Protocol of the Session on October 16, 2013

Wir haben heute über das schlechte Abschneiden der Schüler in NRW im Vergleich zu denen aus anderen Bundesländern geredet. Wir haben über Inklusion gesprochen. Jetzt sprechen wir hier über Analphabetismus. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir diese Themen im Kontext betrachten. Sie ergänzen und bedingen einander. Der Bildungssektor ist, besonders was die frühkindliche Bildung betrifft, strukturell unterfinanziert. Solange sich daran nichts ändert, werden wir bei aller Anstrengung nur punktuell Erfolg haben, aber substanziell nicht viel verbessern können.

Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. Ich hoffe, dass wir dort vielleicht gemeinsam zu einem guten Ergebnis kommen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lesen und Schreiben sind die wichtigsten Voraussetzungen für gesellschaftliche Teilhabe und für ein persönlich wie beruflich selbstbestimmtes Leben. Auch die eben erst veröffentlichten Ergebnisse der OECD-Studie zu Fähigkeiten und Fertigkeiten Erwachsener haben dies wieder gezeigt.

Seit der Veröffentlichung der Level-One Studie wissen wir jedoch, dass Analphabetismus auch in der Mitte unserer Gesellschaft auftritt. Über 7,5 Millionen Menschen in Deutschland sind von funktionalem Analphabetismus betroffen. Das dürfen und wollen wir nicht länger hinnehmen. Mit der von Bund und Ländern gemeinsam getragenen nationalen Strategie für Alphabetisierung soll die Grundbildung Erwachsener entscheidend verbessert werden. Das kann uns gelingen, wenn wir alle zusammenarbeiten.

Die PIAAC-Ergebnisse zeigen nämlich auch, die von der Kultusministerkonferenz nach PISA 2000 ergriffenen Maßnahmen greifen: Die Jüngeren lesen nämlich besser als die Älteren. Auch NordrheinWestfalen trägt seinen Teil zum Gelingen der nationalen Strategie bei. Ich erinnere an die verbesserte Landesförderung nach dem Weiterbildungsgesetz und an die zusätzlichen Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds.

Die Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sieht vor – ich zitiere –, „die Weiterbildungsbeteiligung insbesondere für Bildungsbenachteiligte durch gezielte Angebote zur Alphabetisierung und Grundbildung zu erhöhen“. Dieses Ziel greifen die von der Weiterbildungskonferenz 2012 verabredeten Ziele und Empfehlungen der gemeinwohlorientierten Weiterbildung auf, und es werden Vorschläge gemacht, wie Alphabetisierung und Grundbildung bis hin zum Nachholen eines Schulabschlusses weiterentwickelt werden können.

Meine Damen und Herren, es wurde schon gesagt, aber auch ich finde die Zahl erschreckend und möchte sie noch einmal nennen: 14,5 % der erwerbstätigen Bevölkerung können nicht ausreichend lesen und schreiben. Auch wenn für Nordrhein-Westfalen keine eigenen Untersuchungen vorliegen, so zeigen diese Zahlen doch eines ganz deutlich: Das ist keine Aufgabe, die von der Weiterbildung allein bewältigt werden kann.

Wenn wir das Problem wirksam und erfolgreich angehen wollen, brauchen wir möglichst viele Partner: ein Bündnis, das alle gesellschaftlichen Akteure, die Kommunen, die Wirtschaft und die Gewerkschaften, die Weiterbildungsverbände, die Kirchen und weite

re zivilgesellschaftliche Akteure einbindet. Ich weiß aus meinen Gesprächen, dass in einigen Regionen unseres Landes erste lokale Bündnisse geschmiedet werden. Ich würde mich freuen, wenn es in möglichst vielen Regionen unseres Landes zu weiteren Bündnissen für Alphabetisierung und Grundbildung kommt.

Menschen, die nicht ausreichend lesen und schreiben können, sind in ihren sozialen, beruflichen, ökonomischen und kulturellen Teilhabemöglichkeiten massiv eingeschränkt. Viele für uns selbstverständliche Handlungen bedeuten für sie eine große Anstrengung und Überwindung. Erschwerend

kommt hinzu, dass das alltägliche Leben häufig von Scham und Vermeidungsstrategien, damit es niemand merkt, geprägt ist. Deshalb ist die Niedrigschwelligkeit von Angeboten ein ungeheuer wichtiger Punkt in dieser Frage.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sie ist aber nicht ohne Weiteres zu erreichen. Das ist die zentrale Frage bei dieser Herausforderung. Wir müssen daher dort, wo Menschen leben und arbeiten, sensibilisieren und vor Ort gemeinsam Initiativen entwickeln, die die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Umfeld, ob in der Schule, am Arbeitsplatz oder in der Freizeit, ansprechen und sie ermutigen, ausreichend lesen und schreiben zu lernen. Wir fördern in diesem und vorbehaltlich der Zustimmung des Haushaltsgesetzgebers auch in den nächsten beiden Jahren ein Projekt des Landesverbandes der Volkshochschulen, das genau in diese Richtung geht und eben diese Niedrigschwelligkeit beinhaltet.

