Als Politiker haben wir sowohl eine Verantwortung für Leistungsberechtigte, die durch eigene Kraft ihr Existenzminimum nicht sicherstellen können, aber wir haben auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern eine Verantwortung, die jeden Tag schwierige Aufgaben bewältigen müssen. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Minister Schmeltzer. – Für die Piraten hat Herr Kollege Sommer noch einmal das Wort, und zwar für 34 Sekunden.
Geht ganz schnell. Ich möchte nur auf eine kleine Sache eingehen. Kollege Kerkhoff, Sie haben an einem Punkt völlig recht. Wir wissen gar nicht, wie es aussieht, wenn wir einmal einen Landkreis hätten, wo es keine Sanktionen gäbe. Ich freue mich, dass Sie extra darauf hingewiesen haben.
Wir erarbeiten jetzt einen Antrag, dass wir so etwas einmal als Probezeit machen und schauen, wie hinterher die entsprechenden Ergebnisse aussehen, ob es in einem Landkreis oder in einem Kreis ohne Sanktionen nach ein paar Jahren vielleicht besser aussieht oder anders aussieht. Ich freue mich darauf, dass Sie dann zustimmen werden. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. Es ging in der Tat innerhalb der 34 Sekunden. – Jetzt liegen aber keine weiteren Redewünsche vor. Deshalb schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 8.
Wir kommen zur Abstimmung. Sie wissen, dass die antragstellende Fraktion der Piraten direkte Abstimmung beantragt hat. Wer also dem Inhalt des Antrags Drucksache 16/12838 zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Piraten und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und der fraktionslose Abgeordnete Stüttgen. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag Drucksache 16/12838 abgelehnt.
Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, eine Aussprache heute nicht durchzuführen. Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/12433 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Aussprache und Abstimmung soll dann nach Vorlage der Beschlussempfehlung erfolgen, demzufolge hier im Plenarsaal und im Plenum. Ist jemand gegen die Überweisung? – Gegenstimmen? Enthaltungen? – Nicht. Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache, und als erste Rednerin hat für die antragstellende Fraktion Frau Kollegin Schneider das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Um es gleich eingangs zu sagen: Es gibt in Nordrhein-Westfalen, es gibt in Deutschland Heilpraktiker, die tagtäglich eine gute Arbeit leisten, die tagtäglich Patienten helfen und die auch evidenzbasierte Therapien anbieten, sich regelmäßig fortbilden und einen guten Job machen.
Aber seit einigen Wochen, seit den tragischen Todesfällen in einem alternativen Krebszentrum in Brüggen, diskutieren wir über die Ausbildung von Heilpraktikern. Erst durch diesen dramatischen Auslöser wurde überhaupt der Öffentlichkeit bewusst, dass wir hier in Deutschland einen unhaltbaren Zustand und eine massive Rechtslücke haben. Denn nichts anderes ist es, wenn Heilpraktiker ohne geregelte Ausbildung und ohne Überprüfung von Qualitätsstandards eigenverantwortlich Patienten behandeln dürfen.
Die Erlaubnis für die Ausbildung dieser Heilkunde wird aufgrund eines 77 Jahre alten Gesetzes erteilt, und zwar eines Gesetzes, das nur der Gefahrenabwehr dienen soll. Von Qualifikationen ist da explizit nicht die Rede. Ein Mindestalter von 25 Jahren, ein vorliegender Hauptschulabschluss und fehlende Vorstrafen sowie das Bestehen einer einmaligen Prüfung medizinischer Grundkenntnisse reichen aus, um praktizieren zu dürfen.
Ein Arzt benötigt vergleichsweise ein Top-Abi, ein sechsjähriges Medizinstudium sowie eine Facharztweiterbildung, die in der Regel auch noch um die fünf Jahre dauert, bevor er sich in einer eigenen kassenärztlichen Praxis niederlassen darf.
Es gibt auch keine verbindlichen Qualitätskontrollen oder Weiterbildungspflichten für die über 40.000 Heilpraktiker. Wie sie ihr medizinisches Wissen vertiefen und welche Behandlungsmethoden sie einsetzen, das bleibt ihnen selbst überlassen. Letztlich dürfen sie alles, was ihre Patienten nicht nachweislich schädigt und was nicht durch Einzelgesetze wie zum Beispiel das Arzneimittelgesetz, das Infektionsschutzgesetz oder das Embryonenschutzgesetz unter Arztvorbehalt steht.
Somit können Heilpraktiker Injektionen setzen, offene Wunden behandeln, Aderlass- oder Eigenbluttherapien durchführen. Neben Globuli, also neben der Homöopathie, wenden sie Therapieformen an wie die Magnetfeldtherapie oder Pyramidenenergiebestrahlung. Diese Therapien sind wissenschaftlich weder fundiert noch anerkannt.
So behandeln Therapeuten auch mit zweifelhaften Qualifikationen schwerwiegende Erkrankungen wie beispielsweise Krebsleiden. Dabei verzichten Patienten im Vertrauen auf den Heilpraktiker und eine mögliche Wunderheilung oft auf die eigentliche angezeigte schulmedizinische Therapie.
