Protocol of the Session on March 16, 2017

(Beifall von der CDU und der FDP – Karl Schultheis [SPD]: Ach!)

Ich zitiere in aller Deutlichkeit aus Ihrem Antrag:

„Auch wenn die Entwicklungen für sich genommen sehr unterschiedlich sind, so richten sie sich doch alle gegen die unverzichtbare Freiheit der Wissenschaft (…).“

Meine Damen und Herren, wie groß wäre hierzulande die Empörung, wenn im britischen Unterhaus die Situation in der Türkei in einem Kontext mit den schlechten Betreuungsrelationen an unseren Hochschulen oder der Zwangseinführung von Zivilklauseln diskutiert würde.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der SPD: Lesen Sie doch Ihren Redebeitrag!)

Deswegen können wir Freie Demokraten einem Antrag, dem es aus unserer Sicht völlig an Fingerspitzengefühl und Verhältnismäßigkeit fehlt, nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. Bleiben Sie bitte noch einen Moment am Redepult stehen. Es gibt eine Kurzintervention, für die sich Herr Kollege Bell gemeldet hat. – Bitte.

Liebe Kollegin Freimuth, ich sage hier sehr deutlich auch in Richtung CDU: Das ist eine vertane Chance, dass dieser Landtag ein gemeinsames Signal für Wissenschaftsfreiheit und Internationalität setzt,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

auf das viele Wissenschaftler international, aber auch in diesem Land warten und gewartet haben.

Ich darf Ihnen zu Ihrer Kenntnis aus einem Schreiben des Rektors der Bergischen Universität an mich zitieren. Ich habe ihm den Antrag vorab zur Verfügung gestellt. Er schreibt an mich:

Lieber Herr Bell, danke für das Schriftstück. Es handelt sich meines Erachtens um ein starkes, weil präzise formuliertes und mit politischer Signalwirkung daherkommendes Plädoyer. Ohne Zweifel würde es dem NRW-Landtag gut zu Gesicht stehen, wenn es ohne langes Taktieren parteiübergreifend verabschiedet werden könnte. Nicht zuletzt die Hochschulen des eigenen Landes würden es Ihnen aufgrund ihrer vielen Partnerschaften in den betroffenen Staaten hinein danken, zumal der Zeitpunkt jetzt richtig ist. Beste Grüße, Prof. Dr. Lambert T. Koch.

Sie haben hier eine Chance vertan, ein starkes Signal aus Nordrhein-Westfalen zu setzen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der CDU)

Lieber Kollege Bell, wenn es darum geht, die Freiheit von Wissenschaft und Forschung zu verteidigen und auch international der Freiheit von Wissenschaft und Forschung zu Recht zu verhelfen, finden Sie die Freie Demokraten immer engagiert auf der Seite der Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit.

(Karl Schultheis [SPD]: Aber heute nicht!)

Liebe Kollegen, man muss bitte auch einmal die Kirche im Dorf lassen.

(Zurufe von der SPD)

Sie vermengen hier Dinge, die in dieser Form nicht miteinander vermengt gehören.

(Beifall von der FDP und der CDU – Wider- spruch von der SPD)

Ich hätte es sehr begrüßt, wenn hier tatsächlich versucht worden wäre, eine gemeinsame Position zu finden.

(Zurufe von der SPD)

Entschuldigung, Frau Kollegin Freimuth. – Frau Kollegin Freimuth hat jetzt das Wort. Ich denke, es ist eine Frage des Respekts, ihr auch zuzuhören. Danke.

Vielen Dank, Herr Präsident – Liebe Kollegen, in der Tat haben Sie uns diesen Antragsentwurf zugeleitet. Auch wenn wir mit dem Hinweis, dass hier Dinge nicht miteinander zusammenzubringen sind, dem nicht zustimmen, möchte ich sagen: Die Situation in der Türkei ist im Augenblick grundsätzlich anders zu bewerten als die

souveräne Entscheidung – auch wenn sie mir noch so wenig gefällt – der Briten zum Verlassen der Europäischen Union.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das sind Dinge, die nicht einfach miteinander vermengt gehören.

(Karl Schultheis [SPD]: Das ist doch nicht ver- mengt!)

Da dürfen die Wissenschaftsfreiheit und die Forschungsfreiheit in dem Zusammenhang nicht genutzt werden, um Dinge in einen Topf zu schmeißen.

Ich stelle hier für die FDP noch einmal ganz unmissverständlich klar: Wir Freie Demokraten stehen für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung. Die von Eingriffen und Verfolgung bedrohten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben unsere Solidarität, unsere Unterstützung und unseren Beistand, aber nicht dieser Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Soweit Kurzintervention und Entgegnung darauf.

