Protocol of the Session on March 3, 2016

Meine Damen und Herren, bevor ich mich mit den einzelnen Punkten Ihres Integrationsplans auseinandersetze, möchte ich zunächst eine grundsätzliche Bewertung Ihrer Ausführungen und Ihres Vorhabens vornehmen.

Sie beauftragen die Landesregierung, einen Integrationsplan zu erarbeiten. Das finden wir wichtig und richtig.

Darüber hinaus benennen Sie Handlungsfelder. Sie verweisen darauf, was bereits passiert ist und worauf die Landesregierung in Zukunft setzen soll. Das kann man aus unserer Sicht so machen. Mit den Handlungsfeldern geben Sie der Landesregierung Eckpfeiler oder Pflöcke mit auf den Weg, um die Parzellen abzustecken, auf denen das Feld der Integration bestellt werden soll.

Allerdings haben Sie vergessen, der Landesregierung die genauen Maße und die Größe des Feldes mitzuteilen. Anders ausgedrückt: Es wird nicht deutlich, ob der Integrationsplan und dessen Ziele mit einigen Tausend, Millionen oder Milliarden Euro gedeckt ist. Natürlich kann ein umfassender Integrationsplan nicht im Detail auf jeden einzelnen Euro heruntergebrochen werden. Aber es wäre doch wünschenswert, wenn zumindest eine Perspektive deutlicher würde.

Ach ja: Mit dem Nachtragshaushalt 2016 stellen Sie Mittel für die Integration bereit. Für das Integrationsministerium und das Schulministerium sind es zusammen 5,7 Millionen €. Wenn das allerdings der Rahmen für den Integrationsplan sein soll, dann können Sie es auch gleich bleiben lassen.

(Beifall von den PIRATEN)

Darüber hinaus haben Sie vergessen, einen zeitlichen Rahmen zu setzen. Ein „Wir setzen auf mehr Schutz der Frauen bis 2020“ hilft uns nicht weiter. Viele Themen müssen jetzt unmittelbar umgesetzt werden, hätten eigentlich schon vor Monaten auf den Weg gebracht worden müssen. Es bleibt jetzt keine Zeit für Fernziele oder irgendwelche Arbeitskreise, die sich womöglich erst einmal monatelang in das Thema einarbeiten müssen, bevor sie zu einem Ergebnis kommen.

Meine Damen und Herren, bei der Integration sind alle gefordert: der Bund, das Land und natürlich die Kommunen. In Ihrem Integrationsplan stellen Sie viele Forderungen Richtung Bund. Das ist nicht

falsch, aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht in ein endloses Triangel-Pingpong zwischen den drei Playern kommen, wenn es um die Bereitstellung von finanziellen Leistungen geht.

In besonderen Zeiten ist es unumgänglich, gemeinsam die Ärmel hochzukrempeln und aufzuhören mit dem Totschlagargument: „Das ist Sache der Kommunen; da dürfen wir nicht ran“ oder: „Das ist Sache des Bundes; da warten wir mal, bis das Kleingeld vom Himmel fällt“. – Sie sind auch aufgefordert, Ihren Beitrag zu leisten. Integration als gemeinsames Projekt von ganz Deutschland und der Kampf gegen rechts als gemeinsames Ziel aller demokratischen Parteien – das ist das, was wir brauchen.

(Beifall von den PIRATEN)

Betrachten wir nun die einzelnen Handlungsfelder. Grundsätzlich setzen wir Piraten uns für eine ganzheitliche Integration ein. Dazu zählen selbstverständlich die Unterstützung beim Spracherwerb, bei der Vermittlung von Kita- und Schulplätzen, bei Qualifizierungsmaßnahmen, bei der Suche nach Ausbildungsplätzen, bei der Wohnungssuche oder auch beim Arztbesuch. Die Liste ist natürlich noch viel länger. Da aber bereits viel Richtiges gesagt wurde, möchte ich Ihnen die drei Handlungsfelder nennen, die für uns Piraten die Voraussetzung für das Gelingen eines Integrationsplans sind.

Erstens setzen wir auf die Einrichtung eines eigenen Ministeriums für Integration, Flucht und Einwanderung sowie auf die Gründung einer interministeriellen Arbeitsgruppe mit dem Thema „sozialer Wohnungsbau“. Die Aufgabe des neuen Ministeriums sollte unter anderem lauten: Suche nach und Bereitstellung von menschenwürdigen Unterkünften, Etablierung von Mindeststandards in diesen Unterkünften in ganz NRW, Sicherstellung der sozialen, rechtlichen, medizinischen und psychologischen Betreuung in den Unterbringungseinrichtungen, Unterstützung der Kommunen bei der Vermittlung von Schul- und Kitaplätzen, Einführung von Deutschkursen als Standard und Unterstützung bei der Vermittlung in Arbeit und Ausbildung. Dabei soll das Ministerium natürlich eng mit den Trägern der Flüchtlingshilfe zusammenarbeiten.

