Der Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zielt auf eine Annahme des Antrages in einer anderweitig geänderten Fassung.
- Ich darf noch einmal alle um Aufmerksamkeit bitten! Ich bitte, die Beratungen einzustellen, auch an der Regierungsbank! - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Tagesordnungspunkt ist für viele Menschen - einige von ihnen sind heute hier bei uns - ein historischer Augenblick.
Fast genau 45 Jahre ist es im Januar her, dass der Beschluss über den Radikalenerlass in Kraft getreten ist. Am 28. Januar 1972 fiel in der Konferenz der Ministerpräsidenten ein Beschluss, der für viele politisch engagierte Menschen in unserem Land im schlechtesten Sinne ein einschneidender Wendepunkt in ihrem Leben werden sollte.
Formell sollte dieser Erlass Menschen aus dem Staatsdienst fernhalten, die radikal linke oder rechte Positionen vertraten und der Verfassung gegenüber als pauschal feindlich einsortiert worden sind.
Einen Moment, bitte, Herr Kollege Lynack! - Wir wollen nicht, dass das hier einreißt: Herr Kollege Thiele! Frau Kollegin Klopp! - Vielen Dank.
Real hat es aber vor allem viele Menschen getroffen, die politisch links eingestellt waren. Es waren Menschen, die kritisch waren, ja, sie waren systemkritisch, sie hinterfragten den Status quo, sie stellten Gegebenheiten infrage, suchten nach Alternativen wie Sozialismus und Kommunismus. Das war sicherlich alles andere als der Mainstream des damaligen politischen Establishments.
Es war aber - davon bin ich zutiefst überzeugt - Teil der freien Meinungsäußerung, die elementarer Bestandteil unserer Demokratie ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Der Staat hat die Meinungsfreiheit, die er doch eigentlich schützen sollte, aktiv gebrochen und dabei das Leben vieler Menschen einfach mal so eben aus der Bahn geworfen.
Nehmen wir z. B. Udo Paulus aus Hildesheim, einen bei Schülerinnen und Schülern, Eltern und Kollegenschaft sehr angesehenen und beliebten Lehrer an einer Gesamtschule in Hildesheim. Seine Kandidatur zur Kommunalwahl für die Liste der
DKP hat dazu geführt, dass der Pädagoge im Herbst 1984 einen zehntägigen Prozess vor der Disziplinarkammer in Hannover über sich ergehen lassen musste.
Zu keiner Zeit seiner Lehrtätigkeit hat er auch nur ansatzweise versucht, im Unterricht zu indoktrinieren. Ganz im Gegenteil. Sogar die Landesschulbehörde bescheinigte ihm seinerzeit eine tadellose Dienstverrichtung. Doch alles das hat einfach keine Rolle gespielt. Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Eine Mitgliedschaft in der DKP war damals für viele Menschen einfach nicht mit dem jederzeitigen Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung vereinbar.
Der Gesamtschullehrer Udo Paulus musste nicht wegen seiner Person oder gar wegen eines Fehlverhaltens, wie man annehmen könnte, sondern für eine mehrere Jahre zurückliegende Kandidatur einfach so aus dem Dienst entfernt werden.
Wichtig war einzig und allein, dass dieses Verfahren ganz schnell über die Bühne gebracht werden musste.
So wie Udo Paulus ist es seinerzeit rund 130 Menschen allein bei uns in Niedersachsen ergangen. Allesamt Einzelschicksale. Dahinter stehen Betroffene und deren Familien, so wie auch im Fall von Udo Paulus, deren Leben innerhalb kürzester Zeit völlig auf den Kopf gestellt worden ist. Eine ähnliche politisch begründete Ausgrenzung hat es nur in den USA in der McCarthy-Ära gegeben.
Zu Recht hat der damalige Bundeskanzler Willy Brandt - maßgeblich war er mitverantwortlich - diesen Beschluss rückblickend als einen der schwersten Fehler seiner eigenen Regierungszeit begründet. Auch wenn es rückblickend ein schwacher Trost für die Betroffenen sein mag, so ist diese Einsicht doch sehr wichtig.
