Protocol of the Session on October 27, 2017

(Beifall)

Rede Stephan Weil Niedersächsischer Ministerpräsident

Ministerpräsident Stephan Weil: Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Liebe Frau Büdenbender! Herr Landtagspräsident! Herr Präsident des Staatsgerichtshofs! Frau Präsidentin Kiviet! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ebenso wie Sie alle bin ich voller Neugierde zu diesem Festakt gekommen. Ich war gespannt darauf, wie dieser Plenarsaal wohl wirken werde, wenn er zum ersten Mal voller Menschen ist, wenn hier zum ersten Mal etwas passiert. Jetzt stehe ich, wenn ich es recht sehe, als Erster an diesem Rednerpult, an dem sicherlich noch Hunderte, vielleicht Tausende in den nächsten Jahren und hoffentlich Jahrzehnten folgen werden, und ich kann Ihnen sagen: Es fühlt sich ausgesprochen gut an!

Wie wir alle wissen, ist dieser Eröffnung eine jahrzehntelange Diskussion vorangegangen. Und im Nachhinein mögen wir uns fragen: Warum eigentlich? Jedenfalls ist das Ergebnis in meinen Augen absolut überzeugend. Unser neuer Plenarsaal ist hell und klar, er ist modern, und er verbreitet zugleich eine freundliche Atmosphäre. So wie Niedersachsen eben ist, könnte man sagen. Und dazu passt auch die Feststellung, dass unser Plenarsaal im Vergleich mit manchen seiner Kollegen, wie ich finde, bemerkenswert kostengünstig gewesen ist.

Mein herzlicher Glückwunsch gilt dafür dem Bauherrn, unserem Landtagspräsidenten Bernd Busemann und seinem ganzen Team, dem Baumanagement, unserem Finanzminister Peter-Jürgen Schneider und seinem ganzen Team und allen sonstigen Beteiligten, die sich in dieser Hinsicht verdient gemacht haben. Nehmen Sie das beeindruckende Ergebnis dieser Premiere als ein großes Kompliment an alle, die daran beteiligt gewesen sind.

(Beifall)

Ich sagte, unser neuer Plenarsaal passt zu Niedersachsen. Auch der Zeitpunkt der Eröffnung unterstreicht die Stimmung, die wir derzeit, denke ich, überwiegend in unserem Land verzeichnen können. Wenn wir die Landesentwicklung einmal vergleichen mit der Situation vor, sagen wir, zehn oder 20 Jahren, dann sind große Fortschritte unübersehbar. Im Ländervergleich hat Niedersachsen in vielerlei Hinsicht Plätze gutgemacht. Das reicht von dem Arbeitsmarkt über die frühkindliche Förde

rung bis zur Vorrangstellung bei den erneuerbaren Energien oder einem ausgeglichenen Haushalt.

Das ist eine sehr gute Ausgangslage für die Zukunft. Wenn wir es richtig anstellen, dann hat unser Land seine besten Jahre erst noch vor sich. Ob wir es richtig machen, das wird sich zu einem guten Teil auch in diesem Raum entscheiden, in dem die Weichenstellungen vorzunehmen sind, die anschließend das Leben von Millionen Menschen in unserem Land beeinflussen werden.

Es kommt aber noch etwas anderes hinzu. Die gute Bilanz unserer Landesentwicklung ist auch das beste Zeugnis, das wir unserer politischen Ordnung ausstellen können. Die parlamentarische Demokratie hat sich in Niedersachsen in den vergangenen mehr als 70 Jahren in herausragender Weise bewährt. Kein anderes Gebäude in Niedersachsen steht dafür so sehr als Symbol wie der Niedersächsische Landtag und sein Plenarsaal.

(Beifall)

Die Meriten der Vergangenheit sind aber keine Garantie für eine gute Zukunft. Wie wir alle wissen, steht die parlamentarische Demokratie in Deutschland und in Europa durchaus unter Druck. Nationalismen und Spaltungstendenzen haben Konjunktur, und eine nicht unproblematische Distanz zwischen Regierenden und Regierten ist vielerorts festzustellen.

Zu den schönsten Ergebnissen unserer Landtagswahl in Niedersachsen vor wenigen Tagen zählte für mich, dass die Wahlbeteiligung erneut kräftig gestiegen ist und dass zugleich die Parteien vom rechten und linken Rand weit unterdurchschnittlich abgeschnitten haben. Die demokratische Substanz in Niedersachsen ist stark und vital, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen.

