Protocol of the Session on August 22, 2007

scheinigen Ausreden versuchen Sie davon abzulenken, dass dieses Vorhaben nur das Ziel „Machterhalt“ hat. Das geschieht um den Preis absehbar niedriger Wahlbeteiligungen, die Sie doch sonst in jeder Wahl-Nachberichterstattung beklagen. Das ist doch das Perfide.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Herr Ministerpräsident, wenn Sie das zulassen, degradieren Sie die Bürgerinnen und Bürger zur Verfügungsmasse Ihrer Macht- und Parteiinteressen. Herr Ministerpräsident, ich erwarte hier und heute von Ihnen dazu eine Klarstellung. Da nutzt es nicht, etwa zu sagen, eine Entscheidung darüber stehe noch nicht an. Schaffen Sie das bitte heute vom Tisch und sagen Sie, dass Sie dieses unwürdige Spiel der Generalsekretäre Ihrer Koalitionsparteien nicht mitspielen. Nehmen Sie, Herr Ministerpräsident, diese Wahltagsmanipulation vom Tisch.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das sollten Sie nicht deshalb tun, weil Sie jetzt flächendeckend eine schlechte Presse haben – um die Presse geht es in diesem Fall nicht –, sondern tun Sie es, weil das Angekündigte in der Sache den Menschen gegenüber eine Unverschämtheit ist.

Herr Ministerpräsident, es ist Ihnen mit Ihren Auftritten in den letzten Tagen nicht gelungen, davon abzulenken, dass auch Sie die Umfragen und der festgestellte Kompetenzverlust Ihrer Regierung nervös machen. Dazu nur zwei Beispiele:

Das erste Beispiel ist die Art und Weise, wie Sie sich auf Frau Kraft stürzen und ihr die alleinige Verantwortung für die Auseinandersetzung mit der Linken zuschieben. Ich bleibe dabei, dass ich nichts davon halte, die Linke durch voreilige Koalitionsspekulationen hoffähig zu machen. Die Dämonisierung, die Sie betreiben – davon haben beide Fraktionsvorsitzenden heute wirklich ein Zeugnis abgelegt –, hilft aber auch nicht weiter. Ihre platte Polemik entlarvt, dass Sie sich offensichtlich die inhaltliche Auseinandersetzung nicht zutrauen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Mit Ihrer unsozialen Politik tragen Sie massiv dazu bei, die Räume für die Linke größer statt enger zu machen.

(Horst Becker [GRÜNE]: Jawohl!)

In Nordrhein-Westfalen tragen Sie die Hauptverantwortung dafür, wie es etwa um die soziale Lage in unserem Land bestellt ist.

Das zweite Beispiel ist die Art und Weise, Herr Ministerpräsident, wie Sie beim Thema Bildung um sich schlagen. Die Umfragen haben geradezu Pawlowsche Wahlkampfreflexe bei Ihnen ausgelöst. So, wie Sie in Ihrer Pressekonferenz aufgetreten sind – so ist mir berichtet worden –, redet nur einer, der weiß, dass er Unrecht hat. Sie wissen offensichtlich, dass man mit den Methoden und Inhalten, mit einer Lehrerausbildung aus dem letzten Jahrhundert, in Strukturen aus dem vorletzten Jahrhundert, nicht Kinder und Jugendliche von heute auf die Herausforderungen von morgen vorbereiten kann.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das wissen Sie offensichtlich.

Wir brauchen ein Bildungssystem, das hohe Leistungen hervorbringt, und zwar in der Breite und in der Spitze. Wir brauchen ein Bildungssystem, das soziale Herkunft und Ungerechtigkeit überwindet, denn Bildung ist und bleibt der beste Schutz vor Armut. Wir brauchen ein Bildungssystem, das den ökonomischen Anforderungen und gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht wird.

Herr Rüttgers, ich glaube, Sie wissen, dass wir das alles mit dem derzeitigen Schulsystem nicht schaffen werden. Sie wissen nur noch nicht, wann und wie Sie aus Ihrer ideologischen Blockade herauskommen. Dabei weisen Ihnen Ihre Kollegen in den anderen Bundesländern, dabei weisen Ihnen Ihre Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker und Ihre Bürgermeisterinnen und Bürgermeister doch den Weg. Gehen wir doch über die Kommunen! Setzen wir doch auf das, was vor Ort und von unten gewollt ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber Sie gehen diesen Weg nicht. Sie nutzen die Brücken nicht, die Ihnen die eigenen Leute bauen. Stattdessen werfen Sie der Opposition den Fehdehandschuh hin.

Herr Rüttgers, Ihre Bildungsblockade schadet unseren Kindern, nimmt ihnen Chancen. Sie schadet der Zukunft unseres Landes.

Ich finde es ja richtig – wer wüsste das besser als ich; Sie wissen das zum Teil auch –, dass Sie Schulpolitik zur Chefsache machen. Ich hätte mir aber gewünscht, das Sie in Ihrem langen und wirklich erholsamen Frankreichurlaub mit der Lebenslüge der Union in dieser Sache Schluss gemacht hätten, nämlich mit der Lebenslüge, dass die Hauptschule noch zu retten sei, und mit der Lebenslüge, dass das selektive Schulsystem dem gemeinsamen Lernen überlegen sei.

