Protocol of the Session on May 17, 2017

(Helge Limburg [GRÜNE]: Nein, stimmt nicht!)

Niedersachsen ist auch das Land der Zentralen Erfassungsstelle für DDR-Unrecht in Salzgitter. Allen Anfeindungen zum Trotz wurden in Salzgitter Informationen gesammelt, die in vielen Fällen die Grundlage waren, damit die Opfer des DDR-Regimes Gerechtigkeit erfahren konnten.

Sie wollen aber an all das nicht erinnern. Die SPD wollte die Erfassungsstelle abschaffen, Gerhard Schröder machte sich noch kurz vor der friedlichen Revolution der Bürgerinnen und Bürger der DDR über den Wunsch nach Wiedervereinigung lustig, und unter seiner Verantwortung lehnte Niedersachsen die Wirtschafts- und Währungsunion im

Bundesrat ab. Kein Wunder, dass sich dazu nichts in Ihrem Antrag findet!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, peinlich finde ich den Versuch, die zivilgesellschaftliche Initiative der evangelischen und katholischen Kirche, der Gewerkschaften und Unternehmerverbände auf Ihre Fahnen zu schreiben. Die Initiatoren von „Niedersachsen packt an!“ finden bei Ihnen weder an dieser noch an anderer Stelle Erwähnung. Dies gilt u. a. für den Loccumer Vertrag, der ebenfalls ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte des Landes ist.

Auch die Kommunen erwähnen Sie nicht. Dabei haben sie doch am Ende das Versagen des Innenministers bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise ausbaden müssen.

Als Leistung des Landtages wäre noch am ehesten zu erwähnen, dass dieses Parlament mit einer Sondersitzung das Thema überhaupt erst auf die Agenda der Landesregierung gehoben hat - ein über Jahrzehnte einmaliger Vorgang.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ihre Auflistung der Herausforderungen der Zukunft ist dann Wahlkampf pur. Sie klingt wie Schlagwörter von Ihren Wahlplakaten. Jean-Claude Juncker hat in seiner Rede den wichtigen Industriestandort Niedersachsen und die Bedeutung unseres Landes in der Mitte Europas angesprochen. Sie haben das nicht auf der Agenda!

Die digitale Revolution wird unser Leben in jedem Bereich verändern. Die rasante Veränderung in der Mobilität ist doch für die Heimat des größten Autobauers der Welt von großer Bedeutung. Aber VW findet bei Ihnen ebenfalls nicht statt. Gleiches gilt für die Landwirtschaft als zweitwichtigster Wirtschaftszweig.

(Christian Dürr [FDP]: So ist es!)

Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, die innere und soziale Sicherheit, die Bewahrung der Umwelt, die gleichmäßige Entwicklung der Infrastruktur in allen Landesteilen spielen für Sie keine Rolle.

Ich könnte weitere Punkte nennen. Es ist nicht nur eine Liste der Herausforderungen, es sind auch Ihre Schwachpunkte. Deshalb lassen Sie es lieber weg. Konkret werden Sie nur, wenn das Land gar keine Zuständigkeit hat, beispielsweise bei Renten

oder Arbeitsmarktfragen. Hier schleicht sich der Bundestagswahlkampf ein.

Meine Damen und Herren, am Ende erdreisten Sie sich sogar, von einer „Bewahrung der politischen Kultur“ zu sprechen, „die kontrovers in der Sache, aber respektvoll im Verfahren ist“. So ein Zitat aus Ihrem Antrag.

Die Regierung Weil indes wird in der Geschichte des Landes in Erinnerung bleiben als eine, die in unfassbarer Weise gegen die verfassungsrechtlich gewährleisteten Abgeordneten- und Minderheitenrechte verstoßen hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Keine andere Landesregierung hat derart häufig gegen die Verfassung verstoßen. Auf süffisante Lippenbekenntnisse können wir da verzichten. Das gilt für den Ministerpräsidenten bei Festakten und auch für die Fraktionen von SPD und Grünen in selbstbeweihräuchernden Wahlkampfanträgen.

Meine Damen und Herren, Ihr Antrag ist geschichtsvergessen, er ist einseitig und selbstgerecht. Die Zustimmung der CDU-Fraktion können Sie dafür nicht erwarten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Johanne Modder [SPD]: Und Ihr Auftritt war peinlich!)

