Protocol of the Session on September 15, 2020

Vielen Dank, Frau Menge. - Zu Wort gemeldet hat sich jetzt die Abgeordnete Wiebke Osigus für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Kinder und Jugendliche sind vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung und Misshandlung zu schützen“ - so lautet Art. 4 a unserer Landesverfassung. Beinahe tägliche

Schlagzeilen zeigen uns allerdings: Realität ist dieser Schutz nicht. Kinder werden wahrscheinlicher Opfer von sexueller Gewalt als Opfer eines Verkehrsunfalls. Medien berichten, Schuldige werden schnell gesucht und gefunden. Neuer Tag, neues Thema!

Meine Damen und Herren, die Fraktionen von SPD, CDU, Grünen und FDP bringen heute die Enquetekommission zur Verbesserung des Kinderschutzes auf den Weg und setzen damit ein deutliches Zeichen, Zustände verändern zu wollen.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Der Blick, der Fokus gerichtet auf eine behütete Kindheit, eingebettet in ein Netz aus Ansprechpartnern, kann sexuelle Gewalt eindämmen und bestenfalls verhindern. Meine Damen und Herren, dies muss erklärtes Ziel sein. Kein Kinderkörper darf Ziel sexueller Handlungen oder ausgelebter Fantasien werden. Schutzsuchende und schutzbefohlene Minderjährige müssen genau diesen Schutz erfahren.

Wer Kinderschutz fordert, muss Kinderschutz allerdings auch ernst meinen. Aus jedem gesellschaftlichen Bereich gibt es mittlerweile Meldungen über sexuelle Gewalt an Kindern: Familien, Pflegefamilien, Freizeitbereiche wie Sportvereine oder

Pfadfinder, Institutionen wie Kindergärten oder Kirche.

Die heute thematisierte Kommission wird genauer hinschauen: Gibt es Defizite im Bereich der Jugendämter? Wenn ja, was können wir tun? Wie sieht es an Schulen und an Kindergärten mit Präventionskonzepten aus? Familien, Pflegefamilien, Pflicht und Freizeit. Wir richten den Blick auf die Seite der Opfer und der potenziellen Opfer.

Meine Damen und Herren, neben dem großen Bereich Opferarbeit sind weitere wichtige Schritte vorgesehen. Expertenanhörungen zu Tätern und Personen mit entsprechender Neigung, Fragen nach Kinderschutzzentren, Familien- und Sorgerecht, Datenaustausch zwischen beteiligten Behörden und Trägern sowie Weiterbildung und Präventionsarbeit. Wir haben den Antritt, den Status quo zu bündeln, Arbeitsergebnisse zu einen und Konzepte für eine künftige Strategie zu empfehlen.

Meine Damen und Herren, sexuelle Gewalt an Kinderkörpern passiert täglich. Die jüngsten Opfer sind Säuglinge oder Kleinkinder. Die Tatsache, dass die Taten gefilmt, die Filme geteilt und getauscht werden, muss ebenfalls im Fokus dieser Kommission stehen. Das Wort „Kinderpornografie“ schafft ein Stück Distanz zu dem Leid, was sich dahinter verbirgt. Digitaler Fortschritt, fatal genutzt! Bereits Aufnahmen mit dem Handy haben entsprechende Qualität und können verschlüsselt geteilt werden, alles im Verborgenen.

Ich habe mich beim LKA mit entsprechenden Sequenzen auseinandergesetzt, meine Damen und Herren. Sie sehen dort ganz normale Kinderzimmer, Wohnzimmer oder Teile von Wohnungen, wie sie jeder von uns kennt. Sie sehen Kinder, die Ihre Kinder oder Enkel sein könnten, die Sie vielleicht aus der Nachbarschaft kennen, und Sie sitzen fassungslos davor, und der Ermittler erklärt Ihnen, dass vielleicht der eine Bettpfosten oder die eine Daumenform wiedererkannt werden könnte, um den Täter zu finden - vielleicht. Sequenz zu Ende, nächste Sequenz, nächstes Kind! Es gibt tausende solcher Filmausschnitte, meine Damen und Herren. Es gibt mithin Tausende solcher Kinderseelen. Und während ermittelt wird, bleibt die Realität des Kindes Realität.

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag verurteilt solche Taten aufs Allerschärfste.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Gemeinsam mit den demokratischen Fraktionen streben wir Ergebnisse an, die die Situation im Bereich Kinderschutz entscheidend verbessern.

