Protocol of the Session on April 23, 2020

Die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen sind die schwächste Gruppe unter den Flüchtlingen. Deshalb ist es notwendig, dass sich eine Koalition der Hilfsbereiten in Deutschland und Europa findet, um sie aufzunehmen. Es geht um schnelle Hilfe und darum, reguläre Asylverfahren für diese jungen Menschen in einem geschützten Raum durchzuführen und nicht in diesem Elend vor Ort.

Auf europäischer Ebene hat sich erfreulicherweise inzwischen eine Koalition gefunden, die insgesamt 1 600 unbegleitete minderjährige und andere Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen will. Insgesamt haben sich zehn Mitgliedstaaten dazu bereit erklärt.

Zur Wahrheit, meine Damen und Herren, gehört aber auch: Durch die derzeitige Lage im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Coronavirus ist kaum absehbar, wann eine entsprechende Aufnahme in einem abgestimmten europäischen Verfahren umgesetzt werden kann. Umso wichtiger ist, meine Damen und Herren: Deutschland ist jetzt in einem ersten Schritt vorangegangen und hat 47 Kinder und Jugendliche aufgenommen. Ich freue mich sehr, dass sich das hartnäckige Werben Niedersachsens beim Bund endlich ausgezahlt hat. Der Bundesinnenminister hat sich vor zwei Wochen an mich gewandt, und wir haben uns in Niedersachsen auf seine Frage hin selbstverständlich bereiterklärt, diese Kinder bei uns aufzunehmen.

Zu Ihrer aller Beruhigung: Alle Kinder wurden vor dem Abflug gesundheitlich geprüft und auf COVID19 getestet. Sie werden zunächst zentral für eine 14-tägige Quarantänezeit an einem dafür geeigneten Ort in Niedersachsen von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe versorgt, betreut und begleitet.

Und ja, meine Damen und Herren, diese Aufnahme ist nur ein erster kleiner Schritt und nur ein Anfang. Natürlich muss mehr passieren. Natürlich müssen wir weiter die Fluchtursachen vor Ort bekämpfen und die Situation vor allem in den Flüchtlingslagern verbessern. Natürlich brauchen wir ein einheitliches europäisches Asylsystem. Wer wollte das denn infrage stellen?

Und wir brauchen auch einen einheitlichen europäischen Grenzschutz. Auch den fordere ich seit 2013 durchgehend. Aber wenn unter dem Deckmantel dieser wichtigen und fundamentalen Aufgaben alle immer nur warten, wenn Hilfe dringend nötig ist, dann tut am Ende niemand etwas, und dann wird niemandem geholfen, meine Damen

und Herren. Und das kann nicht unser Anspruch sein.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir reden hier von Kindern und Jugendlichen, die in ihrem noch jungen Leben bereits mehr durchmachen mussten, als es glücklicherweise die allermeisten Menschen bei uns jemals werden. Es macht mich vor diesem Hintergrund geradezu fassungslos, wenn versucht wird, diese Kinder und Jugendlichen zu instrumentalisieren. Reflexartig wird vom rechten Rand in übler Weise suggeriert, bei denen, die hier ankommen, handele es sich nicht um Kinder, sondern um schon fast Erwachsene oder sogar um Terroristen. Das ist es, was Sie permanent in diesem Land verbreiten, und dafür sollten sie sich in Grund und Boden schämen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU)

Es sind eben keine Erwachsenen und auch keine fast Erwachsenen. Das ist schlicht falsch. Mehr als die Hälfte der 47 Minderjährigen ist zwischen 8 und 13 Jahre alt. Nur 5 sind überhaupt in einem Alter zwischen 15 und 17. Ich weiß nicht, ob Sie mit geschlossenen Augen durch Deutschland laufen, aber ich kenne viele 13-, 14-, 15- und 16-jährige Jungs, deutsche Jungs, hier geboren und aufgewachsen, woher auch immer kommend, und die sehen nicht so aus, wie ich mit 15 oder 16 ausgesehen habe, die meisten jedenfalls nicht - was immer das jetzt heißen mag.

