Protocol of the Session on March 16, 2017

Richtig ist natürlich: Dort, wo gegen geltendes Recht verstoßen wird – zum Beispiel bei Verleumdung oder Volksverhetzung –, muss eingegriffen werden, auch mit Löschung. Was jedoch die deutsche Bundesregierung hier vorschlägt, ist das Outsourcen der Rechtsprechung im digitalen Raum.

Ich möchte hier einmal einen kommunikationstheoretischen Rückblick vornehmen. Im Zeitalter der frühen Massenmedien wurde von „Feindsendern“ und „Feindpropaganda“ gesprochen, gegen die man staatlich vorgehen müsse. Auch im Zeitalter der dezentralen Onlinekommunikation, also der Digitalen Revolution, will man gegen Feind-News vorgehen und erfindet dafür den Begriff „Fake News“, weil es den einen singulären Sender nicht gibt, den man dämonisieren kann.

Das Problem ist hausgemacht. Der grassierende Vertrauensverlust in die Mainstream-Medien schafft erst den Raum für Fake News. Was wir jetzt aber brauchen, ist ein klares und uneingeschränktes Bekenntnis zur Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland. Genau das ist der vorliegende Antrag der Piraten.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir wollen nicht unterdrücken, zensieren und mit Bußgeldern einschüchtern. Wir Piraten wollen die digitale Medienkompetenz und das Vertrauen in Qualitätsjournalismus stärken, sodass Fake News gar nicht erst Gehör finden. Gegen Zensur, für Meinungsfreiheit – machen Sie mit! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die Fraktion der SPD spricht der Kollege Vogt.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verbreitung falscher Informationen ist sicherlich ein wichtiges Thema. Zum Begriff „Fake News“ haben Sie gerade schon einiges gesagt. Sie verwenden diesen Begriff auch in Ihrem Antrag sehr häufig. Ich halte diesen Begriff aber für falsch. Dieser Begriff lässt Probleme verschwimmen, und er verharmlost. Darum lassen Sie uns doch weiterhin differenzieren und die Probleme deutlich benennen! Es gibt bereits Wörter, die diese Probleme exakter beschreiben.

Im Journalismus gibt es die klassischen Falschmeldungen – die gab es bisher auch, beispielsweise, wenn nicht genügend Sorgfalt in eine Recherche gesteckt wurde.

Wir kennen Gerüchte, also unbestätigte Informationen, die manchmal auch Propaganda sein können, und wir kennen Lügen, also unrichtige Behauptungen, die häufig dazu eingesetzt werden, einen Dritten zu schädigen.

Sie sehen: Es ist wichtig, hier eine Trennung vorzunehmen. Eine Lüge muss klar benannt werden. Eine Lüge ist eine Lüge und nicht etwa Fake News, die solche Lügen oft verharmlosen.

(Beifall von der SPD)

Aber wie gehen wir mit diesen falschen Informationen um? Welche Gegenstrategien haben wir? Meiner Meinung nach gibt es zwei große Bereiche. Wir müssen zum einen guten Journalismus stärken, und wir müssen zum anderen die Medienkompetenz verbessern.

Wenn wir den Journalismus stärken wollen, müssen wir uns zunächst damit auseinandersetzen, dass wir es rein mengenmäßig mit so vielen Informationen zu

tun haben wie noch nie zuvor. Diese Masse an Informationen zu bewerten und einzuordnen, das ist die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten. Sie müssen gut ausgebildet und entsprechend gut bezahlt werden, sodass sie von ihrer Tätigkeit auch leben können.

Wir erleben ganz neue journalistische Initiativen. Diese gilt es zu stärken. Genau das machen wir in Nordrhein-Westfalen. In diesem Zusammenhang haben wir die Journalismusstiftung „Vor Ort NRW“ entwickelt, die staatsfern bei der Landesanstalt für Medien organisiert ist.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Staatsfern ist gut!)

Hier in NRW haben wir über die Gemeinnützigkeit von Journalismus diskutiert. Hier haben wir auch den klassischen Zeitungsmarkt in den Blick genommen. Wir werden uns morgen im Zusammenhang mit der Antwort auf eine Große Anfrage diesem Thema widmen.