Meine Damen und Herren, ich will bei dieser Gelegenheit gerne mitteilen, dass mich der Landesverband der Volkshochschulen angeschrieben und mir die Schirmherrschaft über das Thema „Netzwerk Ziel- und Handlungskoordination zum Thema Alphabetisierung“ angeboten hat. Ich habe mich darüber sehr gefreut, weil ich das für ein wichtiges Anliegen halte. Indem ich diese Schirmherrschaft annehme, will ich zum Ausdruck bringen, dass dieses Thema in der Weiterbildung für mich, aber auch für alle anderen eine große Rolle spielen sollte.

Das ist ein symbolischer Akt; er soll die Wichtigkeit zeigen. Ich will aber sehr deutlich machen, dass es damit alleine natürlich nicht getan ist. Eine Sensibilisierung ist wichtig. Weitere Schritte, um das hinzubekommen, müssen folgen. Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich würde mich freuen, wenn wir im Interesse der Menschen in unserem Land bei diesem Thema fraktionsübergreifend an einem Strang ziehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind damit am Schluss der Beratungen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/4152 einschließlich des Entschließungsantrags Drucksache 16/4226 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung – federführend – sowie an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend zur Mitberatung. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

8 Tarifbruch bei Outokumpu beschädigt das

Vertrauen zwischen den Sozialpartnern

Eilantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/4212

Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/4228

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/4229

Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben mit Schreiben vom 14. Oktober 2013 fristgerecht diesen Eilantrag eingebracht.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, als Gäste auf der Zuschauertribüne möchte ich die Betriebsräte der Firma Outokumpu sehr herzlich begrüßen. Ich freue mich, dass Sie an dieser Debatte teilnehmen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich eröffne die Beratung und erteile für die SPDFraktion Herrn Kollegen Eiskirch das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herzlichen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Betriebsräte, die auf Einladung der SPD heute hier der Diskussion folgen können, schon persönlich im Namen des Hohen Hauses begrüßt haben. Auch von mir ganz herzlichen Dank, dass die Möglichkeit besteht, heute hier dabei zu sein.

Es geht zum einen um Outokumpu, um die Menschen, die dort ihren Arbeitsplatz haben. Es geht aber auch um mehr. Es geht um die Frage des Umgangs mit Tarifverträgen in Deutschland, Kolleginnen und Kollegen.

Anfang 2012, als Outokumpu Inoxum, also Nirosta, laut „Handelsblatt“, für einen Wert von 2,7 Milliarden € und einer Barleistung von 1 Milliarde € gekauft hat, waren die Marktbedingungen nicht groß anders als heute. Auch damals gab es schon Überkapazitäten auf dem Edelstahlmarkt, und man wusste, auf was man sich einlässt. Man hat damals geglaubt, ein Verhandlungsergebnis erreichen zu können, was unter dem lag, was abgeschlossen wurde, und hat deswegen hinterher mehr bezahlen müssen, weil IG Metall und ThyssenKrupp verlässliche Partner in den Diskussionen und den Verkaufsverhandlungen waren.

Deswegen gibt es einen Tarifvertrag, in dem ganz viele Sachverhalte gemeinsam festgehalten sind. Da geht es um die Frage von Verlagerungen von Benrath nach Krefeld, um das Investitionsvolumen in Krefeld in Forschung und Entwicklung, und es geht darum, dass der Standort in Bochum bis Ende 2016 sicher ist und im Jahre 2015 eine Wirtschaftlichkeitsüberprüfung stattfinden soll, um gegebenenfalls auch über 2016 hinaus an diesem Standort hochqualitative Edelstähle zu produzieren.

Im Juni dieses Jahres war das noch klar – und auch noch einen Tag vor dem 1. Oktober, nämlich am 30. September. Aber mit dem 1. Oktober war die Welt anders, und die Firma Outokumpu hat kundgetan: Das Edelstahlwerk in Bochum muss nicht, wie bisher geplant, Ende 2016 geschlossen werden, sondern bereits im Laufe des kommenden Jahres. Punkt.

