Protocol of the Session on September 20, 2017

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Matthiesen. - Auf die Rede von Herrn Dr. Matthiesen folgt jetzt eine Kurzintervention des Kollegen Uwe Schwarz. Sie haben 90 Sekunden Zeit.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Max Matthiesen, ich will nur daran erinnern: Der Gesetzentwurf ist im Januar dieses Jahres eingebracht worden. Am 30. März hatten wir die sehr intensive mündliche Anhörung. Das heißt, für dieses Gesetzgebungsverfahren war ausreichend Zeit vorhanden. Dass es zum Schluss eng geworden ist, lag nun weder an der Landesregierung noch an den Mehrheitsfraktionen.

Wir haben uns dann auf drei Kernbereiche konzentriert: Seveso III, Barrierefreiheit und mobile Hühnerställe. Das war zwischen uns einvernehmlich.

Dann sind wir in die Sitzung am 24. August gegangen. Da haben Sie uns erklärt, das mit der Barrierefreiheit geht nicht mehr, weil die Wohnungswirtschaft da Stimmung macht.

(Johanne Modder [SPD]: Aha!)

Daraufhin habe ich Ihnen gesagt: Dann lassen Sie uns einen letzten Kompromiss machen. Wir nehmen den Bereich der barrierefreien Wohnungen heraus. - Obwohl es völlig irre ist, wenn man sich heute in der Wohnungswirtschaft gegen barrierefreies Bauen sperrt. Das ist nämlich zwischenzeitlich ein massiver Wettbewerbsnachteil. Aber ich habe gesagt: Dann lassen Sie uns das rausnehmen. Aber wir wollen auf keinen Fall darauf verzichten, dass in öffentlichen Gebäuden, nämlich in Büros, Verwaltungs- und Gerichtsgebäuden, zwingend barrierefrei gebaut werden muss. - Es kann doch wohl nicht wahr sein: Wir haben gemeinsam den Antrag „Barrierefreier Landtag“ beschlossen - der neue Landtag wird Gott sei Dank auch barrierefrei realisiert -, aber bei dem ersten Sperrfeuer - ich nehme den Begriff einmal auf - der Wohnungswirtschaft brechen Sie ein und sagen: Mit uns keine Barrierefreiheit.

Kollege Schwarz, das war’s.

Genau das, meine Damen und Herren, haben wir abgelehnt, und deshalb gibt es heute die Änderungsanträge.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von Christian Dürr [FDP])

Herr Dr. Matthiesen möchte erwidern. Er hat auch 90 Sekunden.

Sehr geehrter Herr Kollege Schwarz, wir haben uns auf eine Beratungstrias verständigt. Das ist ja auch der Grund gewesen, weshalb die Vorlage 33 auf den Markt gekommen ist. Das Ganze stand im Verlauf der Beratungen unter dem Vorbehalt dessen, was die Anhörung ergeben würde und was sich zwischendurch entwickelt hat. Das habe ich gerade vorgetragen.

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta übernimmt den Vorsitz)

Und jetzt kommt von Rot-Grün der Antrag „Barrierefreies Wohnen“. Das hatten Sie ja nicht fallen gelassen, sondern natürlich aufrechterhalten.

Im Übrigen verweise ich auf das, was ich gerade gesagt habe.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP - Zurufe von der CDU: Genau richtig! Sehr gut!)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Kollege Schremmer.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Matthiesen, im Grunde ist es doch ganz einfach: Sie haben schon heute die Wahl. Rot-Grün entscheidet sich heute für die Verpflichtung aus der UN-Behindertenrechtskonvention, Barrieren zugunsten von Menschen mit Behinderungen, von Seniorinnen und Senioren, von Pflegebedürftigen und von Familien mit Kindern abzubauen. Wenn Sie gegen unseren Antrag entscheiden, dann bleiben Sie dabei, dass das Herstellen von Barrierefreiheit Privatangelegenheit ist. Dann bleibt - völlig klar - Inklusion bei der CDU ein Lippenbekenntnis.

(Björn Thümler [CDU]: Unsinn!)

Es geht mitnichten um irgendwelchen Druck, den die Landesregierung bekommen hat, sondern es geht um den Druck, den Sie bekommen haben, Herr Dr. Matthiesen. Das haben Sie im Sozialausschuss eindeutig eingeräumt. Das ist eine Verbeugung vor der Immobilienwirtschaft.

(Björn Thümler [CDU]: Und der Mieterbund, Herr Schremmer!)

Damit leisten Sie den Menschen mit Behinderungen, die übrigens draußen stehen, einen Bärendienst. Sie bitten sie nicht herein, sondern Sie lassen sie vor der Treppe stehen. Das ist alles, was ich dazu sagen kann.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Johanne Modder [SPD])

In Deutschland gibt es ungefähr 800 000 barrierefreie Wohnungen. Gebraucht werden 3 Millionen, und zwar nicht nur für Menschen mit Behinderungen, sondern auch für Pflegebedürftige, die nämlich aus ihrem vertrauten Umfeld heraus müssen, weil ihre Wohnungen nicht barrierefrei sind. Und dann fragen Sie einmal die Familien mit Kindern, was die sagen, wenn überall im Haus Hürden zu überwinden sind, oder ob es denen egal ist.

