Protocol of the Session on May 16, 2018

Dazu kommt auch noch, dass die Eltern mindestens zwölf Monate in Niedersachsen gewohnt haben müssen.

Wieso diese Einschränkungen? Haben Sie Angst davor, dass bei Einführung eines Landeserziehungsgeldes Niedersachsen von Zuwanderern überschwemmt wird?

Bei der Einbringungsrede zu diesem Antrag wurde deutlich, welches rückwärtsgewandte Welt- und Familienbild die Antragsteller haben. Sie zitieren in einigen Punkten unseren Koalitionsvertrag, in dem wir hervorheben, wie wichtig die ersten Lebensjahre für die Entwicklung der Kinder sind - in dieser Zeit werden die Grundlagen für die Bildungschancen gelegt - und dass die niedersächsischen Kindertagesstätten dazu einen eigenen Bildungs- und Erziehungsauftrag haben. Ein Schwerpunkt für uns ist der Zugang zu Bildung für alle Kinder.

In Ihrem veralteten Familienbild behaupten Sie - ich zitiere hier -:

„Es ist wissenschaftlich belegt, dass gerade in den ersten drei Lebensjahren die körperliche und seelische Nähe zur Mutter viel entscheidender ist als alle frühkindlichen Bildungsexperimente am lebenden Objekt.“

Selbstverständlich ist eine gute und sichere emotionale Bindung zu den Eltern - und nicht nur zur Mutter - entscheidend für eine positive Entwicklung der Kinder. Aber muss dafür ein Elternteil den ganzen Tag zu Hause bleiben und rund um die Uhr das Kind betreuen? Sollen Familien dafür finanziell belohnt werden, dass ein Elternteil zu Hause betreut? Sind die Familien, in denen beide Elternteile arbeiten, oder arbeitende Alleinerziehende etwa die schlechteren Eltern?

Zum Glück sind die Zeiten, in denen Mütter als Rabenmütter bezeichnet wurden, wenn sie ihre Kinder in einer Kita betreuen ließen, lange vorbei.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Denn eines zeigen uns die Zahlen der betreuten Kinder ganz deutlich an: Sie wachsen kontinuierlich. Kontinuierlich kommen mehr Kinder, auch im Alter von ein bis drei Jahren, in eine Betreuungseinrichtung. - Wenn wir uns im Vergleich mit dem europäischen Ausland oder auch den östlichen Bundesländern sehen, dann ist unsere Quote noch ziemlich niedrig. Nehmen Sie z. B. Italien - und ich glaube nicht, dass Italiener schlechtere Eltern sind als Deutsche.

Bei uns werden zurzeit gerade einmal 30 % der unter Dreijährigen in Kindertagesstätten betreut. Wir werden dafür sorgen, dass der Anteil in dieser Legislaturperiode und auch in Zukunft weiter steigen wird. Damit schaffen wir in Niedersachsen eine echte Wahlfreiheit, die es insbesondere den Frauen ermöglicht, sich nicht mehr zwischen Kindern und Karriere entscheiden zu müssen.

Auf einen Punkt, der mich bei der Einbringung durch den Antragsteller besonders verärgert hat, möchte ich hier noch kurz eingehen. Sie sprachen von - ich hatte es bereits zitiert - „frühkindlichen Bildungsexperimenten am lebenden Objekt“. Das ist eine unglaubliche Behauptung und eine Ohrfeige für die Erzieherinnen und Erzieher, die täglich in den Kindertagesstätten eine hochqualifizierte Arbeit leisten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Was für eine Vorstellung haben Sie von den Kindertagesstätten bei uns? Dort bekommen gerade auch die Kinder, die zu Hause nicht die Förderung und Unterstützung erhalten, die sie benötigen, oder deren Eltern sie ihnen nicht geben können, die Bildungschancen, die sie wirklich verdienen.

Gerade für finanzschwache Familien ist ein Landeserziehungsgeld ein Anreiz, ihre Kinder nicht in eine Kita zu geben, sondern zu Hause zu betreuen. Aber leider ist es auch heute noch so, dass besonders sozial und finanziell benachteiligte Kinder häufiger Sprach- und Entwicklungsdefizite haben. Ein langjähriger Besuch einer Kindertagesstätte hilft gerade diesen Kindern, Defizite auszugleichen und Ihnen die Bildungschancen zu geben, die sie verdient haben.

Wir werden die zur Verfügung stehenden Mittel auf jeden Fall nicht dazu verwenden, um sie in ein veraltetes und überholtes Belohnungssystem zu stecken, das Ihren verkrusteten Vorstellungen von Familie entspricht. Wir werden weiterhin für einen qualitativen und quantitativen Ausbau der frühkindlichen Betreuung sorgen.

(Beifall bei der SPD)

Konfuzius soll einmal gesagt haben: „Gib einem Mann einen Fisch, und du ernährst ihn für einen Tag. Lehre einen Mann, zu fischen, und du ernährst ihn für sein Leben.“ - Wir wollen die finanziellen Mittel nicht für eine kurzfristig wirkende finanzielle Belohnung der Eltern verwenden, sondern wir setzen uns durch den Ausbau der frühkindlichen Bildung nachhaltig für mehr Chancengerechtigkeit und gute Bildung ein.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort hat nun Frau Ministerin Reimann. Bitte sehr!