Dann schreibt unsere Gesundheitsministerin in der Antwort auf meine Kleine Anfrage von der Komplementärmedizin als sinnvolle Ergänzung zur Schulmedizin und begründet dies mit der Aufnahme in das Leistungsangebot einiger Krankenkassen. Das ist
hanebüchen. Wir wissen doch alle, dass diese privaten Kassen die Kosten nur zur Kundenbindung übernehmen.
Wenn es sich wirklich um evidenzbasierte Therapien handeln würde, dann hätte doch schon längst der gemeinsame Bundesausschuss eine Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen angeregt.
Doch das, was Sie wollen, ist eigentlich etwas anderes. Sie wollen die Heilpraktiker über berufsgesetzlich geregelte Ausbildungs- oder Studiengänge zu einem neuen Heilberuf aufwerten. Ich möchte dazu einmal – das kommt sicher nicht häufig vor – einen Sozialdemokraten zitieren, mit dem ich sonst nicht einer Meinung bin, nämlich Herrn Prof. Karl Lauterbach, den SPD-Gesundheitsexperten, der sagte:
„Warum sollte man ein Fach mit einem universitären Abschluss belohnen, das sich nicht an die Regeln der Wissenschaft hält? Ich bin ja auch gegen einen Master in Astrologie oder Alchemie.“
Das bringt es auf den Punkt. Wissenschaftlich nicht überprüfbare Methoden und Therapieformen können keine Grundlage für eine akademische oder schulische Ausbildung von Heilpraktikern sein. Wir müssen vielmehr in die entgegengesetzte Richtung steuern.
Mit unserem Antrag wollen wir, dass die Anforderungen an die Erlaubniserteilung erhöht werden und ihnen unter anderem invasive Eingriffe untersagt werden. Daneben brauchen wir einen Nachweis über fundierte medizinische Kenntnisse wie über den Abschluss eines Studiums oder einer Ausbildung in einem Gesundheitsberuf.
Angesichts der Vorfälle in Brüggen war ich aber auch von der Reaktion der Gesundheitsministerin sehr enttäuscht. Es scheint in dieser Landesregierung üblich zu sein: Immer, wenn es eng wird, hört man nichts:
erst in der Silvesternacht, dann bei den Todesfällen in Brüggen. Es gab einen Todesfall, zwei Todesfälle, drei Todesfälle. Auf einmal waren 70 Todesfälle in den Medien diskutiert. Was macht unsere Gesundheitsministerin? Sie schreibt statt einer öffentlichen Stellungnahme, wo man sagt: Liebe Angehörige, wir kümmern uns, oder – was Sie so gern sagen – wir
So haben Sie die betroffenen Angehörigen alleine gelassen. Wahrscheinlich werden wir gleich wieder hören, die FDP hätte das mit ihren beiden Bundesgesundheitsministern längst ändern können: Wenn Sie uns immer wieder zutrauen, dass wir in diesen 77 Jahren innerhalb von vier Jahren alles hätten richten können, dann kann unsere Politik nicht so schlecht sein. – Ich danke Ihnen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegin Schneider, ich denke nicht, dass die FDP alles richten muss, und schon gar nicht in vier Jahren. Aber ich denke schon, dass es im Jahr 2016 eigentlich überfällig ist, ein Gesetz aus dem Jahre 1939 anzufassen und zu modernisieren.
Wie die meisten hier hat mich die Berichterstattung über die Todesfälle in Brüggen aufmerksam gemacht und mit Sorge erfüllt. Ich war auch verwundert, weil ich gar nicht wusste, dass das Heilpraktikergesetz aus dem Jahr 1939 datiert. Ich war schon etwas erschüttert, denn 1939 liegt ziemlich lange zurück. In den Jahren, die dazwischen liegen, haben sich ja doch die Standards und die Anforderungen gerade im medizinischen Bereich deutlich verändert.
Wir stimmen überein, dass dieses Gesetz den heutigen Standards nicht entspricht, denn es beinhaltet nicht, wie man annehmen sollte, Regelungen bzw. Anforderungen zur Kompetenz oder zur Qualifikation, sondern es regelt lediglich im Rahmen von Gefahrenabwehr, dass es zur Ausübung dieses Berufes eine Erlaubnis bedarf.
Die Umsetzung des Heilpraktikergesetzes erfolgt auf Länderebene, in Nordrhein-Westfalen als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe der Kreise und der kreisfreien Städte. Dazu gibt es immerhin aus dem Jahr 1999 einen Grunderlass – den haben Sie in Ihrem Antrag auch erwähnt – des damaligen Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit. Der legt aber lediglich Handlungsempfehlungen zur Vereinheitlichung des Verwaltungshandelns fest. Danach wird die sogenannte Kenntnisprüfung, die die Heilpraktiker ablegen müssen, durch die unteren Gesundheitsbehörden, durch die Gesundheitsämter vorgenommen.
Problematisch aus Sicht der SPD-Fraktion sind in diesem Gesetz fehlende Ausbildungs- und Prüfungsordnungen, fehlende Kenntnisprüfungen oder auch
die fehlende staatliche Anerkennung eines solchen Berufes. Wir werden diesen Antrag dann noch inhaltlich im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales beraten. Deshalb werde ich jetzt nicht Ihre Forderungen alle einzeln abarbeiten und Ihnen unsere Haltung dazu mitteilen. Wir sehen aber ganz eindeutig Handlungsbedarf in der Modifizierung bzw. Anpassung eines Heilpraktikergesetzes.