Protocol of the Session on February 25, 2020

Es handelt sich um 80 000 Pflegekinder, die in Familien groß werden, und weitere 100 000 Kinder leben in Heimen oder Betreuungseinrichtungen. In diesem Falle können wir den Pflegeeltern und den pädagogischen Fachkräften nicht genügend dafür danken, dass sie den Kindern Wärme, Sicherheit und Orientierung für ihr weiteres Leben geben. Sie leisten einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft. An dieser Stelle möchte ich ihnen herzlich dafür danken.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP - Un- ruhe)

Einen Moment, bitte, Frau Kollegin! - Es ist doch etwas unruhig im Plenarsaal. Wenn Sie die Gespräche einstellen könnten! - Vielen Dank.

Bitte, Frau Glosemeyer!

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Viele wussten nicht - da schließe ich mich mit ein -, dass die Jugendlichen bis zu 75 % von ihrem verdienten Geld an das Jugendamt als Kostenheranziehung abführen müssen, wenn der Erziehungsauftrag gelungen ist und sie eine Ausbildung oder ein freiwilliges - auch ein freiwilliges! - soziales Jahr beginnen. So ist es in § 94 SGB VIII geregelt. Statt die Jugendlichen in ihrer Selbstständigkeit zu stärken, fühlen sie sich bestraft. Frau Bruns sagte das bereits anhand einiger Beispiele, die ja sehr eindrucksvoll waren.

Wenn Pflegekinder Verantwortung für ihr Leben übernehmen sollen und wollen, dann sollten wir ihnen nicht das Gefühl geben, dass sich ihr Engagement nicht lohnt. Das Ansparen von selbst verdientem Geld, z. B. für einen Führerschein, kann den Jugendlichen Teilnahme ermöglichen. So können sie sich den anderen Jugendlichen gegenüber in der Schule und anderswo ebenbürtig fühlen.

Eigenverantwortlichkeit und das Sorgen um die eigene Zukunft sollten gestärkt werden. Eine positive Entwicklung und ein selbstständiges Leben sollten wir als Gesellschaft fördern, zumal die Jugendlichen die Letzten sind, die für ihre Situation verantwortlich gemacht werden können.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ein weiteres Problem bei der Abgabe ist die Willkürlichkeit der Ausgestaltung. Auch das sagte Frau Bruns. Es

gibt durchaus Möglichkeiten, dass das Jugendamt von den 75 % abweichen kann. Das bedeutet aber, dass es eine Einzelprüfung geben muss, die sehr bürokratisch ist und nicht unbedingt nach einem stringenten Verfahren läuft, sondern recht willkürlich ist. Das stigmatisiert die Pflegekinder erneut in ihrer Andersartigkeit.

Das neue Bundesfamilienministerium hat die Reformierung des SGB VIII gestartet. Dazu hat es einen umfangreichen Dialogprozess gegeben, der nun in ein neues Kinder- und Jugendstärkungsgesetz münden soll. Die Familienministerin will den Entwurf im Herbst 2020 vorlegen. Dort soll es auch eine Veränderung des § 94 geben. Dabei wird besonders auf die Kostenbeteiligung eingegangen. Wahrscheinlich wird ein Vorschlag um die 25 % beraten werden.

Wir möchten aber einen Schritt weiter gehen und werden den Antrag der FDP unterstützen. Auch wir würden da mitgehen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der FDP sowie Zustim- mung bei der CDU)

Vielen Dank. - Das Wort für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Bothe. Bitte!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir werden den Antrag ebenfalls unterstützen. Ich hoffe, das ist in den heutigen Zeiten kein Problem für Sie.

Es zählt ja eigentlich immer, dass man gerade junge Menschen, die eigenverantwortlich eine Berufsausbildung beginnen, unterstützt. Dann ist es natürlich grundsätzlich nicht einsehbar, dass Menschen, die in Betreuungseinrichtungen oder bei Pflegeeltern aufwachsen, enorm belastet werden und bis zu 75 % ihres ohnehin nicht üppigen Azubigehaltes abführen müssen.

Daher gilt es aber auch, hier nicht zu enden. Deswegen wäre es auch wichtig, dass die BAföGRegelung sowie die Regelung für studierende Pflegekinder angeglichen werden und dieser Prozess hier weitergeht. Wir unterstützen den Antrag.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Fraktionsvorsitzende Frau Piel das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich ganz herzlich bei der Kollegin Bruns bedanken, die dieses Thema hier heute auf die Tagesordnung gesetzt hat.

Es geht hier in erster Linie um die Schwierigkeiten sogenannter Careleaver. Das sind junge Menschen, die die meiste Zeit ihres Lebens in der stationären Jugendhilfe verbracht haben und diese um ihren 18. Geburtstag herum verlassen. Das sind junge Menschen, die in den allermeisten Fällen wenig Gutes in ihrem Leben erlebt haben und mit sehr wenig Hilfe gestartet sind: kein oder kein guter Kontakt zu den Eltern, wenig Wertschätzung und Kontinuität, zum Teil auch Gewalterfahrungen.

Mit 18 werden diese jungen Menschen dann in die Selbstständigkeit entlassen.

(Unruhe)

Einen Moment, bitte, Frau Kollegin! Ich finde, bei diesem doch sehr ernsten und wichtigen Thema für uns sollten alle ihre Aufmerksamkeit den Rednern und Rednerinnen zukommen lassen.