Aber man kann die Frage auch umdrehen: Was spricht eigentlich dafür, Wohnungen mit Barrieren zu bauen? - Das ist doch völlig gaga, wenn ich das mal so sagen darf.

Und erst recht gilt das für öffentliche Gebäude, für Hotels und für Gaststätten. Welchen Sinn macht es, Gebäude nur teilweise für alle Menschen erreichbar zu gestalten? Sie meinen: Für Kunden vielleicht, für andere Besucher und Lieferanten möglicherweise, für Beschäftigte sowieso nicht. - Das ist doch schlicht mittelalterlich. Sie leisten genau diesen Menschen einen Bärendienst.

(Christian Dürr [FDP]: Ihr habt fünf Jahre gepennt!)

Ein zweiter Punkt, und der ist entscheidend: Wir erleben aktuell einen Bauboom Wenn wir nicht jetzt für Neubauten die Konsequenzen ziehen, dann wird das hinterher viel teurer. Das sagen Ihnen alle.

Ihr einziges Argument, Kollege Matthiesen, nämlich die Kostenfrage, ist im Übrigen auch noch falsch. Der Beleg dafür ist erbracht worden. Ich habe Ihnen einmal eine Studie des Deutschen Städte- und Gemeindebundes vom April dieses Jahres mitgebracht. Der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg - den kennen Sie wahrscheinlich -, hat dazu gesagt - ich zitiere -: Die vorliegende Studie belegt, dass barrierefreies Bauen keine Frage der Kosten ist.

Die Studie belegt ganz eindeutig, dass Barrierefreiheit nur gut 1 % der Gesamtkosten ausmacht. 1 %!

(Widerspruch von Gabriela König [FDP])

- Ich gebe Ihnen das gern Frau König. Sie haben das wahrscheinlich nicht gelesen, weil es Sie nicht interessiert.

(Zuruf von der CDU: Frechheit! - Wei- tere Zurufe von der CDU - Glocke der Präsidentin)

Für eine 75 m² große Wohnung wären das Mehrkosten in Höhe von 21,50 Euro/m², Fenster, Türen, Balkone, Aufzüge nach DIN, Barrierefreiheit inklusive. Das können Sie alles nachlesen. Damit ist das einzige Argument, das Sie haben, entkräftet. Auf Dauer heißt das ganz einfach: Die CDU ist von gestern. Barrierefreies Bauen liefert für Nutzerinnen und Nutzer und für Investorinnen und Investoren nur Vorteile.

Wir haben heute einen Änderungsantrag vorgelegt, der nichts anderes sagt, als das, was wir in mehreren Sozialausschusssitzungen gemeinsam besprochen haben, was seit Jahren in der Musterbauordnung steht, was überall Standard ist. Aber Sie wollen das nicht. Das können Sie draußen nicht erklären, das können Sie hier drin nicht erklären. In der nächsten Legislaturperiode werden Sie jedenfalls keine Gelegenheit haben, das noch einmal abzulehnen, weil wir das mit Mehrheit verabschieden.

(Zuruf von der CDU: Na, na, na!)

Damit leisten Sie den letzten Beweis, dass Inklusion bei Ihnen weder im Schulbereich noch in diesem Bereich eine Rolle spielt.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Schremmer. - Es gibt eine Kurzintervention auf Sie. Herr Kollege Hilbers, bitte!

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Der neue Frauenminister!)

- Ich darf um Ruhe im Plenarsaal bitten. - Herr Hilbers, einen Moment, bitte! Es ist immer noch zu laut. - Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schremmer, wir sind uns doch im Ziel alle einig, dass es mehr barrierefreie Wohnungen geben soll, weil wir diese auch in Zukunft benötigen.

(Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Dann können Sie ja zustimmen!)

Darum geht es doch überhaupt nicht. Die Frage ist nur, wie ich das erreiche.

(Zurufe von der SPD)

Einen Moment, bitte! Ihre Redezeit wird angehalten. - Wir fahren erst fort, wenn Ruhe eingekehrt ist. Das gilt für alle.

(Anja Piel [GRÜNE]: Herr Hilbers, wird es davon jetzt besser oder eher schlechter? Wie schätzen Sie das ein? Ich glaube, eher schlechter!)

- Wenn es nicht möglich ist, die Beratung in Ruhe fortzusetzen, werden wir die Sitzung unterbrechen. - Bitte!

Danke schön, Frau Präsidentin.

Herr Schremmer, es geht darum, wie wir das erreichen. Und gegen das, was Sie jetzt vorgelegt haben, läuft die Wohnungswirtschaft Sturm, dagegen läuft der Mieterbund Sturm, dagegen laufen andere Verbände Sturm. Wenn Sie eine Regelung implementieren, die am Ende dazu führt, dass insgesamt weniger Wohnungen gebaut werden, leisten Sie Ihrem Anliegen einen Bärendienst. Wir werden nur dann erfolgreich sein, wenn der Markt das auch abbildet und entsprechend Wohnungen gebaut werden. Und das muss erreicht werden, meine Damen und Herren.