Protocol of the Session on June 19, 2008

Das ist in der Urteilsbegründung relativ kühl juristisch formuliert. Ich gestehe, es war für mich – und, ich glaube, auch für viele andere in diesem Untersuchungsausschuss – das Furchtbarste, womit ich mich in den acht Jahren meiner Abgeordnetentätigkeit in diesem Hause habe auseinandersetzen müssen.

In derselben Urteilsbegründung führt der Richter aus, die Tat sei durch die Haftumstände begünstigt worden. Die Haftumstände in einer NRW-JVA haben diese stundenlange Folter und die anschließende Ermordung begünstigt.

Hermann war 20 Jahre alt, drogenkrank und saß ein, weil er einen Kaugummiautomaten aufgebrochen hatte und nicht zu den angeordneten Sozialstunden angetreten war. Er war psychisch und physisch labil, so etwas wie ein Weichei in den Augen derer, die in der Gefängnishierarchie oben stehen – ein sogenannter Opfertyp.

Nachdem er zuvor in einer Einzel- bzw. in einer Zweimannzelle untergebracht war, wurde er trotzdem mit drei weiteren Gefangenen eingeschlossen, von denen mindestens zwei als Gewalttäter bekannt waren.

15 m2, vier Insassen, ein Opfertyp, mindestens zwei Gewalttäter und 23 Stunden sich selbst überlassen: Diese Haftbedingungen und diese Konstellation, diese enge Mehrfachbelegung haben den Foltermord begünstigt, vielleicht sogar erst möglich gemacht.

Diese Haftbedingungen sind eine Gefahrenzone. Gefahrenzone – das ist nicht unsere Formulierung. Das ist die Formulierung der amtierenden Justizministerin des Landes Nordrhein-Westfalen. Sie wusste um das Gefahrenpotenzial. Sie wusste es nicht nur vor dem Mord, sondern hat darüber auch mit anderen gesprochen und, wie wir inzwischen wissen, auch geschrieben, übrigens belegt

durch ein Schreiben, das nicht den übersandten Akten an den Untersuchungsausschuss beigefügt war, sondern erst auf unsere Anforderungen hin in einem sachfremden Ordner auftauchte – vor dem Mord geschrieben.

Opfer und Täter in einem Raum mit 15 m2, sich selbst überlassen, wird als Gefahrenzone bezeichnet. Frau Müller-Piepenkötter, fünf Tage nach dem Foltermord an Hermann haben Sie die Ihnen bekannte gefährliche Mehrfachunterbringung, diese Gefahrenzone, per Erlass untersagt – nach dem Foltermord an Hermann, Frau MüllerPiepenkötter.

Trotz Wissens nicht zu handeln, erst nach dem Tod von Hermann etwas zu unternehmen und nicht vor seinem Tod, Frau Müller-Piepenkötter: Das ist Ihre persönliche, das ist Ihre politische Verantwortung – eine Verantwortung, bei der Sie sich konsequent weigern, sich ihr zu stellen, so wie Sie sich heute weigern, Verantwortung zu zeigen und an dieser Plenardebatte teilzunehmen.

Nach der Tat wurde vieles angekündigt, halbherzige Versprechungen wurden gemacht. Von all dem sagt der Personalrat: Nichts ist umgesetzt.

Egal, Frau Müller-Piepenkötter, ob die Vertreter von CDU und FDP wie Herr Giebels und Herr Dr. Orth versuchen, durch Beschimpfen der Opposition von Ihrer persönlichen politischen Verantwortung abzulenken: Ihre Amtszeit, Frau Müller-Piepenkötter, egal, wie lange sie noch dauern mag, wird für immer in der Öffentlichkeit mit Ihrem Versäumnis, Ihrem Nichthandeln und Ihrer Weigerung, Verantwortung zu übernehmen, in Verbindung gebracht.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Jäger. – Als nächster Redner hat sich für die Fraktion der CDU noch einmal der Kollege Giebels zu Wort gemeldet, was er hiermit auch bekommt. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz noch zwei Punkte ansprechen.

Hier soll nicht unterschlagen werden – meine Kollegen von der SPD, Herr Stotko und Herr Jäger, Sie wissen es ganz genau –, dass Hermann H. am Freitag vor der Tat, wenige Stunden vor der Tat in einem Gespräch mit der Sozialarbeiterin auf die Frage, ob er in eine andere Zelle verlegt werden möchte, dies mit dem Hinweis abgelehnt hat,

er fühle sich in dieser Zelle mit diesen Zellengenossen „wohl“.

(Ralf Jäger [SPD]: Herr Giebels, was sagt das denn aus? – Weitere Zurufe von der SPD)

Auch das gehört zur Wahrheit. Weil Sie so etwas hier nicht einbringen, verfälschen Sie schon den Blick auf die Tatsachen,

(Beifall von der CDU)

um es ganz deutlich zu sagen. Wenn Sie, Sie beide, wiederholt den Versuch unternehmen, die Ministerin der persönlichen Verantwortung zu bezichtigen, also einer strafrechtlichen Verantwortung – denn nur das kann eine persönliche Verantwortung sein –, dann ist das ein unglaublicher Vorgang. Sie wissen, dass das völliger Unsinn ist. Deshalb sollten Sie es unterlassen, damit man Sie auch in Zukunft ernst nehmen kann.

