Protocol of the Session on January 24, 2018

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon bezeichnend, dass die erste Initiative der GroKo nicht etwa - wie Frau Wulf es suggerieren wollte - fragt: „Wie können wir die Probleme der Inklusion lösen?“, sondern vielmehr: „Wie können wir vor Ort ermöglichen, dass sich Inklusion potenziell weiter verschiebt?“

Das Problem der Inklusion ist, dass sich SPD und CDU wohl in kaum einem anderen Thema so wenig einig sind wie im Thema Weiterentwicklung der Inklusion. Die Konsequenz ist: Es droht Stillstand, und es droht die Verlagerung der Probleme in die Zukunft. Ich sage Ihnen: Das können die Schulen vor Ort, die vielen engagierten Lehrkräfte, die betroffenen Eltern und die Kinder nicht gebrauchen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bei der Frage der Weiterentwicklung der inklusiven Schule müssen Antworten auf den Tisch, und zwar besser gestern als heute. Die Probleme sind schon seit Jahren bekannt. Egal, wo wir in den Schulen unterwegs sind: Wir hören immer wieder die gleichen Probleme, an die die Schulen stoßen. Immer wieder werden wir gebeten, bestimmte Dinge auf den Weg zu bringen und endlich politisch und organisatorisch zu entscheiden.

So fehlen viele grundlegende Weichenstellungen bei der Richtung der Inklusion, viele untergesetzliche Regelungen. Worte wie „Nachteilsausgleich“ oder „Hauptschulabschluss nach der zehnten Klasse“ können die Lehrkräfte an den Schulen schon nicht mehr hören, weil sie seit Jahren Politik und Verwaltung bitten, endlich Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, eine inklusive Beschulung auch wirklich umzusetzen, sodass man sich nicht noch zusätzliche Arbeit damit machen muss, zu versuchen, die gesetzlichen Ungereimtheiten vor Ort zu lösen.

Es fehlen Handreichungen. Es fehlt ein Grundsatzerlass für die inklusive Schule. Die Lehrkräfte warten auf Richtung und Unterstützung vor Ort.

Landkreise, die sich auf den Weg gemacht und die inklusive Schule vorangebracht haben, die zum Teil noch nicht einmal mehr Förderschulen Lernen besitzen oder andere Förderschulen abschaffen konnten, weil sie inklusiv beschulen, werden derzeit vom Status quo bestraft. Denn sie haben eine Ungewissheit: Die Förderschullehrkräfte wissen nicht, was passiert, wenn ihre Förderschule ausläuft. Die Schulleitungen wissen nicht, was passiert, wenn ihre Förderschule ausläuft. Es ist nicht klar, wie das Beratungs- und Unterstützungsprinzip funktionieren soll. Die RZIs sind gerade erst im Aufbau befindlich.

Die Schulen fragen sich mit einem Mal: Und was nun? Was soll jetzt passieren? - Darauf müssen wir Antworten liefern. Hier ist die Politik gefragt, gemeinsam nach Lösungen zu suchen und endlich Entscheidungen für die inklusive Schule zu treffen.

Derzeit bestrafen wir diejenigen, die besonders engagiert sind. Wir entziehen den Menschen, die die Säule der Inklusion in Niedersachsen sind, die Kraft für ihr Engagement. Das dürfen wir nicht länger zulassen, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist allseits bekannt: Wir haben in Niedersachsen einen Fachkräftemangel im Bereich der Inklusion. Es wird darauf ankommen, dass wir den Weg der rot-grünen Landesregierung fortsetzen, noch mehr Ausbildungsplatzkapazitäten, noch mehr Studienplätze schaffen, auch noch mehr motivieren, beispielsweise als pädagogische Fachkraft tätig zu werden, und hier endlich Rahmenbedingungen zu finden, die auch und insbesondere Förderbereiche in den Blick nehmen, die nicht so weit verbreitet sind. Beispielsweise im Bereich des Förderschwerpunkts Hören wissen wir schon jetzt, dass wir nicht ausreichend Lehrkräfte haben werden, die in der Zukunft den Bedarf an der inklusiven Schule decken können. Hier muss die Landesregierung, hier müssen wir als Politik Antworten finden und endlich dem Fachkräftemangel begegnen.

