Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Lassen Sie mich bitte auch noch einmal zusammenfassen:
Der Gesetzentwurf der Landesregierung zur Änderung des Verfassungsschutzgesetzes wurde einen Monat nach dem CDU-Entwurf zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen hier im Plenum eingebracht.
Herausragendes Thema beider Entwürfe ist die Erlaubnis zur Verarbeitung, Speicherung und Verbreitung von Daten Minderjähriger. Konkret geht es um die Senkung der Altersgrenze von 16 auf 14 Jahre. Das wären dann circa 1,6 Millionen potenzielle Kontakte mehr für den Verfassungsschutz.
In der Anhörung sprach Herr Freier von 3 % mutmaßlichen Gefährdern unter 18 Jahren bei einer Gesamtheit von 800. Dabei waren etwa zehn Gefährder im Alter zwischen 14 und 16. Und dafür sollen wir dieses Gesetz benötigen!
Wie viele es tatsächlich sind, ist mir letztlich gar nicht so wichtig. Mir geht es darum, dass Sie, Herr Minister Jäger, sich von der CDU haben treiben lassen, dass Sie einen Monat später ein eigenes Gesetz vorlegen, dass Sie jeglichen Beleg für die Notwendigkeit der Speicherung der Daten von Minderjährigen ab 14 durch den Verfassungsschutz schuldig bleiben. Sie sagen einfach: Das ist notwendig.
Das aber ist uns zu wenig. Das rechtfertigt nicht den Eingriff in den Schutzraum, der Minderjährigen zustehen sollte bzw. der ihnen nach dem Grundgesetz zusteht.
Die CDU hat in ihrem Gesetzentwurf noch mit dem Anschlag auf den Sikh-Tempel in Essen argumentiert. Das ist zwar auch nicht sehr hilfreich, da die Täter nicht 14, sondern16 Jahre und älter waren. Aber bei Ihnen, Herr Minister, findet sich da gar nichts, nur eine imaginäre, abstrakte Möglichkeit.
Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf bei Punkt 1: „Bei Minderjährigen ist zunehmend … eine Hinwendung zu extremistischen Bestrebungen zu beobachten. Dies führt zu Radikalisierungen“ usw. – Das sind Worte, das sind aber keine Belege.
Ja, wir hatten eine Anhörung; das ist richtig, Frau Schäffer. Die Frage nach dem Warum wurde dabei jedoch nicht beantwortet. Da wurde nur darüber gesprochen, ob das Ganze überhaupt gehen könnte.
Wir haben jetzt also einen Gesetzentwurf vorliegen, der besagt, dass es notwendig sei, auch die Daten von 14-Jährigen zu speichern. Darauf begründen Sie das Gesetz. Wo aber sind die Angebote, die Kinder und Jugendlichen da herauszuholen und ihnen andere Ziele und Perspektiven zu bieten? Da ist nichts!
Ich weiß, dass das Verfassungsschutzgesetz für Präventionsprogramme nicht der richtige Platz ist; das ist klar. Deshalb hätten Sie ja auch ganz auf diesen Entwurf verzichten können. Wir hätten dann gemeinsam den Entwurf der CDU ablehnen können, und fertig.
Sie haben jetzt aber einen Gesetzentwurf eingebracht, und wenn Sie Daten nach diesem Gesetz speichern dürfen, dann ist es für die Jugendlichen schon fast zu spät. Prävention ist das Gebot der Stunde, insbesondere für Jugendliche, und nicht Repression.
Sie müssen früher anfangen, schon bevor die Jugendlichen auffällig bzw. straffällig werden. Von dem groß angekündigten ganzheitlichen Handlungskonzept zur Salafismusprävention fehlt immer noch jede Spur. Sie wissen, Herr Minister, im März 2015 haben Sie hier vom Landtag den Auftrag bekommen, ein solches Handlungskonzept zu erstellen. Bis heute ist davon nichts zu sehen. Alles passiert mal wieder viel zu spät, so wie wir es von dieser Landesregierung gewohnt sind.
Lassen Sie mich noch etwas anderes ansprechen, nämlich das weitere Aufweichen des Trennungsgebots zwischen Polizei und Geheimdiensten in Bezug auf die Übermittlung personenbezogener Daten an Polizei und Staatsanwaltschaft. Hier ist § 17 Abs. 2 im Gesetzentwurf der Landesregierung gemeint.
Sowohl Prof. Roggan wie auch die Landesbeauftragte für den Datenschutz Frau Block haben in ihren Stellungnahmen zur Anhörung darauf hingewiesen, dass mit dieser Regelung das Trennungsgebot verletzt wird und auch in diesem Punkt der Gesetzentwurf als verfassungswidrig angesehen werden muss.
Das interessiert Sie aber nicht; Sie haben lediglich darauf verwiesen, dass Sie eine Regelung aus dem Bundesverfassungsschutzgesetz übernehmen. Sie verschweigen dabei, dass genau aus diesem Grund eine Beschwerde gegen das Bundesverfassungsschutzgesetz beim Verfassungsgericht anhängig ist. Warum Sie dieses Verfahren nicht abwarten, ist nicht nachvollziehbar.
Insgesamt wird dadurch aber deutlich, dass das Trennungsgebot bei Ihnen wohl einen niedrigeren Stellenwert genießt als das Bestreben, möglichst schnell zu weiteren Befugnissen für den Verfassungsschutz zu kommen.
Hier soll offensichtlich die Gunst der Stunde genutzt werden, um die allgemeine Angst vor gewaltbereiten salafistischen Jugendlichen zu nutzen, um Schutzrechte für alle abzubauen. Dass sich diese Gesetzesänderung nicht nur gegen mutmaßlich gewaltbereite salafistische Jugendliche richtet und bei diesen angewandt werden soll, ist jedem wohl hoffentlich klar.