Ich erteile das Wort für die Landesregierung Frau Ministerin Schulze.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich spreche nicht nur im Namen der Landesregierung, wenn ich sage, dass eine freie Gesellschaft und eine freie Wissenschaft untrennbar zusammengehören. Natürlich ist unsere Gesellschaft auf Impulse, auf Antworten von freien und unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern angewiesen. Umgekehrt können natürlich Wissenschaft und Forschung nur im Kontext einer freien, demokratischen Gesellschaft ihr volles Potenzial entfalten.

Deswegen begrüße ich es sehr, dass die Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen der SPD, der Grünen und der Piraten mit ihrem Antrag hier die aktuellen Entwicklungen, die uns besorgen, zusammengefasst haben. Das ist die zunehmende Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit. Das ist die Tendenz hin zu Isolation und Abschottung, die wir erleben. Das alles

sind Dinge, die im Moment Wissenschaft beschäftigen und die auch hier bei uns im Landtag eine Rolle spielen sollten und wo wir die Hochschulen in ihren Positionierungen unterstützen sollten.

Natürlich ist die Verfolgung von Hochschulmitarbeiterinnen und -mitarbeitern in der Türkei etwas anderes als das, was in den USA passiert. Das ist aber im Antrag auch ganz genau beschrieben.

Sieht man sich nur einmal das Beispiel in den USA an: Wenn die Medien davon reden, dass es dort einen Krieg gegen die Wissenschaft gibt, oder wenn Forschungsergebnisse wie der Klimawandel infrage gestellt werden, wenn Einreiseverbote für Menschen, die aus vornehmlich muslimischen Ländern stammen, auch Forscherinnen und Forscher betreffen, die zu internationalen Forschungskonsortien gehören und dort als Gastwissenschaftler tätig sind, sich nicht mehr trauen, zu Konferenzen zu reisen, dann schränkt das die wissenschaftliche Diskussion ein. Das muss uns genauso besorgen, wie es die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA besorgt.

Klar, besorgniserregend ist auch der Fall Großbritannien. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben schon vor dem Brexit darauf aufmerksam gemacht, was das alles bedeutet. Der berühmte Physiker Stephen Hawking hat gesagt, dass sei ein „desaster for science“. Das, was im Moment in zahlreichen Forschungsnetzwerken, in Hochschulkooperationen, in Programmen mit dem Studierendenaustausch passiert, ist besorgniserregend. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.

Wir können doch hier nicht so tun, als seien wir in Nordrhein-Westfalen in der Forschung nicht mit der ganzen Welt verbunden. Deswegen müssen wir uns auch hier damit auseinandersetzen. Ich hätte es gut gefunden, wenn das gesamte Parlament ein Signal an die Wissenschaft gesendet hätte, dass uns das beschäftigt und dass uns das berührt.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, ich habe in den vergangenen Jahren das Privileg gehabt, viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland zu treffen: aus der Türkei, aus Japan, aus Israel. Ich habe hier in Nordrhein-Westfalen mit vielen internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Kontakt gehabt. Alle haben darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig Wissenschaft sein kann, wie gut man sie für Brückenschläge nutzen kann.

Schauen wir uns an, wie die Kontakte zu Israel wieder aufgebaut worden sind: Es waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die ersten Schritte der Zusammenarbeit gemacht haben. Schauen wir uns an, wie das in der Türkei war: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben dort Brücken gebaut und spielen auch heute noch eine wichtige Rolle. Ich denke, dass es unverzichtbar ist, dass wir uns alle

auch weiterhin mit großem Engagement für eine freie, für eine unabhängige Wissenschaft einsetzen und die Rechte von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eben nicht einschränken.

Das mit dem zu vergleichen, was hier gerade in der Debatte passiert ist,

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Was denn?)

ist absolut unangemessen; das will ich noch einmal deutlich sagen.

(Beifall von der SPD – Dr. Stefan Berger [CDU]: Was ist denn passiert?)

Herr Berger, Sie wissen doch genau wie ich, wie attraktiv Nordrhein-Westfalen für zum Beispiel ausländische Studierende ist. Mit rund 86.000 Studierenden hat es noch nie so viele ausländische Studierende gegeben wie heute. Sie wissen, wie attraktiv wir für internationale Wissenschaftler sind. Schauen Sie sich an, was heute in den Medien zur gestrigen Eröffnung des DZNE zu lesen ist. Ein Drittel der Wissenschaftler stammt aus dem Ausland, und sie forschen hier sehr, sehr gerne. Das haben wir als Land hier mitfinanziert. Sie wissen, wie viel ERC Grants, wie viele LeibnizPreisträger wir hier haben und wie viel Unterstützung wir erfahren. Sie wissen, wie international vernetzt unsere Hochschulen sind. Das alles einfach zu negieren und zu sagen, die Qualität der Hochschulen sei unzureichend, das ist nicht in Ordnung.

(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])