Protocol of the Session on August 22, 2007

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Die Lasten müssen die Kommunen tragen. In Münster habe ich von einem aktuellen Beispiel erfahren: 80 Millionen € Gewerbesteuereinnahmen brechen der Stadt Münster weg. Das ist darauf zurückzuführen, dass in Berlin Steuergesetze

geändert worden sind. Es gibt jetzt die Möglichkeit, bei großen Unternehmen und bei Aktiengesellschaften Verluste anders anzurechnen. Verluste von Unternehmen im Ausland oder an anderen Standorten können gegengerechnet werden. Das führt zum Beispiel in den Haushalten von Städten wie Münster dazu, dass im nächsten Jahr 2008 80 Millionen € – das ist ein riesiger Batzen – fehlen. Das wird in anderen Städten vielleicht nicht ähnlich dramatisch sein, aber doch zu heftigen Steuereinbrüchen führen.

Mit anderen Worten: Auch da richtet sich Ihre Steuer- und Finanzpolitik wieder gegen Bürgerinnen und Bürger, denn ganz klar ist: Wenn der Stadt 80 Millionen € fehlen, wird wieder der Sozialetat beschnitten und werden im Umwelt- und Ökologiebereich Projekte wieder nicht verwirklicht werden können. Das wird zulasten von Kindern und Jugendlichen gehen. Das ist Ihre reale Politik in Nordrhein-Westfalen.

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist vorbei.

Ich komme zum Ende. – Wir werden ja noch dazu kommen, einiges mehr sagen zu können, wenn der Haushalt in seinen Details betrachtet wird.

Zunächst einmal stelle ich nur fest: Der vorgelegte Haushaltsentwurf ist völlig unsozial, ökologisch nicht nachhaltig und ungerecht gegenüber den nordrhein-westfälischen Bürgerinnen und Bürgern. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Danke schön, Herr Sagel. – Meine Damen und Herren, damit ist der erste Teil der Haushaltsberatungen beendet. Wir kommen zum zweiten Teil, der Beratung des Gemeindefinanzierungsgesetzes.

Für die SPD-Fraktion gebe ich dem Abgeordneten Jäger das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die diesjährige Beratung des GFG unterscheidet sich von der des letzten Jahres. Der Innenminister ist von Beginn an anwesend. Es freut mich ganz besonders, Herr Wolf, dass Sie die Beratungen vollständig mitverfolgen können.

Die Überschrift zu diesem GFG 2008 müsste eigentlich lauten: Gute Konjunktur, gute Zeiten für die Gemeinden in Nordrhein-Westfalen. – Das scheint aber, wenn man in die Tiefen dieses GFG und auf die Ausstattung, die Finanzkraft der Ge

meinden Nordrhein-Westfalens schaut, keinesfalls der Fall zu sein. Zwar steigen die Schlüsselzuweisungen in diesem Jahr um 650 Millionen €, aber der Grund sind sprudelnde Steuerquellen, von denen die Gemeinden im Rahmen des Verbundsatzes, der bei 23 % bleibt – dort war er, dort ist er, und dort muss er auch bleiben –, partizipieren.

Um das direkt klar zu sagen: Es ist weder Ihr Aufschwung noch Ihr Verdienst, dass den Gemeinden in Nordrhein-Westfalen etwas mehr Geld zufließt. Es ist der Not, der gesetzlichen Festlegung geschuldet, 23 % der großen Steuereinnahmen an die Gemeinden weiterzureichen.

Wenn man in die Tiefen des Gemeindefinanzierungsgesetzes einsteigt, zeigt sich aber eins: Sie setzen den Raubzug durch die Kassen, den Sie vorletztes Jahr begonnen haben, unverfroren fort, obwohl das Land über deutlich höhere Einnahmen verfügt.

Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen: Der Innenminister hat bei seiner Einbringung darauf hingewiesen, dass 80 Millionen € mehr für die Bildungspauschale zur Verfügung stehen, die in dieses GFG neu eingeführt worden ist. Tatsächlich handelt es sich lediglich um eine Umschichtung innerhalb des Haushalts von der Investitionspauschale hin zu der neuen Bildungspauschale. Herr Wolf, nicht ein Euro frisches Geld fließt.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das ist ein Taschenspielertrick, das ist „rechte Tasche – linke Tasche“, das ist verbales Marketing, und das ist diesem Parlament eigentlich unwürdig. Wofür, Herr Wolf, schlagen Sie sich eigentlich dabei auf die Brust?

