Herr Henning, es ist doch wirklich nicht nachzuvollziehen, dass Sie sagen: Wir können nicht zustimmen, weil wir noch mehr wollen. - Wir haben noch einen anderen Antrag direkt in den Ausschuss eingebracht. Darin sind die Punkte aufge
führt, die wir uns zusätzlich zu dem Kabinettsbeschluss wünschen. Den können Sie gern anreichern. Aber das ist doch kein Grund, jetzt zu sagen, dem Kabinettsbeschluss des Bundes können Sie nicht zustimmen.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sofortige Abstimmung beantragt. Für ihren Antrag in der Drucksache 18/6814 wurde beantragt, die zweite Beratung und damit die Entscheidung über den Antrag sofort anzuschließen. Der Landtag kann dies beschließen, wie Sie wissen, sofern nicht gemäß § 39 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 27 Abs. 2 Satz 1 der Geschäftsordnung mindestens 20 Mitglieder des Landtags für eine Überweisung des Antrags in einen Ausschuss stimmen.
Ich frage deshalb entsprechend unserer Geschäftsordnung zunächst, ob Ausschussüberweisung gewünscht wird. Wer dies wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Das sind CDU und SPD. Das sind deutlich mehr als 20 Personen. Damit hat sich das erforderliche Quorum von mehr als 20 Mitgliedern des Landtages für eine Ausschussüberweisung ausgesprochen. Sie ist folglich zustande gekommen.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Antrag der Fraktion der Grünen federführend in den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung sowie mitberatend an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu überweisen. Wer dieser Empfehlung folgen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? Dann haben Sie einstimmig so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 49: Erste Beratung: Wir stehen in der Pflicht - Kindesmissbrauch wirksam bekämpfen, Verjährungsregel aufheben - Antrag der Fraktion der AfD - Drs. 18/6817
Tagesordnungspunkt 50: Erste Beratung: Sexuellen Kindesmissbrauch bekämpfen - Präventionsarbeit verbessern, Täter konsequent
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen uns heute noch einmal mit schwierigen, mit tiefsten menschlichen Abgründen befassen; denn es geht hier um Kindesmissbrauch. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Fälle, die in den letzten Monaten bekannt wurden, haben uns alle sprachlos zurückgelassen. Es ist erschütternd, zu sehen, dass es in der Bundesrepublik - u. a. auch in Niedersachsen - immer wieder neue Fälle von schwersten Kindesmissbrauchs-Handlungen gibt. Im großen Umfang sind es vielfach Netzwerke, die dort aktiv sind. Wir kennen wahrscheinlich nur die Spitze des Eisberges. Es sind immer wieder prominente Fälle, die jetzt durch die Medien gehen, aber es wird noch eine unglaublich große Dunkelziffer geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es trifft die Schwächsten in unserer Gesellschaft, die Kinder, die teilweise so jung sind, dass sie noch nicht einmal wissen, wie ihnen eigentlich geschieht, die aber trotzdem durch derartige Vorfälle für ihr Leben gezeichnet sind. Nun kann man sich fragen, wie man das in den Griff bekommen will. Man kann es wahrscheinlich gar nicht in den Griff bekommen, zumal allzu häufig die Täter und die Opfer in einem sozialen Umfeld zu finden sind. Häufig sind die Opfer Kinder, Stiefkinder oder Pflegekinder.
Wir müssen aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, alles daransetzen, um die Gefahr für die Kinder, Kindesmissbrauchs-Fällen ausgesetzt zu sein, zu reduzieren. Dazu gibt es unterschiedliche Mechanismen. Ein ganz besonders wichtiger Mechanismus ist nach unserem Dafürhalten, die Verjährungsregel zu ändern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie müssen sich vor Augen halten, dass gerade Kinder vielfach nicht in der Lage sind, über das Erlebte zu sprechen und dass sie sich, natürlich auch eingeschüchtert von den Tätern - wie gesagt, häufig aus dem nahen sozialen Umfeld -, häufig auch nicht trauen, darüber zu sprechen. Sie bleiben also stumm. Sie erheben nicht ihre Stimme. Sie erleiden das Martyrium. Das tragen sie Jahre, vielfach Jahrzehnte mit sich, und
Dann ist es wichtig, dass es dann nicht heißt: Tja, liebes Opfer, du hättest ein paar Jahre früher kommen müssen. Jetzt greift die Verjährungsregel. Jetzt ist die Tat verjährt, und man kann hier keinen Rechtsfrieden mehr herstellen. - „Rechtsfrieden“ ist auch das Stichwort, meine sehr verehrten Damen und Herren. Verjährung ist dafür da, dass irgendwann, wenn gefühlt - ich formuliere es einmal salopp, auch wenn das auf diesen Fall nicht wirklich zutrifft - Gras über eine Sache gewachsen ist, wenn die Distanz zur Tat so groß geworden ist, dass man sagen kann: Es ist zur Herstellung des Rechtsfriedens nicht mehr nötig, eine Tat weiterzuverfolgen.
