Protocol of the Session on October 7, 2009

Eine solche Ausrichtung und ein solches Grundverständnis bedeuten kein separiertes eigenes Hilfesystem. Das haben Sie eben auch gesagt. Vielmehr ist es Ziel, dass geschlechtsspezifische Herangehensweise konzeptionell in dem gesamten Hilfesystem und in allen bereits bestehenden Strukturen und Angeboten der Suchthilfe sein müsste und nach unserer Erfahrung in den meisten Fällen auch so ist.

Im vorliegenden Antrag „Geschlechtergerechte Drogen- und Suchtpolitik in NRW voranbringen!“ werden von Ihrer Seite große Defizite ausgewiesen und diese Aussagen durch einzelne Beispiele präzisiert. Ohne Zweifel – das bestreiten wir nicht – gibt es in diesem Hilfesystem wie in allen sozialen Hilfesystemen immer auch die Notwendigkeit, dass weiterentwickelt wird, dass neue Erkenntnisse und Erfahrungen von Praktikern eingearbeitet werden.

Die Lösung aber, die Sie in Ihrem Antrag für dieses komplexe Thema angeboten und gefordert haben, wird nach unserer Einschätzung der Aufgabe nicht gerecht. Ein neues Handlungskonzept für geschlechtergerechte Drogen- und Suchtpolitik zu entwickeln, ist weder zielführend noch notwendig.

(Beifall von der SPD)

Sie wissen, dass bereits im 1998 verabschiedeten Landesprogramm gegen Sucht – eine Gemeinschaftsinitiative aller im Suchtbereich verantwortlichen Stellen – die geschlechtsdifferenzierte Betrachtungsweise als Grundlage der Suchthilfe in Nordrhein-Westfalen festgeschrieben wurde. Und Sie wissen, dass dieses Landesprogramm nun zu einem Landeskonzept gegen Sucht weiterentwickelt wird – unter Einbeziehung aller Faktoren, die in einem differenzierten System unverzichtbar sind.

Nochmals: Verbesserung und Weiterentwicklung innerhalb der bereits bestehenden Hilfestrukturen, eine stärkere Verankerung und Vernetzung in der Fläche, eine kontinuierliche Informations- und Qualifizierungsmaßnahme, das sind vorrangige Aufgaben, und nicht, dieses durch ein neues Handlungskonzept zu ersetzen.

Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, können wir dem vorliegenden Antrag so nicht zustimmen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Frau Monheim. – Für die SPD spricht nun die Kollegin Meurer.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Monheim, definitiv soll die Ausrichtung auf beiden Geschlechtern liegen; das haben Sie gesagt. War das dann der Grund, warum Sie den Antrag jetzt ablehnen? – Wir haben nämlich auch mit den Sachverständigen in der Anhörung herausgearbeitet, dass in der Frauenpolitik ganz offensichtlich ein Rückschritt erfolgt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zwei Große Anfragen zum Thema Drogen- und Suchtpolitik in Nordrhein-Westfalen und geschlechterspezifische Aspekte der Drogen- und Suchthilfepolitik in Nordrhein-Westfalen – Frau Beer hat es

gerade eben ausgeführt – und dieser Antrag wurden von Bündnis 90/Die Grünen gestellt. Das Haus Ihres Kollegen Laumann, Herr Uhlenberg, hat Antworten auf die Großen Anfragen gegeben, die zeigen, dass er und das Ministerium sich mit dem Thema Geschlechtergerechtigkeit nur dann befassen, wenn er für den Landeshaushalt Einsparpotenziale sucht.

Die Geschlechtergerechtigkeit, das heißt GenderMainstreaming, nutzen Sie von der Landesregierung nur in den Bereichen, in denen Sie EU-Mittel abgreifen wollen. Dadurch verkommt Gender-Mainstreaming bei Ihnen zum „Gender-Einheitsbrei“, und Sie glauben, dem Ziel, der hinter dem Begriff steht, nämlich letztendlich die Durchsetzung der Gleichberechtigung, zu entkommen, weil Sie die Querschnittsaufgabe definieren, ohne die Wirkung der Maßnahmen tatsächlich zu überprüfen.

(Ralf Witzel [FDP]: Einheitsbrei ist doch sonst immer das, was Sie wollen!)

Die Sie tragenden Koalitionsparteien springen Ihnen prompt im Ausschuss zur Seite – eben gab es auch Nebenbemerkungen des Kollegen Witzel – und decken die Landesregierung der Täuschung und Enttäuschung.

(Beifall von der SPD – Rainer Schmeltzer [SPD]: Die kann man doch nicht ernst neh- men!)

Sie fallen den Frauen und Männern, die von Sucht betroffen sind, in den Rücken. Das machen Sie alle gemeinsam.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schon in dem von mir häufig zitierten Bericht der Enquetekommission „Zukunft einer frauengerechten Gesundheitsversorgung in NRW“ können Sie nachlesen, dass Frauen anders als Männer reagieren und mit Suchterkrankungen anders umgehen. Dass hier noch valide Daten fehlen, sagen Ihnen die Sachverständigen immer wieder.

Auslöser für eine Drogen- bzw. Suchterkrankung kann auch Gewalterfahrung von Frauen sein, sei es körperliche Gewalt durch Männer oder sexuelle. Schon allein dadurch wird deutlich, dass Frauen nicht immer mit Männern in Therapien stationär oder ambulant in Gesprächskreisen usw. zusammen behandelt werden können.

Im Grundsatzpapier der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, DHS, können Sie nachlesen:

Frauen und Männer unterscheiden sich bezüglich Ursachen und Verläufen von Suchterkrankungen sowie hinsichtlich ihrer bevorzugten Suchtmittel, Konsummuster und komorbiden Störungen. Auch Ess-Störungen und Pathologisches Glücksspielen treten geschlechtsspezifisch unterschiedlich auf.