Gerade für die SPD wiegt die Schuld besonders schwer, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben doch gerade wir in unserer Geschichte politische Verfolgung immer wieder selbst erfahren müssen.
Das, was unter dem Deckmantel unserer Verfassung passiert ist, sollte uns alle hier in diesem Haus berühren - vor allem, dass es hier in Niedersachsen bis 1990 dauern musste, bis die erste Regierung Schröder den Erlass endlich aufgehoben hat.
Es ist eigentlich sowieso unbegreiflich, dass es jetzt noch einmal weitere 26 Jahre dauern musste, bis wir weitere Schritte in Richtung Aufarbeitung gehen können. Diese Aufarbeitung ist noch längst nicht abgeschlossen. Aber den Weg dorthin wollen wir jetzt endlich beschreiten.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Beschluss ist insbesondere für die Betroffenen, aber auch für unsere Demokratie enorm wichtig - und das, obwohl er leider immer noch hinter dem zurückbleibt, was sich die Betroffenen eigentlich gewünscht hätten. Ich gebe aber zu bedenken, dass es hier nicht zu unterschätzen ist, dass wir heute gemeinsam einen dauerhaften Aufarbeitungsprozess starten wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, es wäre ein ganz starkes Signal, wenn dieser Beschluss heute hier einstimmig fallen könnte.
Der gesamte Niedersächsische Landtag tritt geschlossen vor die Betroffenen und bittet um Entschuldigung. Was für ein überfälliger Schritt! Geben Sie sich einen Ruck und beteiligen Sie sich an der Aufarbeitung der Geschichte! Es wäre ein wichtiges Signal - nicht für uns als Regierungsfraktion, nein, für die Betroffenen, die seinerzeit zu Unrecht aus dem Dienst entfernt worden sind und jetzt auf ein so wichtiges Zeichen ihrer Rehabilitierung warten.
Mit unserem Änderungsantrag bleiben wir bereits ein ganzes Stück hinter unserer Ursprungsforderung zurück. Das ist ein Signal insbesondere an Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP. Hatten wir doch ursprünglich gedacht, dass wir alle gemeinsam eine Kommission einsetzen, gehen wir doch jetzt den Schritt zurück und sagen, in Richtung auf Sie ausgerichtet: Wir wollen es mit einem Beauftragten oder einer Beauftragten
versuchen. - Ich lade Sie ein: Stimmen Sie dem zu! Treten Sie mit uns gemeinsam vor die Betroffenen!
Ich kann mich nur wiederholen: Es wäre ein schönes Zeichen für alle vom Radikalenerlass betroffenen Menschen, wenn das ganze Haus hier mit einer Stimme sprechen könnte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können Geschehenes nicht ungeschehen machen. Aber wir können aus Fehlern lernen und zu unseren Fehlern stehen, und wir können auch um Vergebung bitten. Das wollen wir mit diesem Antrag heute tun. Wir wollen eine Aufarbeitung starten und so vielleicht eine Wiederholung von Unrecht in ähnlichen Zusammenhängen für die Zukunft verhindern. Dafür bitte ich Sie alle ganz herzlich um Ihre Zustimmung.
Lassen Sie uns gemeinsam versuchen, den Betroffenen und unserem Land einen Teil seiner Würde zurückzugeben! Wir sind dabei. Ich hoffe, Sie auch.
Vielen Dank, Herr Kollege Lynack. - Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Jahns. Bitte, Frau Kollegin!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag von Rot-Grün, der uns in der Beschlussempfehlung heute zur Beschlussfassung vorliegt, ist sprachlich noch einmal korrigiert worden. Ich bräuchte nur den Kommentar von Herrn Wallbaum aus dem Rundblick von heute vorzulesen, der eigentlich alles dazu sagt, was man zu dieser Situation sagen kann.
Es heißt dort ausdrücklich: die „rot-grüne Vorverurteilung“. Meine Damen und Herren, dem können wir von der CDU uns nur anschließen.