Gleichwohl - und das ist wichtig -: Die Arbeitsergebnisse können die gesellschaftliche Aufmerksamkeit nicht ersetzen. Es ist an uns allen, hinzusehen. Es ist an uns allen, auf unser Bauchgefühl zu hören, wenn uns etwas komisch vorkommt. Und es ist an uns allen, eine innere Haltung des Sichnicht-einmischen-Dürfens zu hinterfragen. Im

Schnitt muss ein Kind siebenmal die Erlebnisse andeuten, bis eine erwachsene Person aufmerksam wird. In Anbetracht der Überwindung und der Zeit, die dies kostet, ist dies eindeutig zu viel.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, meine Fraktion hat den Antritt, hinzusehen und zu verändern. Wir brauchen eine gesellschaftliche Haltung, die den Bereich sexueller Gewalt nicht negiert und auch nicht verdrängt, sondern aktiv hinsieht.

Warum dürfen Erwachsene sich als Kinder verkleiden und in nachgestellten Kinderzimmern frei verkäufliche pornografische Filme für Erwachsene drehen? Warum gibt es Silikonpuppen in der Größe und der Statur von Grundschulkindern, die mit Öffnungen im Intimbereich aus „gefühlsechtem“ Silikon verkauft werden dürfen? Und warum ist Streicheln im Windelbereich zwecks sexueller Befriedigung eigentlich weniger schlimm als zusätzliches Eindringen?

Vor allem: Warum gibt es überhaupt eine Diskussion? Muss nicht eine Diskussion immer eine abweichende Meinung voraussetzen? Das habe ich mich übrigens gestern schon gefragt: Wie kann es sein, dass es zum Thema Kinderschutz kontroverse Meinungen gibt?

Niedersachsen muss eine behütete Kindheit sicherstellen, meine Damen und Herren. Und wir als SPD-Fraktion werden uns hierbei nicht aufs Reden beschränken, sondern heute diese Kommission auf den Weg bringen und dann handeln.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Osigus. - Jetzt erhält für die CDU der Kollege Volker Meyer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Besonders erschütternde Fälle sexuellen Missbrauchs an Kindern haben in den vergangenen Monaten Gesellschaft und Politik gleichermaßen entsetzt. Gleichzeitig besteht aber ein breit getragenes Interesse an der Aufarbeitung dieser Fälle. Es soll analysiert werden, was diese Vorgänge begünstigt hat, wo es Lücken im System und in der Kommunikation der staatlichen Jugendhilfe gibt, ob es andere Strukturen braucht oder an welchen Stellen Strukturen verbessert werden müssen.

In diesem Zusammenhang soll das System der Jugendhilfe in Niedersachsen einer kritischen Betrachtung unterzogen und sollen Vorschläge für eine Neuausrichtung gemacht werden. Außerdem muss eine solche Aufarbeitung das Ziel haben, Fehlentscheidungen und Versäumnisse im Umgang mit Hinweisen auf sexuellen Missbrauch zu analysieren, personelle und strukturelle Schwachstellen in der Fallbearbeitung zu erkennen, Täterstrategien zu beleuchten und konkrete Vorschläge für Verbesserungen beim Vorgehen im Verdachtsfall sexualisierter Gewalt zu erarbeiten.

Eine Analyse behördlicher Verfahrensstrukturen, insbesondere an den Schnittstellen zwischen Behörden des Landes und denen der Kommunen, aber auch länderübergreifende Strukturen müssen diese Arbeit ergänzen, um systematischer als bisher mögliche Gefährdungen erkennen zu können.

Hierzu, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben die Landesregierung und die Fraktionen von CDU und SPD in den vergangenen Monaten bereits einige Vorarbeiten geleistet, auf die die Enquetekommission zurückgreifen kann. Einige Beispiele möchte ich Ihnen nennen.

Erstens. Wie bereits gestern erwähnt, wurde im Februar 2019 auf Anregung von Frau Justizministerin Barbara Havliza die Kommission zur Prävention von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen unter Leitung von Professorin Dr. Ute Haas gegründet. Die Präventionskommission hat im März 2020 ihren Bilanzbericht vorgelegt und damit ihre Arbeit beendet. Der Bericht soll aus Sicht der Kommission kein Schlussbericht im herkömmlichen Sinne sein. Die Verfasserin und der Verfasser verstehen ihn vielmehr als Auftakt für eine weiterführende, sich verstetigende Arbeit zum Schutz vor sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen und als Aufforderung an die Adressaten,

die hier vorgestellten Empfehlungen umzusetzen und ihnen auch Vorrang einzuräumen.

Dem ist eine sogenannte Monitoring-Arbeitsgruppe nachgefolgt. Diese Arbeitsgruppe möchte das Thema im Landespräventionsrat weiter verstetigen, ihre fachliche Expertise zur Verfügung stellen und die Empfehlungen aus dem Bericht in Politik und Praxis einbringen.

Zum Zweiten haben CDU und SPD für die Unterstützung kommunaler Maßnahmen und Projekte zur Prävention des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen 150 000 Euro zur Verfügung gestellt. Dieses Geld wurde abgerufen und in verschiedene Projekte investiert, die jetzt evaluiert werden und aus deren Ergebnissen man sicherlich auch einige Maßnahmen ableiten kann.