Journalistische Beiträge – so gut sie auch sind – alleine werden zur Bewältigung dieser Aufgabe nicht ausreichen. Wir müssen dafür die Grundlage schaffen, dass die Menschen Informationen selbstständig richtig einordnen können. Darum haben wir hier in Nordrhein-Westfalen das Thema „Medienkompetenz“ ganz nach oben gesetzt. Wir haben hier den Medienpass entwickelt, ein Instrument, das erfolgreich an Grundschulen und jetzt auch an weiterführenden Schulen eingesetzt wird.

Im Landtag haben wir dieses Thema mit dem „Tag der Medienkompetenz“ aufgegriffen. Im November letzten Jahres haben wir uns mit dem Thema „Medien extrem…“ beschäftigt. Die SPD-geführte Landesregierung hat den Diskurs „Medienvielfalt NRW 4.0“ auf den Weg gebracht.

Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen eine Reihe weiterer Organisationen, die in diesem Bereich tätig sind. Die Landesanstalt für Medien bietet Schulungen und Elternabende an. Das Grimme-Institut ist in diesem Bereich tätig, ebenso der WDR, aber auch Zeitungsverlage, die in Schulen Aktionen machen.

Sie sehen: Hier ist schon ganz vieles organisiert. Ich möchte betonen, dass jetzt auch die Plattformbetreiber mit in die Pflicht genommen werden müssen. Juristisch ist bereits sehr viel möglich: Verleumdung und Volksverhetzung können strafrechtlich geahndet werden. Das Recht auf Gegendarstellung kann eingeklagt werden.

Nunmehr liegt der Gesetzentwurf vor, den Sie gerade schon angesprochen haben. Im Referentenentwurf dazu findet sich aber nichts von dem, was die Piraten in ihrem Antrag befürchten – keine neuen Straftatbestände, wie Sie sie unter Punkt III.2. des Entwurfs anführen, und keine staatlichen Faktenchecks.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Privatisierte Faktenchecks! Das ist mindestens genauso schlimm!)

Ja, der Entwurf ist recht neu. Viele dieser Themen hätten Sie nachlesen können. Es gab ein Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion, worauf Sie mit Ihrem Antrag schon hätten reagieren können. Sie haben heute aber nichts Neues vorgelegt, sondern Sie haben Ihren Antrag, der vor dem Gesetzentwurf gekommen ist, …

Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kern zulassen?

Zum Schluss bitte. – … hier weiter aufrechterhalten.

Richtige und wahre Informationen von unrichtigen zu unterscheiden, ist weiterhin eine gesellschaftliche und politische Aufgabe. Das politische Gepolter von Leuten wie de Maizière, der vom „Abwehrzentrum gegen Desinformationskampagnen“ spricht, ist genauso wenig hilfreich wie Ihr Antrag, der Gesetzgebung mit staatlicher Kontrolle oder gar Zensur vermengt.

Die Redezeit.

Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Und die Frage?

Bitte schön.

Danke schön, dass Sie die Frage zulassen. Mit dem, was Sie zum Schluss Ihrer Rede noch gesagt haben, haben Sie den Anlass für meine Frage fast beseitigt. Ich frage Sie, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass Ihr Gesetzentwurf erst vor zwei Tagen präsentiert wurde, unser Antrag aber schon wesentlich länger im System ist, sodass wir keine Möglichkeit hatten, dies bei der Antragsentstehung zu berücksichtigen. Außerdem bin ich bei meiner Rede ja auf den Gesetzentwurf eingegangen.

Ja, Sie sind sicherlich auf den Gesetzentwurf eingegangen, und er ist in der Tat erst seit vor zwei Tagen veröffentlicht worden. Das ist alles richtig. Genau aus dem Grund, weil er eben vorliegt, hätten wir von Ihnen erwartet, dass Sie Ihren

Antrag – der ja Punkte beinhaltet, die im Gesetzentwurf gar nicht vorhanden sind, über die wir hier aber beschließen sollen – dann zurückziehen oder eine Änderung einbringen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Für die Fraktion der CDU spricht der Kollege Stein.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sogenannte Fake News und Social Bots haben in letzter Zeit einen immer größer werdenden Raum in der öffentlichen Wahrnehmung und auch in der politischen Diskussion eingenommen. Dieses politisch-gesellschaftliche Phänomen stellt uns vor die schwierige demokratische und juristische Abwägung von Presse- und Meinungsfreiheit auf der einen Seite und dem Schutz unseres freiheitlichen Rechtsstaates vor Manipulation auf der anderen Seite.

