Protocol of the Session on May 14, 2008

Wir haben dankenswerterweise eine psychiatrische Abteilung nach längerer Vorbereitung, nach einer Vorlaufphase auch in Werl, auch wenn eine solche Abteilung aus nachvollziehbaren Gründen zunächst nicht an die somatische Klinik in Fröndenberg angegliedert werden sollte.

Die Studie über psychogene Erkrankungen in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I durch Dr. von Schönfeld von den von Bodelschwingh’schen Anstalten in Bethel hat insgesamt einen wichtigen Beitrag geleistet, zumal vor Erstattung dieser Studie noch nicht ganz so klar war, wie das Profil psychischer Erkrankungen im Strafvollzug ist.

Was nun die die Frage angeht, ob die Kapazitäten ausreichen. Sie müssen ausreichen, wenn sie nicht entsprechend angepasst werden. Aber man muss zugleich auch sagen, wenn man die Vergleichszahlen aus anderen Bundesländern sieht: Hier geht es um Krisenintervention und um Akutbehandlung. Psychiatrische Pflege gehört in die Pflegeabteilung des Vollzuges, Nachbehandlung und Allgemeinmedikation psychiatrischer Fälle gehören in die Anstalten. Das macht bei Zahlen möglicherweise einen Unterschied.

Was den zweiten Punkt, die Sozialtherapie, betrifft, so zielt diese in erster Linie auf Verhaltensänderungen und Motivation dazu ab, insbesondere bei Gewalttaten, bei Sexualstraftaten, weniger bei psychischen Erkrankungen im engeren Sinne. Das ist eine andere Ebene, Frau Düker. Entsprechend unseren Gesetzesnormen sind hier bedarfsgerechte Plätze vorzuhalten, was zu hinterfragen ist.

Ein Neubau der Sozialtherapie in Gelsenkirchen, der ins Haus steht, bietet hier Möglichkeiten für eine optimierte Anstalt mit entsprechender Größe.

Bei psychologischem Fachpersonal kann man aufstocken. Heute gibt es andere finanzwirtschaft

liche Rahmenbedingungen, wie sie zwischen 2000 und 2005 nicht vorhanden waren. Nur muss man bei psychologischem Fachpersonal sehen, dass es um Diagnostik und um Beratung geht. Es geht aber auch um Psychotherapie. Da brauchen wir keinen Psychologen, sondern Psychotherapeuten. Da muss geschaut werden, ob wir neben den extern tätigen Psychotherapeuten, die in den Anstalten arbeiten, mehr eigene brauchen. Hier müssten die Fallzahlen zunächst einmal seitens des Ministeriums dargelegt werden.

Zu Punkt 4, der spezifischen Fortbildung und deren Intensivierung für den allgemeinen Vollzugsdienst, aber auch für den – das ist nicht genannt worden – vollzuglichen Krankenpflegedienst. Denn die Krankenpfleger haben neben dem Arzt auch mit psychisch Kranken zu tun. Auch das Angebot für Ärzte ist in diesem Zusammenhang wünschenswert.

Dankenswerterweise haben wir, hoffentlich inzwischen in allen Anstalten, Konsiliarpsychiater, was ganz wichtig ist, auch für die Krisenintervention, was in diesem Antrag allerdings nicht erwähnt worden ist. Denn das ist schon eine ganz wichtige Aufgabe.

Für die 35 bis 50 % Drogenabhängigen, 50 % im Frauenvollzug, ist in erster Linie der ärztliche Dienst bezüglich Entgiftung und Substitution nach den entsprechenden Vorgaben zuständig. Hinzu kommen natürlich spezielle Abteilungen, dabei auch der psychologische Dienst und ganz besonders wichtig – wir haben in diesem Haus darüber schon oft diskutiert – die externen und internen Suchtkrankenberater für alles Weitere wie beispielsweise auch die externe Entwöhnungsbehandlung.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ähnliches ist für Alkoholkranke dringend erforderlich.