(Beifall von der CDU)

Herr Kollege Giebels, der Herr Kollege Jäger hatte sich für eine Zwischenfrage gemeldet. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor.

Damit komme ich zur Abstimmung. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss I empfiehlt in der Beschlussempfehlung in Drucksache 14/6900, den Teilabschlussbericht zur Kenntnis zu nehmen. Ich lasse zunächst über die Empfehlung abstimmen. Wer dieser Empfehlung zustimmen möchte, den bitte ich, die Hand aufzuzeigen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist diese Empfehlung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen und der Bericht zur Kenntnis genommen.

Die im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss vertretenen Fraktionen sind weiterhin einvernehmlich übereingekommen, dass es sinnvoll sei, das grundlegende Problem der Gewaltprävention im Rahmen einer Enquetekommission zu erörtern und somit auf die weiteren Untersuchungen nach II.5 des Einsetzungsbeschlusses entsprechend zu verzichten.

Sie bitten deshalb vor dem Hintergrund der Einsetzung der Enquetekommission III den Landtag um Entbindung von den weiteren Untersuchungen zu II.5 des Einsetzungsbeschlusses. Deswegen stimmen wir auch darüber ab, und zwar über die Feststellung: Die Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses I werden von den weiteren Untersuchungen zu Abschnitt II.5 des Einset

zungsbeschlusses entbunden. Wer dieser Feststellung zustimmen möchte, den bitte ich, mit der Hand aufzuzeigen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist auch diese Empfehlung angenommen und der Auftrag des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses insgesamt erledigt.

Ich darf im Namen des Hohen Hauses allen Mitgliedern des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses sowie auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihre engagierte Arbeit, die in einem sehr umfangreichen Werk dokumentiert wurde, herzlich danken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Ende des Tagesordnungspunktes 11.

Ich rufe auf:

12 Einrichtung einer Enquetekommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine effektive Präventionspolitik in NordrheinWestfalen

Antrag

der Fraktion der CDU,

der Fraktion der SPD,

der Fraktion der FDP und

der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 14/6965

Ich eröffne die Beratung und erteile für die Fraktion der CDU dem Kollegen Biesenbach das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem persönlich bedauernswerten Schicksal, das dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zugrunde lag, wollen wir jetzt den Blick nach vorne richten.

Wir haben gerade den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss von einer Aufgabe entbunden, die sicher zu seiner gehörte. Es zählt zu einer der angenehmen Aufgaben, die der PUA übrig gelassen hat, jetzt gemeinsam – deswegen dieser gemeinsame Antrag heute – zu fragen: Was können wir in Nordrhein-Westfalen tun, um Gewalt und auch Kriminalität von Jugendlichen zu verhindern, zu vermeiden oder soweit wie möglich zu verhindern oder zu vermeiden?

Das ist kein Phänomen, das jetzt speziell aus dem Untersuchungsauftrag abgeleitet ist. Wir haben schon zu unterschiedlichen Zeiten heftig über die Formen debattiert und wie wir darauf reagieren sollen. Es war auch richtig, diese Frage vom Untersuchungsauftrag zu lösen; denn die Justiz taugt

nicht dazu, Gewalt und Kriminalität von Jugendlichen zu bearbeiten.

Wenn die Justiz zum Zuge kommt, sind wir am Ende der Kette. Wir wollen aber nicht ans Ende der Kette, wir wollen an den Anfang. Wir wollen Jugendgewalt und Jugendkriminalität soweit wie möglich vermeiden.

Dazu hat diese Koalition in den drei Jahren, in denen sie die Regierung stellt, schon sehr erfolgreich beachtliche Schritte unternommen. Ich will diese Schritte nicht alle aufzählen; sie sind alle bekannt und hier auch ständig Gegenstand der parlamentarischen Diskussion.

(Frank Sichau [SPD]: Von der Arbeitsgruppe haben wir schon lange nichts mehr gehört!)

Herr Sichau, Sie sollten mich doch deshalb nicht provozieren, weil ich gezielt auf die Ausführungen Ihrer Kollegen vorher nicht eingegangen bin. Ich will auch gar nicht die Erinnerungslücken erwähnen. Auch wenn sich Herr Jäger nicht einmal daran erinnert, was ich ihm vorgeworfen habe, würde ich darüber nicht reden. Wenn es darum geht, sich zu erinnern, was man eigentlich wissen müsste, will ich Herrn Stotko auch nicht vorhalten, dass er in ganz anderen Zusammenhängen seine Probleme hatte.

Ich will es nicht weiter vertiefen. Aber hören Sie auf zu provozieren; denn sonst bekommen Sie die Wahrheit hier doch noch einmal um die Ohren gehauen.

(Ralf Jäger [SPD]: Ja, machen Sie doch!)

Herr Jäger, soll ich anfangen? Wollen Sie es hören?

(Zuruf von Ralf Jäger [SPD])

Das mit dem Grillen, lieber Herr Jäger; habe ich Ihnen hier in der Debatte schon vorgeworfen. Darüber haben Sie dann einige Wochen intensiv geschwiegen, und das war gut so.

(Ralf Jäger [SPD]: Hä?)