Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/14500
Ganz herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinderarmut hat uns in dieser Legislaturperiode bereits mehrfach beschäftigt. Wir haben dazu viele beunruhigende Zahlen gehört. Wir haben in der Enquetekommission zur Zukunft der Familienpolitik viel über dieses Thema gesprochen und letzten Endes Lösungsansätze in die Handlungsempfehlungen aufgenommen. Darauf komme ich gleich zu sprechen.
Fast jedes fünfte Kind in Nordrhein-Westfalen lebt in Familien, die auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind. Kinderarmut bedeutet nicht ein bisschen weniger Wohlstand, sondern sie wirkt sich negativ auf alle Lebensbereiche, auf die Entwicklung und auf die Zukunftschancen der Kinder aus.
„Je länger Kinder in Armut leben, desto negativer sind die Folgen. Verglichen mit Gleichaltrigen aus Familien mit gesicherten Einkommen sind arme Kinder häufiger sozial isoliert, materiell unterversorgt und gesundheitlich beeinträchtigt. Sie haben häufig kein eigenes Zimmer und damit keinen Rückzugsort, ernähren sich ungesünder, Monatstickets für den Nahverkehr sind kaum finanzierbar und außerschulische Bildung, Hobbies oder Urlaub ein Luxus. Außerdem haben arme Kinder einen weitaus beschwerlicheren Bildungsweg vor sich.“
Ich habe den Rednerinnen und Rednern der anderen Fraktionen ein kleines Geschenk mitgebracht. Es gibt vom Deutschen Kinderhilfswerk ein wundervolles Pixi-Büchlein, das die Probleme in illustrierten Worten aufzeigt. Falls Sie meinen Ausführungen nicht folgen können, hilft Ihnen vielleicht nachher dieses Buch. Das kann man während der anderen Debattenbeiträge sehr schnell lesen. So ganz viel Text ist es nicht, denn das Problem ist nicht so wahnsinnig kompliziert, gleichwohl aber die Problemlösung.
Die Kindergrundsicherung ist der Lösungsansatz, den wir als Piraten dazu haben. Die Kindergrundsicherung haben wir von Anfang an in der soeben erwähnten Enquetekommission mitverfolgt. Wir haben es mit auf die Tagesordnung gebracht und entsprechende Anhörungen mitbeantragt. Das gilt auch für das bedingungslose Grundeinkommen, das aus meiner Sicht eine möglicherweise überfällige Weiterentwicklung der Kindergrundsicherung wäre.
Wir haben ein strukturelles Problem. Es ist ein Systemwechsel notwendig. Das kann eine Kindergrundsicherung schaffen. Ich habe gerade die Enquetekommission erwähnt, aber auch im Familienausschuss haben wir Sachverständige angehört, zwischen denen eine weitgehende Übereinstimmung darüber bestand, dass die Kindergrundsicherung diesen positiven Effekt auf die Bekämpfung der Kinderarmut haben kann und haben wird. Unser Antrag und die Tatsache, dass wir ihn noch in dieser Legislaturperiode behandeln, ist die logische Konsequenz daraus.
Kurz zum rot-grünen Entschließungsantrag. Ich finde es tatsächlich ein bisschen schade, dass er aus Ihrer Sicht erforderlich ist. Bei mir vermittelt der Antrag letzten Endes nur den Eindruck, dass die Probleme doch wieder auf die lange Bank geschoben werden sollen, statt tatsächlich dieses überfällige Instrument der Kindergrundsicherung einzuführen. Sie versuchen wieder im Klein-Klein einzelne Detailprobleme als Lösungsansätze einzubringen und die Kindergrundsicherung dort als mittel- oder langfristiges Ziel zu platzieren. Das ist falsch.
Die gesellschaftliche Mehrheit für eine Kindergrundsicherung ist längst da. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Sie können mit dafür sorgen, dass die politische Mehrheit für eine Kindergrundsicherung hier im Landtag und auch im Bundestag tatsächlich vorhanden ist.
Ich muss mich wundern, dass an dieser Stelle wieder „Kein Kind zurücklassen“ Einzug in den Antrag findet; denn Sie sagen im Familienausschuss immer wieder, dass „Kein Kind zurücklassen“ eben kein Projekt zur Bekämpfung von Kinderarmut ist. Jetzt taucht es
wieder im Kontext der Kinderarmut auf. Ich weiß wirklich nicht, ob Sie selbst ganz genau wissen, was „Kein Kind zurücklassen“ tatsächlich bedeutet.
Wir setzen uns für eine möglichst rasche Einführung einer Kindergrundsicherung ein. Wir haben in unserem Antrag dazu verschiedene Punkte festgehalten. Einige davon möchte ich kurz nennen.
Kinder haben ein Recht auf soziale Sicherheit und einen angemessenen Lebensstandard. Das rot-grüne Hartz IV ist mitverantwortlich für die hohe Kinderarmut in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen. Die Einführung einer Kindergrundsicherung ist zentraler Baustein zukunftsorientierter Familienpolitik. Die Kindergrundsicherung ist dazu geeignet, die finanzielle Situation von Kindern erheblich zu verbessern und Chancengleichheit in Bildung, Gesundheit und gesellschaftlicher Teilhabe herzustellen.
Wir wollen die Kindergrundsicherung als Mittel, um Kinderarmut und die strukturelle Benachteiligung ärmerer Kinder zu bekämpfen. Machen Sie mit! Gehen Sie mit uns diesen Weg! Der Weg für eine Kindergrundsicherung in Deutschland ist frei. Nicht labern – machen! – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über das Thema „Kinderarmut“. Dass in einem so reichen Land Kinder noch immer überdurchschnittlich von Armut betroffen sind, ist ein Skandal. Darum ist es richtig, dass wir dieses Thema immer wieder ansprechen und über Lösungswege beraten.
