Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Özkan will nach aktuellen Medienberichten nicht nur auf die Themen Migration und Integration reduziert werden. Dieser Absicht widersprechen allerdings seit ihrem Amtsantritt fehlende Initiativen in der gesamten Breite ihrer Ressortzuständigkeit. Wiederholte Ankündigungen wie beispielsweise die „Gesundheitsregionen in Niedersachsen“ kommen über das Stadium presseöffentlicher Überschriften nicht hinaus. Unter der Leitung von Frau Özkan ist keine sozialpolitische Linie erkennbar. So erklärte Frau Ministerin Özkan zunächst, sie wolle Niedersachsen zum Modellland für die von Bundesarbeitsministerin von der Leyen geplante Bildungschipkarte machen, um wenige Tage später diese Ankündigung wieder zu kassieren. Interventionen von Frau Ministerin Özkan gegen die von der Landesregierung geplante Teilprivatisierung des Glückspielmarktes, die zu wachsender Spielsucht führen dürfte, sind nicht bekannt.
Substanzielle Vorstöße der Sozialministerin für die bekannten und immer dringlicher werdenden Herausforderungen in der medizinischen Versorgung und in der Pflege fehlen. Auf die durch die UNBehindertenrechtskonvention gewachsenen Teilhaberechte für Menschen mit Behinderung hat Frau Özkan keine Antwort. Stattdessen sind die medizinische Versorgung, die Pflege und die Behindertenhilfe drei Bereiche, die 2011 durch Kürzungen und Nullrunden der Landesregierung besonders bluten müssen. Ähnliches gilt für den Städte- und Wohnungsbau, der sich durch den demografischen Wandel und starke regionale Wanderungsbewegungen in einem dramatischen Wandel befindet.
1. Wie bewertet die Landesregierung das in der Vorbemerkung genannte Hin und Her der Sozialministerin, Niedersachsen zum Modellland für eine Bildungschipkarte für Hartz-IV-Bezieher zu machen?
2. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass die von ihr geplanten Kürzungen und Nullrunden bei der medizinischen Versorgung, in der Pflege und bei der Behindertenhilfe die geeigneten Antworten auf die in der Vorbemerkung genannten wachsenden Herausforderungen in den Bereichen sind?
3. Wie bewertet die Landesregierung die Auswirkungen der von Bund und Land geplanten massiven Kürzungen der Wohnungs- und Städtebauförderung auf den Wohnungsmarkt und die Wohnungswirtschaft in Niedersachsen?
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erfolgreiche Sozialpolitik heißt für mich, die Zukunft für alle Bürgerinnen und Bürger menschlich und sozial zu gestalten.
Die Auswirkungen des demografischen Wandels werden die Sozialpolitik in den kommenden Jahren mehr als je zuvor prägen, und das nicht nur in Niedersachsen. Bereits heute ist jeder vierte Einwohner Niedersachsens älter als 60 Jahre. Bis 2030 wird dieser Anteil auf fast 40 % ansteigen. Deshalb gilt es heute mehr denn je, die politischen Rahmenbedingungen für ein generationenfreundliches Niedersachsen zu schaffen. Alle Menschen in Niedersachsen müssen auch in Zukunft die Chance haben, gesund aufzuwachsen und im Alter aktiv zu bleiben. Wir wollen eine Gesellschaft, in der die Menschen füreinander da sind.
Hieran richte ich mein Handeln aus. Ziel unserer Politik muss es sein, für alle - unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und/oder Behinderung - gleiche Chancen zu schaffen und bestehende Benachteiligungen abzubauen.
Sozialpolitik, meine sehr geehrten Damen und Herren, bedeutet, alle Menschen mitzunehmen, allen Menschen die gleiche Chance zu geben. Das gilt für Menschen mit Behinderungen ebenso wie für Menschen mit Migrationshintergrund, für ältere
Menschen ebenso wie für chronisch oder psychisch kranke Menschen. Damit jeder beim Start die bestmögliche Chance hat, fangen wir in Niedersachsen früh an zu fördern.
Sprache und Bildung sind der Schlüssel zur Integration. Dazu haben wir gestern und auch heute vieles gehört.
Deshalb kontrollieren wir z. B. bei allen Kindern im Alter von viereinhalb Jahren, wer der deutschen Sprache mächtig ist. Kinder, deren Deutschkenntnisse nicht altersgerecht sind, fördern wir. Auch das ist Teil der Sozialpolitik. Kindergärten und Schulen sind Orte, an denen unsere Gesellschaft zusammenwächst. Wir brauchen Vertrauen ineinander, damit wir unsere Zukunft gemeinsam meistern können.
