Wir kommen daher zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses. Sie lautet auf „Sach- und Rechtslage“. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Beschlussempfehlung wurde gefolgt.
Tagesordnungspunkt 21: Besprechung: Spätaussiedler in Niedersachsen - Große Anfrage der Fraktion der CDU - Drs. 17/5824 - Antwort der Landesregierung - Drs. 17/6411
Zur Besprechung ein Hinweis: Nach § 45 Abs. 5 unserer Geschäftsordnung wird zu Beginn der Besprechung einer der Fragestellerinnen oder einem der Fragesteller das Wort erteilt. Danach erhält es die Landesregierung.
Für die Fraktion der CDU, die die Anfrage gestellt hat, erhält nun Frau Kollegin Lorberg das Wort. Bitte!
- Noch einen Moment, Frau Kollegin! - Diejenigen, die der Debatte nicht folgen wollen, bitte ich, den Plenarsaal zügig und geräuschlos zu verlassen. Alle anderen widmen ihre Aufmerksamkeit jetzt Frau Lorberg.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab möchte ich ein Dankeschön an die Mitarbeiter der Staatskanzlei und der Ministerien ausdrücken, die sich mit dieser Großen Anfrage beschäftigt haben. Herzlichen Dank für die ausführliche Beantwortung - da, wo es möglich war!
Meine Damen und Herren, Aljona, eine junge Frau aus Russland, lebenslustig, stets fröhlich, aufgeschlossen, fleißig und voller Visionen, sehr musikalisch und ausgesprochen sportlich, kam im Jahre 1999 im Jahre von 21 Jahren als Au-pair-Mädchen nach Niedersachsen. Sie kam in meine Familie, und schon nach wenigen Tagen war sie zu einer verlässlichen und wirklich liebgewonnenen Freundin für meinen damals fast zweijährigen Sohn und für die ganze Familie geworden. Sie sang mit meinem Sohn russische Lieder, sie erzählte ihm russische Märchen, brachte ihm die ersten russischen Wörter bei und kochte ihm russisches Essen. Sie sang mit ihm aber auch deutsche Lieder, sie erzählte ihm deutsche Märchen, und sie kochte ihm schwäbische Spezialitäten. Deutschland war näm
Aljona, eine junge deutsche Frau aus Russland, die zwischen zwei Kulturen, zwei Sprachen und zwei Ländern auf der Suche nach ihren Wurzeln und nach ihrer Identität war. Nach wenigen Wochen, die sie in unserer Familie verbracht hatte, sprach sie mich darauf an, ob es nicht die Möglichkeit gäbe, nach Friedland zu fahren, weil dort seit einem halben Jahr ein Antrag auf die Einreise ihrer Familie liege. Vielleicht könnte man ja die Zeit verkürzen, und vielleicht könnte man es sogar erreichen, dass sie schon nach ihrem Au-pair-Jahr in Deutschland bleiben könne. Ihre Oma hatte die Anträge für die gesamte Familie gestellt. So war es für sie eine ganz wichtige Sache, diesen Weg mitzugehen.
Aljona erzählte mir damals sehr viel über die Geschichte ihrer Familie, über Deportationen ihrer Vorfahren, über Verachtung, über Ausgrenzung und über die ständig präsente Sehnsucht, in das Land ihrer Vorfahren zu kommen. Das war meine erste und meine, glaube ich, tiefgreifendste Erfahrung, die ich mit dem Schicksal der Spätaussiedler gemacht habe. Damals ahnte ich noch nicht, dass ich wenige Jahre später als Abgeordnete im Niedersächsischen Landtag in die Fußstapfen von Traute Grundmann, die damals Aussiedlerbeauftragte war, treten und mich für die Belange der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler einsetzen würde.
Meine Damen und Herren, seit Beginn der Aussiedleraufnahme im Jahr 1950 kamen fast 4,5 Millionen Aussiedler und Spätaussiedler nach Deutschland. Ein Forschungsbericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge von 2013 sagt aus, dass Spätaussiedler überwiegend sehr gut integriert sind trotz der kurzen Aufenthaltsdauer, die sie hier in Deutschland haben.
In der Antwort zu unserer Großen Anfrage spricht die Landesregierung davon, dass Spätaussiedler eine Bereicherung für unsere Gesellschaft sind. Herr Ministerpräsident, Herr Innenminister, schön, dass die rot-grüne Landesregierung diese Erkenntnis gewonnen hat. Wir hatten sie schon immer.
