Protocol of the Session on August 23, 2007

Erstes Beispiel: Am 11. September 2003 bringt eine Gruppe von 25 Mitgliedern des Deutschen Bundestages von SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag ein. In diesem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, Art. 38 Grundgesetz zu ändern. Es wird ein Wahlrecht ab der Geburt gefordert. Dieses soll von den gesetzlichen Vertretern wahrgenommen werden.

Ich füge hinzu: Dieser Vorschlag geht mir etwas zu weit. Man könnte das jetzt breit diskutieren. Er würde auf jeden Fall gegen das Prinzip verstoßen: one man/one woman, one vote.

Aber es gibt einen weiteren bemerkenswerten Vorgang, der darauf schließen lässt, dass es sich

um interessante Personen handelt, die diesen Vorschlag gemacht haben. Der findet seinen Niederschlag am 17. März bei der ddp. Ich darf erneut – mit Genehmigung des Präsidenten – zitieren:

„Bei uns in Nordrhein-Westfalen dürfen Jugendliche ab 16 Jahren bereits seit 1999 an Kommunalwahlen teilnehmen. Aufgrund der guten Erfahrungen im größten Bundesland halte ich ein Wahlrecht für Jugendliche ab 16 auch auf Bundes- und Landesebene für wünschenswert.“

Jetzt speziell für Herrn Witzel – Herr Kollege, ich mache für Sie an dieser Stelle des Zitates weiter –: Die Regierung in Düsseldorf habe festgestellt, dass „gerade bei Schülern dieser Altersgruppe ein großes Interesse an Politik besteht“.

Das könnte von mir sein, meine Damen und Herren, ist es aber nicht. Es ist von Prof. Pinkwart, einem Mitglied der nordrhein-westfälischen Landesregierung, dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der FDP, der den Antrag der 25 Bundestagsabgeordneten unterstützt hat – Wahlrecht ab Geburt – und der sich im März dieses Jahres eindeutig in Richtung Herabsenkung des Wahlalters für Jugendliche ab 16 auch auf Bundes- und Landesebene geäußert hat. Er tut das nicht – kommen Sie mir gleich bloß nicht mit diesem Hinweis! – als stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP. Denn er sagt – ich wiederhole es, weil es so schön ist –: Die Regierung in Düsseldorf habe festgestellt, dass „gerade bei Schülern dieser Altersgruppe ein großes Interesse an Politik besteht“.

Zweites Beispiel: Der Vertreter der Landesschülerschaft Nordrhein-Westfalen hat bei der Anhörung sinngemäß in Richtung der Abgeordneten, also in Richtung der Politik, gesagt: Meine Damen und Herren, Sie stellen doch so oft Anforderungen an uns, was wir als Jugendliche machen sollen. Wir sollen politisch sensibel sein, wir sollen uns ehrenamtlich bürgerschaftlich engagieren. Wir sollen Verantwortung übernehmen. Warum schrecken Sie dann an diesem Punkt, bei der Herabsenkung des Wahlalters, zurück? – Ich denke, Herr Wenzel, der damals für die Landesschülervertretung gesprochen hat, hat in diesem Punkt eindeutig Recht.

Die Zahlen – auch das hat die Anhörung ergeben – geben uns ja Recht. Das ist auch der Hintergrund, auf den sich Prof. Pinkwart bei seiner Aussage bezogen hat. Wir haben 2004 bei den Kommunalwahlen bei den 16- bis 21-Jährigen eine Wahlbeteiligung in der Größenordnung von 46,1 % gehabt.

Das könnte nach unser aller Vorstellung auch noch höher sein. Aber immerhin: Eine Wahlbeteiligung in dieser Höhe wird erst wieder bei der Altersgruppe der über 40-Jährigen erreicht. Das heißt, die 16- und 17-Jährigen haben ihre Chance bei den Kommunalwahlen wahrgenommen.

