Protocol of the Session on November 23, 2016

Ein Viertel unserer Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. Damit verbunden ist bei vielen dieser Menschen natürlich eine andere Muttersprache als die deutsche. Dass gerade dies jedoch kein Nachteil ist, sondern enorme Chancen bietet, wird zunehmend erkannt und akzeptiert.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

„‚Wertschätzung und Förderung von Mehrsprachigkeit‘ und ‚Deutsch lernen‘ sind kein Widerspruch…“, referiert Professor Dr. Ingrid Gogolin von der Universität Hamburg.

Sie ist anerkannte Spezialistin für einen interdisziplinären Überblick über den Forschungsstand zu Mehrsprachigkeit in urbanen Regionen. Vergleichen wir die Ergebnisse verschiedener Studien zur Mehrsprachigkeit, erkennen wir die positiven Faktoren für Entwicklungsprozesse.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Mehrsprachigkeit liegt im Trend, nicht nur bei Eltern und Pädagogen, sondern auch unter Wissenschaftlern. Linguisten, Psychologen und Hirnforscher loten seit einiger Zeit den kognitiven Nutzen der Bilingualität aus. Wer polyglott ist, hat demnach nicht nur bessere Chancen im Job oder beim Eintauchen in fremde Kulturen, er soll auch flexibler im Denken und schneller im Kopf sein. Selbst die Anfälligkeit für Alzheimer soll der Multilinguismus verringern, so der Artikel in der Zeit.

War bisher die bilinguale oder trilinguale Förderung in Englisch und Französisch weit verbreitet, wird nun erkannt, dass dieser vermittelte Vorsprung natürlich für alle Muttersprachen gilt. Zusätzlich wissen wir mittlerweile, dass Kinder, die ihre Muttersprache sicher beherrschen, auch neue Sprachen besser und schneller lernen. Das ist wissenschaftlich bestätigt. Wir alle wünschen für unsere Kinder den bestmöglichen Start ins Leben. Ich zitiere aus der Zeit:

„Tatsächlich geht die Wissenschaft heute davon aus, dass der Mensch von Natur aus polyglott ist. Die Mehrsprachigkeit steckt ihm in den Genen. ‚Wer nur mit einer Sprache aufwächst, bleibt unter seinen Möglichkeiten‘, sagt Jürgen Meisel, der - erst in Hamburg, heute im kanadischen Calgary - seit mehr als dreißig Jahren die Multilingualität erforscht.“

Warum sollten wir nicht die Möglichkeiten nutzen, die ein gemeinsames Leben und Lernen unserer Kinder bietet? Ein gemeinsames Lernen beginnt schon in der Kita, wo Kinder meistens das erste Mal aufeinandertreffen und sich und ihre unterschiedlichen Hintergründe kennenlernen. Kindertagesstätten, die sich hierbei darauf konzentrieren, die unterschiedlichen Fähigkeiten und Kenntnisse der Kinder spielerisch zu vertiefen, bereiten sie auf ihre Schullaufbahn optimal vor.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dabei die Eltern miteinzubeziehen, kann bei Kindern mit anderssprachlichem Hintergrund beson

ders helfen. Hier übernehmen die Eltern z. B. das spielerische Erlernen der Muttersprache, das im Idealfall dann in der Kita aufgegriffen wird. So wird es z. B. beim Rucksackprojekt in einer Kindertagesstätte hier in Hannover gemacht - eine beispielhafte Idee, wie ich finde.

Was im Kindergarten angefangen wurde, sollte aber in der Grundschule und auch in den späteren Schulstufen weitergeführt werden. Bisher wird der Bedarf an Unterricht in der Herkunftssprache noch nicht abgedeckt. Auch wenn durch den Erlass der Landesregierung „Förderung von Bildungserfolg und Teilhabe von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache“ vom 1. Juli 2014 schon wichtige Maßnahmen ergriffen werden, wissen wir, dass weitere Schritte zur Einbringung und Anerkennung der verschiedenen Muttersprachen folgen müssen. Der bestehenden Nachfrage nach herkunftssprachlichem Unterricht können unsere Schulen bisher kaum nachkommen. Hieran müssen wir arbeiten.