Für die meisten dieser jungen Menschen ist das ein großer Schritt. Denn sie haben kein finanzielles Auffangnetz, sie haben keine Eltern, die im Zweifelsfall für sie einspringen können, dafür aber ein ordentliches Paket auf den Schultern, das sie meistern müssen.

Und als ob das nicht schon schwierig genug wäre, starten diese jungen Menschen auch komplett ohne irgendeine finanzielle Absicherung in die Selbstständigkeit. Denn durch die Heranziehung, die der § 94 SGB VIII regelt, haben sie faktisch keine Möglichkeit, Geld zu sparen. Das ist nicht einfach nur eine falsche sozialpolitische Weichenstellung, das ist auch ein falscher Anreiz. Denn wer sucht sich schon eine Beschäftigung, wenn er drei Viertel des Geldes abgeben muss?

Meine Damen und Herren, ich hätte dem Antrag der FDP auch in der ursprünglichen Fassung zustimmen können, der eine ersatzlose Streichung der Kostenbeteiligung vorsah. Ich finde es auch

völlig willkürlich, zu überlegen, ob man die jungen Menschen mit 15, 30 oder 50 % beteiligt, oder über eine sinnvolle und nicht so sinnvolle Beschäftigung nachzudenken.

Fakt ist: Dass Jugendliche für ihre eigenen Jugendhilfeleistungen herangezogen werden, ist eine Absurdität und komplett aus der Zeit gefallen. Das ist absurd in der deutschen Sozialgesetzgebung.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Deshalb ist die Einigung, die wir nun mit allen Fraktionen im Sozialausschuss erreicht haben, ein wichtiger Schritt. Auch dafür einen ganz herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen im Sozialausschuss!

Die Landesregierung bekommt damit von uns den Auftrag, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass diese Heranziehung im SGB VIII neu geregelt wird mit der klaren Zielrichtung, die jungen Leute zu entlasten. Denn wenn diese jungen Menschen eines nicht gebrauchen können, dann sind es noch weitere Hindernisse auf ihrem Weg, erwachsen zu werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der FDP Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Vielen Dank, Frau Kollegin. - Es folgt für die CDU- Fraktion Frau Abgeordnete Hopmann. Bitte, Sie haben das Wort! (Unruhe)

- Auch für Frau Hopmann darf ich um Aufmerksamkeit bitten.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! - - -

(Anhaltende Unruhe)

Einen Moment, bitte! - Herr Kollege Watermann, das war auch an Sie gerichtet. - Vielen Dank.

Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel „Für eine Jugendhilfe, die Leistung nicht bestraft“ zum ersten Mal gelesen habe, war

ich sofort der Meinung, dass er unterstützt gehört. Für die Initiative dazu möchte ich mich ganz ausdrücklich bei Sylvia Bruns von der FDP-Fraktion bedanken.

Auch die CDU-Fraktion ist der Meinung, dass Deutschland in jedem Fall ein Land sein sollte, in dem sich Leistung lohnt, und nicht eines, in dem Leistung bestraft wird.

(Beifall bei der CDU, bei den GRÜ- NEN und bei der FDP)

Der Antrag bemängelt völlig zu Recht die aktuelle Rechtslage, nach der Pflegekinder bis zu 75 % ihrer Einkünfte an den Staat abgeben müssen. Ja, der Staat kommt für die Erziehung und für den Lebensunterhalt der Pflegekinder auf. Und ja, in Deutschland bekommt derjenige staatliche Unterstützung, der nicht aus eigener Kraft seinen Alltag bestreiten kann. Allerdings halten auch wir in der CDU-Fraktion die jungen Leute für die falschen Adressaten der möglichen Kürzung. Wenn wir den Jugendlichen ihr selbst verdientes Geld wegnehmen und damit die Botschaft senden, dass sich Arbeit nicht lohnt, wenn ihre Leistung nicht anerkannt wird und wir die Botschaft senden, dass wir nicht wollen, dass sie selbstständig und unabhängig von der Obhut anderer werden, dann kann das nicht richtig sein. Denn wir wollen diejenigen unterstützen, die das benötigen, und diejenigen ermutigen, die unabhängig sein wollen und die unabhängig sein können. Genau das wollen wir fördern und sollte eigentlich unser soziales Netz ausmachen.

Wenn die Sorge besteht, dass arbeitende Pflegekinder zu viel staatliche Unterstützung erhalten, dann sollte bei denjenigen gekürzt werden, die das Pflegegeld erhalten, nämlich beispielsweise bei den Eltern, und nicht bei den Jugendlichen. Bei ihnen dürfen wir keine Fehlanreize setzen. Deshalb freue ich mich sehr darüber, dass wir in dieser Frage in diesem Hohen Haus offensichtlich einer Meinung sind und dieses Signal heute fraktionsübergreifend senden wollen. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken.

Ich hoffe auch inständig, dass uns der konstruktive Umgang mit diesem Thema ein Beispiel ist und dass wir künftig vielleicht noch mehr solche Beispiele erleben dürfen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die Landesregierung spricht nun die Sozialministerin Frau

Dr. Reimann.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“ So lautet § 1 Abs. 1 SGB VIII. In demselben Gesetz gibt es aber eine Regelung, die geradezu eine gegenteilige Wirkung hat, nämlich die Vorschriften zur Kostenheranziehung.