Viele Jahre ist die SPD vor der Verantwortung gegenüber unseren Spätaussiedlern zurückgezuckt. Sie haben sich weggeduckt.
Als die CDU 2003 in Niedersachsen die Regierung übernahm, war es für Christian Wulff damals eine Herzenssache, die Aussiedler und Spätaussiedler vom Rand der niedersächsischen Bevölkerung wieder in die Mitte der Gesellschaft zu holen - zum Teil auch gegen die Widerstände hier im Haus. Das muss man an dieser Stelle einmal sagen. So waren damals die Voraussetzungen, meine Damen und Herren. Das sollten wir nicht vergessen.
Meine Damen und Herren, laut der Antwort der Landesregierung lebten 2014 rund 340 000 Spätaussiedler in Niedersachsen. Das sind im Durchschnitt 4,4 % der niedersächsischen Bevölkerung. Am stärksten sind die Spätaussiedler mit 6,3 % in den Bereichen Cloppenburg, Ammerland, Delmenhorst und Oldenburg und mit 2,2 % am wenigsten in den Bereichen Emden, Leer, Aurich und Wittmund vertreten. Kamen 1993 19 820 Spätaussiedler mit ihren Familienangehörigen zu uns, waren es 2003 noch 6 270 und 2015 nur noch 625.
2012 hat der damalige Innenminister Uwe Schünemann auf Bundesebene eine Gesetzesinitiative zur Erleichterung der Familienzusammenführung von Spätaussiedlern aus humanitären Gründen auf den Weg gebracht. Das war ein Meilenstein, meine Damen und Herren, weil ab 2013 zu dem Zeitpunkt, als die Regelung in Kraft trat, aus humanitären Gründen wieder viele zu uns kommen konnten, die bis dahin ausgegrenzt waren. Das war ein großer Schritt, der bis heute in den Kreisen der Spätaussiedler als etwas sehr Wichtiges und vor allem als etwas sehr Menschliches empfunden wird.
Wir haben während unserer Regierungszeit stets größten Wert darauf gelegt, dass eine klare Trennung zwischen Ausländern und unseren Spätaussiedlern, unseren Deutschen aus Russland, erfolgte. So war es wichtig, dass die Angelegenheiten der Spätaussiedler im Innenministerium blieben. Außerdem gab es zu unserer Regierungszeit einen Landesbeauftragten. Rudi Götz hat das damals mit sehr viel Herzblut gemacht. Auch das war ein klares Zeichen und ein Schulterschluss mit unseren Spätaussiedlern. Schade, dass die rot-grüne Landesregierung von dieser wirklich guten Praxis abgewichen ist.
Meine Damen und Herren, die Beantwortung unserer Großen Anfrage zur Berufsqualifikation zeigt, dass der überwiegende Anteil der Spätaussiedler sehr konsequent und erfolgreich Bildung und In
tegration verfolgt und voranbringt. Eigenbestimmtes Leben, der eigenbestimmte Erwerb des Lebensunterhaltes ist für unsere Spätaussiedler eine ganz, ganz wichtige Angelegenheit.
Die Landesförderungen für die Spätaussiedlerprojekte sind daher in jeder Hinsicht eine sinnvolle Investition in die Zukunft unseres Landes. Qualifikationen und Sprachausbildungen müssen noch schneller und unbürokratischer werden. Bei der Anerkennung von Abschlüssen kann noch eine Menge passieren, Herr Ministerpräsident. Bitte tun Sie da möglichst bald etwas!
Bei allen positiven Aspekten möchte ich aber auch die Probleme nicht verschweigen. Nicht jeder Spätaussiedler ist auch tatsächlich hier in Niedersachsen angekommen. Es gibt auch diejenigen, die hier nicht zurechtkommen und hier weder persönlich noch beruflich Anschluss gefunden haben. Das gilt überwiegend für Familienangehörige, die keine deutschen Wurzeln haben. Einige Jugendliche, die in ihren Herkunftsgebieten verankert waren, finden nicht ihren Platz in unserer Gesellschaft. Ausgrenzung und Vorurteile tragen dazu bei. Manchmal führen auch Alkohol- und Drogenmissbrauch dazu, dass der Schritt in die Kriminalität führt. Dann setzt sich eine Spirale in Gang, die für das gesamte Leben der Familie eine wirklich große Herausforderung ist. Ich bin davon überzeugt, dass wir genau an der Stelle die Aufgabe haben, gegen diese Entwicklung vorzugehen.