Unser Antrag soll u. a. dazu anregen, die Einrichtung bilingualer Kindertagesstätten durch konzeptionelle Beratung zu unterstützen. Er soll anregen, dass Modellprojekte vor allem in den Stufen Sek. I und Sek. II aufgewertet, Leistungsnachweise in Zeugnisse eingeführt oder andere Möglichkeiten der Leistungserkennung ermöglicht werden. Weiterentwickelt werden sollte auch die Möglichkeit, die Palette der Sprachangebote in unseren Schulen zu erweitern und neben Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch z. B. auch Türkisch, Polnisch, Russisch und Arabisch als zweite und dritte Fremdsprache zu fördern.

Mit unserem Antrag wollen wir dafür sorgen, dass das Lehramtsstudium von neu Zugewanderten schneller anerkannt wird. Weiterbildungsmaßnahmen, die Muttersprachlern den Quereinstieg ins Lehramt erleichtern, sollen gefördert werden.

Uns ist bewusst, dass die Ausbildungslage für ein Lehramt für verschiedene Sprachen außerhalb der bisher standardmäßig gelehrten Sprachen schwierig ist. Auch hieran wollen wir durch die schrittweise Erweiterung des Angebots herkunftssprachlicher Lehramtsfächer u. a. mit dem Auf- und Ausbau von Studienmöglichkeiten in Niedersachsen arbeiten. Das Sprachangebot an den Schulen sollte weiter ausgebaut werden, und die angebotenen Fächer sollten auch als Prüfungsfächer zur Verfügung stehen können.

Vielleicht können wir es schaffen, diesen Antrag zwischen allen Fraktionen zu einen und damit einen wichtigen Schritt nicht nur für die Bildung unserer Kinder, sondern auch für Toleranz und Freundschaft zwischen den uns nachfolgenden Generationen zu sorgen und um nicht zuletzt ein deutliches Zeichen für Mehrsprachigkeit zu setzen.

Die Bedeutung der deutschen Sprache für Schule, Ausbildung und Beruf ist und bleibt von größter Wichtigkeit. Aber die sprachlichen Bereicherungen und Fähigkeiten von Migrantinnen und Migranten nicht zu nutzen und unseren Schülerinnen und Schülern nicht mehr Sprachmöglichkeiten anzubieten, wäre unklug für die Betroffenen, unsere Gesellschaft und deren Zukunftsfähigkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich freue mich auf die weiteren Beratungen, denen ich erwartungsvoll entgegensehe.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. - Jetzt hat sich für die FDP-Fraktion Björn Försterling zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst auf Herrn Scholing eingehen. Herr Scholing, es ist völlig irrelevant, ob Sie Farsi können, ob die Stenografen Farsi können. Relevant ist: Das hier ist der Niedersächsische Landtag, und deswegen ist Deutsch die Amtssprache. Deswegen werden die Reden hier in Deutsch gehalten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

- Oh, dass Sie dagegen so protestieren!

Aber das hat er ja auch hervorragend auf Deutsch gemacht. Aber hier wird ja ab und zu auch Plattdeutsch gesprochen. Ich würde mir wünschen, dass Sie beispielsweise auch mit dieser niedersächsischen Herkunftssprache ebenso enthusiastisch umgehen wie mit anderen Herkunftssprachen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Durch die Berichterstattung hat es in den vergangenen Tagen vielfach Irritationen gegeben: Soll der Deutschunterricht jetzt tatsächlich abgeschafft werden? Sollen möglicherweise Schülerinnen und Schüler ihr Abitur komplett auf Türkisch oder Farsi ablegen können?

(Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Da muss man klar sagen: Nein! Das steht auch nicht in dem Antrag, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Sehen Sie? Manchmal ist es gar nicht so schlecht, die Leute ausreden zu lassen, bevor man reagiert!

Ich bin sehr gespannt auf die Beratungen. Denn wir müssen uns - ich finde, dazu bietet dieser Antrag eine gute Gelegenheit - auch einmal mit der Frage auseinandersetzen: Wann ist eine Herkunftssprache eigentlich Herkunftssprache? Wann wird eigentlich Deutsch zur Herkunftssprache - in der zweiten, dritten oder vierten Generation?

