Protocol of the Session on September 14, 2020

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Adasch. - Als Nächstes erteile ich der SPD-Fraktion mit dem

Abgeordneten Bernd Lynack das Wort. Bitte, Herr Lynack!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anschläge und Morde der Terrorgruppe NSU waren für unser Land, aber auch für unsere Sicherheitsbehörden eine Zäsur. Dass in Deutschland über einen so langen Zeitraum rechte Terroristen Verbrechen verüben konnten, macht nachdenklich und, ich finde, wütend zugleich - nachdenklich vor allem deshalb, weil die grausamen Morde der Terrorgruppe bis heute im Zusammenhang auch mit Fehleinschätzungen von Sicherheitsbehörden stehen, und insbesondere auch deshalb, weil die Ermittlungen teils von rassistischen Vorurteilen geprägt gewesen sind.

In die Kette von Ereignissen reiht sich auch nach Vorlage der Abschlussberichte von Untersuchungsausschüssen der Umstand ein, dass das Fehlverhalten einiger Sicherheitsbehörden nur unzureichend aufgearbeitet werden kann.

Fest steht: Die barbarische Terrorserie des NSU ist für Demokratinnen und Demokraten ein schwer erträgliches, trauriges Kapitel in der Geschichte unseres Landes, das sich niemals wiederholen darf, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Die Mordserie zeigt, wie wichtig es ist, dass wir alle rechter Gewalt und Hetze entschieden gegenübertreten müssen und werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

So sehr wir es uns auch alle wünschen, wir können das Geschehene nicht ungeschehen machen. Es ist allerdings unsere Pflicht, die richtigen Lehren daraus zu ziehen, um zu verhindern, dass sich so etwas jemals wiederholen kann. Das sind wir vor allen denjenigen schuldig, die durch den NSU Leid erfahren haben oder auch noch bis heute darunter leiden müssen.

Was bedeutet diese Pflicht für uns in Niedersachsen, liebe Kolleginnen und Kollegen? - Das Terrornetzwerk und das Trio selbst haben aus banalen, fast schon alltäglichen Gründen wenig Kontakt nach Niedersachsen gehabt und sich hier nur wenig aufgehalten. Das haben die Untersuchungen, die es hier, aber auch in anderen Ländern und im Bund gegeben hat, eindeutig gezeigt, Herr Limburg. Alle Daten und Akten, die für eine Untersu

chung im Zusammenhang mit dem NSU in Betracht kommen, wurden untersucht. Es gibt trotz dieser umfangreichen Untersuchung von verschiedenen Parlamenten und Behörden gar keine Anhaltspunkte dafür, dass weitere relevante Daten beim niedersächsischen Verfassungsschutz vorhanden sind.

Ein weiteres Aufschieben der üblichen Speicher- und Aufbewahrungsfristen wäre deshalb nicht zu rechtfertigen. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen.

Übrigens, Herr Limburg, Sie haben vorhin davon gesprochen, dass noch weitere Unterlagen dem Generalbundesanwalt zur Verfügung gestellt werden könnten. Dem Generalbundesanwalt sind durch unseren Verfassungsschutz sämtliche Unterlagen in diesem Zusammenhang zur Verfügung gestellt worden.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Sie sind angeboten worden! Sie sind noch nicht alle abgerufen worden!)

Das bedeutet keineswegs, dass es nicht viele Konsequenzen gibt - das haben auch Sie angedeutet -, die wir für uns aus dem NSU-Terror ziehen müssen. Auch hier bei uns hat es in diesem Zusammenhang Fehler gegeben. An dieser Stelle erinnere auch ich - Sie haben es eben auch getan - an die Observation des Holger G. im Jahre 1999. Auch im Allgemeinen hat es in der Aufarbeitung von Bund und Ländern viele Lehren nicht zuletzt in der bundesweiten Zusammenarbeit für unsere Sicherheitsbehörden und eben für unser Landesamt für Verfassungsschutz gegeben. Gemeinsam, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, haben wir in der letzten Legislaturperiode eine große Reform des Verfassungsschutzgesetzes auf den Weg gebracht und auch beschlossen. Es gab viele Anstrengungen in puncto Transparenz und Stärkung des Opferschutzes, gepaart mit einer parlamentarischen engmaschigen Kontrolle. Alles in allem sind das Merkmale für einen demokratischen, modernen und leistungsfähigen Verfassungsschutz. Genau das ist der niedersächsische Verfassungsschutz heute: eine wesentlich breiter aufgestellte, leistungsfähige demokratische Sicherheitsbehörde, verehrte Kolleginnen und

Kollegen.