(Heiterkeit)

Aber eines steht fest, meine Damen und Herren: Ich sehe so manchen 14-Jährigen neben mir stehen und stelle fest, dass der eineinhalb Köpfe größer als ich und drei Köpfe größer als Herr Ahrends ist. Ja, und? - Deswegen ist er doch noch kein Erwachsener und auch kein Schläger, meine Damen und Herren. Ich bitte einfach darum, hier mal die Kirche im Dorf zu lassen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU)

Nur weil sie 14 sind und groß, sind sie nicht gefährlich, meine Damen und Herren.

Zuständig für die weitere Koordinierung dieser Hilfsaktion, die fortgesetzt werden muss, und damit natürlich auch grundsätzlich für die Auswahl der

jeweiligen Gruppen ist übrigens die EU-Kommission in Zusammenarbeit mit den griechischen Behörden, dem UNHCR und der europäischen Asylagentur EASO.

An dieser Stelle möchte ich auf einen wichtigen Punkt eingehen, über den in diesen Tagen diskutiert wurde. Ja, die Mehrheit der aufgenommen unbegleiteten Minderjährigen sind Jungen. Das ist aber auch nicht so verwunderlich, wenn man sich die Zusammensetzung dieser Altersgruppe in den Lagern und darum herum ansieht. Die große Mehrheit der unbegleiteten Minderjährigen auf den griechischen Inseln sind nun einmal Jungen. Natürlich müssen und werden wir gerade auch die schutzbedürftigen Mädchen weiter im Blick haben und uns für sie einsetzen. Das ist doch selbstverständlich. Das sind die Schwächsten und die am stärksten Gefährdeten.

Aber bei der ganzen Diskussion stellt sich doch die Frage: Worüber wird hier eigentlich gesprochen? - Es geht um Kinder, meine Damen und Herren - Kinder, die in Griechenland, inmitten der Europäischen Union, unter schlimmsten Bedingungen leben mussten, und viele müssen es immer noch.

Ich habe dort unten mit Vertretern von Ärzte ohne Grenzen gesprochen. Und wenn die mir sagen - einige von denen waren zuvor in Elendsgebieten in Afrika -, dass die Zustände auf den griechischen Inseln teilweise schlimmer seien als dort in Afrika, wo sie gerade zuletzt eingesetzt waren, dann muss das uns als Europäer zutiefst beschämen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Deswegen verstehe ich es überhaupt nicht, dass einige hier jetzt meinen, festlegen zu können, von welchem Geschlecht die Schutzbedürftigkeit dieser Kinder am Ende abhängt. Wer so denkt und das auch noch in dieser Diktion ausspricht, der hat etwas Grundsätzliches nicht verstanden. Humanität darf niemals Spielball politischer Interessen werden, und sie ist ganz sicher kein Luxus, meine Damen und Herren. Sie sollte für jeden von uns immer die Mindestanforderung an unser tägliches politisches Handeln sein - als Deutsche und als Niedersachsen, aber gerade auch als Europäer. Das sind wir uns selbst, unserer Geschichte und unseren Werten schuldig.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Ganz herzlichen Dank, Herr Minister. Wir freuen uns auf ein paar Jugendbilder zur nächsten Sitzung, damit wir auch bewerten können, was Sie heute hier zum Ausdruck gebracht haben.

(Heiterkeit)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Ich komme zur Festlegung von Zeit und Tagesordnung des nächsten Tagungsabschnitts.

Der 28. Tagungsabschnitt ist - zumindest noch - von Dienstag, 12. Mai, bis Donnerstag, 14. Mai 2020, vorgesehen. Die Landtagspräsidentin wird den Landtag einberufen und im Einvernehmen mit dem Ältestenrat den Beginn und die Tagesordnung der Sitzung festlegen.

Ich wünsche Ihnen einen guten Heimweg! Bleiben Sie gesund, sodass wir uns beim nächsten Mal gesund und munter wiedersehen!

Vielen Dank.

Schluss der Sitzung: 17.06 Uhr.