(Beifall)

Insoweit können wir uns mit einem gesunden Selbstbewusstsein an die parlamentarische Arbeit machen und sind zugleich gut beraten, problembewusst zu bleiben. Der Landtag als das Haus der Demokratie in unserem Land steht unter besonderer Beobachtung. Von hier aus können wir miteinander Werbung machen für unsere politische Ordnung. Wir können aber auch das Gegenteil bewirken. Wir haben doch durchaus miteinander in früheren Jahren die Erfahrung gemacht, dass manche interessierte Besuchergruppe am Ende kopfschüttelnd unsere Sitzungen verlassen hat.

Der neue Plenarsaal bietet nicht nur räumlich die Chancen für einen neuen Start. Wenn es gelingt, die klare und freundliche Atmosphäre dieses Raumes auch zum Maßstab für die Debattenkultur zu machen, dann ist viel gewonnen.

(Beifall)

Die Landesregierung, in welcher Konstellation auch immer, wird dazu ihren Beitrag leisten.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, unser neuer Sitzungsraum ist hell und klar, er ist modern, und er ist freundlich. Er passt bestens zu Niedersachsen, und ich freue mich auf den Beginn unserer parlamentarischen Arbeit in diesem Raum.

Ich wünsche Ihnen, uns allen und der Demokratie in Niedersachsen, dass in diesem neuen Plenarsaal gute inhaltliche Debatten geführt werden - gerne auch leidenschaftlich und engagiert, aber immer fair und vor allem den Menschen in unserem Land verpflichtet.

(Beifall)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident Weil. - Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass - wahrscheinlich von einer Auslandsreise kommend - unser früherer Ministerpräsident und Bundespräsident a. D. Christian Wulff noch zu uns gestoßen ist. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Jetzt, Herr Bundespräsident, darf ich um Ihre Festrede bitten. Bitte sehr!

(Beifall)

Festrede Frank-Walter Steinmeier Bundespräsident

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Verehrter Herr Landtagspräsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Herr Ministerpräsident! Herr Bundespräsident! Verehrte Gäste aus dem Inland und Ausland! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Es ist schön, zurück zu sein, an dem Ort, an dem ich mit vielen von Ihnen manche Jahre gemeinsam gearbeitet habe, gelegentlich gestritten, vor allem aber einiges gemeinsam auf den Weg bringen durfte. Und ich freue mich riesig, lieber Herr Busemann, über die Einladung, dabei zu sein, an diesem besonderen Tag, und zu sehen, dass dieses Haus erhalten geblieben ist, dass es sich gewandelt, aber dennoch sein Gesicht bewahrt hat. Ich darf das sagen, denn der Niedersächsische Landtag ist ein Teil auch meiner Biografie, ein Abschnitt meines Lebens, an den ich mich gern erinnere und der mir wichtig bleibt.

Als Hanns Lilje, der damalige Landesbischof von Hannover, 1952 die wiederaufgebaute Marktkirche einweihte, sagte er, die gewaltige Schönheit des Baus sei erst jetzt wirklich sichtbar geworden. Er sprach über die Arbeit desselben Architekten, der auch den ursprünglichen Bau dieses Hauses verantwortet hat, über Dieter Oesterlen. Ich glaube, es lohnt sich, nicht nur an diesem Tag, an ihn zu erinnern. Nicht allein, weil er für diesen Anbau verantwortlich war, sondern weil Oesterlens Leben und sein Wirken in dieser Stadt das Gesicht Hannovers entscheidend geprägt hat.

Die Hannoveraner wissen das. Sie wissen, er hat die Marktkirche wiederaufgebaut. Sie wissen, das Historische Museum, der Landtag, das Rundfunkgebäude des NDR und, nicht zu vergessen, das alte Café Kröpcke sind seine Bauten. Und sie wollen sich ihren Oesterlen nicht nehmen lassen.

Ich kann sie verstehen.

Oesterlens Wirken in dieser Stadt und über sie hinaus ist ein Teil bundesdeutscher Geschichte. 1911 geboren, gehörte er zu einer Generation von Architekten, die geprägt war von den politischen und biografischen Brüchen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In Hannover stand 1945 kaum ein Stein auf dem anderen. Die historischen Gebäude der Stadt waren bis auf die Grundmauern zerstört.