Wir haben unsere Aufgaben nach dem NSU-Terror nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Es wurmt auch mich, dass die Aufarbeitung an anderer Stelle weniger erfolgreich sein wird. Das gilt sowohl für die Aufarbeitung der Taten selbst als

auch für die Arbeit einiger anderer Verfassungsschutzbehörden. Diese Aufarbeitung wird wohl leider nie vollständig möglich sein. Das wird aber nicht an den bekannten Akten des niedersächsischen Verfassungsschutzes liegen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was uns bleibt, ist die große Aufgabe, stetig auf der Hut zu sein und dafür zu sorgen, dass sich ein solch menschenverachtender Terror nicht wiederholen darf. Das sind wir unserer Geschichte, unserer Demokratie und vor allen Dingen den Todesopfern und ihren Angehörigen schuldig.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lynack. - Für die FDP-Fraktion erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Stefan Birkner. Bitte schön!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass wir auch weiterhin alles tun müssen, um die Taten des NSU aufzuklären und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, und dass wir uns dieser Notwendigkeit immer wieder klar werden müssen, ist, so denke ich, deutlich geworden. Dem können wir Freie Demokraten uns natürlich vollumfänglich anschließen.

Allerdings, lieber Herr Kollege Limburg, stehen wir hier vor der Tatsache, dass es um Daten von Menschen geht, bei denen gesetzlich reguliert ist, wie mit diesen Daten umzugehen ist. Das ist nicht aus Jux und Dollerei geschehen, sondern es geht - das haben wir auch im Zusammenhang mit dem Verfassungsschutzgesetz gemeinsam besprochen - um den Schutz derjenigen, deren Daten gespeichert worden sind. Das ist am Ende der Grund für Löschfristen. Wir haben gesagt: Der Verfassungsschutz darf die Daten nicht einfach unendlich speichern und sich einen Datenschatz anlegen, auf den er dann beliebig zugreifen kann. - Wir haben uns Gedanken über die Voraussetzungen gemacht. Ich finde, dabei ist sehr nachvollziehbar dargelegt und auch seitens der Landesregierung dargestellt worden, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Speicherung nicht gegeben sind.

Wenn man das Löschmoratorium verlängern wollte, wäre es nötig, eine Änderung des Verfassungsschutzgesetzes auf den Weg zu bringen, um zu

entsprechenden Anpassungen zukommen. Dann reicht meines Erachtens ein Entschließungsantrag nicht aus. Anderenfalls würde suggeriert, dass unterliege der politischen Willkür. Das wollen wir beim Verfassungsschutz doch gerade nicht! Vielmehr wollen wir ein rechtskonformes und rechtsstaatlich gesichertes Verfahren.

Mit Blick auf die Bedeutung und Tragweite dessen, was passiert ist, fällt einem das natürlich besonders schwer. Auf der anderen Seite steht aber die Notwendigkeit, rechtsstaatlich sauber zu arbeiten. Dafür müsste Konkreteres vorhanden sein als das, was wir wissen. Allein die Möglichkeit, dass eventuell zugegriffen werden könnte, reicht nicht aus.

Nicht ohne Grund ist - übrigens in Ihrer Regierungszeit; darauf haben Sie selbst Bezug genommen - 2017 das Löschmoratorium aufgehoben worden. Die rot-grüne Landesregierung sah offensichtlich keine Notwendigkeit mehr, diese Daten weiterhin zu speichern. An dieser Bewertung hat sich im Kern nichts geändert.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Das war, glaube ich, keine Kabinettsentschei- dung!)