Heute geht es um das Instrument der Kindergrundsicherung. Hierzu hat der Landtag bereits eine Position gefunden. Der Bericht der Enquetekommission zur Familienpolitik wurde im Januar beschlossen. Dort heißt es: Wir wollen eine Kindergrundsicherung einführen,
„die alle staatlichen Leistungen der Kinderförderung (u. a. Kindergeld, Kinderzuschlag, Kinder- freibetrag) sowie die SGB-II-Leistungen für Kinder zu einer einheitlichen finanziellen Leistung zusammenführt, deren Höhe eine sozio-kulturelle Teilhabe sichert und für die alle Kinder anspruchsberechtigt sind.“
Die Kindergrundsicherung darf nicht die Leistungen für Familien in besonderen Lebenslagen wie Alleinerziehende oder Familien im SGB-II-Bezug schmälern, sondern muss im Gegenteil zu einer finanziellen Besserstellung beitragen.
Sie haben in Ihrem Antrag herausgestellt, dass die Kindergrundsicherung für die Piraten nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einem bedingungslosen Grundeinkommen ist. Spätestens hier trennen sich unsere Wege.
Lassen Sie mich einen Kronzeugen aufführen, der unverdächtig ist, in sozialpolitischen Fragen immer aufseiten der SPD zu sein. Der Armutsforscher Christoph Butterwegge hat zum bedingungslosen Grundeinkommen gesagt:
„Würde ein Grundeinkommen verwirklicht, hätten die Neoliberalen ihr Hauptziel erreicht, den Sozialstaat zerschlagen und freie Bahn für den Markt geschaffen.“
Genau das ist es, was wir nicht wollen. Sie mögen das vielleicht für Klein-Klein halten. Aber wir als SPD wissen, dass es bei der Bekämpfung von Armut eben nicht nur um Geldleistungen geht. Es geht vor allen Dingen um Teilhabe. Dafür brauchen wir einen starken und vor allen Dingen einen aktiven Sozialstaat.
Kinder sind in unserem Land arm, wenn sie bei Eltern aufwachsen, die arm sind. Deshalb müssen wir bereits hier ansetzen und die Armut von Familien bekämpfen. Wir brauchen faire Löhne – und das ist weitaus mehr als der Mindestlohn. Es geht auch darum, befristete Beschäftigung zurückzudrängen. Es geht darum, Missbrauch von Leih- und Zeitarbeit zu bekämpfen.
Dass das nicht das Ziel der FDP ist, wissen wir. Und es geht darum, das Armutsrisiko von Alleinerziehenden in den Blick zu nehmen. Da ist mit der Neuregelung des Unterhaltsvorschusses ein wichtiger Schritt getan. Aber eine faire Aufteilung von Fürsorge und Erwerbsarbeit für Väter und Mütter ist ebenfalls wichtig. Dafür braucht es familiengerechte Arbeitszeitmodelle, damit Frauen nicht aus dem Erwerbsleben herausgedrängt werden.
Das Gleiche gilt für das Steuerrecht. Wir wollen das Ehegattensplitting umwandeln, die dann entstehenden Spielräume dafür nutzen, in erster Linie Familien mit Kindern zu fördern, und zwar ganz unabhängig vom Trauschein.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Maelzer, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich möchte einen Punkt zurückstellen, weil Sie gerade auf den Zwischenruf des Kollegen Hafke nicht sachlich, sondern eher platt reagiert haben, als Sie befristete Verträge angesprochen haben. Inwiefern kämpft denn die Landesregierung gegen befristete Verträge im öffentlichen Dienst, insbesondere im Bereich des Finanzministers?
Diese Landesregierung kämpft auf allen Ebenen gegen sachgrundlose Befristungen. Das macht auch der Finanzminister.
(Beifall von der SPD – Stefan Zimkeit [SPD]: Wenn Sie gestern dagewesen wären, wüssten Sie das auch!)
Vielen Dank, lieber Dennis Maelzer, dass du mir dieses Geschenk dann auch ermöglichst, dir eine Frage zu stellen. Ob das ein Geschenk ist, weiß ich noch nicht. Gucken wir mal.
Ich habe jetzt aus deiner Argumentation herausgehört, dass du und die SPD gegen grundloses Grundeinkommen seid. Das ist mir durchaus bekannt. Gehst du aber ein Stück weit mit mir mit und würdest du mir zustimmen, dass alles, was hier in dem Feststellungs- und Beschlussteil unseres Antrags steht, nichts mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, sondern ausschließlich mit der Kindergrundsicherung zu tun hat?
Ich gehe mit, dass die SPD genauso wie ihr für eine Kindergrundsicherung ist. Da haben wir gar keinen Dissens. Aber unser Dissens liegt darin, dass wir die Kindergrundsicherung nicht als eierlegende Wollmilchsau betrachten, son
dern als einen Bestandteil zur Bekämpfung von Armut. Wir als SPD sind da deutlich breiter aufgestellt und haben das im gemeinsamen Entschließungsantrag mit den Grünen auch so dargestellt.
Wir setzen bei Kinderarmut auch auf Vorbeugung. „Kein Kind zurücklassen“ heißt nicht, dass die Kinder von heute auf morgen mehr Geld in der Tasche haben. Aber „Kein Kind zurücklassen“ heißt, dass Armut eben nicht zum Schicksal wird, weil wir frühzeitig eingreifen und gerade diesen Kindern zusätzliche Chancen eröffnen, damit sie ihr Leben in Selbstbestimmung ausüben können.