Aus den Augen, aus dem Sinn – das ist die typische Haltung der Landesregierung. Erst macht sie ein ÖPNV-Gesetz, dann kümmert sie sich um nichts mehr. Die Ticketpreise steigen um 18 %, während auf der Regierungsbank nur mit dem Blackberry herumgespielt wird.
Für diese Verkehrspolitik tragen Sie die Verantwortung. Irgendwann werden die Menschen den Sozialschauspieler Rüttgers enttarnen. Als Verkehrspolitiker sage ich Ihnen: Links blinken und rechts abfahren ist weder in der Straßenverkehrs-Ordnung vorgesehen noch kann es Grundlage politischen Handelns sein. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mobilität für alle – das ist natürlich ein erstrebenswertes Ziel, das wir alle sehr unterstützen. Heute fordern Bündnis 90/Die Grünen und die SPD, die den Antrag des alten Weggefährten mehr oder weniger abgeschrieben hat, die Einführung eines NRW-Sozialtickets.
Wenn man sich aber den Antrag der Grünen etwas genauer durchliest, sieht man, dass bereits zu Beginn Argumente gegen die Einführung des Sozialtickets und dessen Finanzierung durch das Land vorgetragen werden.
Sie verweisen erstens richtigerweise auf die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II und dem Sozialgesetzbuch XII und den dort enthaltenen Ansatz für Mobilitätsleistungen für Hartz-IV-Empfänger in Höhe von etwa 15 €.
Zweitens richten Sie den Antrag – wie so oft – an die falsche Stelle. Denn schließlich sind für das Sozialgesetzbuch ausschließlich der Bund und der Bundestag zuständig. Auch die SPD hätte die Chance, in Berlin Gesetzesinitiativen einzubringen, um Änderungen – sprich: Erhöhungen – im Mobilitätsansatz des SGB zu erreichen. Das haben Sie nicht getan. Jetzt versuchen Sie, im Landtag einen Ersatzschauplatz aufzumachen.
Aber dies ist in der Tat nicht Aufgabe des Landes. Vergünstigungen im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs sind kommunale Angelegenheit und Aufgabe der Verkehrsverbünde bzw. der Kooperationsräume. Denn sie sind letzten Endes diejenigen, die die Leistungen bestellen, und sie beraten in ihren Verbandsversammlungen, ob solche Vergünstigungen sinnvoll und rentabel gewährt werden können. Die Räte in den Kommunen entscheiden darüber, ob ihre kommunale Haushaltslage es zulässt, eventuelle zusätzliche Defizite aufgrund weiterer Vergünstigungen im öffentlichen Personennahverkehr aufzufangen.
In Kenntnis dieser Lage appellieren SPD und Grüne trotzdem an die Verantwortung des Landes – mit Recht. Die Landesregierung und die sie tragenden Regierungsfraktionen werden dieser Aufgabe in vollem Umfang gerecht.
Das zeigt sich auch an der Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs durch das Land. In NordrheinWestfalen werden 2009 über 1,4 Milliarden € – das entspricht dem hohen Niveau von 2008 – für die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs bereitgestellt. Hiervon werden den Kooperationsräumen 812 Millionen € als SPNV-Pauschale zugewiesen. 350 Millionen € werden in pauschalierte Investitionsförderung für Maßnahmen, die im Landesinteresse sind, und für Infrastruktur ausgegeben. Und 110 Millionen € als ÖPNV-Pauschale und – sage und schreibe – 130 Millionen € als Ausgleichsleistungen für den Ausbildungsverkehr.
Sie sehen, das Land ist hier in hohem Maße engagiert. Wir haben die ÖPNV-Förderung im ÖPNVGesetz auf neue gesetzliche Grundlagen gestellt, was letzten Endes dazu dient, die kommunale Familie zu stärken.
Deshalb noch einmal zu Ihrer Erinnerung: Die Einführung der Investitionspauschale soll den Kommunen Gestaltungsräume eröffnen. Das wichtigste Ziel der Regierungskoalition, das mit dieser Novellierung verfolgt worden ist, ist, die Eigenverantwortung der Kommunen zu stärken. Das heißt natürlich auch, die Verantwortung bei der kommunalen Finanzierung von
Sozialtickets zu übernehmen. Sie sagen mit Recht: Das geschieht an einigen Stellen. Ich nenne das Beispiel mit dem Köln-Pass, wobei man darüber nachdenken darf, ob hier wirklich zusätzliche Einnahmen erzielt werden. Im Bereich des ländlichen Raumes – das müssen Sie alle zugeben – würde dies zusätzlich Löcher in die Haushaltskassen reißen.
Nun möchte ich zu der Rechenart der Kollegen von den Grünen kommen, die sich eine Sache schönrechnen bzw. sich in die Tasche lügen. Sie behaupten, eine solche Maßnahme kostete das Land nur 30 bis 35 Millionen €. Eine Aussage von Ihnen ist richtig, Herr Becker: die Annahme mit den 1,9 Millionen Anspruchsberechtigten, fußend auf dem Sozialbericht des Landes, ist nachvollziehbar. Aber Ihre Bemessungsberechnungen mit jährlich 47 € Landeszuschüsse pro Kopf beim Semesterticket halten wir für sehr gewagt und spekulativ.
Auch die Annahme, dass nur 25 % bis 35 % ein derartiges Angebot annähmen, ist beschwichtigend und schöngerechnet.
Das hat mit seriöser Finanzpolitik beim besten Willen nichts zu tun. Über die Frage, wie es gegenfinanziert werden soll, schweigen Sie sich wie immer aus und verweisen auf andere, die das bezahlen sollen.