An anderer Stelle heißt es:

Spezielle Angebote für Frauen bieten mittlerweile viele der ambulanten und stationären Einrichtungen, in denen Frauen und Männer gemeinsam behandelt werden, an.

Nichts anderes fordert der Antrag. Machen Sie einen Vorschlag, wie den Unterschieden der Geschlechter auch in der Drogen- und Suchtpolitik begegnet werden kann! Entwickeln Sie ein Handlungskonzept!

(Beifall von den GRÜNEN)

Seien Sie einmal mutig und stellen Sie unser Land Nordrhein-Westfalen bundesweit an die Spitze der Bewegung! Erarbeiten Sie Lösungen für den geschlechtergerechten Ansatz in der Drogen- und Suchtpolitik!

Die Anhörung in den Ausschüssen für Frauenpolitik und Arbeit, Gesundheit und Soziales zum vorliegenden Antrag hat gezeigt, dass durch die Auflösung der Landesfachstelle Frauen & Sucht – Frau Beer, Sie haben es erwähnt – eine Lücke entstanden ist, die durch den neuen Zuschnitt der Aufgabe auf Gender und Sucht und die Ansiedlung bei der Landeskoordination Integration mit weniger Personal und weniger finanziellen Mitteln nicht geschlossen wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Während die bei BELLA DONNA in Essen angesiedelte Landesfachstelle schon sehr erfolgreich im Bereich Vernetzung und Weiterbildung war, hatte das neu geschaffene Gender- und Suchtaufgabenfeld bei der Landeskoordination Integration zunächst – Sie sagten, still ruht der See, aber ich sage es heute ein bisschen despektierlich – Ladehemmungen. Die vorschnelle Kommunalisierung der Drogen- und Suchthilfe war dabei im Hinblick auf Vernetzung und Sicherstellung der Angebote für besondere Zielgruppen wenig hilfreich.

Der Bereich Männer und Sucht ist noch längst nicht so weit entwickelt, wie es der Bereich Frauen und Sucht bereits Ende 2006 war. Zwar ist bekannt, dass Männer deutlich häufiger Alkohol und illegale Drogen konsumieren und da zu riskanterem Konsum neigen. Männer erkennen jedoch viel später, dass sie eine Therapie benötigen. Dass das Suchtverhalten mit der Männerrolle in der Gesellschaft zu tun hat, muss noch in das Bewusstsein dringen. Durch geschlechtshomogene Angebote bietet sich die Chance, eine völlig neue Form der Männersolidarität zu entwickeln.

In den Stellungnahmen der Sachverständigen wurde die Forderung nach einer besseren Datenlage deutlich, um für die Kranken erfolgreich wirken zu können und die Rückfallquoten zu senken. Sie wurde von allen Sachverständigen gleichermaßen als nicht ausreichend angesehen.

Deutlich wurde auch, dass die Menschen, die in der Therapie arbeiten, im Sinne von Gender-Main

streaming durch sinnvolle Vernetzung besser aus- und weitergebildet werden müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn Sie den Menschen in unserem Land helfen wollen, evaluieren Sie Ihren eigenen Ansatz und steuern Sie wieder in die richtige Richtung.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Frau Meurer. – Für die FDP spricht nun die Kollegin Pieper-von Heiden.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ja in Ordnung, regelmäßig an den Gender-Aspekt in der Drogen- und Suchtpolitik zu erinnern. Auch für die FDP hat der Gender-Aspekt bei Prävention und Behandlung von Suchterkrankungen einen großen Stellenwert; ich möchte nur noch einmal an unseren Antrag zur Cannabisprävention und an unseren kürzlich gestellten Antrag zu den Essstörungen erinnern. Auch die Landesregierung hat ihre Gesundheitspolitik längst nach geschlechtsspezifischen Aspekten ausgerichtet.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, Ihr Antrag ist daher obsolet. Aber er ist auch inhaltlich ein bisschen fehlgeleitet: Sie wollen eine geschlechtergerechte Drogen- und Suchtpolitik. Es geht aber um eine echte Genderorientierung. Es geht um eine durchgängige geschlechtersensible Drogen- und Suchtpolitik. Das hat mit Ihrem ständigen Rufen nach Gerechtigkeit nichts zu tun.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die wahre Intention des Antrags ist klar: Die Antragsteller trauern zum xten Male einem ihrer sogenannten Leuchttürme, der Landesfachstelle Frauen & Sucht NRW, hinterher.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ein echter Verlust!)

Insoweit verkennen Sie aber einmal mehr die Bedeutung der Landeskoordination Integration NRW Fachbereich Gender und Sucht, die an die Arbeit der früheren Landesfachstelle anknüpft und im Gegensatz zu dieser den Bereich der Sucht tatsächlich genderorientiert beleuchtet.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Genderorientierung heißt nämlich nicht, sich nur auf den Bereich Frauen und Sucht zu fokussieren.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Haben Sie ei- gentlich nicht zugehört?)

Genderorientiert heißt, für die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Suchtproblematik sensibel zu sein. Insbesondere unsere Anhörung hat

ergeben, dass nicht der Bereich Frauen und Sucht der verbesserten Entwicklung bedarf, sondern vielmehr der Bereich der männerspezifischen Angebote, da dieser über Jahre und Jahrzehnte hinweg bedingt durch Ihre Politik doch sehr vernachlässigt wurde.

Also erzählen Sie uns bitte nicht, wie genderorientierte Politik funktioniert. Reden Sie vor diesem Hintergrund schon gar nicht von Geschlechtergerechtigkeit.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])