Die jüngste Vergangenheit zeigt, meine Damen und Herren, dass es auch russische Medien gibt, die in der Lage sind, einige Spätaussiedler sehr negativ zu beeinflussen, zu verunsichern und zu unverhältnismäßigen Aktionen anzutreiben. Es ist auch unsere Aufgabe, mit aller Härte und mit allem, was uns zur Verfügung steht, gegen diese Art und Weise der Beeinflussung der Deutschen aus Russland anzugehen.
Außerdem - das beunruhigt mich sehr - hat die AfD die Spätaussiedler für sich entdeckt. Sie nutzt die werteorientierte und familienbewusste Einstellung unserer Spätaussiedler, gaukelt ihnen Verständnis vor und instrumentalisiert sie für ihre oftmals menschenunwürdigen Sichtweisen.
Mein Appell richtet sich heute ganz intensiv an alle Spätaussiedler, die vielleicht einen Blick in diese Richtung werfen: Sie sind und bleiben ein Teil unseres Landes. Sie sind uns so wertvoll. Wir sind
Ihnen auch für alle Leistungen dankbar, die Sie für uns erbracht haben. Wir stehen an Ihrer Seite. Ich werbe um Ihr Vertrauen in unsere Demokratie. Lassen Sie sich kein Märchen von Lisa und dem bösen Mann erzählen! Ich will nicht glauben, dass es Blendern und Heuchlern gelingen kann, Sie für sich einzunehmen. Hinterfragen Sie Parolen, die zwar plakativ sind, aber einen undurchsichtigen Hintergrund haben, der nur in einen Abgrund führen kann!
In unseren Besucherreihen sitzen Frau Lilli Bischoff, Vorsitzende der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, und zwei Begleiterinnen. Ich begrüße Sie ganz herzlich. Herzlich willkommen hier bei uns im Landtag!
Ich danke Ihnen und der Landsmannschaft von ganzem Herzen für Ihr Engagement. Frau Bischoff ist aus Überzeugung und aus tiefstem Herzen dabei, wenn es um die Belange der Spätaussiedler in Deutschland geht. Sie organisiert Veranstaltungen und Aktionen, kümmert sich um Beratungsstellen und heizt auch schon einmal der Politik ganz ordentlich ein, wenn sie es denn für nötig hält. Lilli Bischoff - nicht immer bequem, aber das Herz am rechten Fleck!
Für die Mütterrente der Spätaussiedlerinnen, liebe Frau Bischoff, werden wir uns gemeinsam stark machen; denn ich finde - das ist meine persönliche Ansicht -, hier muss noch einiges passieren.
Lieber Herr Weil, lieber Herr Minister Pistorius, ich kann Ihnen nur empfehlen, dass Sie öfter als bisher die Einladungen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland annehmen; denn 340 000 Spätaussiedler in Niedersachsen verdienen auch Ihre Aufmerksamkeit.
Der negativen Beeinflussung können wir nur entgegenwirken, wenn wir die Spätaussiedler ernst nehmen, wenn wir ihr Vertrauen an den Stellen zurückgewinnen, an denen wir es verloren haben. Das geht am besten, wenn wir dorthin gehen, wo sie sind, wenn wir sie treffen, und zwar am besten bei ihren Veranstaltungen. Das große Kulturfest am vergangenen Samstag in Ronnenberg ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie viel unsere Spätaussiedler auch im kulturellen Bereich in unsere Gesellschaft einfließen lassen. Noch einmal herzlichen Glückwunsch zu dieser gelungenen
Meine Damen und Herren, zum Abschluss möchte ich noch einmal auf Aljona zurückkommen. Aljonas Familie kam fünf Jahre nach der Antragstellung im Jahr 2004 endlich in Deutschland an. Sie zog nach ihrem Aufenthalt in Friedland in die Nähe von Frankfurt. Aljona ist allerdings nicht mit nach Deutschland gekommen. Sie hat ein Jahr nach ihrer Au-pair-Zeit hier in Deutschland in Russland einen jungen russischen Mann kennengelernt und ihn später geheiratet.
und lebt mit ihrer Familie in einer kleinen Stadt in Russland. Noch immer ist sie aber im Herzen deutsch.