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Es sind aber auch noch viele andere Fragen im Bereich der Inklusion zu beantworten und kurzfristig zu lösen. Die Ausstattung der inklusiven Schule muss geregelt werden. Es wird um die Frage gehen: Wie können wir es erreichen, dass die kindbezogenen Ressourcen für die Schulen, die damit arbeiten, nicht mehr so relevant sind? Wie können wir systembezogene Ressourcen stärken? - Denn derzeit erleben wir in Niedersachsen ja eine reine Feststellungsorgie. Die Feststellungen im Bereich der Förderbedarfe sind immens angestiegen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Schulen aus sich heraus nicht ausreichend Ressourcen haben, um den Inklusionsprozess voranzubringen, und von daher auf die kindbezogenen Ressourcen angewiesen sind. Das ist eine Fehlentwicklung, der wir entgegensteuern müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Auch das Arbeiten in multiprofessionellen Teams ist etwas, was in einer inklusiven Schule absolut in den Vordergrund gehört und bei dem es darauf ankommt, in den nächsten Jahren die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.

Natürlich müssen wir es auch schaffen - wir haben eben schon darüber geredet, und Herr Tonne hat

ja gesagt, Probleme sind dafür da, gelöst zu werden -, hierbei unterschiedliche regionale Begebenheiten und Entwicklungsstände zu berücksichtigen. Uns allen ist klar, dass wir einen unterschiedlichen Fortschritt in den jeweiligen Landkreisen und auch einen unterschiedlichen Fortschritt im Bereich der inklusiven Konzepte haben. Insofern kommt es darauf an, die Regionen in ihrer Unterschiedlichkeit mitzunehmen und sie zum Wohle der Schülerinnen und Schüler weiterzuentwickeln.

Was uns Grünen besonders wichtig ist: Wir haben auch noch eine weitere Fehlentwicklung in Niedersachsen. Derzeit tragen nur einige wenige Schulformen die Last der Inklusion in Niedersachsen. Dabei wurde 2011 mit allen gemeinsam beschlossen, dass alle Schulen inklusive Schulen sind. Wir müssen also dafür Sorge tragen, dass künftig auch alle Schulen diesem Anspruch in Niedersachsen gerecht werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie habe es mitbekommen: Wir haben im Bereich der Inklusion viele offene Fragen. Die Menschen brauchen endlich Antworten. Deswegen hoffe ich auf eine konstruktive Beratung unseres Antrags zur Weiterentwicklung der Inklusion. Lassen Sie uns gemeinsam den Menschen im Land zeigen: Wir haben zugehört, wir wissen um die Probleme, und wir packen die Lösung gemeinsam an.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank, Frau Hamburg. - Für die SPDFraktion hat sich jetzt gemeldet der Kollege Philipp Raulfs.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die inklusive Schule gehört zweifelsfrei zu einer der größten Herausforderungen in der Bildungspolitik und beschäftigt dieses Parlament, aber auch große Teile der Gesellschaft seit vielen Jahrzehnten. Es ist festzustellen, dass das Thema Inklusion nicht einfach nur mit der Erhöhung der Haushaltsmittel zu lösen ist. Hier geht es nicht um die Weiterentwicklung einer Technologie. Es geht nicht um 2.0, 3.0 oder 4.0. Es geht dabei um Menschen. Es geht noch mehr um Menschlichkeit. Es geht um Teilhabe. Es geht um Selbstbestimmung. Ja, es geht um ein Menschenrecht. Das alles sollten wir bei dieser wichtigen politischen Debatte am

Ende bei allen Meinungsverschiedenheiten nicht vergessen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Wir sind mit der Einführung der inklusiven Schule an einem Wendepunkt angelangt: weg von Doppelstrukturen, weg von Aufteilung und Beschulung in zwei verschiedenen Systemen hin zu gemeinsamem Lernen und der Entwicklung in einem gemeinsamen System. Wir haben uns gemeinsam - ich sage bewusst: gemeinsam, weil ich glaube, dass alle Fraktionen ihren Teil dazu beitragen sollten - auf den Weg gemacht, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen.

