schulpolitischen Uhren in diesem Land rückwärts gedreht werden. Sie erkennen, es soll ein ständisches Schulsystem zementiert werden. Kinder werden der Vorstellung ausgeliefert, es sei quasi schöpfungsmäßig so angelegt, dass sich die Menschheit in drei Kategorien einteilen lasse. Sie lauten: Kategorie 1 – praktisch begabt –, Kategorie 3 – theoretisch begabt – und dazwischen liegt die Kategorie 2 – von Kategorie 1 oder 3 jeweils etwas zu viel oder zu wenig, das ist noch nicht ganz heraus –.
Als kirchenpolitische Sprecherin meiner Fraktion darf ich Ihnen allerdings versichern, ich kenne keinen biblischen Bericht, in dem es heißt: Gott verteilte die Begabungen und am ersten Tag schuf er die Hauptschüler, am zweiten Tag die Realschüler und am dritten Tag die Gymnasiasten – oder anders herum.
Ich kenne nur die ideologischen Schubkästen, die in Ihren Vorstellungen existieren, und in die Sie die Kinder partout einsortieren wollen.
Als neuesten Gesamtschulknüller wollten Sie ohne gesetzliche Handhabe im Anmeldeverfahren bei Neugründungen durchsetzen, dass kopfzahlgenau ein Drittel an Gymnasialempfehlungen nachgewiesen werden muss, weil die Heterogenität sonst nicht gewährleistet sei. Diese Flausen hat Ihnen das Verwaltungsgericht Gott sei Dank gründlich ausgetrieben.
Eltern haben für sich längst erkannt, was die Vertreter der Wissenschaft bei Anhörungen im Landtag vorgetragen haben: Übergangsempfehlungen in die Schulform des gegliederten Schulwesens sind weder der Weisheit letzter Schluss noch spiegeln sie die Leistungspotentiale der Schülerinnen wider. Den Übergang in die gegliederte Schulform bestimmt vor allem der Sozialfaktor eines Kindes.
Immer mehr Eltern haben von der schwarz-gelben Schulpolitik die Nase voll. Es sind die Eltern von Kindern, denen von der Grundschule nur eine Hauptschulempfehlung gegeben wird, die aber wollen, dass die Schullaufbahn ihrer Kinder länger offengehalten wird. Es sind die Eltern, die nicht wollen, dass ihre Kinder im Alter von 9 Jahren in Schulformschubladen gesteckt werden. Es sind Eltern, die ihre Kinder vor dem schwarz-gelben Feldversuch der Schulzeitverkürzung im Gymnasium schützen wollen und die wollen, dass ihre Kinder die Zeit bekommen, die sie brauchen, um ihre Leistungspotentiale zu entfalten. Es sind Eltern, die überzeugt davon sind, dass ihre Kinder davon profitieren, wenn sie länger gemeinsam miteinander und voneinander lernen können. Es sind Eltern mit Zuwanderungsgeschichte, die wissen, dass es ihre
Kinder im gegliederten Schulsystem besonders schwer haben, höherwertige Schulabschlüsse zu erreichen. Es sind Eltern, die wollen, dass ihre Kinder – Kinder mit und ohne Behinderungen – im gemeinsamen Unterricht lernen. Es sind Eltern, die wollen, dass es ausreichend Zeit für das Lernen in der Schule gibt, und die deshalb auf die Ganztagsschule setzen. Es sind auch Eltern, die an der Schule mitgestalten wollen und sich an der Gesamtschule willkommen fühlen, weil sie wissen, dass sie dort gebraucht und anerkannt werden.
Nicht willkommen sind solche Gesamtschulinitiativen allerdings im Schulministerium. Deshalb müssen Kommunen, in denen es mit der Diskussion ernst wird, als Erstes mit einem Besuch des Indoktrinierungsstaatssekretärs rechnen, der versucht, das Projekt im Keim zu ersticken. Oder es wird durch immer neue Anfragen aus dem Ministerium heraus versucht, in den gesamtschulgründungswilligen Kommunen die Gründungsprozesse zu behindern.
Hinzu kommt noch die bekannte Diskreditierungsarbeit der Gesamtschularbeit in verteilten Rollen: Mal muss die Ministerin ran wie beim Zentralabitur. Dann schallt es wieder aus den Regierungsfraktionen.
