Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Niemand widerspricht, wenn wir Grüne eine Politik für die nachfolgenden Generationen fordern. Wenn wir dann aber konkreter werden und uns für die Alternativen jenseits der alten Wirtschaftspolitik einsetzen, gibt es nur verhalten Zustimmung,
sei es bei dem Thema Wohlstandsindex oder bei den Ideen der Gemeinwohlökonomie. Dabei wissen wir alle, die sich ein wenig mit der Messgröße Bruttoinlandsprodukt beschäftigt haben, ganz genau, dass sich dieser Indikator eigentlich schon lange überholt hat.
Wenn man sich jetzt als verantwortungsvolle Unternehmerin oder verantwortungsvoller Unternehmer damit beschäftigt, welchen Einfluss das eigene Wirtschaftsunternehmen auf die Umwelt und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat, kommt man schnell an Grenzen. Denn die allermeisten bisherigen Unternehmensbilanzen sind auf diesem Auge blind. Es ist klar, die Wirtschaft muss in der Zukunft innerhalb der planetaren Grenzen agieren. Dafür ist die Gemeinwohlökonomie ein wichtiges und praxisnahes Messinstrument in Unternehmen.
Denn die Gemeinwohlökonomie bildet die sozialen und ökologischen Auswirkungen der unternehmerischen Tätigkeit in der Unternehmensbilanz ab. Wir müssen - um es mit den Worten des Erfinders der Gemeinwohl-Ökonomie Christian Felber zu sagen - die Überzeugungen auf den Kopf stellen. Der Profit ist nur Mittel zum Zweck und nicht anders herum. Oder anders herum gesagt: Die Wirtschaft muss den Menschen dienen. Da sind wir
nicht allein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das steht bereits in Artikel 14 Abs. 2 des Grundgesetzes:
Dass dies von vielen Menschen gewünscht ist, zeigen u. a. zwei Umfragen der Bertelsmann Stiftung. Die Bertelsmann Stiftung, liebe Kolleginnen und Kollegen, steht nicht im Verdacht, sozialistisch zu sein.
Wenn auch nicht ganz allein, aber in der aktuellen Krise wird die Zustimmung zur aktuellen Wirtschaftsordnung nicht unbedingt angestiegen sein. Beide Umfragen zeigen - die erste Umfrage zu 80 %, die zweite Umfrage zu 90 % -, dass sich die Menschen zu einem großen Teil eine andere Wirtschaftsordnung wünschen und diese auch wollen. Sie wünschen sich eine Wirtschaftsordnung, die sich stärker auf die Umwelt und den sozialen Ausgleich fokussiert und weniger auf die kurzfristige Rendite. Dafür kann die Gemeinwohl-Ökonomie sorgen.
Unser Antrag will heute einen Beitrag leisten, bisherige Überzeugungen zu hinterfragen und anhand von praktischen Beispielen erfahrbar zu machen.
In der derzeitigen Krise wird besonders deutlich, dass die Resilienz der Wirtschaft gegenüber globalen Krisen gestärkt werden muss. „Resilienz“ heißt übersetzt Widerstandsfähigkeit.
Auch dafür kann das Erstellen einer Gemeinwohlbilanz einen positiven Einfluss haben, beispielsweise bei der Frage, ob man sich als Unternehmen bei allen Entscheidungen - wie beim Einkauf von Waren und Rohstoffen - immer nur für den günstigsten Preis entscheidet oder ob die Sicherheit in der Lieferkette und der Produktion einen eigenen Wert hat und bekommt.
Wir unterbreiten in unserem Antrag Vorschläge, wie Niedersachsen mit Pilotprojekten Vorreiterin in der Gemeinwohl-Ökonomie werden kann. Es gibt bereits gute Beispiele. Mehrere Hundert Unternehmen gehen mit gutem Beispiel voran. Zu erwähnen sei die SPARDA Bank in München, aber auch in Niedersachsen CONTIGO aus Göttingen,
El Puente oder die „Gemüsekiste“ aus der Nähe von Hannover. Das sind nur einige Beispiele. Es gibt z. B. ein großes bekanntes Unternehmen, die Bohlsener Mühle, die sich ebenfalls der Gemeinwohl-Ökonomie verpflichtet fühlt.
Sogar einzelne Kommunen in Norddeutschland haben sich zur Gemeinwohl-Ökonomie bekannt. Niedersachsen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte noch stärker Teil dieser Bewegung werden und als Land diese Entwicklung fördern.
Das schlagen wir mit unserem Antrag vor. Ich hoffe und wünsche mir eine konstruktive Beratung im Ausschuss. Lassen Sie uns gemeinsam die Gemeinwohl-Ökonomie zu einem Erfolgsprodukt in Niedersachsen machen und werden lassen!
Vielen Dank, Herr Kollege Schulz-Hendel. - Für die SPD-Fraktion hat sich nun der Kollege Dr. Christos Pantazis zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege!
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Entschließungsantrag, Herr Kollege Schulz-Hendel, dessen Stoßrichtung Sie dem baden-württembergischen Koalitionsvertrag entnommen haben, greift den seit den 90er-Jahren u. a. von Sikora und Winkelmann entwickelten Themenkomplex der GemeinwohlÖkonomie auf.
