„Herabsetzung der Mindestzügigkeit für die Einrichtung neuer Gesamtschulen und der Wegfall der 14-JahrePrognose für die Schülerzahlen.“
Auch das habe ich erläutert. Das wird am Ende im Rahmen einer Gesamtkonzeption politisch zu entscheiden sein.
Insofern sehen Sie: 70 % der Forderungen des Landeselternrates sind aus meiner Sicht erreichbar. Über die restlichen 30 % wird nach einem politischen Ringen um den richtigen Weg - nach Möglichkeit relativ gemeinsam, aber das wird sicherlich nicht einfach werden, machen wir uns nichts vor - entschieden werden müssen. So einfach ist das.
Danke schön, Herr Minister. - Für die Fraktion DIE LINKE stellt eine weitere Zusatzfrage Frau Kollegin Flauger. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass Herr Dr. Althusmann vorhin ausgeführt hat, dass er überzeugt ist, dass auch in Deutschland ein Abitur nach zwölf Jahren so wie in anderen Ländern grundsätzlich möglich ist, frage ich die Landesregierung, welche ihrer Versäumnisse denn dazu geführt haben, dass die Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren so katastrophal verlaufen ist, dass wir von den Besuchergruppen hier, in der Nachbarschaft und bei anderen Gesprächen regelmäßig zu hören bekommen, dass die Kinder und Jugendlichen inzwischen mehr belastet sind als ihre voll berufstätigen Eltern und dass sie sich inzwischen den Begriff „Bulimie
Lernen“ angewöhnt hätten, weil sie das Wissen vor den Prüfungen in sich reinessen müssen, um es nach der Prüfung wieder rauszuerbrechen. Ich drücke mich einmal halbwegs vornehm aus.
Frau Kollegin Flauger, mit Blick auf den Wortlaut der Frage, nämlich welche Vorstellungen die Landesregierung zur zukünftigen Schulstruktur hat, werte ich Ihre Frage als Ausweitung, weil sie nach hinten gerichtet war. Es steht dem Minister aber frei, sie zu beantworten. Das möchte er auch, wie ich sehe. - Herr Minister Althusmann, Sie haben das Wort.
Ich will auf den Prozess der Entwicklung der Bildungsstandards und der kerncurricularen Forderungen im Zusammenhang mit dem Abitur nach zwölf Jahren eingehen.
Die Kultusminister haben im Jahr 2001 und dann auch im Jahr 2004 PISA-geschockt ein sogenanntes Bildungsmonitoring auf den Weg gebracht. Daraus hat sich eine Vielzahl von Veränderungen für das Bildungssystem ergeben, u. a. bei den Kerncurricula und hinsichtlich der Verkürzung der Zeit bis zum Abitur.
Ich halte das Abitur nach zwölf Jahren mit Blick auf die umliegenden Länder in Europa nach wie vor für gerechtfertigt. Das gilt allerdings auch für auf unsere Gesamtschulen. In Mecklenburg-Vorpommern ist es völlig normal, dass an einer Gesamtschule innerhalb von zwölf Jahren die Hochschulreife erreicht wird. Also sollte man davon ausgehen, dass dies nach Schaffung aller dafür erforderlichen Voraussetzungen auch in Niedersachsen möglich sein dürfte.
Die grundlegende Frage beim Abitur nach zwölf Jahren ist aber, ob es im Schulalltag gelingt, die kerncurricularen Vorgaben so umzusetzen, dass dies nicht zu einer Überlastung der Schülerinnen und Schüler führt. Wir mussten erleben - das muss ich in diesem Zusammenhang zugeben -, dass diese Bildungsvorgaben gerade am Anfang, insbesondere im Jahr 2006, etwas holperig und ruckelig umgesetzt worden sind.
Mir ist durchaus bekannt - ich bin selbst Vater von schulpflichtigen Kindern -, dass am Anfang noch gar nicht sichergestellt war, dass die Schulbücher und die kerncurricularen Vorgaben auch tatsächlich miteinander korrespondieren. Zum Teil wurde
In allen Bundesländern hat man sich - vielleicht auch unter dem Druck der öffentlichen Diskussion über Bildungsstandards, über Bildungsqualität, über PISA, TIMSS, PIRLS, IGLU, VERA 3, VERA 8 - treiben lassen und dann ein System eingeführt, das hier und da vielleicht einer etwas sorgfältigeren Vorbereitung bedurft hätte.
Von „Bulimie-Lernen“ möchte ich an dieser Stelle nicht sprechen. Aber ich denke, Frau Flauger, wir müssen insofern auch an die Eltern appellieren. Viele Eltern wollen das Beste für ihr Kind, und viele Eltern meinen, das Abitur sei das Beste für ihr Kind. Wir erleben, dass Kinder in Schulformen sind, wo sie erheblich überfordert sind.
Wir erleben, dass Kinder von ihren Eltern in eine Schulform hineingedrängt werden in der Hoffnung, man könnte damit sozusagen Defizite in der eigenen Bildungsbiografie ausgleichen.
Wir erleben Eltern, die ihre Kinder bis spät in den Abend zwingen, um mit Ach und Krach einen Bildungserfolg sicherzustellen.
In solchen Fällen wäre es einfacher und würde aus meiner Sicht auch dem Kind gerechter, wenn man ihm sagen würde: Nimm doch erst einmal Anlauf in einer anderen Schulform, sei fleißig und schaffe deinen Abschluss mit einer möglichst guten Note. Dann hast du nämlich alle Möglichkeiten auf ein weiterführendes Schulangebot, entweder auf das Fachgymnasium oder auf das normale Gymnasium. Du hast in Niedersachsen auch die Möglichkeit, als Meister ein Studium zu ergreifen. Du hast in Niedersachsen als jemand, der eine Berufsausbildung hat und fünf Jahre in dem Beruf tätig war, die Möglichkeit ein Hochschulstudium anzufangen. Das haben wir nämlich entsprechend geöffnet.