Oesterlen wollte die kriegsversehrte Stadt erhalten, er wollte den Wiederaufbau, aber nicht die bauhistorisch korrekte Rekonstruktion. Was erhalten geblieben war, sollte in die Gegenwart und in die Zukunft hinein erweitert, der historische Bau in einen zeitgemäßen Raum überführt werden.

„Das zerstörte Erbe kann nur für neue Aufgaben in neuer Form entstehen“, heißt es 1947 in einem Aufruf von Architekten und Bildhauern. Zwischen Tradition und Neuanfang klaffte der Abgrund des Zivilisationsbruchs. Wer neu beginnen wollte, musste buchstäblich die Trümmer abtragen, die eine Herrschaft der Gewalt und des Größenwahns hinterlassen hatte.

Dieser Aufbruch in die demokratische Moderne der Bundesrepublik war nicht nur eine ästhetische Wahl, er war zugleich eine eminent politische Entscheidung. Ich erinnere mich noch gut an meine eigene Schulzeit: Hannover - so stand es schon in meinen Seydlitz-Erdkundebüchern zu lesen - war die Musterstadt der Nachkriegsmoderne: breite Straßen, funktionale Verkehrsachsen, ausreichender Wohnraum. Dieter Oesterlen hatte seinen Anteil an diesem Ruf. Vor allem aber trug er dazu bei, dass etwas Gutes und Dauerhaftes entstand aus diesem Neuaufbruch von Kultur, Religion und Politik nach 1945.

„Wie unsere Städte, so musste auch die Demokratie neu aufgebaut werden“, sagte der damalige Landtagspräsident Karl Olfers bei der Einweihung des Landtags 1962.

Keine leichte Aufgabe in einem Landstrich, der wirtschaftlich, politisch, kulturell und religiös so unterschiedlich geprägt war wie das neue Bundesland Niedersachsen. Hier mussten sich Hannoveraner, Oldenburger, Braunschweiger, Schaumburger und, nicht zu vergessen, die Friesen erst zusammenraufen.

Wer Niedersachsen regieren will, muss sie alle kennen. Er muss viel herumreisen und stetigen Interessenausgleich sozusagen als Sportart begreifen. Er wird sie alle schätzen und das Land lieben lernen, denn es lebt von seiner geografischen Vielfalt, seinen regionalen Eigenarten, unterschiedlichen sozialen und kulturellen Milieus. Niedersächsisches gibt es nur im „pluralis regionalis“. Selbst der Grünkohl heißt in Braunschweig Braunkohl und der Oldenburger Pinkel ist in Hannover die Bregenwurst.

Diese regionale Vielfalt, die Eigenarten und Eigenartigkeiten der Hannoveraner, Oldenburger, Braunschweiger, Schaumburger und Ostfriesen in einem Land Niedersachsen vereinigt zu haben, ist eine Erfolgsgeschichte von vielen in unserem föderalen Staat. Das Land Niedersachsen zentralistisch zu führen, war so wenig denkbar wie ein Zentralstaat anstelle der Bundesrepublik Deutschland. Vorbehalte gegen eine hannoversch-welfische oder preußische Vereinnahmung haben die niedersächsische Politik noch lange bestimmt. Manche werden sich daran erinnern: Erst 1975 stimmten Oldenburger und Schaumburg-Lipper abschließend über die Wiederherstellung eigener Länder ab - was auch nichts änderte. Es blieb beim gemeinsamen Bundesland Niedersachsen.

Mir scheint, die föderative Verfasstheit dieser Bundesrepublik hat die deutsche Lebenswirklichkeit gespiegelt und sie zugleich in Jahrzehnten geprägt. Ja, vielleicht war der mühsame Interessenausgleich, zu dem sie zwingt, die einzig mögliche Art, Demokratie zu erlernen. Jedenfalls ist es den Niedersachsen gelungen, den Grünkohl zu lieben, aber auf Bregenwurst zu bestehen. Und im Boßeln sollen sich inzwischen sogar Hannoveraner üben.