Ich will nicht verhehlen, Herr Innenminister, dass in der Landtagsanhörung auch darauf verwiesen worden ist, dass das möglicherweise ein Anfangseffekt ist, der sich im Laufe der Zeit abschleift. Aber das ist zunächst einmal Spekulation.

Ich glaube, dass wir gut beraten wären, alle Chancen für eine politische Beteiligung von Jugendlichen zu nutzen. Dazu gehört auch, den 16- und 17-Jährigen ein entsprechendes Wahlrecht auf der Landesebene zu ermöglichen.

Ich darf abschließend anfügen: Ich glaube, auch vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung in den letzten Tagen um Wahlrechtsfragen, um die Zusammenlegung von Wahlterminen stünde es diesem Hohen Hause gut an, sich in der Frage des Wahlalters wahrhaftig und glaubwürdig zu verhalten und einen Schritt nach vorne zu gehen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kuschke. – Für die CDU-Fraktion hat das Wort Frau von Boeselager.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig: In der letzten Woche haben wir hier im Hauptausschuss des Landtags eine sehr interessante Anhörung zum Landeswahlgesetz und zur geplanten Einführung des Zweistimmenwahlsystems durchgeführt. Die SPD-Fraktion hat nun in diesem Zusammenhang einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Absenkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre bei den Landtagswahlen zum Ziel hat.

Aus Sicht unserer Fraktion möchte ich Ihnen gerne darlegen, warum wir eine Absenkung des Wahlalters bei den Landtagswahlen auf 16 Jahre momentan nicht wollen. Aus unserer Sicht sprechen wichtige Gründe dagegen.

Ich bin davon überzeugt, dass Sie unsere Auffassung teilen, dass allein durch den Wahlgang, der alle fünf Jahre ansteht, weder das Interesse der 16- bis 18-Jährigen an den politischen Gestaltungsstrukturen noch deren demokratisches Engagement in herausgehobener Weise gefördert wird. Politisches Interesse muss sich entwickeln. Es kann nicht einfach verordnet werden, indem

das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt wird. Das reicht einfach nicht.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang gerne daran, dass es die Koalitionsfraktionen von CDU und FDP waren, die für Maßnahmen der Politik für Kinder und für die Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Einzelplan 15 erstmals Mittel zur Verfügung gestellt haben, also für den Themenbereich politische Bildung. Die gesamte Titelgruppe beläuft sich im Haushaltsansatz 2008 immerhin auf 476.100 €. Hiermit sollen unter anderem kommunalpolitische Akteure über Beteiligungsmöglichkeiten informieren, Projekte mit Modellcharakter gefördert und ein Erfahrungsaustausch etabliert werden. Auf diese Weise kann ein wirklich nachhaltiger und praxisnaher Beitrag dazu geleistet werden

(Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

ja, Frau Kollegin, hören Sie zu –, junge Menschen für Politik zu begeistern.

Durch die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre käme es unweigerlich zu einem Wahlrecht im Land mit 16 Jahren und einem Wahlrecht im Bund mit 18 Jahren. Dann sollten wir doch besser für alle Ebenen die gleiche Entscheidung treffen.

Dann müsste man aber auch dafür sorgen, dass die jungen Leute, wenn man ihnen das zutraut, nicht nur mit 16 Jahren wählen dürfen, sondern dann müsste dieses Alter generell gelten, beispielsweise auch beim Erwerb des Führerscheins

(Zuruf von Wolfram Kuschke [SPD] – Ralf Jäger [SPD]: Übrigens gibt es den Führer- schein mit 16!)

oder im Erwachsenenstrafrecht. Dann müsste man generell bereit sein, in allen Bereichen eine Absenkung auf dieses Alter vorzunehmen.

(Zurufe von der SPD)

Ich weiß, das passt Ihnen nicht. Dennoch müssen Sie sich das jetzt anhören.

Frau von Boeselager, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kuschke?