Das heißt, der Glaube, dass es eben nur übers Abitur gehen würde, ist schlichtweg falsch. Bei uns führen viele Wege zum Erfolg.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau stellt Frau Kollegin Korter ihre zweite und letzte Zusatzfrage.
Ich bitte darum, dass sich die Parlamentarischen Geschäftsführer einmal Gedanken über den weiteren Ablauf machen; denn wir sind jetzt, glaube ich, über eine Stunde im Verzug.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass sich Minister Althusmann im September-Plenum vehement für den Erhalt des freien Elternwillens beim Übergang auf eine weiterführende Schule ausgesprochen hat, vor dem Hintergrund, dass seit 2003, seit diese Landesregierung die Schulpolitik in Niedersachsen gestaltet, jährlich Tausende von Kindern an Integrierten Gesamtschulen abgelehnt werden müssen, weil kein Platz da ist, vor dem Hintergrund, dass diese Landesregierung bei freien Trägern längst auch dreizügige Gesamtschulen genehmigt, frage ich die Landesregierung: Herr Minister Althusmann, in diesem Jahr mussten in Niedersachsen wieder 3 857 Kinder an niedersächsischen Gesamtschulen aus Platzmangel abgelehnt werden. Ist das für Sie kein Grund, endlich die Zügigkeitshürden für die Gesamtschuleinrichtung zu senken, damit auch in diesen Fragen, bei diesen 3 857 Kindern, die Eltern wirklich entscheiden können?
Herzlichen Dank, Frau Korter. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Althusmann. Sie haben das Wort.
Wir haben hinsichtlich der neu eingerichteten IGSen und KGSen folgendes Bild erfasst, jeweils zum 1. August 2009 und 2010: Von den 11 944 Anmeldungen konnten etwa 8 400 berücksichtigt werden. Damit verblieben 3 557 Ablehnungen.
Wir können uns hier trefflich über die Mindestzügigkeit streiten. Ich darf in dem Zusammenhang aber darauf hinweisen, Frau Korter, dass eine Vielzahl von Schulträgern die Möglichkeit hätte, die höhere Zügigkeit, nämlich die zwischen vier und acht Zügen, auszuschöpfen. Das tun sie aber nicht, weil sie Druck auf das Land auszuüben wol
len, in der Hoffnung, dass dann darüber schon eine politische Debatte entstehen wird. Das gehört zu einer realistischen Beurteilung der Lage dazu.
Wenn Sie die freien Träger mit hinzuziehen, Frau Korter, darf ich Ihnen entgegenhalten: Die freien Träger dürfen frei über die Strukturen ihrer Schule entscheiden. Wenn sie wollten, könnten sie sogar zwei oder drei Lehrer in eine Klasse mit zehn Schülern stecken. Das ist ihre freie Entscheidung. Bis auf den Abschluss am Ende können wir ihnen keine weiteren Vorgaben über die innere Ausgestaltung machen. Deshalb kommt es bei freien Schulträgern zum Teil auch zur Gründung von integrierten Systemen, integrierten Gesamtschulen beispielsweise, die nicht vergleichbar sind mit den Schulen, die wir im öffentlichen Bildungssystem vorhalten.
Aufgrund der Tatsache, dass kürzlich bei einer Sendung des Nordwestfunks aus dem Domgymnasium in Verden alle anwesenden Schülerinnen und Schüler gesagt haben, sie hätten kein Problem mit dem Abitur nach zwölf Jahren, und vor dem Hintergrund, dass auch meinem Kollegen von Danwitz in Schwarmstedt Ähnliches von den Schülerinnen und Schülern gesagt wurde - dass auch die kein Problem mit dem Abi nach zwölf Jahren hätten -, frage ich die Landesregierung: Kann es sein, dass viele in der Opposition aufgrund ihrer ideologischen Verbohrtheit gar nicht mehr so richtig wissen, wie die wirkliche Lage vor Ort ist?
Herzlichen Dank. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt nun Herr Kollege Klein die nächste Zusatzfrage.
Vor dem Hintergrund der durchaus erfreulichen Feststellung, dass der Kultusminister alle bisherigen Hürden für die Neuerrichtung von Gesamtschulen mit in die Verhandlungsmasse genommen hat - zumindest hat er erklärt, dass alles das im Grunde genommen in Zukunft zu entscheiden sein wird -, würde mich einmal interessieren:
Welchen Rat hat er für Gesamtschulinitiativen, die im letzten Jahr ganz knapp an diesen Hürden gescheitert sind, die vielleicht bei den Elternbefragungen auch nur ganz knapp die Voraussetzungen für eine Neugründung verfehlt haben, die aber ein Interesse haben, möglichst wenig Zeit zu verlieren unter dem Gesichtspunkt, dass möglicherweise gerade dieser Gesichtspunkt, an dem sie gescheitert sind, in diesem Herbst eine Veränderung erfährt?
Grundsätzlich gilt natürlich: Ich würde auch diesen Initiativen raten, alle denkbaren Alternativen - im Übrigen auch zur Gesamtschule - noch einmal durchzuspielen. Ich meine nämlich durchaus, dass aus einer Zusammenfassung von Hauptschule und Realschule und über die Möglichkeiten, die sich aus dieser Zusammenarbeit ergeben, mit Blick auf eine berufliche Orientierung ein sehr gutes Schulmodell entstehen kann.