Protocol of the Session on January 30, 2020

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

„Combat 18“ gilt als der militante Arm von „Blood and Honour“, einer Organisation aus Großbritannien, die seit ihrer Gründung in den 80er-Jahren zur bedeutendsten und aktivsten internationalen Organisation innerhalb der Skinheadszene aufgestiegen war. In Deutschland wurde „Blood and Honour“ schon im Jahre 2000 verboten. Ich bin froh, dass dem Bundesinnenminister jetzt auch genügend hinreichende Erkenntnisse vorliegen, um „Combat 18“ in Deutschland ebenfalls zu verbieten. Dies ist auch ein Verdienst der Arbeit der Sicherheitsbehörden in den letzten Jahren.

Ich freue mich, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität den Ländern zur Bewertung zugeleitet hat. Dieser verfolgt vornehmlich das Ziel, eine effektive Strafverfolgung von Hasskriminalität, insbesondere im Internet, sowie rechtsextremistisch motivierter Straftaten sicherzustellen. Dies entspricht auch der Zielsetzung der Innenminister und -senatoren, die sich bereits in einer ihrer Sonder-IMK am 18. Oktober 2019 in der gemeinsamen Abschlusserklärung für konkrete Maßnahmen gegen Rechtsterrorismus und Hasskriminalität im Netz ausgesprochen haben. Daher begrüße ich es sehr, dass sich wichtige Elemente dieser Erklärung erfreulicherweise auch im Referentenentwurf wiederfinden.

Im Referentenentwurf wird das materielle Strafrecht durch angepasste Tatbestände und verschärfte Strafandrohung stärker als bisher auf die mit Hasskriminalität verbundenen Rechtsgutverletzungen ausgerichtet. Eine zentrale Neuerung ist die Einführung einer Meldepflicht für Anbieter sozialer Netzwerke im Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Solche Anbieter sollen verpflichtet werden, bestimmte strafbare Inhalte u. a. im Zusammenhang mit Rechtsextremismus und Hasskriminalität an das Bundeskriminalamt zu melden. Diese Schritte sind gut, gehen aber teilweise nicht weit genug. Wir werden daher eine Bundesratsinitiative auf den Weg bringen, mit der das Netzwerkdurchsetzungsgesetz des Bundes geändert werden soll, um die

Identifizierbarkeit im Internet zu erleichtern und so eben auch Hasskriminalität wirksamer und vor allen Dingen auch schneller bekämpfen zu können.

(Beifall bei der SPD sowie Zustim- mung von Mareike Wulf [CDU])

Dazu wird in das Netzwerkdurchsetzungsgesetz eine Identifikationspflicht aufgenommen, sodass Nutzer von sozialen Netzwerken bereits bei der Registrierung Namen, Anschrift und Geburtsdatum angeben müssen. Zudem wird der Anwendungsbereich des Gesetzes auch auf Anbieter von Spieleplattformen wie beispielsweise Twitch erstreckt, da diese insbesondere durch die Einbettung von Messenger-Diensten und spielinternen Kommunikationsmöglichkeiten zur Verbreitung von Hassbotschaften genutzt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Darüber hinaus hat das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport Initiativen zum Schutz von Amts- und Mandatsträgern vor Bedrohung ausdrücklich unterstützt und in diesem Kontext bereits mit den Ihnen bekannten Regionalkonferenzen begonnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ja, die Aufklärung der Taten des NSU hat viele Fragen beantwortet und sicherlich viele unbeantwortet zurückgelassen. Die Frage, welche heute noch beantwortet werden können, wird uns weiter beschäftigen. Wir - ich kann das für die Landesregierung sagen - haben ein Interesse daran, den Dingen auf die Spur zu kommen. Ich sage aber gleichzeitig auch, dass unsere Möglichkeiten begrenzt sind. Ihre Kritik mit Blick darauf, was wir alles nicht in der Großen Anfrage beantwortet haben, verstehe ich natürlich angesichts des allgemeinen und auch Ihres Interesses. Ich weiß aber, dass Sie im Grunde Ihres Herzens Verständnis dafür haben, dass wir nicht alles im Landtag sagen möchten und können, was Sie gern hören möchten. In vertraulicher Sitzung werden wir das selbstverständlich in aller Ausführlichkeit tun.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Wir warten mit Spannung auf die Unter- richtung!)

Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD sowie Zustim- mung bei der CDU und bei den GRÜ- NEN)

Vielen Dank, Herr Minister Pistorius. - Für die CDU-Fraktion hat sich der Abgeordnete Uwe Schünemann zu Wort gemeldet. Bitte, Herr Schünemann!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Limburg, Ihre Große Anfrage ist richtig und dringend notwendig. Es gibt viele Gründe dafür. Ich will drei Gründe besonders darstellen.

Erstens. Auch nach der Verurteilung von Beate Zschäpe und der parlamentarischen Aufarbeitung bleibt noch vieles ungeklärt. Wir sollten die Lehren aus den RAF-Prozessen ziehen. Ich kann mich noch sehr gut an die persönliche Begegnung mit Michael Buback erinnern. Es schmerzt ihn besonders, dass er bis heute nicht weiß, wer seinen Vater ermordet hat.