Die interministerielle Arbeitsgruppe unter Federführung des neuen Ministeriums sorgt darüber hinaus dafür, dass es ab 2017 keine Unterbringung in Zelten und Turnhallen mehr gibt, dass über die vorhandenen Förderprogramme hinaus weitere Sozialwohnungen geschaffen werden und dass Grundstücke erschlossen werden, die sich für den Bau von Wohnungen für Flüchtlinge in modularer Holzbauweise sowie für Neubauten eignen.

Meine Damen und Herren, der zweite Gelingensfaktor ist das Bekenntnis zu folgendem Satz: Deutschland ist ein Aufnahmeland. – Um diesen Satz zu leben, müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen

angepasst werden. Wir benötigen eine rechtliche und tatsächliche Gleichstellung aller Migranten, um echte Integration überhaupt zu ermöglichen.

(Beifall von den PIRATEN)

Denn der Zugang zum Berufs- und Ausbildungsmarkt, zu sozialen, berufsfördernden und Familienleistungen sowie zu vielen anderen Teilhabemöglichkeiten ist leider immer noch abhängig vom Aufenthaltsstatus, von der Aufenthaltsdauer in Deutschland und vom Herkunftsland.

Damit gibt es also Flüchtlinge bzw. Menschen zweiter Klasse. Für die gilt: kein Integrationskurs, kein Familiennachzug, Wohnsitzauflagen und Residenzpflicht, eingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Ausbildungsförderung, kein Zugang zu SGB II und SGB XII, kein Kinder- und Elterngeld, und bei Nichtausreise innerhalb einer vom Ausländeramt gesetzten Frist erhalten sie nur noch die lebensnotwendigsten Leistungen.

Meine Damen und Herren, es hilft nicht, dass wir mit Asylrechtsverschärfungen vortäuschen, dass viele dieser Menschen zweiter Klasse bald das Land verlassen werden. Das ist nämlich falsch. Die meisten werden nicht ausreisen. Zügig abschieben ist ein Märchen.

Oder: Wie sieht es denn mit der Arbeitserlaubnis aus? Was ist mit der Vorrangprüfung? Wieso ist das Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer immer noch umstritten? Auch und insbesondere an dieser Stelle muss ein umfassender Integrationsplan ansetzen, wenn wir es ehrlich meinen.

(Beifall von den PIRATEN)

Drittens setzen wir auf politische Bildung, und zwar für alle. Eine starke Zivilgesellschaft und ein konsequentes Vorgehen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind die Voraussetzung für ein integrationsfreundliches Klima. Es ist noch nicht zu spät. Es ist zwingend notwendig, sowohl den 25-jährigen Arbeitslosen und die 65-jährige Dame mit der kleinen Rente als auch die Neubürger zu erreichen.

Ich erzähle Ihnen mal von einer Begebenheit vor ein paar Tagen am Infostand. Da kam eine ältere Dame zu uns. Die war aufgebracht. Die war außer sich. Die war nur am Schimpfen, fast am Schreien. Es wäre doch alles zu viel und man würde ihr dann irgendwie Geld wegnehmen. Man wäre ja auch überhaupt nicht mehr sicher auf den Straßen und so weiter und so fort.

Wir haben angefangen, uns mit ihr zu unterhalten. Ja, es wird so sein. Auch diese Dame wird zukünftig kein „Refugees-Welcome“-T-Shirt tragen. Aber sie wurde sehr ruhig, während wir uns unterhalten haben, und sie sagte gegen Ende: Hm, da muss ich doch über die eine oder andere Sache noch einmal

in Ruhe nachdenken. – Sie ging weg mit einem Lächeln.

Warum erzähle ich Ihnen das? – Es zeigt, dass wir um jeden kämpfen müssen, der in die rechte Ecke abrutscht, und das nicht nur an unseren Infoständen in den Fußgängerzonen, sondern auch mit strukturellen Maßnahmen. Je mehr Geld wir für diese strukturellen Maßnahmen investieren, desto besser.

(Beifall von den PIRATEN)

Deshalb fordern wir auch, die Mittel der Landeszentrale für politische Bildung weiter anzuheben. Der entsprechende Antrag liegt Ihnen vor. Der wird ja mit überwiesen. Also müssen wir jetzt heute nicht auf Gedeih und Verderb irgendetwas ablehnen, liebe Jutta.

Meine Damen und Herren, die drei Gelingensfaktoren für uns Piraten sind also erstens die Einrichtung eines eigenen Ministeriums und einer interministeriellen Arbeitsgruppe, zweitens die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung aller Migranten – das kommt Ihnen sicherlich bekannt vor, denn das ist auch die Kernbotschaft des Kühn-Memorandums – und drittens politische Bildung für alle!