Nein, damit haben andere aufgeräumt. Sie waren das nicht. Schauen Sie nach Hamburg, sehen Sie nach Schleswig-Holstein und blicken Sie nach Ostdeutschland. Viele von der CDU regierte oder mitregierte Länder haben sich längst von der Hauptschule verabschiedet. Dort haben nie die Grünen regiert. In jenen Ländern können Sie diese Schuldzuweisung nicht vornehmen. Diese Länder haben das getan oder denken deswegen darüber nach, weil jegliche Widerbelebungsversuche gescheitert sind. Auch Ihr Versuch wird viel Geld kosten, aber nichts bringen. Die Unkenntnis und diese Chaosbeschwörung und was alles dazu stattgefunden hat, womit Sie über Schulentwicklung gesprochen haben, sind hanebüchen.

Ich zitiere aus einem offenen Brief, den inzwischen 350 Schulexperten aus den Grund- und Hauptschulen in Baden-Württemberg an den dortigen Kultusminister gerichtet haben, nachdem auch er ein Fitnessprogramm für die Hauptschule angekündigt hatte. Der Brief ist insgesamt lesenswert. Ich zitiere aber nur drei Fragen:

„Warum orientieren Sie sich im Zeitalter der Globalisierung nicht an internationalen Maßstäben und Erfahrungen, sondern halten an einem Schulsystem fest, das in punkto Gerechtigkeit, Integration und Leistung keinem internationalen Vergleich standhält?

Warum bezeichnen Sie das integrative Schulsystem als Gleichmacherei, obwohl alle empirischen Studien genau das Gegenteil beweisen?

Welche Gesinnung vermitteln wir unseren Kindern, wenn diese im Alter von neun oder zehn Jahren schmerzlich erfahren, dass sie in drei hierarchisch angeordnete Kategorien eingeteilt werden? Wie lässt sich dies mit Ihrer christlichdemokratischen Grundhaltung vereinbaren?“

Bei einer Haltung, wie sie sich in diesen Fragen ausdrückt, stehen die Kinder im Mittelpunkt, meine Damen und Herren.

Herr Rüttgers! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Fragen werden nicht nur in BadenWürttemberg, sondern überall dort gestellt, wo die Kraft und der Mut für Reformen fehlen, unser System und den deutschen Sonderweg vom Grundsatz her infrage zu stellen. Diese Fragen werden auch Ihnen, Herr Rüttgers und Frau Sommer, immer mehr Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Wissenschaftler, Menschen aus Gewerkschaften, Kirchen und der Wirtschaft stellen, und zwar so lange, bis Sie Ihre Blockade aufgeben und Antworten entwickeln.

Meine Damen und Herren, es gibt nichts Mächtigeres als eine Idee, deren Zeit gekommen ist, sage ich mit Victor Hugo. Die Idee der Gemeinschaftsschule wird sich auch in NRW nicht aufhalten lassen. Sie werden – allen Versuchen zum Trotz – angesichts der demographischen Entwicklung, die wir gestalten müssen, die Revolution von unten nicht aufhalten können.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten nicht besser, wenn sie ständig missachtet und demotiviert werden. Während modernes Management in Gesellschaft und Wirtschaft zunehmend auf Dialog, Teamorientierung und Schlichtung auf gleicher Augenhöhe setzt, marschiert diese Landesregierung zurück in den preußischen Obrigkeitsstaat, und das nicht nur beim Abbau der Mitbestimmung.

Herr Wolf, unter Rot-Grün war das Innenministerium stolz darauf, mit modernen Managementmethoden zu beginnen.

(Minister Dr. Helmut Linssen und Minister Dr. Ingo Wolf: Oh!)

„Moderne Verwaltung“, das heißt: Mitarbeiterorientierung, flache Hierarchien, selbstverantwortetes Handeln! Das waren die Ziele von Rot-Grün. Und heute? – Herr Wolf, aus Ihrem Haus hört man: autoritäre Führung, Missachtung der Belegschaften, Zentralismus pur. – Herr Wolf, das ist offensichtlich Ihre ganz eigene Vorstellung von Liberalität nach dem Motto: Die Freiheit ist immer die Freiheit des Ministers!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Demokratie ist, wenn alle tun, was ich für richtig halte! – Klar, dass dabei Mitbestimmungsrechte stören. Also weg damit!

Noch deutlicher wird dieser absurde, rückwärtsgewandte Kurs in der Frage des Personalmanagements. Ich brauche nur drei Buchstaben zu nennen und jeder und jede Beschäftigte des Landes weiß, wie diese Landesregierung tickt: PEM, das Personalentsorgungsmanagement. Hier – noch dazu – schafft die Landesregierung ein Mitbestimmungsrecht zweiter Klasse. PEM, das ist das Gegenteil von Bürokratieabbau. PEM wird dem Land nichts bringen, sondern nur zusätzliche Kosten verursachen. Herr Finanzminister, wenn Sie Personalkosten einsparen müssen, sollten Sie eine konsequente Personalkostenbudgetierung einführen, aber doch nicht eine neue Behörde aufbauen und die Menschen demotivieren!