Diese Umsetzung benötigt verschiedenste Ressourcen. Wir brauchen Engagement von allen Beteiligten. Wir brauchen Kraft und Anstrengung. Wir brauchen Leidenschaft. Und ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen auch Zeit. In dem Zusammenhang will ich mit aller Deutlichkeit sagen, dass ich es für richtig halte, sich ehrgeizige Ziele zu stecken und an einem ambitionierten Zeitplan festzuhalten. Trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir bei so einem wichtigen Thema nicht aus Gründen der Ideologie so tun, als sei der einmal gesteckte Zeitplan in Stein gemeißelt und bedürfe nie wieder einer Anpassung.

Wenn Sie, liebe Kollegin Hamburg, von einer Verzögerung, von einer Pause, in der Inklusion sprechen, kann ich Ihnen nur sagen: Das ist schlichtweg falsch.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Da- ran werden wir Sie messen!)

- Sehr gerne.

Der Koalitionsvertrag sieht nämlich an keiner Stelle eine Pause oder ein Ausruhen von uns oder allen Beteiligten vor. Wir hindern übrigens auch niemanden an der Weiterentwicklung oder zwingen irgendjemanden, auf die Bremse zu treten.

Frau Hamburg, Sie schreiben in Ihrem Antrag selbst: Die Umsetzung der Inklusion in der Schule ist ein schwieriger und langwieriger Prozess. Die Rahmenbedingungen müssen ständig überprüft und nachgesteuert werden. - Ich kann Ihnen sagen: Genau diese Nachsteuerung nehmen wir auf Basis des Koalitionsvertrags gemeinsam in der nächsten Zeit vor. Und trotzdem verlieren wir bei diesem wichtigen Thema niemals das Ziel aus den Augen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Bei allen Forderungen muss man sich nämlich auch die Realität, die Praxis, anschauen. Wir müssen uns einfach mal fragen: Schaffen wir es eigentlich, die Qualität so zu entwickeln, wie wir uns das alle wünschen und uns das alle vorgestellt haben? Schaffen wir es, alle Beteiligten mitzunehmen? Und schaffen wir es, genügend Fachkräfte auszubilden?

Sie schreiben weiter in Ihrem Antrag: Die Schule muss bei der Schulentwicklung unterstützt werden, um die Umbruchphase bestmöglich zu gestalten. - Ich kann Ihnen auch dazu sagen: Das wollen wir sehr gerne tun, und das werden wir auch tun.

Aber zur Wahrheit gehört eben auch - das ist bei einigen Tagesordnungspunkten schon angeklungen -, dass es immer noch Schulen gibt, die noch nicht so weit sind, die noch Zeit brauchen. Was nutzt es uns, wenn wir darauf bestehen, die Inklusion umzusetzen, die Schulen aber noch gar nicht die notwendigen Strukturen aufbauen konnten? - Deshalb wird z. B. der Zeitraum für die Förderschule Lernen verlängert.

Es kommt aber auch nicht einfach pauschal und ohne Konzept zu einer Verlängerung bis in das Schuljahr 2028. Es muss ein Konzept vorliegen, wie die Umgestaltung zur inklusiven Schule eigentlich vorgenommen werden soll. Nur so, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir die Inklusion vernünftig gestalten und alle Akteure in ganz Niedersachsen miteinbeziehen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich habe eingangs über Ressourcen gesprochen. Frau Hamburg, auch Sie haben sehr viel über Ressourcen gesprochen. Sie fordern in Ihrem Antrag mehr Fachkräfte, mehr Unterstützung, mehr Ausbau - nur eben nicht mehr Zeit. Deshalb verstehe ich nicht ganz, wie Sie sich das vorstellen. Und es ist aus meiner Sicht auch nur die halbe Wahrheit; denn für mich hängt jede Ressource auch irgendwo mit Zeit zusammen.