Meine Lieblingsgagabteilung bleibt allerdings die Pressestelle im Schulministerium. Die Gesamtschulverbände belegen auf ihrer Pressekonferenz, dass sich der Anteil der Übergänge in die Gesamtschulen bezogen auf die Gesamtzahl von Schülerinnen, die überhaupt zum Übergang anstehen, trotz der Antigesamtschulpropaganda von 24,3 % auf 24,8 % erhöht hat. Das verdrängt die PRAbteilung von Frau Sommer und hofft natürlich, dass sie damit durchkommt, wenn sie verkündet, dass die Überhangzahlen beim Übergang in die Gesamtschulen um 5 % sinken. Das ist logisch, weil die Schülerzahlen aufgrund des demografischen Wandels ja insgesamt sinken.
Immerhin hat Herr Kaiser in seiner Pressemitteilung vom 27.02. eine wichtige Erkenntnis formuliert, dass nämlich Gesamtschulen Kindern mit Hauptschulempfehlung bessere Chancen bieten. Glückwunsch, Herr Kaiser! Darauf kann man ja auch bauen.
Sie müssen jetzt sagen, was Sie wirklich wollen: Wenn Sie sagen, dass die Kinder mit Hauptschulempfehlung bei der Aufnahme benachteiligt werden, so sind das in manchen Kommunen – schauen wir uns Bonn später genauer an – 5 bis 6 %.
Wenn diese Schülerinnen und Schüler alle von den Gesamtschulen übernommen werden, müssen Sie die Hauptschulen dicht machen. Wenn Sie das
wollen, sollten Sie es nicht in eine Antigesamtschulstrategie verpacken, sondern es schon ganz genau sagen und die Dinge auf den Tisch legen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Frau Beer, zu Ihnen fällt mir eine Menge ein. Was Sie vortragen, ist wie ein Glaubensbekenntnis. Das konnte man schon in der letzten Version nachlesen. Dort ist es nicht viel anders gewesen.
Auch Ihr Erkenntnisfortschritt hält sich bei Ihnen sehr in Grenzen. Wenn Sie schon den Staatssekretär immer zu Ihrem politischen Lieblingsgegner küren, dann kann ich nicht nachvollziehen, dass Sie in vier Jahren nicht gelernt haben, seinen Namen – das habe ich Ihrer letzten Anfrage entnehmen können – richtig zu schreiben.
(Beifall von der CDU – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wenn das das Einzige ist, was Sie an uns auszusetzen haben!)
Frau Löhrmann, ich fahre fort. Ich darf nur nicht zu lange ausführen, weil ich Herrn Stahl versprochen habe, dass ich ihm mindestens vier Minuten Redezeit lasse. Daran arbeite ich jetzt stark.
Wir haben es mit zwei Anträgen zum Thema Gesamtschule zu tun – mit einem von der SPD und mit einem von den Grünen. Für beide gilt: Im Westen nichts Neues. Denn neben der üblichen Polemik gegen die Landesregierung gibt es keine neuen Erkenntnisse.
Auch durch Wiederholung wird es nicht richtiger: Diese Landesregierung betreibt keine gesamtschulfeindliche Politik!
Wir haben in der Bildungspolitik eine klare, unideologische Position. Diese Landesregierung unterstützt eine schülerorientierte Politik. Jede einzelne Schülerin und jeder einzelne Schüler steht im Mittelpunkt. Das heißt konkret: Diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen setzen sich für jede einzelne Schülerin und jeden einzelnen Schüler ein, sei es ein Förderschüler, ein Hauptschüler, ein Realschüler, eine Gymnasiast, ein Kollegschüler, ein Berufsschüler, ein Schüler einer Verbund
schule oder auch ein Gesamtschüler. Schließlich geht es um die Zukunft jedes einzelnen jungen Menschen. Das unterscheidet unsere Politik von Ihrer ideologischen Schulpolitik.
Bei den Oppositionsfraktionen steht die Schulstruktur im Mittelpunkt, aber eben nicht der einzelne Schüler. Frau Beer, wenn Sie Ihre Rede von eben nachlesen, erkennen Sie deutlich: Es geht Ihnen um Strukturen, und Sie denken in Strukturen. Der einzelne Schüler steht eben nicht im Mittelpunkt. Das genau ist der zentrale Vorwurf, den ich Ihnen mache.