(Uwe Santjer [SPD] stolpert auf der Treppe)

Herr Präsident! Sehr geehrte - hoffentlich alle unversehrte - Abgeordnete!

(Heiterkeit)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben im April-Plenum bereits intensiv über diesen Antrag diskutiert. Dabei habe ich Ihnen meine Auffassung erläutert, dass ein Landeserziehungsgeld der Gleichstellung schadet, frühkindlicher Bildung in der Krippe entgegensteht und eben keine Wahlfreiheit schafft, sondern dass echte Wahlfreiheit erst durch Krippenausbau geschaffen wird.

In der damaligen Diskussion hat die AfD-Fraktion den Vorwurf erhoben, der Koalitionsvertrag lese sich in dieser Hinsicht wie eine - ich zitiere - „Propagandaschrift linksgrüner Bildungsideologen“. Ich finde es einen politisch spannenden Ansatz, eigene Ideologie mit dem Vorwurf der Ideologie zu begründen. Denn nichts anderes ist dieser Entschließungsantrag: Er ist Ideologie.

(Beifall bei der SPD)

Die AfD bevorzugt die Kindererziehung zu Hause und will das hier beschließen lassen. Dann soll sie es aber auch so nennen und es nicht als „Wahlfreiheit“ verpacken!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung steht für Wahlfreiheit. Wir wollen es den Eltern selbst überlassen, welche Betreuungsform sie für ihr Kind wünschen. Beruf und Familie möglichst früh miteinander in Einklang zu bringen, ist aber eben der Wunsch sehr vieler junger Frauen und eben auch vieler junger Männer. Und auf diesen Bedarf und auf diese Wünsche der Familien reagieren wir.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Eine wichtige politische Weichenstellung - das hatte ich beim letzten Mal schon erwähnt - war hier die Einführung des Elterngeldes und das Elterngeld Plus. Damit sind ausgezeichnete Anreize zur partnerschaftlichen Kinderbetreuung und gerade auch zu einem frühen Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit gesetzt worden. Das belegt im Übrigen auch der jüngste Bericht über die Auswirkungen der Regelungen zum Elterngeld Plus und zum Partnerschaftsbonus sowie zur Elternzeit. Wir können also sagen: Das Elterngeld ist ein voller Erfolg.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will die restliche Redezeit nutzen, um einen fachlichen Fehler in dem AfD-Antrag aufzuzeigen. Mit dem vorliegenden Antrag wird ein Verstoß gegen den

Gleichheitsgrundsatz behauptet - der aber nicht besteht. Wie ich bereits gesagt habe, haben wir den Familien erst durch den flächendeckenden Ausbau von Kindertagesstätten eine echte Wahlmöglichkeit eröffnet. Und das Angebot öffentlich geförderter Kinderbetreuung steht allen Eltern offen. Es steht ihnen frei, für ihre Kinder einen KitaPlatz zu nutzen oder eben nicht.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Betreuungsgeld vom 21. Juli 2015 setzt sich auch mit dem Gleichheitsgrundsatz auseinander. Und da wird eindeutig festgestellt:

„Auch der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet weder dem Bundes- noch dem Landesgesetzgeber, ein Betreuungsgeld zu gewähren, um eine vermeintliche Benachteiligung gegenüber jenen Eltern zu vermeiden, die einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz in Anspruch nehmen.“

Anders als in dem vorliegenden Antrag der AfD behauptet, löst der freiwillige Verzicht auf einen Kita-Platz gerade keine verfassungsrechtliche Kompensationspflicht aus. Der behauptete Verstoß gegen Artikel 3 ist also schlichtweg rechtlich falsch.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gucken wir einmal in die anderen Bundesländer! Von unseren 16 Bundesländern gewähren allein Bayern und Sachsen ein Erziehungsgeld oder eine vergleichbare Leistung. Bemerkenswert ist dabei, dass die Inanspruchnahme dieser Leistung, wie es technisch so schön heißt, zum Teil signifikant gesunken ist. In Sachsen haben sich die Anträge von knapp 40 % der potenziell Berechtigten bereits mehr als halbiert. Gerade einmal 13 % betrug die Quote im vergangenen Jahr. Von einem durchschlagenden Erfolg kann hier also überhaupt keine Rede sein.

Die Landesregierung, meine sehr geehrten Damen und Herren, steht für eine moderne, pragmatische und an den Bedürfnissen und Wünschen der Familien und jungen Eltern orientierte und eben nicht ideologische Politik mit jeglicher Wahlfreiheit. In diesem Sinne lehne ich Ihre Forderung nach einem Landeserziehungsgeld ab.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin Reimann. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Beratung ist beendet.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und damit den Antrag der Fraktion der AfD in der Drucksache 18/637 ablehnen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann wurde der Beschlussempfehlung gefolgt. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend. Wir sehen uns morgen früh um 9 Uhr.

Schluss der Sitzung: 19.04 Uhr.