Zum Beispiel mehr Fachkräfte: Natürlich wollen wir mehr Fachkräfte. Ich glaube, das sieht jeder hier im Plenum so. Leider wachsen Sonderpädagogen aber nicht auf Bäumen, und so verrückt, wie es ist: Genauso wie Lehrerinnen oder Lehrer, Polizistinnen und Polizisten müssen wir auch diese Fachkräfte ausbilden.

Wir haben uns jedenfalls auf diesen Weg begeben, um Fachkräfte auszubilden, um z. B. multiprofessionelle Teams einzusetzen. Aber auch diese Ressource braucht ein bisschen Zeit. Wenn wir uns diese Zeit nehmen, kann Inklusion flächendeckend im ganzen Land Niedersachsen auch sehr gut gelingen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Neben allen Argumenten, die ich hier vorgetragen habe, gehört zur Wahrheit aber auch, dass der eingeschlagene Weg natürlich ein Fahrplan aus einem Koalitionsvertrag ist. Ich bin zwar neu im Landtag, aber ich finde schon, dass man auf diesen Umstand hinweisen darf und dass dies zu einer ehrlichen politischen Debatte gehört. Natürlich war es so - und das wissen Sie alle sehr genau -, dass die eine Fraktion eine Pause wollte und die andere an ihrem Fahrplan festhalten wollte. Aber schlussendlich haben wir uns auf einen aus meiner Sicht sehr guten Weg verständigt, der die Inklusion weiter vorantreibt, niemanden überfordert und allen Akteuren im ganzen Land die notwendige Beinfreiheit einräumt. Nur durch erneutes Prüfen, Konzipieren und ein zwanghaftes Festhalten an der Inklusion kann jedenfalls keine Inklusion gelingen, die ihrem Ziel gerecht wird.

Um es abschließend noch einmal sehr deutlich zu sagen: Ja, es gibt eine Nachjustierung im Zeitplan. Aber nein, wir machen keine Pause, und wir weichen nicht von unseren Zielen ab. Wir gestalten die Inklusion erfolgreich und nehmen alle Beteiligten mit, so wie es sich für eine gelungene Inklusion gehört.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Raulfs. - Jetzt hat sich für die Fraktion der CDU der Kollege Kai Seefried gemeldet.

(Björn Försterling [FDP]: Macht der doch noch Schulpolitik? - Gegenruf von Dr. Stephan Siemer [CDU]: Der kann alles!)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Beratung dieses Tagesordnungspunktes, aber auch die des vorangegangenen Tagesordnungspunktes hat meines Erachtens sehr deutlich gemacht, dass die SPD und die CDU

mit ihrer gemeinsamen neuen Koalition in Niedersachsen ein großes Ziel haben: Wir wollen die Inklusion in Niedersachsen zum Gelingen bringen.

Wir sehen die Inklusion, gerade auch im Bildungsbereich, als riesige gesellschaftliche Chance an. Es ist eine Chance, wenn in unseren Kindergärten und unseren Schulen Schülerinnen und Schüler mit Behinderung und eben auch ohne Behinderung gemeinsam miteinander aufwachsen, und wenn es normal ist, verschieden zu sein, und dieses auch von Beginn an gemeinsam erlebt wird. Die Inklusion ist insgesamt eine Riesenchance.

Ich will noch einmal deutlich unterstreichen: Wir sehen diese Chance und wir wollen als neue Koalition in Niedersachsen, dass diese Inklusion in unserem Land ein Erfolg wird.