Vielen Dank, Herr Kollege Feuß. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Dr. Bunse das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Frau Pieper, Sie haben sich in Ihrer Rede gerade auf die Mülheimer Erklärung bezogen und herausgestellt, wie einmütig diese Entscheidung gefallen ist. Das hat Gewicht, finde ich. Da hilft auch die leichte Untertreibung in Ihrer Darstellung, Herr Feuß, recht wenig. Man sollte diese Pädagogen und Pädagoginnen ernst nehmen und nicht versuchen, nur mit Zahlen zu kontern; denn sie drücken eine ganz tiefe Befindlichkeit aus, die sich nun einmal nicht immer mit Zahlen messen lässt.
Verehrte Piraten, Ihre Anträge haben oft eine gewisse Eigenwilligkeit und einen sehr eigenen Charme. Zu diesem Antrag muss man aber ganz einfach sagen: Er ist leider noch einmal wieder eine Notwendigkeit und eine Aufforderung an die Landesregierung, jetzt wirklich tätig zu werden. Deshalb kann man nur im Namen aller Betroffenen und unter dieser Hau-Ruck-Inklusionsaktion Leidenden dafür Danke sagen.
Sie beschreiben die Situation des laufenden Inklusionsgeschehens an den Schulen in NRW und nehmen Bezug auf die Mülheimer Erklärung. Sie zeichnen auch einige Fakten auf.
Es ist schon erstaunlich, dass der sonderpädagogische Unterstützungsbedarf bei den Schülerinnen und Schülern eine steigende Tendenz zeigt. Trotz des Förderschulenschließungsszenarios, das die Landesregierung durchaus in Gang gesetzt hat, muss man sehen, dass die Förderschulen – auch das ist ein Fakt – weiterhin stark nachgefragt sind. Auch widerspricht das AO-SF-Verfahren mit seiner Verhinderungstaktik, die Sie durch diese Gesetzgebung an den Tag gelegt haben, der großen Anzahl der Menschen – meist sind es ja Eltern –, die trotzdem dieses Verfahren für ihre Kinder wünschen.
Ich finde es bedauerlich, dass die Zahl der von Schulen des gemeinsamen Lernens zu den Förderschulen zurückkehrenden Kinder auch noch steigt. Das ist immer ein Umweg für Kinder. Solche Umwege haben meist einen sehr schmerzhaften Beigeschmack. Auch dafür ist diese Gesetzgebung verantwortlich.
Noch schlimmer finde ich, dass die Lehrerinnen und Lehrer die Überforderung und Enttäuschung ausdrücken, die sie empfinden; denn sie sind diejenigen, die
sich auf den Weg gemacht haben und in dieser Erklärung nur wieder betonen, dass sie sich personell und auch sächlich von Ihnen oft nicht entsprechend unterstützt fühlen. Das ist einfach ein Gefühl bzw. eine Wahrnehmung, die man ernst nehmen muss. Ich finde es ein bisschen despektierlich, dass dann nur mit ein paar Zahlen gekontert wird. Das nutzt den Lehrerinnen und Lehrern vor Ort ziemlich wenig.
Frau Löhrmann und Frau Beer, ich bin mir ziemlich sicher, dass Ihnen Reaktion bzw. diese Befindlichkeit der Lehrerinnen und Lehrer nicht ganz egal ist und dass Sie sie wahrnehmen. Bei Frau Hendricks bin ich mir nach deren Einlassungen heute Morgen nicht mehr ganz so sicher.
Die vom VBE in Auftrag gegebene Studie zeigt auf beklemmende Weise, wie dem Inklusionsgeschehen die Luft zum Atmen genommen wird. Dabei finde ich Folgendes bemerkenswert: 2015 ist eine gemeinsame Unterrichtung von allen Kindern mit und ohne Behinderung von 54 % der Lehrerinnen und Lehrer als grundsätzlich richtig eingestuft worden. 2016 ist diese Zahl sogar auf 60 % gestiegen. Trotzdem hört man deren Hilferufe nicht und unterstützt sie nicht – zumindest nicht adäquat.
Sie ignorieren diese Hilferufe und unterstützen die Lehrerinnen und Lehrer da nicht so, wie sie es verdient hätten. Sie ignorieren, dass diese Lehrerinnen und Lehrer aktuell einerseits eine Überforderung der Kinder mit einer Behinderung im Unterricht feststellen und andererseits, bedingt durch das fahrlässige Umsetzungssetting, eine Benachteiligung der Kinder ohne Behinderung sehen. Also kann man im Grunde genommen keinem wirklich gerecht werden.
