Protocol of the Session on March 13, 2008

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

12 Aufbau einer Sammlung zur Geschichte der Zuwanderung nach Nordrhein-Westfalen

Antrag

der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP

Drucksache 14/5351

Beschlussempfehlung und Bericht des Kulturausschusses

Drucksache 14/6275

Ich weise darauf hin, dass gemäß § 79 der Geschäftsordnung dieser Antrag vom Plenum an den Kulturausschuss überwiesen wurde, und zwar mit der Maßgabe, dort zu beraten und die Abstim

mung hier erst nach der Vorlage einer Beschlussempfehlung vorzunehmen. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Kulturausschusses liegen nunmehr vor.

Ich eröffne die Beratung und übergebe das Wort für die CDU-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Solf. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, soweit Sie noch hier sind! Nur wer weiß, wo er herkommt, kann entscheiden, wo er hingehen soll: Das ist eine Binsenweisheit, aber nicht alle glauben sie. Der Weg in die Zukunft beginnt auf einem festen Fundament in der Vergangenheit.

Wir in Nordrhein-Westfalen sind – das ist eine der Grundtatsachen unserer Geschichte – eben nicht nur Rheinländer, Westfalen und Lipper, sind schon längst nicht mehr die Franken und Sachsen, die vor 1.000 Jahren hier im Westen siedelten; wir sind ein neues Volk geworden, maßgeblich geprägt durch Zuwanderung, durch die Völkermühle, die Kelter Europas, wie Zuckmayer in „Des Teufels General“ den Rhein bezeichnet. Wenn ich Zeit hätte, würde ich Ihnen dieses Zitat gerne vorlesen.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Die im politischen Alltagsgeschäft manchmal genehme Verkürzung auf die Wanderungsbewegungen der letzten 30 oder 40 Jahre ist unzulässig. In der frühen Neuzeit hat der Raum, der heute Nordrhein-Westfalen heißt, Religionsflüchtlinge aus den Niederlanden, aus der Pfalz und aus Frankreich aufgenommen. Im Zeitalter der Industrialisierung kamen die Menschen zunächst aus benachbarten Regionen, später dann aus dem Osten. Viele waren Polen.

Im 20. Jahrhundert kamen gegen ihren Willen Zwangsarbeiter, später Flüchtlinge und Heimatvertriebene, und danach dann freiwillig diejenigen, die wir früher einmal Gastarbeiter nannten. Sie kamen von überall her und sie wurden Teil unserer Kultur. Was Nordrhein-Westfalen heute ist, verdanken wir nicht zuletzt ihnen.

Nordrhein-Westfalen ist durch Zuwanderung geprägt wie kein anderes Bundesland. Wir sind ein buntes Land, wir sind im besten Sinne multikulturell. Unser Antrag soll nun dazu beitragen, diese Tatsache deutlicher im allgemeinen Bewusstsein zu verankern. Wir wollen den Aufbau einer Sammlung zur Geschichte der Zuwanderung nach Nordrhein-Westfalen.

Das Konzept, um das wir die Landesregierung bitten, ist nicht leicht zu erstellen. Wir verlangen nicht nur die Vernetzung der bisherigen Institutionen; wir möchten auch den Neuaufbau einer Sammlung, eines Archivs, einer Forschungsstätte und eines Forums für kulturellen Dialog zwischen Autochthonen und Allochthonen. Dabei kann auf verdienstvolle Vorarbeiten zurückgegriffen werden.

Besonders hebe ich dabei die Bemühungen des Dokumentationszentrums und Museums über die Migration in Deutschland, kurz DOMiD, hervor. Es wird ein ganz wichtiger Partner sein. Aber ein Partner allein reicht nicht. Ich freue mich auch sehr über die Anregungen von Professor Borsdorf aus Essen. Jedenfalls muss systematisch gesammelt und geforscht werden. Dafür wollen wir die institutionellen Voraussetzungen schaffen.

Die Sammlung, die entstehen soll, muss auch mehr sein, als ein volkskundliches Konglomerat. Es reicht nicht, in folkloristischer Weise all das zusammenzutragen, was die Zuwanderer an ihre Heimat erinnert. Das gehört dazu, aber es ist nur ein erster Schritt. Die Sammlung muss auch dokumentieren, wie sich die Traditionen der Zuwanderer ändern, wie sie die Lebensweise der Einheimischen beeinflussen und wie aus beiden Strömungen ein neues Ganzes wird. Dabei darf sich der Blick nicht alleine auf die letzten 30 Jahre und nicht allein auf das Herkunftsland richten.