Abschließend, in der psychologischen Forschung ist bekannt, dass Strafvollzug psychische Schäden hervorrufen kann. Deswegen heißt es auch im Strafvollzugsgesetz: Schädlichen Folgen des Vollzuges ist entgegenzuwirken. – Dazu bedarf es auch – das habe ich auch im Rechtsausschuss gesagt – einer besseren Tagesstruktur wie beispielsweise Arbeit für mehr Gefangene. Setzen Sie unseren Vorschlag dazu, Frau Ministerin, bitte um.

Alles Weitere werden wir im Ausschuss diskutieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Sichau. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Freimuth.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter den 18.000 Strafgefangenen in Nordrhein-Westfalen – und das ist kein spezifisch nordrhein-westfälisch Phänomen, sondern überall in Deutschland so – befindet sich häufig eine nicht unbeträchtliche Anzahl sozial auffälliger oder labiler, in Umgang und Zugang schwieriger und teilweise gewaltbereiter oder suchtgefährdeter Menschen. Das ist keine seit 2008 neu erlangte Erkenntnis, sondern bereits ein seit Langem bekannter Umstand. Nichtsdestotrotz ist es auch deswegen richtig, sich mit der Thematik zu beschäftigen.

Seit der Regierungsübernahme im Jahre 2005 arbeiten FDP und CDU engagiert und nachdrücklich daran, eine ausreichende Anzahl von Angeboten für die Gefangenen im Bereich der sozialtherapeutischen Abteilungen und der ambulanten sowie stationären Behandlungsmöglichkeiten zu schaffen. Im Gegensatz zu der rot-grünen Vorgängerregierung kommen wir unserer Regierungsverantwortung auch in diesem Bereich nach.

Wenn sich die Grünen nun hier hinstellen und die Behandlungs- und Versorgungslage in nordrheinwestfälischen Haftanstalten kritisieren, die heute weit besser ist als bis 2005, der Zeit, in der Sie Regierungsverantwortung getragen haben, so ist das ein Hohn für alle betroffenen Strafgefangenen, die in Ihrer Regierungszeit keine solchen Angebote nutzen konnten, weil sie entweder gar nicht oder nur unzureichend vorhanden waren.

Sie von der Opposition haben NordrheinWestfalen als eine baufällige Ruine mit desolaten Staatsfinanzen, Schulden in Höhe von 117 Milliarden €

(Frank Sichau [SPD]: Die Zahlen werden immer größer!)

und gravierenden Mängeln im gesamten Justizbereich hinterlassen, haben hier ein Jahrzehnt lang völlig versagt und stellen sich nun populistisch hin und wollen der Justizministerin und uns vermeintlich gute Ratschläge geben – uns, die den von Ihnen hinterlassenen Trümmerhaufen alltäglich mühevoll abräumen und bereits spürbare Verbesserungen für die Strafgefangenen und die Justiz in

Nordrhein-Westfalen geschaffen haben. Das ist wirklich grotesk.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie von den Grünen fordern einen Ausbau der Plätze in sozialtherapeutischen Abteilungen. Dabei verschweigen Sie, dass in den letzten Jahren die Gesamtzahl der Haftplätze in der Sozialtherapie deutlich auf derzeit mehr als 200 ausgebaut wurde. Damit wurde die Zahl der sozialtherapeutischen Plätze im Justizvollzug Nordrhein-Westfalens in den letzten zwei Jahren fast verdoppelt. Zudem wurden speziell für inhaftierte junge Erwachsene sogenannte Jungtäterabteilungen zum Erlernen wesentlicher Fähigkeiten unter fachlicher Betreuung eingerichtet. Daneben verfügt Nordrhein-Westfalen in seinen 37 Haftanstalten über mehr als 20 Drogenabteilungen mit mehr als 500 Plätzen. Zwei weitere sind in Planung.

Frau Kollegin Düker, zu Ihrer Regierungszeit gab es stationäre Einrichtungen zur Behandlung von psychisch kranken Inhaftierten im Justizvollzug in Nordrhein-Westfalen überhaupt nicht.

(Frank Sichau [SPD]: Doch!)