Nein, das mache ich nicht. Denn ich weiß ja schon, was er fragen möchte. – An das Lebensalter von 18 Jahren ist auch im Zivilrecht die volle Geschäftsfähigkeit geknüpft. Ich meine, dann müssten wir auch hier senken dürfen. Bei der Anhörung habe ich auch den Vertreter der Landesschülervertretung danach gefragt, und das wollte er aber interessan

terweise auf keinen Fall. Das wollte er auf jeden Fall beibehalten.

Bei der Kommunalwahl nimmt der nordrheinwestfälische Gesetzgeber die politische Urteilsfähigkeit junger Menschen bereits wahr. Sie dürfen sich hier mit 16 Jahren einbringen. Hier haben sie auch die Möglichkeit, die Politik vor Ort sehr viel hautnäher zu erleben und sich sehr viel stärker in das kommunale Geschehen einzubringen. Das ist ein enormer Lernprozess, der jungen Menschen bereits zugänglich ist. Ich finde es auch sehr positiv, dass man das zulässt.

Nicht zuletzt erinnere ich gerne an die Stellungnahme des Vertreters von „Mehr Demokratie“ bei dieser Anhörung. Herr Daniel Schily hat auf die Frage, ob das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt werden sollte, gesagt, das sei in den Reihen von „Mehr Demokratie“ auch umstritten. Nach seiner Auffassung ist dieser Schritt sicher nicht das Wichtigste, um Jugendliche für politische Fragen zu interessieren oder gar dafür zu begeistern.

Für kein anderes Landesparlament gilt das Wahlalter ab 16 Jahren. Überall haben die jungen Menschen erst mit 18 Jahren das Wahlrecht. Wir haben in Nordrhein-Westfalen das Kommunalwahlrecht mit 16 Jahren eingeführt. Dabei sollten wir es auch erst einmal bewenden lassen.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin von Boeselager. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Witzel.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hoffe, dass sich alle Fraktionen in diesem Haus einig sind, dass das Wahlrecht so grundlegend und so wichtig ist, dass man bei allen Betrachtungen auch möglicher Reformen immer bei dem Konsens bleiben sollte, dass das Wahlrecht nie unter parteitaktischen Gesichtspunkten gesehen werden darf und Entscheidungen nicht durch die Interessen beeinflusst werden dürfen, die spezielle Parteien bei Fragen des Wahlrechts und der demokratischen Ordnung verfolgen.

Deshalb sage ich – das werden Sie nachvollziehen können aufgrund aller demoskopischen Untersuchungen –, ich müsste mich bei der Situation, die wir nach allen Erkenntnissen der Kundigen in diesem Bereich seit Jahren haben, als Vertreter der FDP nicht fürchten, wenn es einen größeren Anteil junger Menschen geben würde, der zur Grundgesamtheit der Stimmen bei Wahlen beiträgt. Alle wesentlichen Institute sind sich seit Jah

ren darin einig, dass wir bezogen auf unsere Parteiinteressen der FDP im Bereich der unter 35Jährigen die höchsten Wähleranteile haben im Vergleich mit anderen Altersgruppen und deren Zustimmung zu uns. Insofern könnte ich es mir einfach machen, sagen, dass uns das nicht gefährdet, sondern der FDP vielleicht sogar noch Vorteile bringt, und dann dafür eintreten. Das mache ich aber nicht, denn das wäre aus meiner Sicht keine zulässige Betrachtung für die demokratischen Interessen insgesamt.

Ich finde andere Fragen wichtiger, gerade weil das Wahlrecht eine so grundlegende Bedeutung hat. Demokratische Partizipation steht so zentral, dass man sehr vorsichtig und maßvoll mit diesem Gut umgehen muss. Viele andere Länder auf der Welt beneiden uns um unsere stabilen demokratischen Verhältnisse.