Insbesondere nach der Finanzkrise des Jahres 2008 wurde diese durch illustre Autodidakten wie dem österreichischen Aktivisten Christian Felber überarbeitet; Sie hatten ihn gerade erwähnt. Er postuliert - wie Sie in Ihrem Antrag ausführen - medienwirksam eine umfassende Überarbeitung unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems. Zugegebenermaßen greift er die Kritik an den Auswüchsen des herrschenden Kapitalismus auf.
Die politischen Aktivisten um Felber propagieren die Vorstellung der Gemeinwohl-Ökonomie als möglichen dritten Weg zwischen kapitalistischer Marktwirtschaft und zentralisierter Planwirtschaft. Kein materielles Gewinnstreben mehr, keine bösen Finanzmärkte, kein Konkurrenzstreben, regionale Wirtschaftskreisläufe statt globalisierter Wirt
schaftsverflechtungen - so werden die Ideen einer Gemeinwohlwirtschaft medienwirksam in Szene gesetzt.
Auf der Homepage des von Felber 2010 hierzu gegründeten Vereins soll diese - ich zitiere - „der Aufbruch zu einer ethischen Marktwirtschaft“ sein, „deren Ziel nicht die Vermehrung von Geldkapital ist, sondern das gute Leben für alle“. In einem Gemeinwohl-Bericht sollen Unternehmen die Umsetzung der Gemeinwohl-Werte erklären und eine Bewertung vornehmen. Bericht und Bilanz sollen extern überprüft und veröffentlicht werden. - So weit zur Theorie. Und frei nach dem österreichischen Wirtschaftstheoretiker Popper: der Versuch, den Himmel auf Erden zu verwirklichen.
Aber was theoretisch lobens- und unterstützenswert klingen mag, trägt in der Praxis - die Geschichte mahnt uns - häufig den Teufel im Detail. Ökonomen bewerten die Idee der GemeinwohlÖkonomie äußerst kritisch, sprechen dieser Theorie sogar die Wissenschaftlichkeit ab, greift diese doch massiv in die Selbstbestimmungsrechte der Menschen ein, insbesondere in Eigentums- und Freiheitsrechte.
Nicht, dass wir uns hier falsch verstehen. Niemand unterstellt den Verfechtern der Gemeinwohl-Ökonomie einen Eifer im jakobinischen Sinne. Der Begriff „Gemeinwohl“ bedarf aber einer Definition, sodass das offenkundige Missbrauchspotenzial eingegrenzt werden muss.
Ferner - und das ist fundamental - kritisiert die Gemeinwohl-Ökonomie Wettbewerb und Konkurrenz grundsätzlich und möchte diese Mechanismen abschaffen. Wettbewerb und Konkurrenz sind aber wesentliche Kennzeichen unserer sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Gemeinwohl-Ökonomie und Marktwirtschaft schließen sich daher gegenseitig aus - ganz abgesehen von dem damit einhergehenden immensen bürokratischen Aufwand, da für jedes einzelne Unternehmen festgestellt werden muss, inwieweit es die Gemeinwohlziele erreicht hat und welche rechtlichen und finanziellen Vorteile diesem gewährt bzw. welche Nachteile ihm auferlegt würden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Abgesehen von der hier dargestellten Kritik gebe ich in dieser ersten Beratung zu bedenken, dass niedersächsische Unternehmen bereits jetzt in vielfältiger Weise gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Diese zeigen auch die in Niedersachsen etablierten Social-Responsability-Projekte und Nachhaltigkeitsberichterstattungen von Unternehmen.
Durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Umsetzung der CSR-Richtlinie auf Bundesebene im Jahr 2017 hat die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten zusätzliche Impulse erhalten. So sind Unternehmen verpflichtet, über die Risiken und Folgen unter ökologischen, sozialen und mitarbeiterrelevanten Aspekten zu berichten. Zur Umsetzung der Agenda 2013 mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen werden auf Bundesebene bereits jetzt kommunale Nachhaltigkeitsstrategien unterstützt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich fasse daher abschließend zusammen: Auch wenn stets argumentiert wird, dass eine Theorie eine äußerst praktische Angelegenheit sein kann, wirft der vorliegende Antrag erhebliche Fragen und Kritikpunkte auf, die es in der anstehenden Ausschussberatung, auf die ich sehr gespannt bin, zu klären gilt.
Aktuell, zum jetzigen Zeitpunkt, bleibt mir daher nicht mehr übrig, als mit den Worten Joschka Fischers zu antworten: Excuse me, I am not convinced.
Vielen Dank, Herr Dr. Pantazis. - Zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Schulz-Hendel gemeldet. Bitte sehr, Herr Kollege!
Herr Präsident! Lieber Kollege, herzlichen Dank, dass ich noch einmal an das Mikrofon treten und etwas dazu sagen darf.
Erst einmal muss man diesen Antrag richtig lesen, um zu verstehen, dass es nicht um eine zwanghafte Veränderung von nationalen Wirtschaftsordnungen geht, sondern dass das Prinzip der Gemeinwohl-Ökonomie auf Freiwilligkeit beruht. Das steht auch so im Antrag.
Zweiter Punkt. Na ja, mit den Ökonomen, die das bewerten - das hängt natürlich davon ab, welche Ökonomen man fragt. Dann kriegt man sicherlich ganz viele verschiedene Antworten.