Das, was gesammelt wird, soll beschrieben, erforscht, aber auch ausgestellt werden. Wo und in welcher Form eine solche Ausstellung erfolgen kann, ist mir im Moment noch sekundär. Ob es dann einen oder mehrere feste Standorte geben wird, werden wir beizeiten zu entscheiden haben. Selbstverständlich müssen auch Wanderausstellungen aus den Sammlungsbeständen erwachsen. Nur so kann Breitenwirkung erzielt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, unser Antrag stellt Ansprüche an die Landesregierung, aber auch an uns selbst. Er verlangt, das Thema Zuwanderung in all seinen Dimensionen anzunehmen. Wir müssen den Versuchungen widerstehen, politische Kleinmünze daraus zu schlagen. Ich hoffe, dass wir den für uns gewiesenen Weg im Konsens aller Fraktionen dieses Hauses gehen können. Konstruktive Diskussionen sind erwünscht. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Solf. – Jetzt hat für die FDP-Fraktion Frau Kollegin Freimuth das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es freut mich, dass wir mit dem heute im Plenum erneut zu beratenden Antrag den „Aufbau einer Sammlung zur Geschichte der Zuwanderung nach Nordrhein-Westfalen“ auf den Weg bringen. Hierbei kann auf die Arbeit von DOMiD aufgebaut werden.

In Nordrhein-Westfalen leben zurzeit ca. 4 Millionen Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte. Sie selbst oder eines der beiden Elternteile sind als Spätaussiedler, ausländische Arbeitnehmer, jüdische Einwanderer oder als Flüchtling nach Nordrhein-Westfalen gekommen. Über 1,8 Millionen Bürgerinnen und Bürger haben einen ausländischen Pass. Aus über 200 unterschiedlichen Herkunftsländern stammen unsere ausländischen Mitbürger. Deshalb hat die Integrationspolitik zu Recht einen hohen Stellenwert. Das kommt auch mehr als deutlich durch den Ministerstatus für diesen Politikbereich zum Ausdruck, den diese Landesregierung gewählt hat.

Integrationspolitik ist eine Querschnittsaufgabe. Die Kultur kann hierbei einen entscheidenden Beitrag leisten. Mittels der Kultur können Menschen auch mit Migrationshintergrund leichter zusammengebracht werden. Die Kultur ist für die Prägung der Gesellschaft mit Werten verantwortlich. Sie ist Voraussetzung für den Kontakt. Sie ist der effektivste Weg zu einer gesellschaftlichen Verständigung mit anderen Bevölkerungsgemeinschaften. Der vorliegende Antrag soll hierzu einen Beitrag leisten.

Darüber hinaus soll er einen Beitrag dazu leisten, das UNESCO-Übereinkommen vom März dieses Jahres mit Leben zu füllen. Die Vertragsstaaten haben sich verpflichtet, bis zum Jahr 2011 Rechenschaft darüber abzulegen, ob und wie sie der Zielsetzung von Schutz und Förderung kultureller Vielfalt nähergekommen sind.

Mit dem Aufbau einer Sammlung für Zuwanderungsgeschichte, liebe Kolleginnen und Kollegen, steht ganz bewusst nicht die Aktualität der Integration, sondern die Verwurzelung in der Vergangenheit im Vordergrund. Mithilfe einer Sammlung zur Geschichte der Zuwanderung können wir der breiten Gesellschaft vermitteln, dass NordrheinWestfalen ein Einwanderungsland ist. Es ist wichtig, dass nicht nur eine Sammlung von Zeugnissen der Zuwanderungsgeschichte aufgebaut wird, die dann zu verstauben droht, nein, es ist viel

mehr wichtig, dass diese Sammlung zur Einsicht für alle Bürgerinnen und Bürger in NordrheinWestfalen zur Verfügung gestellt wird.

Die aufzubauende Sammlung soll sich nicht auf eine bestimmte Migrantengruppe, zum Beispiel Arbeitsmigranten oder Migranten aus einem bestimmten Herkunftsland, reduzieren. Diese Sammlung soll vielmehr einen Gesamtüberblick über die Zuwanderungsgeschichte mit allen positiven, aber auch den negativen Seiten enthalten.

Es bietet sich an, im Ruhrmuseum in Essen, also im Herzen des Ruhrgebiets, den Fokus der Sammlung auf die Zuwanderungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zu richten. Denn hieraus können wir sicherlich viele Erkenntnisse und viel Verständnis für die heutigen Probleme und Herausforderungen der Integration gewinnen. Eine Sammlung über Zuwanderungsgeschichte sollte nicht nur als Bereicherung unserer Gesellschaft betrachtet werden, sondern sie dient auch als Ressource.