Wenn wir weiter in die Tiefen dieses GFG hineingehen – immer unter dem Gesichtspunkt, dass die Steuerquellen in Nordrhein-Westfalen ohne eigenes Zutun kräftig sprudeln –, löst es zumindest Verwunderung aus, dass Sie an einem Budgetbewirtschaftungsinstrument festhalten, genannt Befrachtung, das die Flexibilität der Kommunen bei der Verfügung über gemeindliche Mittel stark eingrenzt. Ich frage Sie – auch Sie, Herr Lux –, wieso Sie angesichts der Finanzsituation des Landes diese Befrachtung, diese Einengung für die Gemeinden nicht aus dem GFG herausnehmen.

Ich will drei weitere Beispiele nennen: Die Erhöhung der Beteiligung an der Krankenhausfinanzierung von 20 auf 40 % ist skandalös, vor allen Dingen deshalb, Herr Lux, weil Ihre Fraktion noch vor vier Jahren, als wir eine 20%ige Beteiligung eingeführt haben, angekündigt hat, dies rückgängig

machen zu wollen. Sie haben sich in der Tat von diesen 20 % verabschiedet und auf 40 % erhöht. Das ist, gemessen an der Glaubwürdigkeit der Christlich Demokratischen Union, schon ziemlich unverfroren.

Genauso sieht es bei dem Griff in die Kassen der Kommunen aus, wenn man den Wegfall des Beitragsausgleichs für Kindergärten sieht. Sie sind dafür verantwortlich, dass ausgerechnet diejenigen, die über ein geringes Einkommen verfügen, in den Kommunen mit der geringsten Finanzkraft höhere Kindergartenbeiträge zahlen müssen als Bürgerinnen und Bürger, Eltern in Neuss, Düsseldorf, Münster. Das ist alleine Ihr Verdienst.

Ein letzter Punkt, bei dem Sie in NordrheinWestfalen ein Zeichen gesetzt, ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet haben, ist die Grunderwerbsteuer. Eine nullprozentige Beteiligung der Gemeinden gibt es in keinem anderen der 16 Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland. Vielleicht können Sie in Ihrem Sinne stolz darauf sein, den Gemeinden mit 162 Millionen € in die Tasche gegriffen zu haben und sie trotz sprudelnder Steuerquellen nicht zurückzugeben.

Fazit: Sie kürzen auf Kosten der Kommunen. Politische Schwerpunkte sind letztlich nur simuliert, und die Gemeinden werden mit ihren Problemen allein gelassen.

Warum das so schlimm ist, will ich an zwei Zahlen deutlich machen. Von den 427 Städten, Gemeinden und Kreisen in Nordrhein-Westfalen sind 197 in der Haushaltsbewirtschaftung, 115 davon sogar in der vorläufigen Haushaltsbewirtschaftung. 115 Kommunen in Nordrhein-Westfalen sind also nicht in der Lage, in einem mittelfristigen Zeitraum einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. 115 Kommunen sind nicht in der Lage darzustellen, wie Einnahmen und Ausgaben im nächsten Jahrzehnt übereinander zu bekommen sind, geschweige denn aufzuzeigen, wie auch nur ein Euro Ihrer Altschulden abgebaut werden könnte.

Trotz guter Konjunktur, trotz sinkender Arbeitslosenzahlen reichen in vielen Kommunen die Einnahmen nicht, um die notwendigen Ausgaben zu finanzieren. Allein 12,5 Milliarden € Altschulden drücken die Kommunen in Nordrhein-Westfalen – ohne Chance, sie jemals aus eigener Kraft tilgen zu können.

Herr Wolf hat heute Morgen versucht darzustellen, dass mit diesem GFG ein Licht am Ende des Tunnels erkennbar ist. Vermutlich handelt es sich bei diesem Licht nur um den entgegenkommen

den Zug in Form von Altschulden und steigenden Zinsen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich möchte an eins erinnern, meine Damen und Herren von der CDU:

(Zuruf von der CDU)

Es gab 2004 eine historische Chance, durch die wir diese Situation hätten zumindest deutlich mildern können. Ich erinnere mich sehr gut daran, dass der Bundesrat kurz vor Ende des Jahres eine Gemeindefinanzreform beraten hat. Es waren CDU-regierte Bundesländer und CDULandesverbände – insbesondere Ihr Landesverband mit tatkräftiger Hilfe von Herrn Rüttgers –, die dafür gesorgt haben, dass das Modell einer Reform der Gewerbesteuer kaputtgemacht worden ist.