Neben diesen drei Schwerpunkten haben wir noch viele Einzelaspekte, die wir Ihnen als Tischvorlage in einem Änderungsantrag vorbereitet haben. Ich denke, dass wir damit eine gute Grundlage auch für die Anhörung und die Arbeit im Ausschuss haben werden.

Meine Damen und Herren, zum Schluss müssen wir aber auch noch einen Blick darauf richten, mit welchen Vorzeichen der Integrationsplan hier in NRW nun beraten wird. Wir befinden uns in einer Zeit, in der man bei keiner Partei mehr klar sehen kann, wofür sie eigentlich steht. Das Rechts-Links-Schema ist zerbrochen. Kanzlerin Merkel wird rechts von dem grünen Politiker Boris Palmer überholt. Darin zeigt sich auch, dass wir bei dem Zuwanderungsthema nicht mehr von verschiedenen politischen Strömungen reden können, sondern eher von einem Wasserfall reden müssen, der nur noch in eine Richtung fließt und alles hinunterspült, was wir bisher erreicht haben.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das ist ein bisschen übertrieben, oder?)

Darüber hinaus legt sich das Asylpaket II wie eine braune Dunstwolke über sämtliche Integrationsbemühungen. Die Forderungen dieses Asylpaketes sind in einer ähnlichen Form und teilweise sogar im Wortlaut im Wahlprogramm der NPD aus dem Jahre 2013 nachzulesen. Ja, Sie haben richtig gehört: NPD, eine Partei, die gerade vom Bundesverfassungsgericht vermutlich verboten wird.

Da frage ich mich, ob die Position, den Familiennachzug auszusetzen, auch vom Bundesverfassungsgericht verboten wird.

Es wundert mich nicht, dass auch der Kinderschutzbund das Asylpaket kritisiert und Herrn Gauck auffordert, es nicht zu unterzeichnen.

Auch die Bundesärztekammer kritisiert das Paket als inhuman und lebensgefährlich.

Dass diese dort getroffenen Maßnahmen so menschenverachtend und falsch sind, zeigt auch, dass der Menschenrechtsbeauftragte Christoph Strässer von der SPD von seinen Ämtern zurückgetreten ist.

Wie sollen denn Ihrer Meinung nach Integration und das Einleben von jungen Männern gelingen, wenn ihre Frauen und Kinder nicht nachkommen können? Wie soll Ihrer Meinung nach Integration gelingen, wenn die jungen Männer wissen, dass sich ihre Frauen und Kinder auch in seeuntüchtige Boote setzen und versuchen, unter Einsatz ihres Lebens nach Europa zu gelangen? Wie soll Integration gelingen, wenn diese Frauen und Kinder es weiter versuchen und weiter dabei sterben? Wie soll dann Integration gelingen?

Ich kann nicht verstehen, dass Sie in einer Art Zustimmung durch Schweigen, liebe SPD und Grüne, im Bundesrat nichts gegen dieses Asylpaket getan haben. Sie hätten zumindest versuchen können, es in den Vermittlungsausschuss zu bringen. Aber Sie haben gar nichts getan.

Meine Damen und Herren, zusammenfassend kann man sagen: NRW und auch Deutschland benötigen dringend einen Integrationsplan. Der hier vorliegende Plan ist ein Anfang mit vielen richtigen Aspekten. Allerdings fehlt ein finanzieller und zeitlicher Kompass.

Wir stehen für eine konstruktive Opposition und sind bereit, einen gemeinsamen Integrationsplan zu verabschieden, sofern unsere vorgetragenen Positionen berücksichtigt werden. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Dr. Stamp.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Schmeltzer, Sie haben zunächst, wie ich fand, einen recht langatmigen Rechenschaftsbericht vorgetragen, aber dann einen richtigen und wichtigen Satz gesagt: Wir dürfen Flüchtlinge und andere Hilfsbedürftige nicht gegeneinander ausspielen. – Ich möchte Sie herzlich bitten, das auch Ihrem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel zu vermitteln.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das ist nämlich genau das, was er Tag für Tag betreibt.

Meine Damen und Herren, für die Freien Demokraten ist das Ziel von Integration nicht Gleichmacherei. Für uns ist nicht die Herkunft oder der Glaube entscheidend, sondern die Haltung und die Achtung vor dem Grundgesetz.

Meine Damen und Herren, für uns ist entscheidend, wer und was jemand ist, und nicht, was er zu Mittag isst.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das mit einem schönen Gruß nach Schleswig-Holstein: Die Werte des Grundgesetzes werden nicht in deutschen Kantinen verteidigt.