Gerade im Bereich des Kindesmissbrauchs, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann man diesen Gedanken eben nicht fassen. Nun kann man sagen, wir haben einen einzigen Straftatbestand, der unverjährt bleibt: Das ist der Mord. - Gibt es aber nicht rein rechtspolitisch und rechtsdogmatisch gesehen durchaus Parallelen zwischen schwerem Kindesmissbrauch und Mord? Auch bei schwerem Kindesmissbrauch geht es vielfach um das Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer, um niedere Beweggründe und ähnliche Tatbestandsmerkmale, die Sie auch beim Mord wiederfinden. Und auch beim schweren Kindesmissbrauch stirbt ein Stück des Opfers durch diese Taten.
Insofern, meine sehr verehrten Damen und Herren, bin ich rechtspolitisch schon der festen Überzeugung, dass man durchaus - auch im Hinblick auf andere Straftatbestände - vertreten kann, dass der schwere Kindesmissbrauch eine Sonderrolle bekommen muss und nicht länger verjähren darf, zumal die Regelung, wie wir sie jetzt haben - das darf man nicht vergessen - die Täter sogar dazu verleitet, besonderen Druck auf das Kind auszuüben, damit es erst mal schweigt, damit man die Chance hat, es so lange zum Schweigen zu bringen, dass es dann irgendwann, wenn es im fortgeschrittenen Erwachsenenalter doch einmal reden sollte, keine Gefahr mehr gibt und man straffrei davonkommt.
Das ist ein Mechanismus, meine sehr verehrten Damen und Herren, den es aufzubrechen gilt. Deshalb ist es so wichtig, die Verjährungsregel hier abzuändern. Nebenbei - darüber wurde schon diskutiert - sind Sanktionsschärfungen sicherlich auch ein Mittel, ich bin aber der festen Überzeu
gung: Einen Triebtäter hält es nicht unbedingt ab, wenn er mit ein oder zwei Jahren mehr Haft zu rechnen hat. Die Chance, nach einer Tat davonzukommen, weil er die Hoffnung hat, das Opfer bei besonderer Druckausübung so lange ruhigzustellen, bis die Verjährungsregel greift, wird ihn wesentlich eher dazu verleiten, eine solche Tat zu begehen, als eine Strafschärfung ihn abhalten würde. Deshalb gilt es, hier anzusetzen. Das ist ein Punkt.
Ein weiterer Punkt, sehr verehrte Damen und Herren, ist selbstverständlich: Wir müssen mehr Geld ausgeben für die Verfolgungsbehörden. Diese sind vielfach überlastet. Es gibt häufig Ermittlungspannen. Das hat sich z. B. im Fall Lügde immer wieder herausgestellt. Auch da müssen wir viel mehr investieren; denn nur eine konsequente Ermittlungsarbeit kann zur Vermeidung von Pannen und zur verstärkten Aufdeckung solcher Fälle führen.
Insofern ist das ein ganzer Fächerkanon, aber noch einmal: Ganz wichtig ist es als Signal, auch an jeden Täter, an jeden, der sich an Kindern vergeht, die Verjährungsregel für die schweren Kindesmissbrauchsfälle aufzuheben.
(Beifall bei der AfD - Julia Willie Ham- burg [GRÜNE]: Was ist denn mit Prä- vention? Kinder stärken, Schulen!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich knüpfe an die Debatte in der Aktuellen Stunde vom Dienstag zum Thema „sexuelle Gewalt gegen Minderjährige“ an. Nunmehr täglich erreichen uns über die Medien neue Meldungen über sexuelle Gewalt, die in ihrer Dimension oft die Grenzen der Vorstellungskraft erreichen. Wir hören von Zahlen und Grausamkeiten, deren Ausmaß das Leid der betroffenen Kinder nur erahnen lässt. Tagtäglich werden es mehr, und es sind eindeutig zu viele, meine Damen und Herren.
Ich habe am Dienstag gesagt: Wir müssen handeln, statt reden. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner bringen wir heute einen Antrag zur Bekämpfung der sexuellen Gewalt gegen Minderjährige ein. Sexuelle Gewalt geschieht nicht irgendwo im Dunkeln, sie geschieht im absoluten
Nahbereich der Kinder, dort, wo Vertrauen gewachsen ist, dort, wo es um Nähe, Liebe, Zuneigung gehen sollte. Sie kann nicht ungeschehen gemacht werden, wenn sie erduldet werden musste.
Meine Damen und Herren, unser Antrag geht weiter als der Antrag der AfD-Fraktion. Es geht uns in unserem Antrag um ein Gesamtpaket. Wir wollen eine stabile Mischung aus Vernetzung, Prävention, therapeutischen Möglichkeiten, effektiver Strafverfolgung und Abschreckung. Wir wollen, dass möglichst jedes Kind unbeschwert aufwachsen kann - sicher, geborgen und frei von Gewalt. Sexuelle Gewalt kann viele Gesichter haben, ob es das „Lieb sein“ ist, ob es das gestellte oder erzwungene Bildmaterial ist oder der schwere organisierte Kindesmissbrauch. Ich habe es am Dienstag schon gesagt: Die SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag positioniert sich klar gegen jede Form von sexueller Gewalt.