Der Lösungsansatz aus dieser Krise heraus ist ganz einfach. Er ist von Ihnen, Frau Pieper, aufgezeigt worden. Auch der VBE hat ihn – sehr deutlich formuliert – auf den Tisch gelegt. Er spricht von kleinen Klassen und von Doppelbesetzung.
C: Wir sprechen noch einmal mit dem VBE und den anderen Akteuren. – Da kann ich nur sagen: Die Anforderungen liegen auf dem Tisch.
Also bleibt nur noch D: Fehler eingestehen, sich trauen, auf die Opposition hören und es besser machen.
Dazu kann ich nur sagen: Man sollte vielleicht wirklich einmal nicht mit Zahlen operieren, sondern ganz einfach das Ohr beim Volk haben. Das sollten Sie eigentlich nicht verlernt haben, denke ich. – Danke.
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Bunse. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Beer.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Bunse, ja, das ist richtig. Wir nehmen die Rückmeldungen, die aus den Schulen kommen, ernst, natürlich auch die der Kolleginnen und Kollegen. Ich habe eben schon einmal darauf hingewiesen, dass wir auch im Ausschuss gesagt haben: So, wie wir auf verschiedenen Podien miteinander diskutieren, meinen wir das auch ernst mit dem Nachsteuern. Da muss man über die Prozesse sehen.
Ich habe eben schon gesagt: Im Nachtragshaushalt, der heute vorgelegt worden ist, ist schon die Reaktion erfolgt, dass hier eine Tranche von 300 Stellen für das Stellenbudget zusätzlich zu multiprofessionellen Kräften und der Stärkung der multiprofessionellen Teams ausgebracht ist. Das ist wichtig – egal, wie Frau Pieper das bezeichnet. Das ist für die Schulen die notwendige Unterstützung, die sie auch immer einfordern.
Frau Kollegin Beer, würden Sie eine Zwischenfrage von der von Ihnen gerade angesprochenen Frau Kollegin
Frau Beer, danke, dass Sie die Frage zulassen. – Frau Pieper hat es uns gerade vorgerechnet: 300 Stellen sind 0,75 Stellen pro Kommune. Sie fangen jetzt wieder an, mit Zahlen zu operieren. Meinen Sie nicht, dass es auch darum geht, eine ganz andere Haltung zur Umsetzung der Inklusion an den Tag legen zu müssen? Die fängt ganz einfach mit Zuhören und Wahrnehmen an, um dann darauf zu reagieren. Das ist eine Frage der Haltung, nicht der Zahlen.
Herzlichen Dank für die Frage. Sie haben gefragt, ob wir das ernst nehmen, was aus den Schulen kommt. Natürlich nehmen wir auch ernst, dass Ressourcenanforderungen kommen. In diesem Bereich wird nachgesteuert. Das ist
etwas, was die Kollegin mit der Durchschnittszahl zu relativieren versucht. Wir schauen genau hin – das ist auch Aufgabe der Schulaufsicht –, an welcher Stelle etwas nachgesteuert werden muss.
Ich will mit noch einem Märchen aufräumen. Es ist kein Prozess mit der Brechstange. Denn von der Ministerin ist eben gesagt worden:
Erstens. Die Gutachter hatten uns eigentlich empfohlen, ganz bestimmte Förderschulen direkt zu schließen und die anderen sehr massiv zurückzuführen. – Das haben wir nicht gemacht. Deswegen ist klar: Wir brauchen eine stärkere Stellenausstattung.
Zweitens. Jetzt folgen wir natürlich dem System der Schwerpunktschulen. Deswegen muss da die sonderpädagogische Ressource gebündelt werden. – Das hilft dann auch. Damit erklärt sich auch, warum es nicht an allen Schulen dieses Budget gibt.
Ich will noch einmal zu der Frage der Haltung kommen. Lassen Sie mich an dieser Stelle – ich glaube, das ist sehr angemessen – einmal einer Schule in Nordrhein-Westfalen in ganz besonderer Weise gratulieren. Das ist das Geschwister-Scholl-Gymnasium in Pulheim, das den Jakob-Muth-Preis bekommen hat.
