Protocol of the Session on May 27, 2009

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/9200

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion der SPD dem Abgeordneten Kuschke das Wort. Bitte schön, Herr Kollege Kuschke.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf mit Ihrer Erlaubnis zitieren:

Die Daseinsvorsorge ist in Deutschland ein wesentlicher Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft.

Das ist der erste Satz aus dem Vorwort von Minister Krautscheid zur Veröffentlichung „Die Daseinsvorsorge im Spannungsfeld von europäischem Wettbewerb und Gemeinwohl“. Wenn ich das richtig gesehen habe, wird Herr Minister Lienenkämper,

der im Raum ist, gleich für die Landesregierung Stellung nehmen. Ich bitte, Minister Krautscheid auszurichten, dass ich ihn zitiert habe. Einer der Mitarbeiter, die maßgeblich an dieser Veröffentlichung gearbeitet haben, ist im Raum, und ich will noch mal deutlich sagen: Wir halten diese Veröffentlichung für außerordentlich löblich und hilfreich in der Debatte um die Daseinsvorsorge.

Aber an anderer Stelle des Vorworts heißt es:

Das Anliegen der Landesregierung ist es, den Binnenmarkt und die Daseinsvorsorge in kommunaler Verantwortung besser in Übereinstimmung zu bringen, als es derzeit der Fall ist.

Dagegen kann man auch nichts sagen. Nur: Das Problem beginnt damit, dass in diesem Satz ein Spannungsfeld angedeutet wird. In Übereinstimmung gebracht werden sollen Binnenmarkt und die Ansprüche aus der Daseinsvorsorge. Da muss man politisch gewichten und sich entscheiden, wohin sich die Waagschale neigen soll.

Da haben wir berechtigte Zweifel – nicht bei Herrn Krautscheid, aber bei der Landesregierung insgesamt und insbesondere bei der Regierungsfraktion FDP –, ob die Landesregierung bei einer solchen Gewichtung zugunsten der Daseinsvorsorge mitmachen würde.

Das soll meine zweite Anmerkung sein. Das ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern das beruht auf Erfahrung, die wir in den politischen Debatten in den vergangenen Monaten und Jahren gemacht haben. Denn das Handeln der Landesregierung bei der Änderung von § 107 Gemeindeordnung oder die Vorgehensweise der Landesregierung bei der Novellierung des Sparkassengesetzes machen ganz deutlich, dass sie es eben mit der Frage der Daseinsvorsorge nicht so ernst nimmt.

(Beifall von der SPD – Bodo Wißen [SPD]: So sind sie!)

Dritter Punkt: Wie wichtig ist das Handeln der Landesregierung, der Länder und der Bundesrepublik Deutschland in diesem Zusammenhang? – Diese Veröffentlichung, die ich bereits mehrfach angesprochen habe, ist bei einer Veranstaltung der Staatskanzlei vorgestellt worden. Dort war auch die Kollegin Hieronymi aus dem Europäischen Parlament anwesend. Sie hat sinngemäß vorgetragen, als ein bisschen kritisch nachgefragt wurde: „Was macht ihr in Brüssel im Europaparlament oder in der Kommission?“: Wir haben nicht mehr so viel damit zu tun, sondern das ist jetzt Angelegenheit des Ministerrates, also der Mitgliedstaaten, dort vorstellig und aktiv zu werden. – Das bekräftigt, wenn wir die Kollegin Hieronymi an dieser Stelle ernst nehmen, wie wichtig es ist, dass die Landesregierung ein klares Handeln an den Tag legt.

Vierte Anmerkung: Ich will für uns noch mal ausdrücklich formulieren: Für öffentliche Dienstleistun

gen der Daseinsvorsorge muss mehr Rechtssicherheit geschaffen werden. – Ja, das sehen wir so: Wasserversorgung, Abwasser- und Müllentsorgung, Personennahverkehr, Flughäfen und Flugsicherung, wichtige Gesundheits- und Sozialdienste und auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk dienen dem Gemeinwohl. Wir haben im Übrigen im Augenblick ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen auf dem Tisch. Das heißt, auch der Bereich der Bildung, der Weiterbildung ist hier stark tangiert.

Meine Damen und Herren, es muss deutlich werden, dass Politik den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger auch folgen muss. Die entscheidenden Fragen bei der Diskussion über die Daseinsvorsorge vor dem Hintergrund der vergangenen Monate ist doch: Haben wir aus der Krise gelernt?

(Beifall von der SPD)

Sind wir bereit, in essentiellen Fragen, die die Versorgung der Menschen angehen, auch den wichtigen, den entscheidenden Schritt zu gehen? sind wir bereit, zu erklären: Wir wollen private Unternehmungen in dem Bereich nicht verbieten oder untersagen oder unmöglich machen, aber wir wollen um der Sicherheit willen, um der Vorsorge willen im besten Sinne des Wortes ein öffentlich-rechtliches System, wollen auch Dinge einführen – Herr Kollege Engel, wenn Sie nachher Stellung nehmen –, die der Kontrolle durch kommunale Selbstverwaltung und durch öffentlichen Einfluss unterliegen.

Fünfte Anmerkung. Meine Damen und Herren, das wird dann der Lackmustest sein, wie wir uns hier im Parlament angesichts dieses von uns eingebrachten Antrags verhalten, von dem wir übrigens glauben, dass er nach der Veröffentlichung und dem Vorwort von Minister Krautscheid die kompletten Stimmen der Regierungsfraktion erhalten müsste.