Wir fordern weiterhin: Opferschutz vor Täterschutz. Wir wollen sexuelle Gewalt über Generationen hinweg verhindern. Und wir fordern auch eine Kultur des Hinsehens. Dazu gehört in erster Linie auch Zivilcourage. Mit diesem Antrag sollen Präventionskonzepte des Landespräventionsrates
weiter ausgebaut werden. Wir möchten die Evaluation der bisherigen Maßnahmen, die wir im Landeshaushalt mit 150 000 Euro unterstützt haben. Hinzukommen muss natürlich eine Stärkung der personellen und sachlichen Ausstattung von Staatsanwaltschaften und Gerichten, um die Verfolgung von sexueller Gewalt zu verbessern. Wir brauchen eine Sensibilisierung in kritischen Arbeitsbereichen, um Verdachtsfälle aufzudecken.
Meine Damen und Herren, Pädophilie ist eine sexuelle Präferenz, eine Neigung - eine Neigung, die ab der Übergriffigkeit strafbar ist. Mit Modellprojekten und anonymen Therapieangeboten wollen wir durch die Arbeit im Vorfeld genau diese Übergriffigkeit verhindern. Wenn es allerdings zu Übergriffen gekommen ist, müssen diese auch konsequent verfolgt und geahndet werden.
Ich habe es schon gesagt: Sexuelle Gewalt kann nicht auf einer Stufe mit Diebstahl oder Beleidigung stehen. Meine Fraktion setzt sich daher für die Bewertung als Verbrechen und damit für die Erhöhung des Strafmaßes ein.
Nur um das noch einmal deutlich zu sagen: Das noch so hohe Strafmaß nützt natürlich nichts, wenn die Tat nicht mehr verfolgt werden darf. Dann kann die drohende Strafe noch so hoch sein, sie läuft ins Leere, weil es keine verfolgbare Tat mehr gibt. Da wir hier jetzt Strafverschärfung fordern, besteht innerhalb meiner Fraktion geschlossen der Wunsch nach Abschaffung der Verjährung.
Hinzukommen soll auch eine Bestrafung von Mitwissern. Niemand soll wegsehen dürfen. Wer von einer geplanten Straftat im Bereich sexueller Gewalt gegen Minderjährige weiß, soll nach unserem Wunsch verpflichtet sein, diese anzuzeigen. Dies richtet sich auch klar gegen Netzwerkstrukturen, gegen Austausch zu geplanten sexuellen Übergriffen, genauso wie gegen planmäßiges Vorgehen der Akteure.
Meine Damen und Herren, als dritten Komplex befasst sich der Antrag mit dem Bereich Kinderpornografie. Auch hier besteht der geeinte Wunsch nach Erhöhung der Strafen, ebenso wie nach einer Meldepflicht deutscher Internetanbieter bei verdächtigem Bildmaterial oder Chatinhalt. Dieser zum Teil gewerbsmäßige Handel ist ein unübersichtlicher, widerlicher Markt, der von der Nachfrage bestimmt wird. Auch dort müssen wir effektiv und konsequent handeln.
Nicht zuletzt wird unser Fokus auch auf aussagekräftigen Führungszeugnissen liegen. Wir wollen wissen, wer in sensiblen Bereichen in der Nähe unserer Kinder tätig ist. Wir werden die Frage stellen müssen, ob bei Bewerbungen in sensiblen Bereichen nicht zusätzlich eine gesonderte Datenabfrage bei der Polizei angebracht wäre. Wir werden fragen müssen, wie es mit übergreifenden Schutzkonzepten für Schulen und Kindergärten bestellt ist, und uns beispielsweise über das VierAugen-Prinzip im Bereich der Betreuung und über spezifische Schulungen unterhalten müssen. Wir werden hinsehen müssen.
Meine Damen und Herren, das alles sind Puzzleteile, um die Gegenwart und die Zukunft unserer Kinder zu schützen. Eines ist mir dabei noch wichtig: Kinder sind keine Gegenstände. Es gibt keinen Gebrauch, mithin kann es auch keine Diskussion darüber geben, ob es leichte oder schwere Fälle sexueller Gewalt gibt. Es gibt weder „ein bisschen Gewalt“, noch gibt es „ein bisschen Missbrauch“. Das habe ich am Dienstag auch schon gesagt.
Jedes Anfassen, jedes Eindringen, jedes Fotografieren, jedes Nähern in unlauterer Absicht ist eine Verletzung der kindlichen Seele und hinterlässt lebenslange Spuren.
Insofern gibt es nur eine Konsequenz: Viel hilft viel. - Es ist unser Privileg, unsere Kinder begleiten zu dürfen, sie zu stärken, sie zu schützen. Eine Sexualisierung - in welcher Form auch immer - verbietet sich.