Wo auch immer der Verfassungsschutz die nächsten Täter vermutet: 14-Jährige stehen nun auch im Fokus. Das ist Sicherheitspolitik ohne Sicherheit, also purer Aktionismus, allerdings mit der Gefahr verbunden, dass immer mehr Befugnisse den Geheimdiensten zugestanden werden und immer weiter Bürgerrechte abgebaut werden. All das sind für uns ausreichend Gründe, beide Gesetzentwürfe abzulehnen. – Danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Herrmann. – Als nächster Redner spricht für die Landesregierung Herr Minister Jäger.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Präsident! Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Jahren deutlich verschärft. Sie hat sich nachhaltig verändert – dies muss zur Kenntnis genommen werden –, und insbesondere das Phänomen des Salafismus ist in Deutschland progressiv steigend. Herr Herrmann, auf eine solche Veränderung muss ein Rechtsstaat reagieren, und zwar ausgewogen und abgewogen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit – aber er muss reagieren.
Er muss erst recht dann reagieren, wenn wir zur Kenntnis nehmen müssen – und den Beleg dafür kennen Sie, Herr Herrmann; denn Sie haben den Verfassungsschutzbericht 2015 aus meinem Haus bekommen –,
dass diese Radikalisierung im Bereich des Salafismus zum einen deutlich mehr als früher übers Internet stattfindet und zum anderen persönliche Bezüge zunehmend eine untergeordnete Rolle spielen.
Die Propaganda des IS, die Propaganda des Salafismus wird inzwischen in unsere Kinderzimmer hineingetragen.
Welchen Schluss haben wir jetzt daraus zu ziehen? Einen ausgewogenen, wie ich finde. Wir haben zwischen dem in unserer Verfassung verankerten besonderen Schutz von Kindern und Jugendlichen auf der einen Seite und den anderen Rechtsgütern in unserer Verfassung, wie beispielsweise dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf der anderen Seite abzuwägen.
Vor diesem Hintergrund finde ich diesen Gesetzentwurf sehr ausgewogen und sehr moderat. Dies meine ich insbesondere vor dem Hintergrund, Herr Herrmann, dass es nicht nur darum geht, gegen 14Jährige repressiv vorzugehen,
sondern auch darum, gerade für diese Jugendlichen, die in den Salafismus abzurutschen drohen, präventiv zu wirken. Sie kennen das Projekt „Wegweiser“, mit dem wir, glaube ich, nicht nur in Deutschland, sondern in Westeuropa an der Spitze liegen. Engländer, Franzosen, Holländer und Belgier kommen zu uns, um sich dieses Projekt anzuschauen.
Wir handeln sehr ausgewogen, indem wir versuchen, die Jugendlichen dann abzufangen, wenn sie sich in der Radikalisierungsphase befinden. Wir stoßen Türen auf, durch die viele gehen, aber nicht alle gehen werden. Und für die, die nicht durch diese Türen gehen, muss der Rechtsstaat ein Instrumentarium haben. Der Rechtsstaat muss auf die reagieren, die sich radikalisieren, die zum Gefährder werden, selbst wenn sie erst 14 oder 15 Jahre alt sind. Daher ist dieser Gesetzentwurf sehr ausgewogen.
Herr Herrmann, ich finde Ihre Generalkritik in Richtung Verfassungsschutz – ich habe es heute Morgen schon gesagt – sehr bigott, zumal zugleich Ihre Fraktionskollegin Brand kritisiert, dass dem Verfassungsschutz der Eintrag eines Sicherheitsmitarbeiters auf Facebook nicht aufgefallen ist – wofür keine Rechtsgrundlage existiert. Das wäre Gesinnungsschnüffelei, und die soll durch diesen Gesetzentwurf erst recht nicht betrieben werden.
Frau Korte, Sie gestatten mir den Hinweis, dass es nicht nur um die Gesetzesgrundlage geht, sondern auch um die personelle Ausstattung, die Fähigkeit und die Verfügbarkeit des Verfassungsschutzes, den wir seit 2010 personell nachhaltig gestärkt haben. Ich kann mich an fünf Jahre erinnern, in denen genau das Gegenteil der Fall gewesen ist.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist vieles dazu gesagt worden, insbesondere zu der Frage der Altersgrenze und der Speicherung. Wir haben mit diesem Gesetzentwurf aber nicht nur diese Frage behandelt, sondern gerade auch aktuelle Rechtsprechung in das Verfassungsschutzgesetz eingebaut; auch das ist hier mehrfach betont worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, die Landesregierung empfiehlt Ihnen, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in Drucksache 16/12861 unter Nummer 1, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU Drucksache 16/11892 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst, nicht über die Beschlussempfehlung. Wer stimmt dem Gesetzentwurf der CDU zu? – Die CDU und die FDP. Wer stimmt dagegen? – Die Piraten, die SPD, die Grünen und Herr Schwerd, fraktionslos. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen gibt es nicht. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/11892 mit der großen Mehrheit des Hohen Hauses in zweiter Lesung abgelehnt.
Unter Nummer 2 beschließen wir – oder auch nicht –, den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/12120 in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über die Nummer 2 der Beschlussempfehlung Drucksache 16/12861. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – SPD und Grüne stimmen zu. Wer stimmt gegen diese Beschlussempfehlung? – Piraten, Herr Schwerd, fraktionslos, CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Ist nicht der Fall. Damit ist die Nummer 2 der Beschlussempfehlung Drucksache
16/12861 mit breiter Mehrheit angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/12120 in der Fassung der Beschlüsse des Innenausschusses angenommen und in zweiter Lesung verabschiedet.