Meine Damen und Herren, ich sage aber auch deutlich: Sozialpolitik ist nicht zum Nulltarif zu haben. Bei allem, was wir tun, müssen wir auch an die nachfolgenden Generationen denken. Wir haben dafür Sorge zu tragen, dass unsere Kinder und Enkel auch in den kommenden Jahren überhaupt noch in den Genuss sozialer Leistungen kommen können. Nur so geben wir dem sozialen Niedersachsen eine dauerhafte Perspektive. Deshalb waren leider auch im Sozialbereich Einsparungen unumgänglich. Denn wenn wir unseren Kindern faire Chancen geben wollen, dann können wir ihnen nicht zugleich untragbare Schulden aufbürden.
Wir hätten sonst in Kürze einen handlungsunfähigen Staat und damit auch keine sozialen Leistungen mehr. Was das bedeutet, sehen wir in einigen Ländern und Stadtstaaten, in denen der Handlungsspielraum immer weiter abnimmt.
Ich habe mich bewusst gegen Kürzungen im Bereich der freiwilligen Leistungen ausgesprochen. Auch das habe ich im Ausschuss deutlich gemacht. Damit haben wir sichergestellt, dass die bestehenden und gut funktionierenden Strukturen nicht zerschlagen werden. Wir wollen gerade die damit verbundenen ehrenamtlichen Strukturen erhalten.
Sie sind es, die in Zukunft noch wichtiger werden. Sie sind es, die die so wichtigen kleinen Lebenskreise stabilisieren - nicht weil der Staat dort nicht tätig war oder sein will, sondern weil wir glauben, dass gerade Ehrenamtliche viele Dinge erreichen, die wir von Staatsseite nicht können.
Wir haben unsere Einsparauflagen von 65 Millionen Euro mit Augenmaß und verantwortungsvoll umgesetzt. Wir investieren deshalb auch weiterhin in soziale Leistungen und Schuldnerberatung, in Frauenhäuser, Gewaltberatung und Täterarbeit, in Maßnahmen zur Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt und zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, in Kinder- und Jugendschutz, in Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit und Ehrenamt, in das Gesundheitswesen, in eine erfolgreiche Integrationsarbeit sowie in das Wohnungs- und Siedlungswesen und den Städtebau.
Wir sorgen mit über 100 Jugendwerkstätten und 45 Pro-Aktiv-Centren dafür, dass auch junge Menschen mit Startschwierigkeiten die Chance auf eine gute berufliche Perspektive und Zukunft bekommen. Jedes Jahr werden rund 5 000 Jugendliche in Jugendwerkstätten auf Beruf und Ausbildung vorbereitet und über 17 000 Jugendliche in den Pro-Aktiv-Centren beim Übergang von Schulen in den Beruf unterstützt. Gerade in diesen Bereichen haben wir, wie ich es eingangs erwähnt habe, bewusst nicht gespart und nicht gekürzt.
Mit den Niedersächsischen Kooperations- und Bildungsprojekten an schulischen Standorten - NiKo; sie sind Ihnen bekannt - stärken wir ferner die Entwicklungs- und Integrationsmöglichkeiten von gefährdeten Kindern und Jugendlichen und erreichen so auch Familien, die einen besonderen Beratungs- und Unterstützungsbedarf haben. Gerade das ist in der Startphase von Jugendlichen entscheidend, wenn wir von gleichen Chancen und Perspektiven sprechen.
Dabei geht es zunächst auch darum, den schulischen Erfolg von jungen Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern. Jeder fünfte ausländische Jugendliche in Deutschland verlässt die Schule ohne Abschluss. Wir können es uns nicht leisten - da sind wir uns in diesem Hause wohl einig -, dass uns junge Menschen verloren gehen und der Schulerfolg ausbleibt, wobei wir wissen, dass gerade er von entscheidender Bedeutung ist,
Einer der wichtigsten Unterstützer - da spanne ich gerne den Bogen -, wenn es darum geht, schulischen Erfolg zu erreichen, sind die Eltern. Wir müssen Eltern mit oder ohne Migrationshintergrund - das betone ich hier sehr deutlich - über das deutsche Schul- und Ausbildungssystem intensiver als bisher informieren und sie begleiten. Elternabende und Informationsmaterial in mehreren Sprachen können zwar auch dazu beitragen, dass sich noch mehr Eltern insbesondere mit Migrationshintergrund aktiv am Bildungserfolg ihrer Kinder beteiligen. Aber es ist noch viel wichtiger und hilfreicher, wenn wir vor Ort, in den Kommunen und in den Schulen Menschen haben, die sich im Bereich der Elternarbeit engagieren. Wir brauchen Brückenbauer, die dazu beitragen, Hürden zwischen Eltern mit Migrationshintergrund und Schule zu überwinden. Sie werden sehen, dass das, was mein Kollege Kultusminister Bernd Althusmann, aber auch wir in die frühkindliche Bildung und in die Schule investieren, auf jeden Fall auch Sozialpolitik ist, weil es uns das erspart, was wir später reparieren müssen.