Solche wurden von uns erstmalig im Frühjahr 2006 im Justizkrankenhaus Nordrhein-Westfalen in Fröndenberg mit 30 stationären Betten geschaffen. Somit hat Schwarz-Gelb in nur drei Jahren eine Verbesserung für die Gefangenen von null auf 30, also – wenn man das überhaupt so rechnen kann – um 3.000 % geschaffen.

Schließlich bestehen bereits umfassende Möglichkeiten der ambulanten Behandlung von psychisch und psychiatrisch auffälligen Inhaftierten durch eine Vielzahl der in den Gefängnissen tätigen Psychologen und Anstaltsärzte sowie durch extern hinzugezogene Fachärzte, Neurologen und Psychiater.

Wenn Sie in Ihrem Antrag das traurige Thema der Selbstmorde in Gefängnissen in einen engen Zusammenhang mit psychischen Krankheiten von Inhaftierten rücken, so vermischen Sie meines Erachtens unreflektiert und populistisch zwei Komplexe. Bereits heute gibt es umfassende Maßnahmen in den Anstalten, um selbstmordgefährdete Inhaftierte zu identifizieren und angemessen zu betreuen und zu überwachen, sodass ein Selbstmordrisiko minimiert wird. Dies wurde auch letzte Woche im Rechtsausschuss ausführlich erörtert.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Die Haftanstalten tragen im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür Sorge, dass die inhaftierten Per

sonen bestmöglich vor Schaden durch andere und sich selbst bewahrt werden. Verhindern – darin sind sich alle Experten einig – wird man den Freitod eines dazu Entschlossenen aber auch im Gefängnis leider kaum können. Am schwierigsten ist dies, wenn die Absicht völlig verborgen bleibt; denn neben psychischen Problemen und Erkrankungen gibt es leider viele andere Motive für einen Selbstmord – selbst schlichten Liebeskummer, von dem wir alle wissen, dass dieser sich nicht lohnt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, während Rot-Grün konzeptlos und talentfrei das Land Nordrhein-Westfalen finanziell ruiniert und in Justiz und Justizvollzug einen Scherbenhaufen hinterlassen hat, arbeiten wir tagtäglich daran, den Scherbenhaufen zu beseitigen – zum Wohle aller Gefangenen und der Bediensteten. Der Justizvollzug in Nordrhein-Westfalen hält dank dem Regierungswechsel mittlerweile dem Bedarf angemessene Kapazitäten für die erforderliche Behandlung und Betreuung von Gefangenen auf den genannten Gebieten vor. Eine weitere Ausweitung der Angebote ist bereits in Planung bzw. in Umsetzung. Zudem werden aktuell die strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen optimiert. Möglichen weiteren Anpassungsbedarf werden wir permanent im Auge haben. Zuletzt habe ich diesbezüglich den Jahresbericht auch des Ombudsmanns für den Justizvollzug mit großem Interesse gelesen.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Auch die Vollzugskommission, der Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen angehören, arbeitet engagiert, um die Rahmenbedingungen im Vollzug für die Gefangenen, aber auch für die Bediensteten zu verbessern. Wir wollen das Angebot weiter optimieren. Deswegen, meine Damen und Herren, sage ich auch ganz klar: Wir halten dort, wo dies im dienstleistungsbezogenen Bereich zielführend und sinnvoll ist, auch den Einsatz Privater in unseren Gefängnissen für einen möglichen Weg. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Regierung spricht nun Frau Ministerin Müller-Piepenkötter.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht mit dem Ihnen vorlie

genden Antrag ein außerordentlich wichtiges Thema an. Erstaunlich ist nur, dass Sie drei Jahre Oppositionsarbeit benötigten, um das zu erkennen. Aber Opposition ist ja für einiges gut.

Ja, meine Damen und Herren: Die Anzahl verhaltensauffälliger Inhaftierter mit schwerwiegender Persönlichkeitsstörung im Strafvollzug ist hoch. Bei vielen sind die Störungen derart ausgeprägt, dass sie als krankheitswertig anzusehen sind. Und: Bei zahlreichen Drogenabhängigen werden neben der Grundkrankheit drogenassoziierte Psychosen festgestellt. Dies, meine Damen und Herren, ist auch Folge des insbesondere bei jungen Menschen sehr verbreiteten Cannabiskonsums,

(Frank Sichau [SPD]: Nein!)

der teilweise noch immer verharmlost und bagatellisiert wird. Das sehen wir am Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dessen Diskussion heute leider verschoben worden ist.

