam daran arbeiten, dass die Menschen in unserem Land die Chance haben, durch Grundbildung beruflich, privat und gesellschaftlich teilzuhaben. Es loht sich für die Menschen und für unser Land. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir treten in die Abstimmung ein. Die fünf antragstellenden Fraktionen haben direkte Abstimmung beantragt. Zu dieser direkten Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/4817 kommen wir nun. Wer dem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen des Hohen Hauses zustimmen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit darf ich feststellen, dass der Antrag Drucksache 16/4817 mit den Stimmen aller Fraktionen des Landtags Nordrhein-Westfalen einstimmig angenommen ist. – Herzlichen Dank.

Ich rufe auf:

4 Für eine echte Willkommenskultur in NRW:

Der nordrhein-westfälische Landtag bekennt sich zur uneingeschränkten Personen- und Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union!

Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/4812

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/4897

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Piratenfraktion Frau Kollegin Brand das Wort, die schon vorne steht und jetzt das Wort erhält. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Wir schreiben das Jahr 2014, Januar. Dieser Januar ging direkt gut los: Am 2. Januar war aus dem dunklen Bayern Ministerpräsident Seehofer zu hören, wie er mit den Ängsten der Menschen spielt und von fortgesetztem Missbrauch der europäischen Freizügigkeit durch Armutseinwanderung spricht.

Kurze Zeit später in diesem Januar wird „Sozialtourismus“ zum Unwort des Jahres. Und noch ein wenig später mussten wir hören, dass es Dienst nach Vorschrift ist, wenn traumatisierte, hilflose Flüchtlinge in einem fremden Land, dessen Sprache sie nicht sprechen, einfach in einen Zug gesetzt werden.

Wir leben in einer Zeit, in der die negative Einstellung bezüglich der Migration – gerade aus Südost

europa – in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Es sind nicht nur diese Nazi-Idioten und AfDTrolle, von denen man so etwas hört. Nein, erst kürzlich habe ich von einem Arzt, also einem Akademiker, hören müssen: Diese Leute, die da kommen, die Rumänen und Bulgaren, die sind doch zu dumm, um hier jemals eine gescheite Arbeit zu machen. Die sind sowieso nur da, um im Sozialsystem abzukassieren.

Und das alles im Januar 2014, ausgerechnet in dem Monat, wo die Arbeitnehmerfreizügigkeit endlich auch für die Migranten aus Rumänien und Bulgarien gilt. Endlich dürfen diese Menschen jede mögliche Arbeit annehmen, nicht Schwarzarbeit und Selbstständigkeit, sondern jede Arbeit. Dann fallen sie eben nicht den Sozialsystemen zur Last, sondern zahlen in die Sozialsysteme ein.

Im Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist die Freizügigkeit verankert. Über geltendes Recht brauchen wir uns hier jetzt also überhaupt nicht zu unterhalten. Das heißt aber in der Konsequenz: Wir brauchen eine Willkommenskultur und ein klares Bekenntnis zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, gerade auch von den Politikern.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Das haben im Januar 2014 einige erkannt, einige leider nicht. Wir brauchen Signale für die Gesellschaft, die gehört werden – von denen, die gehört werden.

Wir haben zum Beispiel ein historisches Ereignis, nämlich eine gemeinsame Erklärung von DGB und BDA zur Freizügigkeit in Europa. Wir haben den frischgebackenen Staatssekretär Klute, der vor einem Rückfall in ideologische Grabenkämpfe warnt. Und selbst Außenminister Steinmeier sagt: Wer die freie Arbeitnehmerfreizügigkeit infrage stellt, schadet Europa und schadet Deutschland. Das sind starke und wichtige Signale.

Und der NRW-Landtag in seinem ersten Plenum in diesem Januar 2014? – Wo sind denn Ihre Anträge zu diesem Thema? Ich habe bis zum AntragsDienstag keinen gesehen. Das Thema scheint Ihnen ja in diesem Monat nicht so wichtig zu sein.

Wir haben die Zeichen der Zeit erkannt und einen Antrag eingereicht. Und plötzlich werden Sie wach: Piratenantrag – mmh, doof! Was machen wir denn jetzt? – Super, wir machen einfach einen Entschließungsantrag. Dann können wir den Piratenantrag nämlich beerdigen und haben plötzlich etwas in diesem Januar auf dem Schirm. – So wird in diesem verschnupften System Politik gemacht.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich kann mir gleich wieder anhören: Ihr Antrag greift zu kurz, geht nicht weit genug. Wir haben das viel

schöner gemacht; wir haben unsere Referenten richtig fleißig arbeiten lassen.

Was dabei herausgekommen ist, ist ein Antrag zur strukturellen Willkommenskultur. Dort findet man alles Mögliche, zum Beispiel das Wohnungsaufsichtsgesetz, wo welche Gelder fließen usw. Aber das, worum es in unserem Antrag geht, haben Sie offensichtlich nicht wirklich verstanden.

Frau Velte, liebe Jutta, du kritisierst zu Recht, dass es nicht richtig ist, dass die Stadtstaaten die Menschen nach gut und schlecht gebildet aussortieren. Das war Thema im Ausschuss im letzten Sommer.