Die Verbreitung von Lügen, Falschmeldungen und gezielten Desinformationskampagnen, ja Propaganda, nimmt stetig zu, wobei die Bedeutung und die Einflussnahme auf die politischen Meinungsbilder bisher wissenschaftlich nur rudimentär analysiert worden sind. Es hat vermutlich – ich glaube, da sind wir uns alle einig – eine gewisse Rolle im Präsidentschaftswahlkampf der USA gespielt, jedoch kann man den Grad dieser Einflussnahme auf die politischen Meinungsbilder bisher nicht genau benennen. Nichtsdestotrotz sind wir uns hier hoffentlich alle darüber einig, dass hier ein gewisser Handlungsbedarf besteht. Nur über die Art und Weise gibt es anscheinend unterschiedliche Auffassungen.

Liebe Piraten, in Ihrem Antrag sprechen Sie davon, dass die deutsche Bundesregierung gegen Fake News vornehmlich mit gesteuerten staatlichen Eingriffen, die allesamt die Meinungs- und Pressefreiheit potenziell einschränken, vorgehen will. Das ist einfach nicht wahr.

Vielmehr gilt doch: Das, was das Grundgesetz als Schranken der Meinungsfreiheit definiert, und die Maßstäbe, die nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht für die Abwägung von Presse- und Meinungsfreiheit auf der einen und dem Schutz unseres Rechtsstaates auf der anderen Seite entwickelt hat, müssen auch für die Beurteilung von Aussagen in den sozialen Medien gelten.

Die Politik muss Phänomenen wie Hassreden, Cybermobbing und Fake News – oder wie auch immer wir es nennen wollen –, Propaganda und Lügen rechtlich mit Augenmaß und in Respekt vor der Bedeutung der Meinungsfreiheit entschieden begegnen.

Wir können das aber nicht so handhaben, wie Sie das offenbar fordern, so nach dem Motto: Auch erfundene falsche oder verfälsche Nachrichten, also Fake News, sind grundsätzlich von der Meinungsfreiheit abgedeckt.

(Zuruf von den PIRATEN: Ihr müsst ja auch Wahlprogramme schreiben!)

Ja, Meinungsfreiheit ist ein verdammt wichtiges Gut unserer Demokratie. Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. So steht es auch in Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes.

Aber auch die Meinungsfreiheit hat Grenzen. Und die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und einer gezielt gesteuerten Falschmeldung, einer Lüge oder Propaganda, mit dem Ziel, die politische Stimmung zu manipulieren, verläuft dort, wo es jemandem nicht darum geht, einen Beitrag zu einer Diskussion zu leisten, sondern unsere freiheitlich-demokratische

Grundordnung und unsere Werte an sich anzugreifen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Sie haben es nicht verstanden!)

Eine gesetzliche Regelung kann und sollte nicht die Verantwortung jedes Einzelnen ersetzen. Dieser Aussage, die wir schon bei den Vorrednern gehört haben, pflichten auch wir bei. Aus diesem Grund sind neben gesetzlichen Lösungen Dinge wie Digital- und Medienkompetenz enorm wichtig, um fundierte Informationen von bloßen Ressentiments unterscheiden und sie einordnen zu können. Entsprechende Programme in Bund, Ländern und Kommunen sollten zukünftig vermehrt gefördert werden.

Ich bin der Meinung, dass die sogenannten Fake News und Social Bots Erscheinungsmerkmale einer unregulierten digitalen Gesellschaft sind, die viele bereits bekannte Phänomene der Offlinewelt mit einem hohen desinformativen Charakter in einem nicht geahnten Ausmaß in die heutige Onlinewelt transferiert haben.