Die Inhaftierung stellt für diese Menschen eine zusätzliche Belastung dar. Ihnen Betreuung, Behandlung und Zukunftsperspektiven zu bieten ist unsere Verantwortung. Ich habe daher umgehend nach dem Regierungswechsel eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um die Situation zu verbessern – Maßnahmen, die ineinandergreifen und ständig weiterentwickelt werden. Ich will Sie hier noch einmal im Gesamtkonzept darlegen.

Als Erstes zur Psychiatrie: Vor dem Regierungswechsel hat es im nordrhein-westfälischen Justizvollzug keine stationäre Einrichtung zur Behandlung psychisch kranker Gefangener gegeben. Daran ändern auch Ihre Beschönigungsversuche, Herr Abgeordneter Sichau, nichts.

(Frank Sichau [SPD]: Doch!)

Das habe ich sofort nach Amtsübernahme geändert. Seit April 2006 gibt es im Justizvollzugskrankenhaus in Fröndenberg eine eigene Station mit 30 Betten zur psychiatrischen Behandlung von Gefangenen. In den nächsten Monaten wird ein Krankenhausmanager seine Tätigkeit aufnehmen, der im Rahmen der Umstrukturierung des Krankenhauses auch die Bedingungen für eine angemessene Erweiterung dieser Station ausloten wird.

Das zweite große Problem sind die Drogen. Wir haben nicht nur die Mittel für die Drogenberatung durch externe Fachkräfte im Vergleich zu 2005 um nahezu ein Drittel erhöht, sondern auch die Plätze in Drogenabteilungen um nahezu 20 % auf mittlerweile 550 Plätze in 22 Drogenabteilungen. In diesen Abteilungen werden die Gefangenen krankheitsbezogen betreut und auch auf eine sta

tionäre Therapie vorbereitet. Zwei weitere Drogenabteilungen in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I sind in Planung. Dazu kommt die Sozialtherapie mit mittlerweile neun Einrichtungen und einer Gesamtzahl von 232 Haftplätzen. Gerade im vergangenen Jahr haben wir die Zahl der Haftplätze in der Sozialtherapie im Jugendhaftbereich nahezu verdoppelt.

Ein in diesem Zusammenhang wichtiger neuer Ansatz sind die 2006 eingerichteten Jungtäterabteilungen. Durch speziell auf diese Altersgruppe zugeschnittene Behandlungs- und Betreuungsmaßnahmen erwerben problembefangene junge Erwachsene soziale Kompetenzen, um berufliche, schulische und therapeutische Maßnahmen überhaupt durchhalten zu können.

Meine Damen und Herren, bei allen vollzuglichen Behandlungsansätzen wirken alle Justizvollzugsbediensteten mit. Deshalb darf man auch nicht eine Berufsgruppe isoliert herausgreifen. Gerade die Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes sind im täglichen Umgang mit den Gefangenen besonders wichtig. Sie werden hierfür zukünftig noch besser vorbereitet. Die gegenwärtige Überarbeitung der Aus- und Fortbildungsrichtlinien für den mittleren Dienst misst dem Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen ganz besondere Bedeutung zu.

Für die fachbezogene Behandlung beschäftigt der Justizvollzug mittlerweile etwa 150 Psychologinnen und Psychologen. Von diesen verfügen viele über eine klinische Zusatzqualifikation. Sie arbeiten eng mit dem justizeigenen ärztlichen Dienst und mit konsiliarisch tätigen Fachpsychiatern zusammen. Die fachpsychiatrische Betreuung erfolgt in vielen Justizvollzugsanstalten in Form regelmäßiger Sprechstunden, teilweise unter Einbindung von Ambulanzen fachpsychiatrischer Kliniken.