- Ja, Sie hätten das aber politisch, wie Sie das hier zu thematisieren versuchen, innerhalb der Koalition noch eher thematisieren können.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Wenn uns das mitgeteilt worden wäre, ja!)

- Das sind Kommunikationsfragen, die Sie mit Ihrem ehemaligen und künftigen Lieblingskoalitionspartner besprechen müssten.

(Beifall bei der FDP - Zuruf: Rollen- wechsel!)

Unter dem Strich muss man verschiedene Ansprüche gewährleisten.

Wir wollen natürlich eine Aufklärung der NSUTaten; durchaus unter Zuhilfenahme aller Daten, über die der Verfassungsschutz verfügt. Auf der anderen Seite gibt es aber auch so etwas wie ein allgemeines Persönlichkeitsrecht. Die Abwägung ist im Verfassungsschutzgesetz getroffen, was dann zu einem Ergebnis führt. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass wir Ihren Antrag ablehnen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Birkner. - Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Wichmann für die AfDFraktion. Bitte, Herr Abgeordneter Wichmann!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Allermeiste ist gesagt. Ich kann mich dem Allermeisten anschließen. Mord ist das schlimmste Verbrechen, das wir kennen. Politischer Mord ist doppelt sinnlos und furchtbar. Er muss selbstverständlich aufgeklärt werden. Aber wenn keine Sachgründe vorliegen und andere Rechte dem entgegenstehen, können wir dem Antrag nicht zustimmen. Deshalb lehnen wir ihn ab.

Vielen Dank.

(Zustimmung bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wichmann. - Mir liegt eine weitere Wortmeldung vor, nämlich von Innenminister Boris Pistorius. Herr Minister Pistorius, bitte schön!

Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten hier abschließend den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Wiedereinsetzung eines Löschmoratoriums.

Um eines gleich vorweg zu nehmen: Rein vom Bauchgefühl her habe ich große Sympathie dafür. Es beschleicht einen so ein Gefühl: Da könnte noch etwas sein. Dürfen wir denn? Ist das nach all dem, was wir in den letzten Jahren gelernt haben, das Löschen nicht eigentlich falsch? - Aber am Ende bleibt übrig, dass das Bauchgefühl kein guter Ratgeber ist. Es ist bestenfalls ein Ratgeber, noch mal genau hinzuschauen. Bauchgefühl ersetzt auch nicht die Notwendigkeit, lieber Herr Kollege Limburg, sich an bestehende Gesetze zu halten.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Da würde ich Ihnen nach wie vor zustimmen!)

Ich schicke vorweg: Dieser Entschließungsantrag ist deswegen abzulehnen, so nachvollziehbar - das betone ich gern nochmal - das Interesse nach umfassender Aufklärung ist. Das teile ich. Aber das Instrument, das Sie hier fordern, ist dafür nicht geeignet. Ein Löschmoratorium hilft uns nicht weiter.

Ich will das gern erläutern. Ein Löschmoratorium bewirkt, dass der im Verfassungsschutzgesetz geregelten Löschverpflichtung, auf die wir alle gemeinsam - gerade auch Sie, lieber Herr Kollege Limburg - in der Vergangenheit immer viel Wert gelegt haben,

(Helge Limburg [GRÜNE]: Das habe ich gerade gesagt!)

nicht nachgekommen wird. Gesetzliche Löschfristen werden damit faktisch außer Kraft gesetzt. Zulässig und vertretbar ist das natürlich, aber nur dann, wenn dafür ein besonderer sachlicher Grund besteht. Ein solcher Grund kann etwa in einer parlamentarischen Überprüfung oder in einem ganz überwiegenden öffentlichen Interesse zum Wohle des Landes oder des Bundes bestehen.

Dazu will ich betonen: Die Aufklärung der Umstände der Mordserie des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes ist ein erforderliches und äußerst wichtiges Anliegen, und natürlich rechtfertigte genau das nach dem, was wir wussten und wissen, das damals eingesetzte Löschungsmoratorium. Es geht schließlich darum, alle Möglichkeiten unseres Rechtsstaates zu nutzen, damit sich so etwas nicht wiederholen kann.