Meine Damen und Herren, um die Beschäftigungsmöglichkeiten auch für Menschen mit Behinderungen zu verbessern - auch diese Gruppe wollen wir integrieren -, wird die Eingliederung über befristete Probearbeitsverhältnisse - z. B. ohne Verpflichtung für interessierte Arbeitgeber - angebahnt und vorbereitet. Mit dem Programm Job4000 schaffen wir 180 neue Arbeitsplätze für schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ich kann hier deutlich unterstreichen, dass wir bundesweit führend sind, was die Integration von Menschen mit Behinderungen in die Arbeit angeht.
Meine Damen und Herren, insbesondere für die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund ist der Zugang zum Arbeitsmarkt besonders wichtig. Hier spielt die Anerkennung von im Herkunftsland erworbenen Bildungs- und Berufsabschlüssen eine Schlüsselrolle. Darüber haben wir gestern ausführlich diskutiert, aber lassen Sie mich noch einmal darauf eingehen. Gemeinsam mit dem Bund - aber auch das Land hat hier eine Verantwortung - möchte ich das Verfahren zur Anerkennung dieser Abschlüsse erleichtern; denn nur 16 % der Migrantinnen und Migranten, die zurzeit in Deutschland leben und Abschlüsse mit
gebracht haben, arbeiten tatsächlich in ihrem erlernten Beruf. Das sind über 300 000 Menschen. Wir wissen nicht genau, wie viele es in Niedersachsen sind. Nimmt man aber den Schlüssel von 10 %, dann wird deutlich, dass es sich um ein riesiges Potenzial handelt, das wir hier entsprechend einsetzen müssen, und zwar nicht nur, weil wir sie am Arbeitsmarkt brauchen - ja, natürlich! -, sondern auch, weil diese Menschen Vorbilder für ihre Kinder sein können und sie so motivieren können, wie wir es von Eltern erwarten, nämlich dass sie sich bei ihren Kindern für einen Abschluss und eine bessere Schulbildung einsetzen.
Wir haben hier einen fast undurchdringlichen Dschungel an Zuständigkeiten, den wir lichten müssen. Gerade das werden wir durch ein vereinfachtes Verfahren mit einem Anspruch auf ein Prüfverfahren bis Ende des Jahres als Gesetzesinitiative des Bundes - dann in Umsetzung durch die Länder - auf den Weg bringen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem weiteren wichtigen Punkt kommen, der letztendlich sowohl die Generationengerechtigkeit als auch die Gleichberechtigung betrifft. Es ist mir wichtig, dass Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen geübt und gelebt wird. Viele Maßnahmen, die dieses Ziel unterstützen, haben wir auf den Weg gebracht.
Unterschiedliche Mentoringprogramme machen Frauen in den obersten Landesbehörden und in den Kommunalverwaltungen „Fit für Führung“ und tragen zur politischen Nachwuchsförderung von Frauen bei. Über das FIFA-Programm fördern wir die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt. Unsere Koordinierungsstellen „Frauen und Wirtschaft“ kümmern sich um die Erleichterung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie um Maßnahmen zur Rückkehr von Frauen in den Beruf. Schließlich fördern wir im Bereich häusliche Gewalt auch in Zeiten knapper Haushaltsmittel weiterhin 40 Frauenhäuser, 34 Gewaltberatungsstellen, 29 Beratungs- und Interventionsstellen und 7 Täterberatungsstellen.
Die meisten Menschen wollen möglichst lange selbstbestimmt im persönlichen Umfeld leben. An diesem verständlichen Wunsch müssen wir uns orientieren. Dafür muss die Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Diese Rahmenbedingungen haben wir in Niedersachsen bereits geschaffen und werden sie weiter ausbauen.