Protocol of the Session on June 13, 2017

Ansonsten, Herr Oetjen, Herr Fredermann: Was Sie hier an Nebelkerzen geworfen haben, das war wirklich in höchstem Maße beeindruckend. Ich weiß gar nicht, wie man so viel hier hineinschleppen kann. Ich wundere mich, dass ich Sie schon wieder sehen kann. Aber vielleicht stellen wir jetzt doch zu Beginn eines - wie ich finde - wichtigen Themas ein paar sachliche Aspekte wieder in den Vordergrund.

Ich will einmal feststellen, dass wir alle unsere tiefe Betroffenheit äußern, wenn wir Anlässe zur Kenntnis nehmen müssen, bei denen Menschen plötzlich und unter oftmals schrecklichen Umständen aus dem Leben gerissen werden, völlig gleichgültig, was da als Ursache im Hintergrund gestanden hat, ob es sich um Unfälle, um Katastrophenereignisse oder um kriminelle Handlungen gehandelt hat.

Ich glaube, entscheidend ist für die Opfer und allemal für deren Angehörige, was dort an Leid aufgehäuft wird. Wir alle, meine Damen und Herren, müssen das zum Anlass nehmen, uns sehr ernsthaft Gedanken darüber zu machen, wie wir die Ursachen und Anlässe für solche schrecklichen Ereignisse, die das Leben von Menschen dauerhaft beeinträchtigen, von Angehörigen dauerhaft

beeinträchtigen, minimieren und wie wir die Folgen solcher Ereignisse möglichst gering halten.

Ich finde, mit Ihren Beiträgen - mit Ihrem Beitrag, Herr Oetjen, und mit Ihrem Beitrag, Herr Fredermann - sind Sie diesem Anspruch nicht gerecht geworden.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin auch der Meinung - das will ich hier deutlich sagen -, dass wir zu kurz springen, wenn wir die Ereignisse, bei denen Menschen getötet oder schwer verletzt werden, bestimmten Kategorien zuordnen und dann die bloßen Zahlen in diesen Kategorien als allein beurteilungsrelevantes Kriterium hervorheben. Aber wir sollten schon zur Kenntnis nehmen, dass in Niedersachsen jährlich wiederkehrend mehr als 400 Menschen und in Deutschland mehr als 3 000 Menschen bei Verkehrsunfällen getötet werden.

Meine Damen und Herren, vielleicht ist es so, dass diese erschreckend hohen Zahlen zu so etwas wie einem Gewöhnungseffekt führen, der uns zuweilen auch den Blick auf die Notwendigkeit verstellt, entschlossen alles dafür zu tun, dass die Zahl der Unfalltoten und schwer Verletzten drastisch zurückgeht.

Wir müssen uns die Frage stellen: Ziehen wir nachhaltige Konsequenzen aus diesen schlimmen Verkehrsunfallbilanzen, und halten wir andere zur Überprüfung ihres Verhaltens an, oder ändern wir auch unser eigenes Verhalten? Wie gesagt, finde ich, dass wir unserer Verantwortung an dieser Stelle gerecht werden müssen.

(Zustimmung von Petra Tiemann [SPD])

Ich will das noch an einem anderen Beispiel deutlich machen. Nun bin ich kein Luftfahrtexperte. Aber 400 Menschen dürften ungefähr der Passagierzahl von zwei voll besetzten größeren Ferienfliegern entsprechen, die in den nächsten Monaten wieder verstärkt vom Flughafen Langenhagen an die Sonnenstrände dieser Welt fliegen. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir alle können ermessen, wie die Welt reagieren würde und was am Himmel über Niedersachsen los wäre, wenn über dem Flughafen Langenhagen jedes Jahr zwei dieser Flugzeuge abstürzen würden: Der Himmel über Niedersachsen wäre leer.

(Zustimmung von Petra Tiemann [SPD])

Damit will ich nur einmal deutlich machen, was 400 Verkehrsunfalltote in der Bilanz tatsächlich bedeu

ten und mit welcher Leichtigkeit Sie sich in dieser Debatte heute darüber hinweggesetzt haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, darum ist es entscheidend, uns trotz dieser fatalen Gewöhnung an die Gefahren des Straßenverkehrs bewusst zu machen, dass hinter jedem Verkehrsunfalltoten die gleichen trauernden Ehefrauen und -männer, die gleichen Mütter, die gleichen Väter und die gleichen Kinder stehen wie auch bei allen anderen schrecklichen Todesfällen.

Wir alle können deutlich mehr tun, um die Zahl dieser schweren Verkehrsunfälle zu verringern.

(Zustimmung von Petra Tiemann [SPD])

Natürlich wird eine Erhöhung der Bußgelder nicht schlagartig zu einer Verringerung der Zahl der Unfallopfer führen. Wir wären naiv, wenn wir so etwas behaupten würden. Dafür bedarf es natürlich mehr. Dafür bedarf es vor allen Dingen einer entsprechenden Einstellung zum Straßenverkehr.

Meine Damen und Herren, besonders Sie, Herr Fredermann, die Hauptursache für Unfälle mit schwersten Unfallfolgen sind unangepasste Geschwindigkeit und alle Nebenerscheinungen aggressiven Verhaltens im Straßenverkehr. Es ist eben nicht die hohe Verkehrsdichte, bei der schwere Verkehrsunfälle passieren. Das Gegenteil ist der Fall. Leere Straßen sorgen dafür, dass viel zu schnell gefahren wird und bei Einzelunfällen dann Verkehrstote zu beklagen sind.

Deshalb muss es darum gehen, diese Einstellung zu verändern und dafür zu sorgen, dass erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht mit einem Augenzwinkern hingenommen werden. Das, meine Damen und Herren, ist auch keineswegs aussichtslos. So etwas ist uns in dieser Gesellschaft hier in Deutschland nämlich bei einem anderen Verkehrsdelikt schon einmal gelungen, und zwar bei der Trunkenheit im Straßenverkehr.