Meine Damen und Herren, kein Zweifel: Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt waren Täter; es bleiben aber große Zweifel, ob sie allein gehandelt haben. Das ist unerträglich für die Opfer und ihre Angehörigen.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der zweite Grund ist: Es gab große Versäumnisse bei den jahrelangen Ermittlungen. Trotz vorhandener Hinweise von Zeugen auf rechtsextremistische, fremdenfeindliche Motive wurde in diese Richtung nie ernsthaft ermittelt. Das war, wie wir heute wissen, ein großer Fehler. Auch dies ist bis heute ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen der Opfer. Eine aufrichtige Entschuldigung reicht nicht aus. Wichtig ist, dass alle 47 Empfehlungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundestages 1 : 1 umgesetzt werden.

Auch die Innenminister haben im Jahr 2012 klare Beschlüsse gefasst. Ferner hat sich die IMK im Jahr 2017 auf Mindestanforderungen an die Verfassungsschutzgesetze geeinigt. Auch das muss in Niedersachsen 1 : 1 umgesetzt werden.

Drittens. Nie wieder Rechtsterrorismus in Deutschland - das war unser Versprechen. Wir müssen feststellen: Wir haben dieses Versprechen nicht halten können. Die Ermordung des Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der Anschlag auf die Synagoge in Halle haben uns das schmerzlich vor Augen geführt. Deshalb bleibt die Frage: Wel

che zusätzlichen Maßnahmen müssen wir ergreifen?

Meine Damen und Herren, in der Antwort der Landesregierung heißt es, es gebe keine über Mutmaßungen hinausgehenden Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden, dass ein bisher nicht entdecktes Netzwerk hinter dem NSU in Niedersachsen existiere. Holger Gerlach - darauf ist hingewiesen worden - ist zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Seine Rolle ist bei den Gerichtsverfahren untersucht worden. Er hatte der Mordbande die Waffe und falsche Papiere besorgt. Immer wieder - das ist auch hier dargestellt worden - wird spekuliert, ob seine Beteiligung stärker gewesen ist, ob es Mittäter in seinem Umfeld gegeben hat. Sollte es dazu Erkenntnisse geben - darauf hat der Innenminister hingewiesen -, muss das in vertraulicher Sitzung behandelt werden. Das werden wir weiter verfolgen. Reine Vermutungen, reine Spekulationen helfen allerdings nicht. Damit sollte man sehr vorsichtig sein.

Richtig ist aber auch: Zahlreiche DNA-Spuren von verschiedenen Tatorten konnten bis heute nicht bestimmten Personen zugeordnet werden.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!)

Deshalb dürfen die laufenden Ermittlungen beim Generalbundesanwalt nicht eingestellt werden.

(Zustimmung bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Armin Schuster hat gesagt, Cold Cases müssen wir immer wieder - vermutlich jetzt auch hier in Niedersachsen - behandeln.

Für Niedersachsen bleibt jedenfalls festzuhalten: Die Sicherheitsbehörden haben sich aktiv an allen Untersuchungsausschüssen beteiligt und zu jeder Zeit mit Sorgfalt und Akribie die Aufklärung bezüglich des NSU betrieben. Diese Regierung geht entschlossen und mit aller Konsequenz gegen den Rechtsextremismus in Niedersachsen vor. Wir haben rechtliche Schlussfolgerungen gezogen, Personalverstärkungen vorgenommen und die präventive Arbeit intensiviert. Einige strukturelle Probleme hatten wir nicht. Ich darf daran erinnern, dass wir im Jahr 2008 die Ersten waren, die das GIAZ, das Gemeinsame Informations- und Analysezentrum, eingerichtet haben - übrigens für alle Phänomenbereiche.

Im Detail: zusätzlich 70 Personen seit Regierungsbeginn beim polizeilichen Staatsschutz, 6 zusätzliche Stellen für den Rechtsextremismus im Verfas

sungsschutz, 10 zusätzliche Stellen für die Präventionsarbeit des Verfassungsschutzes, 4 Stellen im MJ, zusätzlich 250 000 Euro für die Extremismusprävention. Ich könnte diese Aufzählung fortsetzen.

Meine Damen und Herren, bei der Aufklärungsarbeit sind sich alle demokratischen Parteien einig. Über mehr Personal und moderne technische Ausstattung dürfte ebenfalls Konsens bestehen. Das ist bei diesem für unsere Demokratie so existenziell wichtigen Thema richtig. Dennoch muss es auch erlaubt sein, über die Schlussfolgerungen leidenschaftlich zu ringen.

Insoweit wende ich mich noch einmal ganz persönlich an Bündnis 90/Die Grünen. Ich glaube, Sie sollten Ihr Verhältnis zum Verfassungsschutz wirklich überdenken. Ich darf Sie daran erinnern: Im Jahr 2012 haben Sie auf Ihrem Parteitag die Abschaffung des Verfassungsschutzes beschlossen, und Sie haben sich hier nicht wirklich davon distanziert. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Vor dem Hintergrund der Arbeit des Verfassungsschutzes und vor dem Hintergrund der Bedrohungslage wäre es sinnvoll, dass sich das gesamte Haus hinter den Verfassungsschutz stellt, und es wäre ein gutes Signal, wenn Sie sich heute auch in dieser Form äußern würden. Ich würde mich freuen, wenn das auch Frau Piel tun würde. Ich kann mich an ihre Worte in diesem Zusammenhang aus dem Jahr 2012 erinnern.