Erlauben Sie mir, das – weil immer nur Dortmund und Köln genannt worden sind – an einem ganz einfachen Rechenbeispiel klarzumachen, nämlich aus meiner Heimatstadt, in der es seit vielen Jahrzehnten einen sogenannten Bonn-Ausweis gibt, der für genau diesen Personenkreis Ermäßigungen für die Benutzung der Schwimmbäder, Theater, aber auch für den öffentlichen Nahverkehr gewährt. Dafür haben wir in Bonn im Jahre 2007 2,6 Millionen € ausgegeben. Von diesen 2,6 Millionen € gehen alleine 2,1 Millionen € in den öffentlichen Verkehr. Das heißt, pro Einwohner – Bonn hat 320.000 Einwohner – gehen 6,3 € in den ÖPNV. Und die Sozialstruktur in Bonn ist sicherlich noch etwas anders als in Dortmund gestrickt. Auf das Land hochgerechnet heißt das für Nordrhein-Westfalen mit 18 Millionen Einwohnern 114 Millionen.
Ich behaupte also, dass wir eher bei 150 Millionen € liegen. An Ihre schöngerechnete Zahl kommen wir überhaupt nicht heran.
Das beweist auch das Dortmunder Modell. Sie verschweigen hier nämlich, dass die Annahmen von Dortmund alle nicht stimmten, alle über den Haufen geworfen wurden. In Dortmund betragen die Erstattungsansprüche für 2008 4,8 Millionen und für 2009 7 Millionen €.
Wenn ich das alles auf Nordrhein-Westfalen hochrechne, dann müssen Sie uns versuchen klarzumachen, wie Sie mit 30 Millionen € auskommen wollen –
obwohl man, wie gesagt, bei den Aussagen der Dortmunder Stadtspitze zu Finanzen ausgesprochen zurückhaltend sein muss, wie wir alle wissen.
Die Nachbarkommune von Dortmund, Bochum, ist da schon realistischer und auch bescheidener. Die Stadtverwaltung begründet ihre Ablehnung des Sozialtickets mit der Aussage – ich zitiere –:
Aus Sicht der Verwaltung gibt es aufgrund der rechtlichen und finanzwirtschaftlichen Ausgangslage für die Einführung des Sozialtickets keinen Spielraum.
Deshalb noch einmal zu Ihrer Erinnerung: Im ÖPNV Nordrhein-Westfalens gibt es Vergünstigungen verschiedenster Art. Es gibt das preisgünstige NRW-Ticket für 33 €; mit fünf Personen kann man quer durch das Land fahren. Es gibt das Semesterticket für Studenten. Es gibt eine Vielzahl von Seniorentickets. Aber für weitere Landessegnungen zugunsten von Hartz-IV-Empfängern ist hier kein Raum. Das muss bundesgesetzlich gelöst werden. Wir können dies aufgrund der Haushaltslage des Landes nicht übernehmen.
Auch eine Vielzahl – das werden Sie mit Ihrer Initiative auch merken – der Kommunen und Verbände werden sich diesem Experiment eben nicht anschließen, weil sie das nicht bezahlen können. Selbst Metropolen wie Hamburg haben das Sozialticket mangels Rentabilität wieder abgeschafft. Es gibt auch Zeichen aus Dortmund, den Preis für das Sozialticket entweder maßgeblich zu erhöhen oder es zurückzunehmen.
Rot-Grün ist sich und dem Motto treu geblieben, nicht vorhandenes Geld auszugeben. In diesem Fall haben Sie sich wieder die Verkehrspolitik als Spielwiese für eine Verteilungspolitik nach dem Gießkannenprinzip ausgesucht.
Wir werden über diese Frage im Ausschuss intensiv diskutieren. Wir freuen uns schon darauf. Gehen Sie bitte davon aus, dass wir hier und heute den Antrag, wenn darüber abgestimmt würde, ablehnen würden. Mit der Verweisung an den Ausschuss haben wir kein Problem. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition! Die FDP-Fraktion hat im Prinzip nichts gegen das Sozialticket einzuwenden. Auch wir sind sehr dafür, bedürftigen Menschen aktiv zu helfen, damit ihre Möglichkeit zur Teilhabe verbessert wird. Man muss das allerdings mit Augenmaß tun.
Sie wissen aus anderen Debatten, dass es unserem Sozialpolitikverständnis eher entspricht, die Ursachen für Armut anzugehen, statt Armut ausschließlich zu subventionieren. Wir sind außerdem der Meinung, dass man schon darauf achten muss, dass die Bezieher kleiner Einkommen nicht ständig gegenüber den Empfängern von Sozialtransfers benachteiligt werden.
Denn es sind eben auch deren Steuergelder, die umverteilt werden. Beim Stichwort Umverteilung sollte man vielleicht einen Blick auf die neueste OECD-Studie werfen, die Dienstag veröffentlicht wurde.
Man sollte nicht nur Überschriften lesen, denn der Untersuchungszeitraum waren die Jahre 2000 bis 2005, also der Zeitraum, während dem Rot-Grün im Land und im Bund regiert haben.
Sie ist schon richtig zitiert. – Aufgrund dieser Umverteilung und dieser Erkenntnis wird sich immer mehr verfestigen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
Wir wollen nicht, dass Geringverdiener, für die wir dringend eine gerechte steuerliche Entlastung brauchen, immer wieder zusätzlich belastet werden. Das verhält sich von der Logik her ähnlich wie mit dem Lohnabstandsgebot und den Regelsätzen im SGB II und SGB XII, aber das wissen Sie ja. Wir machen uns im Gegensatz zu Ihnen stark für diese Geringverdiener im Land. Diese sind durch die Steuererhöhung der vergangenen Jahre genug belastet. Soziale Gerechtigkeit heißt auch, dass diejenigen, die arbeiten gehen, am Ende nicht schlechter dastehen als der Mensch, der nur von staatlicher Unterstützung lebt.