(Beifall von der SPD)

Etwas skeptischer sind wir – das will ich schon mal andeuten –, wenn wir

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss – einzelne Anträge einbringen werden, die sich mit Wasserversorgung, Abfallentsorgung – wir hatten heute das Thema – und mit Fragen der sozialen Dienstleistung und Ähnlichem beschäftigen. Da wird sich dann die Spreu vom Weizen trennen, möglicherweise so wie heute Morgen in der Aktuellen Stunde, dass wir eine breite Mehrheit von SPD, CDU einschließlich Ministerpräsident und Bündnis 90/Die Grünen haben und die FDP dann in der Minderheit sein wird.

Warten wir es ab. Wir freuen uns auf ernsthafte Beratung, weil es um die Vorsorge für die Menschen geht.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kuschke. – Als nächste Rednerin hat Frau von Boeselager für die Fraktion der CDU das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kuschke, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie das Buch von Minister Krautscheid zum Rednerpult mitgenommen haben.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Ja, wir lesen!)

Großartig. – Darin steht alles über Daseinsvorsorge, was man so wissen muss.

(Wolfram Kuschke [SPD]: Ja!)

Sehr gute Dinge. Ich fand es spannend, dass Sie Ihren Antrag, den Sie 2007 in etwas anderer Form schon einmal hier eingebracht haben, heute erneut zur Diskussion stellen. Sie müssen wirklich sehr große Sorgen haben, dass wir, was die Daseinsvorsorge in Deutschland anbetrifft, nicht auf dem aktuellen Stand sind.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Muss man auch!)

Denn sonst würden Sie das nicht immer wieder zur Diskussion stellen.

Jetzt liegt es Ihnen zwar in Form eines Buches vor, was alles angedacht ist und wo die Knackpunkte sind, aber dennoch wollen Sie es immer erneut diskutieren. Gut, das ist Ihr Recht, und das können Sie auch so tun. Wir sind auch bereit, wieder zu antworten.

Allerdings sind wir nicht dazu bereit, zusätzliche bürokratische Hemmnisse aufzubauen. Wenn ich Ihren Antrag genau lese, wollen Sie immer mehr bürokratische Hemmnisse einbringen.

(Wolfram Kuschke [SPD]: Wo denn? Sagen Sie mal!)

Da spielen wir nicht mit, sondern wir wollen so wenig Bürokratie wie eben möglich.

Natürlich ist uns allen klar, welche Bedeutung der Daseinsvorsorge gerade auf den ganz wichtigen Feldern Telekommunikation, Gas, Strom und Elektrizität zukommt. Aber mehr Wettbewerb auf diesen Feldern durch Europa ist auch eine Chance für die Bürgerinnen und Bürger. Man schaut sehr viel stärker auf die Preise und hält sie dadurch für die Bürgerinnen und Bürger in einer gewissen Größenordnung.

Bei der Telekommunikation zum Beispiel hat der Wettbewerb schon bewirkt, dass man innerhalb Europas jetzt sehr viel preiswerter telefonieren kann und hier grenzübergreifend die Hemmnisse abgebaut werden.

Wir müssen allerdings darauf achten, dass sich bei uns nicht immer mehr Konzerne zusammenschließen und so den Wettbewerb stören. Ich gebe Ihnen Recht, dass wir in Zukunft darauf achten müssen, hier eine Balance zu halten. Ich bin aber ganz sicher, dass es für die Regionen und für die Kommunen wichtig ist, dass wir diesen Wettbewerb für die Zukunft offenhalten.

Ich sehe dem Ganzen sehr gelassen entgegen. Wir sind auf einem sehr guten Weg. Wie ich den Minister verstanden habe, will er demnächst auch mit der Kommission Details besprechen. Dann werden wir dieses automatisch in unserem Ausschuss wieder aufgreifen.

Ich möchte allerdings noch darauf hinweisen, dass ich offen bin, es auch im Wirtschaftsausschuss noch einmal zu diskutieren. Eine breite Diskussion kann in keinem Fall schaden, sondern kann nur dienlich sein. Dann wollen wir sehen, wie es sich weiterhin entwickelt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete von Boeselager. – Als nächster Redner hat Herr Engel für die Fraktion der FDP das Wort. Bitte schön, Herr Kollege Engel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Menschen und Unternehmen erwarten in Nordrhein-Westfalen zu Recht ein breites Spektrum von Leistungen von hoher Qualität zu erschwinglichen Preisen, aber nicht, sehr verehrter Herr Kuschke, primär durch die Daseinsvorsorge durch öffentliche Unternehmen.

Viele privat organisierte Unternehmen, ob Krankenhäuser, Altenheime, Ver- und Entsorgungsbetriebe, Rundfunk und Telekommunikationsunternehmen usw., dienen der Daseinsvorsorge und dem Gemeinwohl.

Wirtschaftswachstum ist aber das Ergebnis einer erfolgreichen marktwirtschaftlichen Politik mit erfolgreichen Unternehmen und schlauen Köpfen, nicht einer rechtlichen Absicherung jeglicher staatlicher Leistungserbringung mit Steuergeldern unter dem Deckmäntelchen der öffentlichen Daseinsfürsorge.

Der Staat muss auf seine Kernaufgaben zurückgeführt werden.

(Beifall von der FDP)

Er hat sich beinahe in jede Lebensritze hineingedrängt.

(Beifall von der FDP)