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich schon mitten in der Finanzpolitik: Sehr geehrter Herr Dr. Linssen, ich muss offen zugeben, es ist mir völlig schleierhaft, wie Sie es bisher schaffen, so zu tun, als wären Sie ein solider Haushälter. Um es klar zu sagen: Sie sind es nicht! Sie waren es im letzten Jahr nicht, Sie sind es in diesem Jahr nicht, und Sie werden es auch im kommenden Jahr nicht sein! Der Landeshaushalt hat sich auf der Ausgabenseite dramatisch verschlechtert, seitdem Sie Finanzminister sind. Das zeigen die Rahmendaten Ihres eigenen Haushaltsentwurfs mehr als deutlich:

Obwohl Sie 7 Milliarden € mehr einnehmen, machen Sie 2,6 Milliarden € neue Schulden. Sie sind mit der Koalition im Jahre 2005 mit 110 Milliarden € Schulden gestartet. Zwei Jahre danach sind Sie – trotz der Milliarden Mehreinnahmen – bei fast 117 Milliarden € angekommen.

(Hendrik Wüst [CDU]: In der Zeit hätten Sie 20 Milliarden gemacht!)

Herzlichen Glückwunsch! Mit Ihrer Politik machen Sie viele Strukturen kaputt und ineffizient, aber zu Einsparungen führt das nicht. Im Gegenteil! Und das nennen Sie Haushaltskonsolidierung! Das soll solide Finanzpolitik sein? – Nein, Herr Dr. Linssen, das ist Verschuldungspolitik in Zeiten erstklassiger Wirtschaftsdaten und höchster Staatseinnahmen.

(Beifall von GRÜNEN und Hannelore Kraft [SPD])

In solchen Zeiten muss man eigentlich Schulden abbauen, nicht neue machen.

Meine Damen und Herren, wir haben 2004 erheblich höhere Ausgabenkürzungen vorgenommen als Sie. Herr Papke hat das ja eingefordert und ich gucke ausdrücklich und bewusst noch einmal zurück. Wir mussten trotzdem neue Schulden aufnehmen, weil die Konjunktur am Boden war. Unter den damals gegebenen Umständen – zu denen hat die CDU im Bundesrat mächtig beigetragen – ging es nicht besser. Sie aber haben versprochen, es besser zu machen. Damit haben Sie Wahlkampf gemacht und die Wahl zum Teil auch gewonnen. Jetzt präsentieren Sie einen Haushalt ohne jegliche Ambition zu wirklicher Konsolidierung.

Sie profitieren vom Aufschwung und den dadurch sprudelnden Steuereinnahmen, die wir nicht hatten. Und das verkaufen Sie als Entschuldungspolitik. Von angeblich echten Strukturreformen, die Sie immer wie eine Monstranz vor sich hertragen, kann überhaupt keine Rede sein. Stattdessen

steigen die Schulden trotz der genannten gigantischen Mehreinnahmen weiter.

Alle relevanten Sparmaßnahmen, die Sie vorgenommen haben, haben Sie Dritten auf die Rechnung geschrieben, meine Damen und Herren, nämlich auf die Rechnung der Beschäftigten. 1 Milliarde € hat das Land bei der Beamtenbesoldung gespart. Das haben Sie denen vor der Wahl auch ganz anders versprochen.

Vor allem haben Sie das auf die Rechnung der Kommunen geschrieben und zulasten der Bürgerinnen und Bürger, die in unseren Städten und Gemeinden Verschlechterungen hautnah zu spüren bekommen. Ich nenne nur Stichworte: Krankenhausfinanzierung, Grunderwerbsteuer, Finanzierung von Bus und Bahn, Flüchtlingsunterbringung, Abbau sozialer Infrastrukturen, steigende Elternbeiträge für Kitas und vieles mehr.

Herr Finanzminister, mit dem Griff in die Kassen der Kommunen entlasten Sie zwar den Landeshaushalt, aber an der Staatsverschuldung ändert sich dadurch gar nichts. Mit solider Finanzpolitik hat das nichts zu tun.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber Solidität ist ohnehin kein Markenzeichen dieser Regierung. Nach den großspurigen Ankündigungen vor und nach der Wahl 2005 sind Sie in den Niederungen der Realpolitik gescheitert. Stümperhafte Verwaltungsstrukturreformen, verkorkste Polizeireformen und nicht zuletzt die dilettantischen Versuche des WestLB-Verkaufs!

Wo haben Sie sich da hineinmanövriert? Erst haben Sie sich monatelang vom Bankvorstand zum Narren halten lassen. Aber statt jetzt zügig die einzig richtige Konsequenz zu ziehen und einen Zusammenschluss der WestLB mit der Landesbank Baden-Württemberg auf Augenhöhe in die Wege zu leiten, spielen Sie mitten in einer großen Bankenkrise auf Zeit. Das schadet der Bank, weil es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Kunden gleichermaßen verunsichert.