Vielen Dank, Herr Kollege Nacke. - Das Wort hat jetzt für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Dr. Thela Wernstedt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben den 70. Jahrestag des Zusammentritts des ersten frei gewählten Niedersächsischen Landtages zum Anlass genommen, aufzuschreiben, was wir aus dieser Geschichte für wichtig halten, woran man erinnern sollte und was man daraus lernen kann. Es ist selbstverständlich, dass man das auf anderthalb Seiten nicht erschöpfend tun kann und manches auch anders gesehen werden kann.

Ich möchte den Inhalt unseres Antrages nach Stichworten etwas anders gliedern, als der Text es vorgibt:

Der Niedersächsische Landtag zeichnet sich durch demokratisches Verhalten aus. Er hat sich in unterschiedlichen Zeiten immer innovativ gezeigt. Er hat sich gegenüber anderen Überzeugungen und Fremdheit im Rahmen demokratischer Grundsätze

tolerant und weltoffen gezeigt. Er war immer geschichtsbewusst und hat auf die Vielfältigkeit des Landes Niedersachsen stets Rücksicht genommen. Er hat sich gegenüber allen Hilfsbedürftigen im Rahmen seiner Möglichkeiten stets hilfsbereit gezeigt.

Zum Begriff „demokratisch“: Der Landtag ist von der britischen Besatzungsmacht aufgefordert worden, nach demokratischen und repräsentativen Grundsätzen die zivile Macht zu ermöglichen und zu sichern. Da es in Niedersachsen erst in späteren Jahrzehnten absolute Mehrheiten gab, hatten die demokratischen Parteien die Gelegenheit, die Kultur der politischen Absprachen und Kompromisse einzuüben.

Bis 1970 hat es immer Koalitionsregierungen gegeben. Daran waren alle demokratischen Parteien in unterschiedlichen Koalitionen beteiligt. Das hat dazu geführt, dass harte politische Auseinandersetzungen kaum zu persönlichen Beleidigungen oder Hassreden geführt haben. Jeder war zu unterschiedlichen Zeiten mal in der Regierung, mal in der Opposition.

Man vergisst schnell, dass Niedersachsen nach Berlin das erste Land war, das eine Große Koalition hatte: 1957 bis 1959 unter Heinrich Hellwege von der CDU und 1965 bis 1970 unter Schorse Diederichs von der SPD. Damit hat der Niedersächsische Landtag die Diffamierung der Parlamente als „Schwatzbude“, wie die Gegner der Demokratie das Parlament in der Weimarer Republik genannt haben, erfolgreich und mit Autorität zurückgewiesen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir sollten darauf achten, dass die schleichende Diffamierung der repräsentativen Demokratie, wie sie aktuell von rechtspopulistischer Seite betrieben wird, entschieden zurückgewiesen wird.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der FDP - Christian Dürr [FDP]: Das ist richtig! Das steht nicht im Antrag, aber das ist ein guter Punkt!)

Zu den Begriffen „tolerant“ und „weltoffen“: Die ersten Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg waren in Niedersachsen wie in allen Besatzungszonen und den folgenden Staaten durch den Zustrom von Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten und aus Ländern Osteuropas gekennzeichnet. Mehr als zweieinhalb Millionen Menschen

mussten innerhalb kurzer Zeit in einem zerstörten Land untergebracht und versorgt werden. Nicht alle haben das mit Freude getan, aber es ist nach 20 Jahren gelungen. Der wirtschaftliche Erfolg auch Niedersachsens wäre ohne den Fleiß und das Engagement der Flüchtlinge und Vertriebenen nicht denkbar gewesen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dasselbe gilt für die Flüchtlinge, die bis 1961 aus der DDR kamen und hier oft als gut Ausgebildete in Wirtschaft, Verwaltung und anderen Einrichtungen den Aufbau des Landes mitgestaltet haben.

Desgleichen haben seit Ende der 60er-Jahre die sogenannten Gastarbeiter aus Italien, Portugal, dem ehemaligen Jugoslawien, Griechenland und später auch der Türkei nicht unwesentlich zur Sicherung des Wohlstandes beigetragen. Ihre Integration ist teilweise gut gelungen, und manches bleibt noch zu tun.