(Beifall bei der CDU - Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Was hat sie ge- tan? Sie hat doch nur mit dem Verfas- sungsschutz darüber geredet!)

Meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, auch wenn Sie von 2013 bis 2017 die Abschaffung nicht durchsetzen konnten, haben Sie allerdings durch die Gesetzesnovelle, die eindeutig Ihre Handschrift trägt, dem Verfassungsschutz durchaus Fesseln angelegt. Dass Sie mir das nicht glauben, kann ich mir durchaus vorstellen. Aber Sie setzen ja sehr auf Datenschutzbeauftragte. Ich darf einmal den Datenschutzbeauftragten aus Hessen wörtlich zitieren:

„Wir haben nicht die Kastration des Verfassungsschutzes betrieben wie das Land Niedersachsen, sondern wir haben dem Verfassungsschutz die entsprechenden Instrumente geliefert.“

„Kastration des Verfassungsschutzes“ - aus dem Mund eines Datenschützers und renommierten

Professors des Verwaltungsrechts. Das ist aus meiner Sicht wirklich starker Tobak.

Der Bund und auch zahlreiche Länder haben im Lichte der Erkenntnisse über den NSU ihre Verfassungsschutzgesetze reformiert, aber eben in eine andere Richtung: mehr Befugnisse, Quellen-TKÜ und natürlich auch Online-Durchsuchung. Beide Instrumente müssen nach und nach in die Verfassungsschutzgesetze von Bund und Ländern eingeführt werden. Dies ist übrigens die Empfehlung der IMK in Leipzig vom Dezember 2017.

Die Bedrohungslage hat sich seitdem nicht geändert, sagen Sie. Das ist falsch. Sie hat sich verschärft! Wir müssen zunehmend mit Einzeltätern rechnen, die sich über das Internet radikalisieren. Neue Kommunikationstechnik darf die Sicherheitsbehörden eben nicht taub und blind werden lassen.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Man kann auch vor vielen Daten nichts mehr sehen!)

Deshalb setzt sich die CDU-Fraktion dafür ein, dass der IMK-Beschluss aus dem Jahr 2017 auch wirklich 1 : 1 umgesetzt wird. Die Verfassungsschutzgesetze, gerade auch das Niedersachsens, müssen entsprechend angepasst werden.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, als Alternative - ich sage ganz bewusst: als Alternative - wird immer wieder gefordert, zivilgesellschaftliche Akteure sollten Rechtsextremisten beobachten und ihr Verhalten dokumentieren. Da kann ich nur fragen: Ist das wirklich Ihr Ernst? Ist das Ihr Verständnis von Freiheits- und Grundrechten, die jeder Mensch in einer Demokratie hat?

Dem Verfassungsschutz wurden Befugnisse genommen. Speicherfristen wurden drastisch reduziert. Wenn es keine Zuspeicherung gibt, fallen Daten nach drei Jahren, bei Jugendlichen sogar nach sechs Monaten weg. Was bedeutet das? - Extremisten, die für mehrere Jahre untertauchen, fallen dadurch zwangsläufig durchs Raster.

Und jetzt beklagen Sie, dass Netzwerke nicht für einen langen Zeitraum lückenlos erkannt werden können. Ihre Antwort ist: Verfassungsschutz reduzieren, aber ein zivilgesellschaftliches Dokumentationszentrum. - Das kann nicht die Antwort sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Bekämpfung von Terrorismus, der Schutz vor Rechtsextremismus und Extremismus insgesamt

gehören in die Hände von staatlichen Sicherheitsbehörden und nicht in die Hände der Zivilgesellschaft.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Aber die Prävention gehört in die Zivilge- sellschaft! - Helge Limburg [GRÜNE]: Das fordert keiner! Nicht in der Form!)

Zivilgesellschaft muss zuarbeiten. Das ist richtig. Aber wir können doch nicht dem Datenschutz und gerade den Sicherheitsbehörden auf der einen Seite Daumenschrauben anlegen, und auf der anderen Seite müssen wir uns um den Datenschutz und die Speicherfristen überhaupt nicht kümmern. Das ist doch nicht sinnvoll! Nein, der Verfassungsschutz muss diese Aufgabe haben! Deshalb müssen wir den Verfassungsschutz stärken.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ein Letztes - das ist mir wichtig -: Vergessen wir niemals die Opfer des Rechtsterrorismus! Ihnen und ihren Angehörigen sind wir es schuldig, dass wir wirklich alles daransetzen, die Taten vollständig aufzuklären. Wir müssen ihnen konkrete Hilfe anbieten. Daher ist es gut und richtig, dass wir seit dem letzten Jahr einen Opferschutzbeauftragten im Justizministerium haben.