Das muss so sein. Ein föderal verfasster Staat lebt von selbstwussten politischen Akteuren. Dass deren Abstimmung untereinander langwierig und kompliziert sein kann, wissen wir. Sie fordert Flexibilität, Kompromiss-, Lernfähigkeit - und manchmal auch Leidensfähigkeit. Aber Vermittlung, Verständigung und Ausgleich sind die Mittel eines modernen Staates. Der Rückzug auf das Eigene, gar das Beharren auf quasi natürlicher Überlegenheit der eigenen Region sollten der Vergangenheit angehören.

Es war dieser demokratische Lernprozess, der unser Land stark gemacht hat. Denn das vielleicht mühevolle, am Ende aber konstruktive Miteinander ist eine Stärke. Eine Stärke, die nicht gefürchtet, sondern geschätzt wird.

Die Demokratie in unserem Land hat sich über die Jahrzehnte als widerstandsfähig erwiesen, widerstandsfähiger noch als manche Parlamentsbauten, die für sie gebaut wurden. Den jüngsten Beleg dafür finden wir genau hier, im Niedersächsischen Landtag.

Die vergangene Landtagswahl hat gezeigt: Die Niedersachsen haben noch zahlreicher als sonst von ihrem Recht Gebrauch gemacht, ihre Vertreter in diesem Parlament zu bestimmen - und das, obwohl sie zwei Mal kurz hintereinander an die Wahlurne gerufen wurden. Mehr noch, die Wählerinnen und Wähler haben mit ihrem Votum ganz offenbar die politische Mitte stärken wollen. Und ich gehe davon aus, mit dieser Entscheidung ist die Erwartung verbunden, dass in diesem Landtag auch künftig Dialog und Verständigung gesucht werden und eben nicht das politische Spektakel.

Unsere Parlamente sind Orte politischer Kultur. Diese politische Kultur aber ist kein einmal erworbener Verdienst, sie will gepflegt werden, von Ihnen, den Abgeordneten. Mit Respekt und Kompromissfähigkeit. Im Streit, ja, auch in der Kontroverse, aber nicht durch politische Feindschaften und gegenseitige Verachtung. Demokratie braucht Konkurrenz, Konkurrenz um Ideen, Konzepte und das bessere Argument. Aber sie verträgt keine Sprache der Gewalt und der Feindseligkeit, keine Leugnung der Vergangenheit und der Verantwortung, die wir aus ihr tragen.

(Beifall)

„Weniger königlich, weniger repräsentierend, weniger distanzierend als früher das Schloss“ - so beschrieb Dieter Oesterlen 1962 seinen Neubau des Plenarsaals. „Stattdessen: tätig. Lebendig, demokratisch und zugleich von einer gewissen, der Aufgabe entsprechenden Monumentalität.“ Die Demokratie als Bauherr schafft sich ein tätiges, ein Arbeitsparlament. Nichts anderes ist die repräsentative Demokratie.

Und nichts anderes erwarten die Wähler von ihrem neuen Landtag: Dass er leistet, was eine repräsentative Demokratie zu leisten imstande ist - die vordringlichen Aufgaben dieses Landes zu erkennen, Probleme zu lösen, zu arbeiten, für die eigene und für kommende Generationen. Unsere globalisierte Gesellschaft hat noch keine bessere Herrschaftsform ersonnen und das ist auch nicht zu erwarten. Wer komple

xe Fragen beantworten will, braucht keine Trillerpfeifen, sondern die Fähigkeit zur scharfen Auseinandersetzung, zum Dialog und zum Konsens.

Mir scheint, dieser Saal wird den Raum dafür bieten. Der Umbau, den ich schon in der Bauphase einmal sehen durfte, ist dieser Aufgabe, wie ich finde, höchst gerecht geworden. Funktional, wie sein Vorgänger, aber heller und freundlicher die Atmosphäre im Inneren, mit mehr Platz für Besucher, die von der Möglichkeit, das Parlament bei der Arbeit zu sehen, hoffentlich auch Gebrauch machen. Dafür will ich ausdrücklich auch die am Projekt beteiligten Fachplaner loben, die mit der Umsetzung der Sanierung beauftragt waren. Der Niedersächsische Landtag - in der alten wie in der neuen Zusammensetzung - kann zufrieden sein mit dem Resultat. Ich gratuliere Ihnen allen zur Wiedereröffnung.