Eine erfolgreiche Integration ist nur dann gewährleistet, wenn die Verschiedenheit der kulturellen Identitäten auf der Grundlage gegenseitigen Respekts, der Neugier und der Toleranz geschieht. Glaubwürdig kann man allerdings eine solche Politik nur machen, wenn man Tendenzen islamistischer oder salafistischer Intoleranz oder rechtsextreme völkische Denkweisen entschieden bekämpft.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der FDP)

Niedersachsen hat Erfahrung mit dem politischen Ausgleich und mit Toleranz gegenüber unterschiedlichen religiösen Auffassungen; denn es hat als erstes Bundesland einen Vertrag mit den evangelischen Kirchen, den Loccumer-Vertrag im Jahre 1955, und mit der katholischen Kirche das Konkordat im Jahre 1965 geschlossen. Wir sollten in Zukunft das Erbe der Weltoffenheit nicht verspielen.

Zum Begriff „innovativ“: Der Landtag hat sich in allen 70 Jahren für die innovative und moderne Entwicklung des Landes verantwortlich gefühlt. Er hat deshalb mit Haushaltsmitteln, politischen Rahmenbedingungen und dem Einsatz aller Abgeordneten und Minister entsprechende Maßnahmen unterstützt. Die von den Briten angeregte Gründung der Hannover Messe, der Emslandplan, die Strukturhilfen für schwache Gebiete sind Beispiele

dafür. Diese Aufgabe ist nie abgeschlossen, wie die Probleme in Südniedersachsen heute zeigen.

Seit den 50er- und 60er-Jahren haben alle Regierungen und Landtage für die Förderung der Bildung gearbeitet. Die Landschulreform dieser früheren Jahre, die enorme Ausweitung der Gymnasien, die immer mit Elternzustimmung erfolgte Gründung von Gesamtschulen sind Beispiele dafür.

Desgleichen ist der enorme Ausbau der Hochschulen kennzeichnend. Die Gründung der MHH in den 60er-Jahren, die Erweiterung der Technischen Hochschulen in Hannover und Braunschweig zu Volluniversitäten, der Ausbau der Pädagogischen Hochschulen in Oldenburg und Osnabrück in den 70er-Jahren und in Hildesheim und Lüneburg in den 80er-Jahren sind beispiellos.

In Niedersachsen ist sehr früh über die Gefährlichkeit der Nutzung der Atomenergie gesprochen worden. Nachdem man bis Mitte der 70er-Jahre noch allgemein der Überzeugung war, dass die friedliche Nutzung der Atomenergie ein Segen sei, hat sich das seitdem massiv geändert. Seit den Demonstrationen in Grohnde, den schweren Auseinandersetzungen um ein Endlager in Gorleben und einer möglichen Wiederaufbereitungsanlage sind Jahrzehnte vergangen. Heute stehen alle Parteien für den Ausstieg aus der Kernenergie. Doch die Diskussion um ein Endlager beschäftigt uns bis heute. Umweltbewusstsein hat inzwischen einen ganz anderen Stellenwert als früher. Das ist auch den Menschen vor Ort in Niedersachsen zu verdanken.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zum Begriff „geschichtsbewusst“: Niedersachsen ist ein vielfältiges Land. Seine kulturellen Traditionen in den einzelnen Landesteilen hat der Landtag immer respektiert. Seine Abgeordneten haben stets darauf geachtet, dass die kulturellen Anliegen ihrer Regionen gewahrt und gefördert wurden. Das gilt nicht nur für die alten Länder Hannover, Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg, sondern auch für Ostfriesland, den Harz und die Lüneburger Heide.

Vor 70 Jahren, bei Gründung des Landes Niedersachsen, war es noch nicht lange her, dass sich mit dem nationalsozialistischen Regime auch auf niedersächsischem Gebiet niedersächsische Menschen mit der grausamen und schuldhaften Geschichte der Jahre 1933 bis 1945 auseinandersetzen mussten. Die Bilder von Bergen-Belsen gehö

ren zu den weltweit eindrücklichsten mahnenden Zeugnissen der Barbarei, in die Deutschland geraten war.

Bergen-Belsen ist das einzige ehemalige Konzentrationslager, in dem die Opfer in Gräbern - wenn auch in Massengräbern - liegen. Auschwitz, Majdanek, Sobibor, Treblinka, Belzec und Stutthoff kennen keine Gräber, weil die Täter die Opfer verbrannt haben. Deshalb hat das Land Niedersachsen eine ganz besondere Verantwortung, auf die wissenschaftlich notwendige und menschlich gebührende Erinnerung an den Völkermord an den Juden, Sinti und Roma sowie an Minderheiten verschiedener Kennzeichnung zu achten.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)