Ich glaube, dass Aspekte der Mündigkeit und der Urteilsfähigkeit eines Wählers sehr wichtig sind, weil eine Wahl immer mit der Option verbunden ist, sich vielleicht nicht nur für die Parteien in der direkten demokratischen Mitte zu entscheiden. Deshalb sind Vergleiche mit Fragen der Geschäftsfähigkeit angebracht, die in Deutschland erst mit dem 18. Lebensjahr eintritt.

Herr Witzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kuschke?

Von Herrn Kuschke immer gerne.

Vielen Dank, Herr Kollege. – Der Aussage von vorhin stimme ich völlig zu, zumal sich das Wahlverhalten innerhalb der Alterskohorten auch ändert. Es hat keinen Sinn, auf bestimmte Entwicklungen zu setzen. Stimmen Sie mir bei der Urteilsfähigkeit zu, dass es sich um eine historische Entwicklung mit einer grundsätzlichen Tendenz zur Herabsetzung des Wahlalters handelt? Das hängt natürlich auch mit Reifungsprozessen, Informationsmöglichkeiten und vielem anderen zusammen.

Stimmen Sie mir auch darin zu, dass man diese Urteilsfähigkeit von einer rechtlichen Bindung, die im Rahmen der Geschäftsfähigkeit eine Rolle spielt, unterscheiden muss?

Herr Kuschke, Ihrem Grundansatz kann ich gedanklich sehr gut folgen. Es ist ein dynamischer Prozess. Wenn sich gesellschaftliche Realitäten verändern, wenn sich das Bildungsverhalten verändert, wenn sich die Lebensrealität der heutigen Jugend ganz anders darstellt,

als das vor einigen Jahrzehnten der Fall war, ist es nicht nur das Recht, sondern die Pflicht der Politik, immer wieder erneut zu reflektieren, wie man die Altersgrenze richtig ausgestalten sollte, weil es um eine sachgerechte Entscheidung geht.

Das sehe ich aber ausdrücklich auch im Zusammenhang mit anderen Fragestellungen. Wenn sich Lebensverhältnisse, Bildungsverläufe und Entwicklungen der Lebenssituationen von Jugendlichen und Heranwachsenden ändern, ist das eine Frage, die man nicht singulär für das Wahlrecht, sondern durchaus auch in Bezug zu altersmäßigen Schwellenwerten sehen sollte, die es auch in anderen Rechtsgebieten gibt. Dafür, die Werte zu verändern, muss man zukünftig offen sein. Aber ich würde nicht isoliert, sondern lieber im Gesamtpaket darüber nachdenken, ob man in verschiedenen Bereichen jungen Menschen mehr zutrauen kann.

Die Entscheidungen sind, wie Sie ja wissen, Herr Kuschke, sehr unterschiedlich ausgefallen. Sie haben Recht, dass man das Wahlrecht historisch gesehen herabgesetzt hat. Es gibt andere angesehene Demokratien, die höhere Altersgrenzen haben. Bei der Kommunalwahl in NordrheinWestfalen haben wir seit dem Jahr 2004 zum ersten Mal ein Wahlalter von 16 Jahren. Das lag früher auch höher. Insofern haben Sie die Entwicklung richtig beschrieben.

Wir haben aber auch gegenläufige Entwicklungen. Im Bereich des Genussmittelkonsums ist gerade erst von der Großen Koalition im Bund entschieden worden, Altersschwellenwerte heraufzusetzen, weil man gesagt hat: Wir können Sechzehnjährigen nicht die eigene Entscheidung darüber zutrauen, bestimmte Alltagsdrogen und Rauschmittel – wie auch immer die Drogenbeauftragte das bewerten mag – zu konsumieren. – Hier hat man den umgekehrten Weg beschritten und Altersgrenzen heraufgesetzt. Ich denke, all diese Themen muss man in einem sachgerechten Gesamtkontext sehen.

(Zuruf von der SPD)