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustimmung von Heinrich Scholing [GRÜNE])

Mit dieser Frage müssen wir uns ernsthaft auseinandersetzen, weil das auch den Anspruch betrifft, dass die Kinder tatsächlich Deutsch lernen. Genau darum geht es ja. Denn der Antrag stellt ja zutreffend fest: Wenn die Kinder ihre Herkunftssprache kennen und beherrschen, lernen sie auch viel schneller Deutsch. Deswegen ist es absolut gerechtfertigt, diesen Bereich auszubauen und auch in Erwägung zu ziehen, den Unterricht in der zweiten und dritten Fremdsprache in diesen Herkunftssprachen anzubieten.

Als ich mein Abitur gemacht habe, hatte ich einen Mitschüler, dessen Vater Engländer war. Dieser Mitschüler ist bilingual aufgewachsen. Natürlich hatte er in Englisch immer ohne Probleme 14 oder 15 Punkte. Warum darf nur er diesen Vorteil haben und beispielsweise Mitschüler mit türkischem Hintergrund nicht? - Ich finde, auch denen können wir diesen Vorteil durchaus geben, weil das ihre Chancen erhöht.

(Beifall bei der FDP, bei den GRÜ- NEN und Zustimmung bei der SPD)

Deswegen glaube ich, dass das ein wichtiger Antrag ist. Aber ich hätte mir gewünscht - diese Be

merkung sei mir abschließend noch erlaubt -, dass die Fraktionen von SPD und Grünen auch einmal Anträge zu den Fragen einbringen, ob wir aktuell genug Lehrkräfte für Deutsch als Zweitsprache haben,

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

warum es an den berufsbildenden Schulen noch Wartelisten für Flüchtlingskinder gibt, die in Niedersachsen aktuell nicht beschult werden, warum die Probleme in der Inklusion nicht angegangen werden und warum in den niedersächsischen Schulen so viel Unterricht nicht stattfindet. Sie müssen sich also von Teilen der Öffentlichkeit und auch von Eltern den Vorwurf gefallen lassen: Warum beschäftigen Sie sich jetzt mit diesem Thema? Warum machen Sie daraus einen Entschließungsantrag? Aber zu den wirklich wichtigen bildungspolitischen Themen kommen von SPD und Grünen keine Antworten!

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Ich freue mich auf die Beratungen. Aber ich würde mir wünschen, dass Sie sich auch den ganz, ganz wichtigen Themen in diesem Land widmen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Mit Ihrer Meldung zur Kurzintervention hat es noch gerade so geklappt, Herr Scholing. Bitte schön! Sie haben das Wort zu einer Kurzintervention.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Försterling, wenn Sie das in diesen Kontext stellen, dann machen Sie genau den Fehler, der teilweise auch bei der Aufarbeitung in der Öffentlichkeit passiert: Sie isolieren die Frage dieses herkunftssprachlichen Unterrichts von der Förderung der Sprache von Kindern mit Migrationshintergrund. Genau das ist der Fehler!

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Werfen Sie noch einmal einen Blick in den Erlass! Es ist inhaltlich völlig berechtigt, dass dieser Erlass diese beiden Aspekte aufnimmt. Er nimmt erstens den Aspekt des Erwerbs der deutschen Sprache auf, mit den Sprachlernklassen und all den hinterlegten Maßnahmen. Die Herkunftssprache - zweitens - ist kein abgesondertes Thema; es gehört genau in diesen Kontext.

Wenn Sie daraus Ihre Rede machen, die man sich schon fast vorher vorstellen kann, in der Sie z. B. nach dem Motto „Das klappt nicht, da gibt es lange Wartelisten“ usw. argumentieren und sich nur um diese Sparte kümmern, dann ist genau das der Denkfehler. Das gehört zusammen!

Von den Problemen wissen wir. Wir wissen übrigens auch von den Problemen mit der Förderung der Herkunftssprache. Da sind wir nicht an dem Punkt, an dem wir sein wollen. Aber wir geben die Zielrichtung vor, und wir haben eine klare Vorstellung davon, wohin die Reise gehen soll.