Ich will das einmal kurz zusammenfassen. Während das bekannte „Glas zu viel“ bis in die 80erJahre hinein noch augenzwinkernd akzeptiert wurde und der Verlust des Führerscheins als Folge einer Trunkenheitsfahrt noch als Pech hingenommen wurde - nach dem Motto: das kann jedem mal passieren -, wird dies heute nicht mehr akzeptiert. Heute ist das Fahren unter Alkoholeinfluss gesellschaftlich geächtet. Ich glaube wirklich, dass man das so formulieren kann. Vor allen Dingen wird es

in der Folge auch nicht mehr praktiziert, und die Unfallzahlen in diesem Bereich sinken weiter.

Meine Damen und Herren, von einer solchen Einstellungsänderung sind wir bei den Geschwindigkeits- und Aggressionsphänomenen bedauerlicherweise noch meilenweit entfernt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Herr Bode, ich erinnere an dieser Stelle an die GTI-Debatte, die wir zugegebenermaßen in einem anderen Zusammenhang, in einem anderen Kontext hier geführt haben.

(Jörg Bode [FDP]: In einem völlig an- deren Zusammenhang!)

Ich finde auch, dass die Menschen durchaus Spaß haben sollen. Sie sollen auch Spaß am Autofahren, am Fahren mit einem GTI haben. Das finde ich in Ordnung. Aber ich will ebenso deutlich sagen: Wenn die Konsequenz ist, dass ein falsch verstandenes Spaß-Haben, ein falsch praktiziertes Spaß-Haben in Getöteten und Schwerverletzten mündet, dann müssen wir hier etwas dagegen tun.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Und dazu kann eine spürbare Erhöhung der Geldbußen für rücksichtsloses und gefahrenträchtiges Verhalten einen spürbaren Beitrag leisten.

Meine Damen und Herren von der FDP, Herr Oetjen, ich will noch einmal auf Ihren Debattenbeitrag in den Ausschussberatungen zurückkommen. Sie haben dort erklärt, Frankreich sei mit einer höheren Zahl von Verkehrstoten gerade kein gutes Beispiel für die Wirksamkeit höherer Bußgelder.

Dazu kann ich nur Folgendes sagen: Das Gegenteil ist richtig. Man muss nur etwas tiefer hineingucken. Die Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit ist und war eine wesentliche Zielsetzung der EUKommission, die in ihrem Weißbuch Verkehr aus dem Jahr 2001 die Zielsetzung formuliert hatte, bis zum Jahr 2010 die Zahl der Verkehrstoten in der EU zu halbieren.

Deutschland hat dieses Ziel verfehlt, Frankreich nicht. Neben fünf osteuropäischen Ländern ist es Luxemburg, Schweden, Spanien und Frankreich gelungen, die Zahl der im Straßenverkehr Getöteten um die Hälfte oder mehr zu reduzieren.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Und wie?)

Frankreich hat das u. a. mit drastisch intensivierten Kontrollen und einer deutlichen Heraufsetzung der

Geldbußen für verkehrsgefährdendes Verhalten geschafft. Es war Innenminister Nicolas Sarkozy, der das damals veranlasst hat.

Um das klar zu sagen: Herr Fredermann, es geht nicht um eine lineare Anhebung von Geldbußen für bloßes Augenblicksversagen. Herr Oetjen, es geht nicht um das, was 60 oder 80 % der Autofahrer jeden Tag auf den Straßen erleben. Hier geht es ausdrücklich um Aggressionsdelikte, um herausgehoben schnelles Fahren und um erhebliches Überschreiten der Verkehrsgeschwindigkeit.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Es geht um rücksichtsloses Rasen. Das müssen wir hier deutlich machen. Ich hätte mir gewünscht, dass es uns gelungen wäre, hier gemeinsam deutlich zu machen, dass es uns darum geht, die Menschen auch angesichts ihrer Familienangehörigen besser zu schützen, als wir es in der Vergangenheit getan haben, damit es nicht wieder - wie in diesem Jahr - zu 400 Unfalltoten kommt.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ein solches Zeichen sind wir den Menschen in diesem Land schuldig. Sie haben sich hier aber anders eingelassen. Was Sie hier geäußert haben, spricht den Opfern im Straßenverkehr schlicht Hohn.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN - Christian Dürr [FDP]: Bitte? Das ist unverschämt! Sie sind peinlich und unverschämt! Un- fassbar!)

Meine Damen und Herren, mehr als 400 Verkehrsunfalltote in diesem Land sind viel zu viel - nach unserem Empfinden. Dass Sie das anders sehen, haben Sie deutlich gemacht. Wie Sie das sehen, habe ich zur Kenntnis genommen.

(Beifall bei der SPD - Christian Dürr [FDP]: Unfassbar, was Sie da ma- chen! Unfassbar!)

Wir jedenfalls von SPD und Grünen werden gemeinsam mit dieser Landesregierung die Mittel, die uns zur Verfügung stehen, nutzen, um diesem gefährlichen Fehlverhalten im Verkehr, das diese Konsequenzen mit 400 Verkehrstoten in jedem Jahr zutage fördert, entschlossen entgegenzutreten.

Sie haben noch ein paar Sekunden Zeit, sich zu überlegen, ob Sie uns dabei folgen wollen.

Danke schön.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Becker. - Jetzt hat sich zu einer Kurzintervention Kollege Fredermann gemeldet. Bitte schön!

Lieber Kollege Becker, ich will erst einmal den sachlichen Teil abarbeiten.

(Petra Tiemann [SPD]: Entschuldigen Sie sich einfach!)