Das haben Sie damals damit begründet, Sie hätten ein ganz tolles Konzept der BertelsmannStiftung, das Sie stattdessen favorisieren würden. Ich frage Sie: Wann bringen Sie eigentlich die Bundesratsinitiative ein, um das Modell der Bertelsmann-Stiftung umzusetzen und endlich zu einer Gemeindefinanzreform zu kommen, die es den Städten und Gemeinden in NordrheinWestfalen ermöglicht, tatsächlich Einnahmen und Ausgaben übereinander zu bringen? Bei Ihrer Bundesratsinitiative wird genauso „Fehlanzeige“ stehen wie bei der von Ihnen angekündigten Revision des Arbeitslosengeldes I.

Dass eine Gemeindefinanzreform notwendig ist, weil die Kommunen den Schuldenberg nicht aus eigener Kraft stemmen können, haben Sie selbst erkannt und in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt. Herr Hovenjürgen kennt ihn nicht, sonst würde er nicht mit dem Kopf schütteln. Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie mit dieser 6,2%-Partei vereinbart haben, nur dann eine Einschränkung des § 107 der Gemeindeordnung – Stichwort „wirtschaftliche Betätigung“ – vorzunehmen, wenn es zuvor eine Gemeindefinanzreform gegeben hat, die die entstehenden Einnahmeausfälle der Gemeinden kompensiert.

(Frank Sichau [SPD]: Vergessen!)

Nun führen Sie keine Gemeindefinanzreform durch, um die Ausfälle des § 107 zu kompensieren, geschweige denn geben Sie den Kommunen in Nordrhein-Westfalen auch nur annähernd eine finanzpolitische Perspektive. Deshalb sage ich Ihnen: Trennen Sie sich in dieser Frage von der 6,2%-Partei. Unsere beiden Parteien sind die einzigen, die in den 392 Kommunen dieses Landes die gestaltende und tragende politische Verant

wortung haben. Wir sollten auf die Tradition zurückgreifen, die 50 Jahre lang in diesem Bundesland galt, so etwas gemeinsam zu machen. Unser Angebot steht, Herr Lux. Seien Sie einmal mutig. Machen Sie das, was in Ihrem Koalitionsvertrag steht. Lassen Sie sich von Ihrem Koalitionspartner nicht gängeln,

(Zuruf von Manfred Kuhmichel [CDU])

sondern lassen Sie uns gemeinsam versuchen, eine tatsächliche Gemeindefinanzreform in Nordrhein-Westfalen anzugehen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich könnte noch weitere Belastungen für die Kommunen nennen wie etwa KiBiz und höhere Elternbeiträge. Tatsächlich simulieren Sie kommunalfreundliche Politik nur. Das alles kann man in der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs noch sehr viel detaillierter und sehr viel pointierter herausarbeiten. Auf einen Punkt, an dem Sie das Geld der Kommunen zum Fenster hinauswerfen, möchte ich noch eingehen, weil er aktuell ist: die Abtrennung der Kommunalwahlen von den Bundestagswahlen 2009.

(Lachen von der CDU – Zuruf von Dieter Hil- ser [SPD])

Sie verursacht bei den Kommunen Kosten in Höhe von 42 Millionen €. Sie sind bereit, 10 Millionen € zur Finanzierung eines Essens für jedes Kind auszugeben. Auf der anderen Seite schmeißen Sie aus rein wahltaktischem Kalkül 42 Millionen € zum Fenster hinaus.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, das ist angesichts der Tatsache, dass die Kommunen diese 42 Millionen € für die Anschaffung von Schulbüchern, zur Finanzierung des Schulmittagessens oder von Bibliotheken dringend gebrauchen könnten, schlimm genug. Viel schlimmer ist aber noch die Kaltschnäuzigkeit, mit der Sie das begründen zu können glauben. Wenn man den Zeitungen glauben darf, war Ihr ursprünglicher Vorschlag, diesen Wahltermin mit der Europawahl zusammenzulegen, vorgetragen in der kindlichen Naivität Ihrer beiden Generalsekretäre.

(Lachen von der SPD)

Dann hätten Sie zwei Räte im Amt gehabt: einen frisch gewählten und einen noch im Amt befindlichen. Angesichts Ihrer Vorgehensweise frage ich mich eigentlich nur noch, wie groß Ihre Angst vor den Wählerinnen und Wählern sein muss.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich sage Ihnen: Auf lange Sicht ist ein solcher Missbrauch immer …

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie wollen die Bewertung durch die Bürger bei der Land- tagswahl gar nicht haben, weil Sie wissen, dass Sie keine gute bekommen! – Lachen von der SPD)

Ach Herr Hovenjürgen, das war – mit Verlaub – wirklich ein schwachsinniger Zwischenruf; da habe ich in diesem Parlament schon bessere gehört.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])