Es ist immer gesagt worden und war auch Teil der Debatte hier: Es kann doch nicht sein, dass an den Gymnasien zieldifferentes Lernen gelingt. – Die Schüler und Lehrer des Gymnasiums haben sich auf den Weg gemacht und haben in herausragender Weise Haltung in der Schule verändert – aber mit Ressourcen. Es ist ihnen nämlich gelungen, sowohl das, was wir im Landeshaushalt bereitstellen, als auch das Thema der Jugendhilfe und die Frage der Sozialhilfe zusammenzuführen – wir haben sie hier in der Anhörung gehört – und in dieser hervorragenden Art zu einem Unterstützungszentrum in der Schule aufzubauen.
Das zeigt, wie tiefgreifend die Veränderung in allen Schulen in Nordrhein-Westfalen ist. Es ist nicht mehr so, dass es wenige betrifft. Dieser Prozess ist in der Breite angekommen. Viele Kolleginnen und Kollegen setzen sich damit auseinander. Bei einem so tiefgreifenden Prozess ist doch klar, dass auch die Rückmeldungen in der Breite kommen.
Wir unterstützen diesen Prozess. Das gehört dazu, weil uns die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen natürlich sagen: Ihr verlangt von uns eine Haltungsänderung, einen anderen Blick auf das Kind. Aber dazu gehört auch die Unterstützung. – Sorry! Das ist dann Ressource. Das leistet die Landesregierung auch; denn sonst hätten wir hier noch eine ganz andere Debatte.
Ich will auf das verweisen, was wir innerhalb der mehr als 1 Milliarde € gemacht haben, die wir auf den
Weg gebracht haben. Das ist zum Beispiel das Inklusionsleistungsgesetz. Hier wird die Ausstattung gerade durch die Schulträger unterstützt. Das betrifft sowohl die Schulmaterialien als auch den gerechten Ausbau in den Schulen, wenn die Kinder mit Handicaps dort ankommen. Die Schulen haben im ersten Jahr von den bereitgestellten 25 Millionen € gerade einmal 8,6 Millionen € abgerufen. Ich nehme an, dass das im zweiten Jahr jetzt mehr werden wird. Die Evaluation steht noch aus; wir werden sie bald vorgelegt bekommen. Aber das ist etwas, was auch im System greift.
Wir haben im Korb II auch zusätzliche personelle Unterstützung angeboten. Es ist wichtig, dass sich hier ein Paradigmenwechsel anbahnt – dass wir die Unterstützungsstrukturen in der Schule haben und dass Eltern, die gerade mit ihren Kindern mit Behinderungen zum Beispiel auf Schulbegleitung setzen, nicht erst einen individuellen Anspruch nach SGB nachweisen müssen, sondern im System schon Strukturen vorfinden. Dafür haben wir einen Impuls gegeben, um das bei den Schulträgern mit zu initiieren. In dieser Frage sind wir zusammen.
Frau Kollegin Beer, Frau Kollegin Dr. Bunse ist noch nicht zufrieden und würde Ihnen gern noch eine weitere Frage stellen. Ich vermute, dass Sie sie auch zulassen.
Liebe Frau Beer, ich möchte das nur klarstellen. Es geht mir nicht um die Haltung der Lehrer und Lehrerinnen. Die Lehrer und Lehrerinnen wissen schon, wie sie sich verhalten müssen, glaube ich. Es geht mir um die Haltung der Politik im Sinne einer Wertschätzung dessen, was Lehrer und Lehrerinnen jetzt tun. Es ist vorhin bei Frau Gebauer angeklungen, glaube ich,
wie mit der Wertschätzung umgegangen wird und in welcher beschämenden Art und Weise inzwischen Aufgaben an die Lehrer und Lehrerinnen übertragen werden. In diese Richtung habe ich den Ausdruck „Haltung“ angewandt. In diesem Sinne kann die Landesregierung noch etwas besser werden, glaube ich.
Es ging darum, ob ich die einzelnen Haltungen unterscheiden kann. Ich nehme das einmal so zur Kenntnis. Danke schön.
Natürlich geht es auch um die Haltung der Politik gegenüber den Lehrerinnen und Lehrern. Ich habe das heute schon mehrfach deutlich gemacht und möchte es jetzt einmal auf meine persönliche Situation beziehen. Es ist wahrhaftig keine Floskel, wenn wir gerade gegenüber den Schulen, die sich auf diesen Prozess jetzt ganz neu eingelassen haben, wie auch gegenüber den Schulen, die schon über 30 Jahre Erfahrungen sammeln, diese Wertschätzung aussprechen.