Diese Aussage untergräbt natürlich das Vertrauen in Tarifverträge in Deutschland, wenn es nicht darum geht, zu sagen: „Liebe Leute, wir haben ein Problem, lasst uns an einen Tisch kommen“, sondern ein Vertragspartner schlicht und ergreifend sagt: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“

Heute, im Vorfeld dieser Debatte, hat einige von uns ein Brief von Outokumpu erreicht, in dem steht:

Wir möchten darauf aufmerksam machen, dass Outokumpu in den vergangenen Tagen gegenüber der IG Metall mehrmals klargestellt hat, dass Outokumpu nicht an einem Bruch des Tarifvertrags gelegen ist. Ein solcher Schritt ist bislang auch nicht erfolgt.

Das ist aber keine Abkehr davon, sondern eine erneute Bestätigung, dass man es nicht so ernst mit Tarifverträgen nimmt, wie wir das in Deutschland gewohnt sind und auch erwarten können. Deswegen ist das, was hier vorliegt, zum einen ein freigelegter Blick auf das wirkliche Wollen des Unternehmens, aber zum Zweiten auch ein Angriff auf die soziale Marktwirtschaft in Deutschland, in der sich alle darauf verlassen können und verlassen sollen, dass ein Tarifvertrag Bestand hat und nur gemeinsam verändert werden kann, aber nicht von einer Seite für obsolet erklärt werden kann.

(Beifall von der SPD)

Man muss sehen, was die Beschäftigten dort mitmachen. Das gilt sowohl für das Werk in Bochum, wo es plötzlich heißt: Deine Lebensplanung, die darauf ausgerichtet und auch mit ThyssenKrupp besprochen war, die auch als starker Stakeholder nach wie vor in der Verantwortung stehen, soll über den Haufen geworfen werden. Das gilt auch, wenn die Kolleginnen und Kollegen in Krefeld nicht nur eine Mengenreduktion der Edelstahlproduktion in Kauf nehmen sollen, sondern auch Veränderungen bei den Investitionen. Dann kann man sich das Morgen und Übermorgen eben auch ansehen. Deswegen ist es wichtig, dass all diese Punkte auch zwischen den Tarifvertragsparteien besprochen und nicht von einer Seite aufgekündigt werden.

Im Tarifvertrag war auch die Frage der Pflege von Marken besprochen, von Nirosta beispielsweise, der Marke, die den Qualitätsanspruch schlechthin im Edelstahlbereich verkörpert. Seit Outokumpu das übernommen hat, wird diese Marke nicht gepflegt, sondern sie wird versteckt, Kolleginnen und Kollegen. Das ist kein gutes Signal, wenn man diese Arbeitsplätze auf Dauer erhalten möchte.

Wir haben diesen Eilantrag heute gestellt, um deutlich zu machen: Die Gesellschaft muss damit umgehen, wenn ein Partner glaubt, Tarifverträge aufs Spiel setzen zu können und damit das Vertrauen von Belegschaften, die vielleicht an anderen Standorten und in anderen Unternehmen in Zukunft Tarifverträge abschließen sollen, unterläuft.

Ich will mich noch ganz kurz auf die Entschließungsanträge der anderen Fraktionen beziehen. Zu dem FDP-Entschließungsantrag braucht man wohl nicht viel zu sagen. Das ist, ehrlich gesagt, Trittbrettfahrerei zulasten der dort Beschäftigten. Ich finde es fast schon unanständig, wie versucht wird, landespolitische Allgemeinplätze, die wir auch aus der Vergangenheit hier kennen, auf deren Rücken auszutragen.

Bei der CDU, Kolleginnen und Kollegen, bin ich ein bisschen enttäuscht. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass wir heute die Zustimmung der CDU-Fraktion zu unserem Eilantrag bekommen. Ihren Entschließungsantrag werden wir nicht wegen ein paar Unrichtigkeiten ablehnen, weil es dort „Inaxum“ statt „Inoxum“ heißt und weil es „Ende 2016“ und nicht 2016 ist, was immer wichtig war – ich erinnere an Opel –, sondern weil die Kernforderung, dass das, was es heute nicht gibt, nämlich die Möglichkeit, Sanktionen auszusprechen, wenn unbegründet Tarifbruch betrieben wird, als einzige unserer Forderungen in Ihrem Antrag nicht auftaucht. Ich finde, auch das legt eindeutig den Blick auf Ihre Sicht dieser Dinge frei, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Insofern bitte ich das Hohe Haus, heute möglichst einig ein Signal auszusprechen – zum einen dass wir an der Seite der Beschäftigten an allen Standorten bei Outokumpu stehen und sehr dafür werben, dass es Vertragstreue gibt und man nur auf dieser Basis miteinander ins Gespräch kommen kann. Ich werbe aber auch dafür, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen, Sorge dafür zu tragen, …

Herr Kollege.

Ich komme zum Ende, Herr Präsident.

… dass die Drohung mit schlichtem Tarifbruch in Deutschland keine Zukunft haben darf. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)