An dieser Stelle möchte ich mit einem Punkt an die Beratungen im Ausschuss anknüpfen. In der Diskussion hat es eine große inhaltliche Annäherung aller Fraktionen gegeben. Ich habe es sehr bedauert, dass sich die Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen dennoch nicht zu einer gemeinsamen Initiative mit uns verständigen konnten. Ich werbe noch einmal für ein positives Votum. Das könnte ein deutliches Zeichen für Nordrhein-Westfalen setzen. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Karthaus das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Erinnerung ist das so eine Sache. Wir alle wissen, an was man sich erinnert, vor allem, welche Gefühle man dabei empfindet und welche Folgerungen für das eigene Handeln daraus resultieren. Dies alles kann wirklich sehr unterschiedlich ausfallen. Persönliche Einstellungen, eigene Betroffenheit und Erfahrungen, aktuelle Lebensumstände, diese und weitere Faktoren wirken sich auf die Beurteilung eines nahezu gleichen Sachverhaltes völlig unterschiedlich aus und führen unter Umständen zu ganz differierenden Einschätzungen.

Von daher ist es richtig, durch die Bereitstellung und die Aufarbeitung von Materialien, Zeitzeugnissen und Informationen eine Grundlage für ei

nen sachlichen und reflektierten Umgang mit den geschichtlichen Ereignissen in unserem Land zu schaffen. Erst recht gilt das für Zuwanderungs-, Migrations- und Integrationsgeschichte in Nordrhein-Westfalen. Ich habe gerade ganz bewusst die drei Begriffe zusammen genannt, da mit ihnen jeweils ein durchaus sehr heterogener Kontext verbunden werden kann.

Wir halten daher den Antrag für ein sehr positives Anliegen und haben dies in den Ausschussberatungen stets deutlich gemacht.

(Zustimmung von der SPD)

Herr Minister Laschet hat heute Morgen in der Aktuellen Stunde zum Thema des interkulturellen Dialogs herausgestellt, wie bedeutsam ihm eine gemeinsame Positionierung aller Fraktionen im Bereich Integration ist. Herr Solf hat ebenfalls heute Morgen die Notwendigkeit einer „Einmütigkeit“ bei der Integration betont. Wieso, so frage ich Sie, lässt man dann genau dies außen vor und verzichtet bewusst auf eine fraktionsübergreifende Meinungsbildung?

(Beifall von der SPD)

Und das bei einem Thema, wo man die große Schnittmenge doch kennt.

Meine Herren Laschet und Solf, es müssen doch wohl nur Lippenbekenntnisse gewesen sein, die Sie von sich gegeben haben. Der Alleingang der Fraktionen von CDU und FDP spricht nämlich eine andere Sprache. Deshalb wirkt es auch wenig glaubwürdig, wenn Frau Freimuth im Ausschuss und eben noch meint, es sei schade, nicht zu einem gemeinsamen Votum gekommen zu sein. All das zeigt wunderbar auf, zur Integration muss man erst einmal selbst bereit sein.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Auch inhaltlich bleibt für uns in diesem Antrag einiges sehr unbestimmt und zum Teil missverständlich. Ich greife einmal einen Gesichtspunkt heraus. Wenn in dem Antrag von der Suche nach einem geeigneten Standort für die Sammlung die Rede ist, wird gleichzeitig der Ausbau der größten bestehenden Sammlung im DOMiD in Köln gefordert. Wieso nicht gleich dieses Dokumentationszentrum als Entwicklungspunkt für mehr nehmen?

Vieles weitere müsste konkreter und weiterführender überlegt werden. Jammerschade, dass Sie wieder einmal die Chance nicht wahrnehmen, im Dialog ein wirklich gutes und umfassendes Konzept gemeinsam zu entwickeln. Das Thema hätte es verdient. Ich denke, Sie haben Verständnis da

für, dass wir uns daher bei der Abstimmung enthalten werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Karthaus. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Asch.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland ist ein Zuwanderungsland. Diese Erkenntnis wurde sehr lange verleugnet, vor allen Dingen von den konservativen Kräften. Wir wissen, dass es in der CDU immer noch eine Debatte darüber gibt, ob das denn so sei. Jedenfalls findet sich im neuen Grundsatzprogramm der CDU dieser Satz nicht.

Deutschland ist ein Zuwanderungsland. Zu dieser Erkenntnis gehört, dass wir die Geschichte und damit die historische Dimension der Zuwanderung wahrnehmen, aufarbeiten, dokumentieren und zeigen. Denn diese öffentliche Vermittlung ist notwendig, um ein Bewusstsein über unsere Rolle als Zuwanderungsland herzustellen, aber auch, um denen, die zu uns zugewandert sind und der ihnen nachfolgenden Generation, ein Stück Identität zu ermöglichen und zu geben.