Von unseren bildungspolitischen Zielen lassen wir uns nicht abbringen. Es ist richtig, dass jeder Schüler individuell gefördert wird. Das heißt zunächst einmal, dass jeder Schüler als Person und in seiner Persönlichkeit wertgeschätzt wird, der leistungsstarke genauso wie der leistungsschwache Schüler, das Migrantenkind genauso wie das Professorenkind.
Vor diesem Hintergrund wird eines deutlich: Die täglich aufs Neue aufgelegte Schulstrukturdebatte löst keines der anstehenden Probleme.
Strukturveränderungen bedingen keine Schülerorientierung aus sich heraus. Das Gegenteil scheint eher der Fall zu sein. Deshalb führt die von der Opposition geführte Debatte auch nicht weiter. Auch die vorliegenden Anträge geben nichts her.
Aber deutlich wird: Die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, sind richtig. Das Primat der individuellen Förderung hat an allen Schulformen zu mehr Freiheiten und zu mehr Schulstundenvolumina für diese Zielsetzung geführt.
Es wäre selten töricht, wenn wir tatenlos zusehen würden, wenn wir die Herausforderungen an den einzelnen Schulen nicht annehmen würden. Wer sagt, an unseren Schulen sei alles in Ordnung, der weiß, dass das nicht stimmt. Wer aber sagt, dass sich in den vergangenen dreieinhalb Jahren nichts zum Besseren verändert hätte, der sagt bewusst die Unwahrheit.
Wir wissen, dass wir die Probleme angehen müssen. Das größte Problem, vor dem wir bildungspolitisch stehen, ist das Durchbrechen des fatalen Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg. Wir haben uns zum Ziel gesetzt – daran arbeiten wir sehr hart –, diesen Zusammenhang zu durchbrechen. Deshalb investieren wir Millionen in den Ganztag an Hauptschulen, damit zusätzliche Förderung gerade in bildungsungewohnten Familien und Migrantenfamilien stattfinden kann.
Deshalb hat Frau Ministerin Sommer die Initiative „Komm mit!“ gegen das Sitzenbleiben an allen Schulformen gestartet. Deshalb haben wir im Ge
gensatz zur Vorgängerregierung Ganztag an Realschulen und Gymnasien möglich gemacht – und intensivieren ihn. Deshalb haben wir die Lehrerversorgung erheblich verbessert. Deshalb haben wir den Bildungsetat um 1,4 Milliarden € anwachsen lassen – trotz schwieriger finanzieller Situation.
Wir benennen die Probleme offen. Das unterscheidet uns von der SPD und den Grünen; denn Ihre Politik ist ganz einfach. Eben haben Sie ein Beispiel dafür geliefert. Sie sagen, an den Gesamtschulen sei alles gut, und an den anderen Schulen sei alles schlecht. Frau Beer ist in diesem Zusammenhang ja besonders stark, wenn sie gegen die Hauptschule polemisiert. Zugegebenermaßen ist das ein einfaches Weltbild – schwarz und weiß. Die Wirklichkeit ist aber nicht so. Deshalb liegen Sie mit Ihrer Schulpolitik auch so falsch.
Ich stimme mit der früheren Bildungsministerin Frau Behler voll und ganz überein, wenn sie über die SPD feststellt – ich zitiere –:
Die offensichtlichen Probleme der Gesamtschulen, die trotz guter Bedingungen unbefriedigende Ergebnisse sowohl in der Leistungshöhe wie bei der Chancengleichheit haben, werden immer wieder geleugnet.
Sie greifen in Ihren Anträgen die Anmeldeüberhänge bei den Gesamtschulen auf. Anmeldeüberhänge an Gesamtschulen gibt es schon lange Zeit. Die Zahl derjenigen, die keinen Platz finden, liegt seit 1999 immer bei etwa 15 %. Dieser Prozentsatz ist seit Jahren ungefähr gleich – mal ein bisschen höher, mal ein bisschen niedriger, aber immer um diesen Wert herum. In Ihrer Regierungszeit war das auch nicht anders. Dieser Regierung in diesem Zusammenhang eine gesamtschulfeindliche Politik vorzuwerfen, ist schlichtweg sachlich falsch.