Besonders hervorheben möchte ich drittens auch den Bericht von Frau Frenzel über die Überprüfung der Fallbearbeitung und der Organisation der Verwaltungsabläufe im Landkreis Hameln-Pyrmont im Zusammenhang mit dem Missbrauch eines durch den Landkreis betreuten Pflegekindes, der in der letzten Woche im Sozialausschuss des Niedersächsischen Landtages vorgestellt wurde und aus dem sich - ich glaube, da waren sich alle Fraktionen einig - eine ganze Reihe von Handlungsempfehlungen ableiten lassen.

Dies sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass die Landesregierung und die Regierungsfraktionen in dieser Frage viel Vorarbeit geleistet und bereits eine Menge Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen auf den Weg gebracht haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass es uns in den letzten Wochen gelungen ist, hier in diesem Hause einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Lassen Sie uns gemeinsam in den nächsten Monaten dafür Sorge tragen, dass wir auf Grundlage der bereits vorhandenen Expertisen und der noch dazuzugewinnenden Erkenntnisse weitere Missbrauchsfälle verhindern und unsere Kinder vor sexueller Gewalt schützen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Danke schön, Kollege Meyer. - Wir machen weiter mit dem Beitrag der AfD-Fraktion. Gemeldet hat sich der Abgeordnete Wichmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jeder Fall von Kindesmissbrauch ist einer zu viel - so endet der Antrag der ganz großen Koalition, und in diesem Fall bin ich froh darüber, dass es eine ganz große Koalition ist.

Bereits 2019 habe ich für meine Fraktion im Plenum eine Expertenrunde gefordert. In leicht veränderter Form soll diese nun eingerichtet werden. Auch meine damalige und heutige Hauptforderung, genau hinzusehen, wo es konkrete Schwächen im System des Kinderschutzes gibt, finde ich im Antrag wieder.

Schwächen im System zeigen sich z. B. bei einem Verdacht in Cuxhaven, der nach einem Umzug des Verdächtigen in den Harz dort unbekannt bleibt und möglicherweise einen Missbrauch - also durch staatliches Versagen - erst weiter ermöglicht. Das ist nur eine von vielen möglichen Schwachstellen. Die Analyse dieser Schwachstellen hielt ich bereits 2019 und halte ich nach wie vor für die richtige Vorgehensweise. Ich bin dankbar dafür, dass sich viele, viele Punkte in diesem Antrag genau darauf beziehen.

Zu kritisieren habe ich, dass es viel zu lange gedauert hat, bis diese Kommission endlich ihre Arbeit aufnehmen kann. Und ich kritisiere weiter, dass im Aufgabenheft der Kommission auch aus meiner Sicht überflüssige Arbeiten stehen. Eine Prüfung, welche Strafverschärfungen im Bereich Kindesmissbrauch helfen könnten, brauchen wir nicht durchzuführen - die Strafen sind bereits jetzt verschärft.

Das Einzige, was Kinder effektiv schützt, ist die Erhöhung der Entdeckungswahrscheinlichkeit. Ich werde nicht müde, das zu betonen. Wer befürchten muss, entdeckt zu werden, wird dadurch effektiv von Straftaten abgehalten. Wenn Sie das noch immer nicht glauben, lassen Sie uns, bitte, in der Kommission Kriminalwissenschaftler dazu hören.

Und weil das so ist und ich es heute vielleicht noch nicht oft genug gesagt habe, sage ich es zur Sicherheit lieber noch einmal: Entdeckungswahrscheinlichkeit. Entdeckungswahrscheinlichkeit.

Entdeckungswahrscheinlichkeit. Die bestmögliche Entdeckungswahrscheinlichkeit sicherzustellen,

ohne das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu verletzen und ohne in eine Totalüberwachung abzugleiten - das sehe ich als zentrale Aufgabe dieser Kommission.

Leider ist einiges, was Sie der Kommission als Aufgabe geben, nicht zielführend. Solche Aufgaben fressen aber Zeit und Ressourcen, sie stehen ja nun einmal im Aufgabenheft. Mir ist natürlich klar, dass jeder darauf achtet, sein Steckenpferd unterzubringen, wenn sich vier Fraktionen auf einen Kompromiss einigen müssen, und ich glaube Ihnen ehrlich auch, dass Sie jeweils davon überzeugt sind, dass ein solches Thema beim Kinderschutz hilfreich sein kann.

Davon ab ist der Antrag aber völlig richtig, und er wird von uns natürlich unterstützt. Natürlich. Und nur für den Fall, dass Sie meinem Vortrag bisher nicht folgen konnten, weil Sie abgelenkt oder zwischendurch mal draußen waren, Hauptsache Sie nehmen diese Botschaft mit: Entdeckungswahrscheinlichkeit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)